Wer ein Start-up für Lokaljournalismus gründet oder sich für investigative Recherchen einsetzt, tut damit nichts für die Allgemeinheit. Zumindest aus Sicht des deutschen Steuerrechts. Und zumindest bislang.
Die sogenannte Abgabenordnung legt fest, wer in Deutschland die Allgemeinheit „auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet“ fördert. 26 Punkte sind dort aufgelistet. Als „gemeinnützig“ anerkannt wird demnach zum Beispiel der Einsatz für den Küsten-, Tier- oder Katastrophenschutz, die Religion oder die Völkerverständigung. Auch Schach, Kleingärtnerei, Hundesport, Amateurfunk, Karneval und Ortsverschönerung sind gemeinnützige Zwecke. Journalismus, wie gesagt, fehlt in dieser Aufzählung.
Ginge es nach dem Forum Gemeinnütziger Journalismus, sollte das längst anders sein. Die Initiative hat vor kurzem in einem Offenen Brief gefordert, gemeinnützigen Journalismus rechtssicher zu machen. Nicht zum ersten Mal. Eigentlich hatte sich die Ampel-Regierung in ihrem Koalitionsvertrag das auch vorgenommen (ohne konkreter zu werden). Doch weil bislang nichts geschehen ist, drohe eine „fatale Verzögerung für die Demokratie“, heißt es in dem Offenen Brief.
Gemeinnützigen Journalismus gibt es schon
Unterschrieben haben ihn unter anderem Menschen, die bereits gemeinnützigen Journalismus betreiben. Das ist möglich, weil Finanzämter bei manchen journalistischen Projekten die Gemeinnützigkeit durchaus anerkennen. Dafür braucht es gute Argumente und Finanzbeamten, die sich davon überzeugen lassen. Das Recherchezentrum „Correctiv“ zum Beispiel bietet auch Weiterbildungen an, gemeinnützig ist demnach der Förderzweck „Bildung“. „Netzpolitik“ und „Finanztip“ engagieren sich im Sinne der Abgabenordnung für „Verbraucherschutz“. Auch das Online-Magazin „Medwatch“, die „Relevanzreporter“ – ein Lokaljournalismus-Projekt aus Nürnberg – und die „Kontext:Wochenzeitung“ in Stuttgart sind als gemeinnützig anerkannt. RUMS in Münster hingegen versteht sich zwar als „Sozialunternehmen“, ist aber nicht gemeinnützig.
Der Titel des Briefs, „Macht endlich gemeinnützigen Journalismus möglich“, ist also leicht verkürzend, denn gemeinnützigen Journalismus gibt es schon. Es geht vielmehr darum, journalistische Projekte besser abzusichern und Neugründungen attraktiver zu machen. Menschen, die solche Angebote mit Geld unterstützen, könnten ihren Beitrag dann als Spende absetzen. Außerdem dürfen viele Stiftungen laut Satzungszweck nur gemeinnützige Zwecke fördern. Die Idee ist, dass stiftungs- und spendenfinanzierter Journalismus irgendwann als dritte Säule neben dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und den privaten Medienhäusern stehen könnte. Im Offenen Brief heißt es dazu:
„Denn der gemeinnützige Journalismus ergänzt Angebote dort, wo mit profitorientiertem Journalismus kein Geld mehr verdient werden kann. (…) Das ist vor allem für den ländlichen Raum wichtig. In Regionen, in denen der Markt mit seinem Ertragsdruck keine Medienangebote mehr garantieren und der öffentlich-rechtliche Rundfunk keine Landesstudios errichten kann, droht die öffentliche Debatte zu verstummen. Mit allen Konsequenzen für unsere Demokratie.“
Dass das Forum ausgerechnet auf die Bedrohung des Lokaljournalismus hinweist, ist strategisch sinnvoll: Das Thema ist medial präsent, seit klar ist, dass die Bundesregierung auch 2024 keine Zustellförderung für Lokalzeitungen plant. Trotzdem überrascht das Argument. Denn viele Unterstützer des Forums machen zwar guten Journalismus – aber nur wenige im Lokalen und dann auch eher in Städten als auf dem Land.
Vorzeigeprojekt kapitulierte
Das Team von „Karla“, einem lokaljournalistischen Start-up in Konstanz am Bodensee, musste gerade erst sein eigenes Ende verkünden – ziemlich genau ein Jahr, nachdem sie mit ihrem ersten Text ins operative Geschäft eingestiegen waren.
„Das war für uns alle extrem hart“, sagt Ko-Redaktionsleiter Michael Lünstroth wenige Tage nachdem das „Karla“-Team das Aus zum 31. Dezember bekannt gegeben hat. „Wir haben etwas erschaffen, das die Menschen erreicht und bewegt hat.“ Karla sei ursprünglich als Modellprojekt angelegt gewesen, es galt als Paradebeispiel für gemeinnützigen Lokaljournalismus. Weil Medienbildung und ein Veranstaltungskalender zum Konzept gehören, ist „Karla“ gemeinnützig.
Die Autorin
Annika Schneider recherchiert, moderiert und plant Medienthemen beim Deutschlandfunk und beim WDR. Außerdem schreibt sie für die „Altpapier“-Medienkolumne des MDR. Sie ist nicht verwandt mit Wolf Schneider und hat auch sonst keine Journalist:innen in ihrer Familie. Ihre freie Mitarbeit beim Deutschlandfunk begann sie dank ihrer Tante, die privat eine Radiojournalistin kannte. Die vermittelte den Kontakt zu einem Redakteur, der sie spontan zum Probearbeiten einlud – seitdem ist sie geblieben.
Gescheitert sei das Projekt trotzdem an der Stiftungsfinanzierung, erzählt Lünstroth. Größter Geldgeber war die Hertie-Stiftung, mit der eine weitere Förderrunde geplatzt sei. Erst ab 2025 hätte die Redaktion sich selbst tragen sollen. Die Prozesse in den Stiftungen seien zu langsam für Medienprojekte, erklärt der Mitgründer: „Wir haben zu lange auf Entscheidungen warten müssen.“ Außerdem förderten Stiftungen zwar gerne partizipative Projekte oder Medienbildung. Gebraucht hätte „Karla“ aber eher eine journalistische Grundförderung über mehrere Jahre. Zuletzt brachten 900 Abos rund ein Drittel des Redaktionsbudgets ein.
„Ich glaube nach wie vor, dass das Modell des gemeinnützigen Journalismus ein Zukunftsmodell sein kann und auch wichtig bleibt“, sagt Michael Lünstroth. „Gerade wenn man sieht, wie sich regionale Verlage entwickeln.“ Wenn Journalismus als gemeinnützig anerkannt würde, könnten sich dadurch ganz neue Fördertöpfe öffnen, so seine Hoffnung.
„Karla“ war allerdings nie dafür gedacht, den Lokaljournalismus in Konstanz zu ersetzen, sondern sollte mit drei oder vier Beiträgen pro Woche das Angebot eher ergänzen. Lünstroth hat Zweifel, ob sich ein solches Projekt auch in ländlichen Regionen tragen würde. Schon bei ihnen in Konstanz mit immerhin gut 85.000 Einwohnern sei es schwierig gewesen, Journalistinnen und Journalisten zu finden, die für „Karla“ schreiben.
„Symbolisches Signal“
Auch Christopher Buschow ist skeptisch, ob gemeinnütziger Journalismus den Lokaljournalismus retten kann. Der Juniorprofessor für „Organisation und vernetzte Medien“ an der Bauhaus-Universität Weimar forscht zum Umbruch in der Medienbranche. Die Initiative des Forums Gemeinnütziger Journalismus finde er wichtig und richtig, sie könne dazu beitragen, dass Stiftungen sich mehr im Journalismus engagieren. Die Lösung für alle Probleme sei sie aber nicht.
In Deutschland sei gemeinnütziger Journalismus eine „ganz kleine Nische“, so Buschow. Wie die sich weiter entwickle, hänge unter anderem davon ab, wie gut die Lokalzeitungen in den kommenden Jahren die Digitalisierung meistern und wie es mit der Regionalberichterstattung der öffentlich-rechtlichen Anstalten weitergeht. Eine Änderung in der Abgabenordnung sieht er weniger als „Game Changer“, denn als symbolisches Signal. Wichtig sei vor allem Überzeugungsarbeit bei Stiftungen, dass Journalismusförderung Demokratieförderung sei. In den USA sei gemeinnütziger Journalismus schon ein wichtiger Gegenentwurf zur ausgebluteten Medienwirtschaft geworden.
Gerade das Beispiel USA zeigt aus Buschows Sicht aber auch: Selbst gefeierte digitale Projekte wie „Axios“, die in zahlreichen Orten digitalen Lokaljournalismus neu aufgebaut haben, suchen sich dafür keine ländlichen Nachrichtenwüsten aus, sondern Städte mit einem ausreichend großen Publikum, zum Beispiel Atlanta, Chicago, Boston oder San Francisco.
„Axios“ ist zwar ein kommerzielles Unternehmen, aber auch viele gemeinnützige Projekte setzen auf Spenden sowie Einnahmen aus Abos und müssen deswegen eine Mindestanzahl an Menschen erreichen. Noch fehle es an konkreter Forschung dazu, wie dicht besiedelt eine Region in Deutschland sein muss, damit sich digitaler Lokaljournalismus dort trägt, sagt Buschow. Aber schon jetzt hätten die etablierten Verlage mit Nachwuchsmangel zu kämpfen. „Es wird nicht gelingen, Top-Journalistinnen und Journalisten ins ‚Hinterland‘ zu bekommen“, sagt er. „Und wo sollen da dann auch die Gründerinnen und Gründer herkommen?“
Mehr Vielfalt
Christoph Schurian, Geschäftsführer des Forums Gemeinnütziger Journalismus, ist da optimistischer. „Gemeinnütziger Journalismus ist nicht die Lösung für alle Probleme, das wollen wir auch gar nicht“, stellt er klar. Gemeinnütziger Journalismus wirke in der in der Nische. Er verweist auf Projekte wie die „Relevanzreporter“ in Nürnberg oder die (ehrenamtlichen) „Nordstadtblogger“ in Dortmund. Sie machen die Berichterstattung in der Stadt vielfältiger – den ländlichen Raum bereichern sie aber nicht.
Trotzdem glaubt Christoph Schurian, dass das Konzept auch auf dem Land funktioniert. Zurzeit seien die Hürden noch zu hoch. Schurian stellt sich folgendes Szenario vor: Wenn ein Verlagshaus eine kleine Lokalredaktion schließen wolle, könne das Redaktionsteam das Ganze übernehmen und als gemeinnützige GmbH weiterführen – unterstützt mit Geldern einer lokalen Stiftung. So könne gemeinnütziger Journalismus das Sterben des Lokaljournalismus aufhalten. Das deckt sich mit einem Punkt, den auch „Karla“-Mitgründer Michael Lünstroth nennt: Um Stiftungsgelder zu bekommen, brauche man im Idealfall eine Stiftung direkt vor Ort, die ein Interesse daran habe, genau hier Lokaljournalismus zu fördern, sagt er.
Medienmanagement-Professor Christopher Buschow vermutet, dass solche Szenarien eher die Ausnahme bleiben würden. Trotzdem findet er es wichtig, verschiedene Modelle auszuprobieren. Zusätzlich zur Gemeinnützigkeit fallen ihm weitere Möglichkeiten ein, journalistische Gründungen zu fördern. Die „Tiny News Collective“ stellt in den USA zum Beispiel mit Geld von Stiftungen und Google die Infrastruktur für Lokaljournalismus zur Verfügung – vom Content Management System über Weiterbildung bis hin zu Marketing- und Verwaltungstools. So sparen sich Start-ups hohe Summen für das „Drumherum“ und nicht jede Neugründung muss bei der Entwicklung von vorne anfangen. Das könnte vor allem die Menschen ansprechen, die guten Journalismus machen wollen, aber keine Lust haben, sich nächtelang mit Technik und Verwaltung zu beschäftigen.
Wenn Schach gemeinnützig ist, dann auch Journalismus, oder?
Dem Forum Gemeinnütziger Journalismus geht es um professionellen Qualitätsjournalismus, der bestimmte Kriterien erfüllen muss, um überhaupt als gemeinnützig zu gelten. Dazu gehören laut Christoph Schurian Transparenz über die eigenen Finanzen und Strukturen, eine gute Fehlerkultur und das Einhalten des Pressekodex. Dass diese Art von Journalismus der Demokratie mindestens genau so viel bringt wie ein Schachclub oder eine Gruppe von Kleingärtnern, liegt für ihn auf der Hand.
Es ist wohl unstrittig, dass Projekte wie „Correctiv“ – das übrigens mit klassischen Lokalzeitungen eng kooperiert – die Medienlandschaft bereichert haben, mit neuen Ideen wie Recherchen in Comicform, aber auch dem Konzept, die eigene Community in die Themenfindung und Recherche einzubeziehen. Unklar ist, was gemeinnützige Projekte speziell im Lokalen langfristig und in der Fläche beizutragen haben. Die Initiative argumentiert damit, dass ausgedünnte Lokalredaktionen in vielen Regionen Lücken in der Berichterstattung aufgerissen haben und gemeinnütziger Journalismus für mehr Vielfalt sorgen könne.
Die Verleger klassischer Zeitungen sorgen sich bereits um die mögliche Konkurrenz. Das zeigt ein kürzlich veröffentlichtes „Whitepaper“ zu Non-Profit-Journalismus, das die Otto-Brenner-Stiftung bei den Medienwissenschaftlern Leif Kramp und Stephan Weichert in Auftrag gegeben hatte. Darin warnte die Chefkommunikatorin des Verlegerverbandes BDZV, Anja Pasquay, dass gemeinnütziger Journalismus die Medienvielfalt gefährde – unter anderem, weil staatliche Stellen dann entscheiden würden, welcher journalistische Anbieter das Siegel „gemeinnützig“ erhalten dürfe. Die Opposition der Verleger wertet Christopher Buschow als „Nebelkerze“. Whitepaper-Autor Stephan Weichert hat selbst den Offenen Brief unterzeichnet.
Letztendlich müssten sich auch gemeinnützige Projekte am Markt beweisen, sagt Christoph Schurian, der Geschäftsführer der Initiative. Aktuell verfolgt das Forum einen pragmatischen Weg, um sein Ziel zu erreichen: Anstatt Journalismus als eigenen Förderzweck zu definieren, könnte die journalistische Arbeit als Unterpunkt der „Volksbildung“ genannt werden, so die Hoffnung.
1 Kommentare
Die Frage ist halt, ob es so ein Angebot wie den Lokaljournalismus „auf dem platten Land“ braucht, wenn er dort anscheinend nicht nachgefragt wird.
Angebot und Nachfrage sind nun einmal die Grundpfeiler unserer Marktwirtschaft. Vielleicht solle man erst einmal ergründen, warum so ein Projekt wie „Karla“ gescheitert ist. Anscheinend gibt es da ja nicht genug Menschen, die ein solches Angebot benötigen, sonst hätten Sie ja ein Abo abgeschlossen. Oder lag es nur am Marketing, so dass die Menschen dort gar nicht wussten, dass es dieses Projekt gibt?
Das Problem an der Sache mit der Lokalberichterstattung ist meiner Meinung nach das, dass das Leben gefühlt nicht schlechter ist, wenn Ich nicht mitbekomme, dass in meinem Nachbarort der TUS Dingsbumshausen gegen den TUS Wasweissich gewonnen hat. Oder wie das Schützenfest bzw. die Kerwe in Irgendwo war. Wenn mich das interessiert, dann krieg Ich das auch ohne Zeitung mit. Sicher, das tolle an einer Zeitung kann sein, dass Sie einen aus einer Filterblase ein stückweit heraushebt, weil Sie einem eben auch Sachen präsentiert, von denen man nicht wusste dass Sie einem interessieren könnten. Aber dennoch bleibt die Frage, wäre es ein Schaden für die Demokratie, wenn es solche Angebote nicht gäbe?
Die Frage ist halt, ob es so ein Angebot wie den Lokaljournalismus „auf dem platten Land“ braucht, wenn er dort anscheinend nicht nachgefragt wird.
Angebot und Nachfrage sind nun einmal die Grundpfeiler unserer Marktwirtschaft. Vielleicht solle man erst einmal ergründen, warum so ein Projekt wie „Karla“ gescheitert ist. Anscheinend gibt es da ja nicht genug Menschen, die ein solches Angebot benötigen, sonst hätten Sie ja ein Abo abgeschlossen. Oder lag es nur am Marketing, so dass die Menschen dort gar nicht wussten, dass es dieses Projekt gibt?
Das Problem an der Sache mit der Lokalberichterstattung ist meiner Meinung nach das, dass das Leben gefühlt nicht schlechter ist, wenn Ich nicht mitbekomme, dass in meinem Nachbarort der TUS Dingsbumshausen gegen den TUS Wasweissich gewonnen hat. Oder wie das Schützenfest bzw. die Kerwe in Irgendwo war. Wenn mich das interessiert, dann krieg Ich das auch ohne Zeitung mit. Sicher, das tolle an einer Zeitung kann sein, dass Sie einen aus einer Filterblase ein stückweit heraushebt, weil Sie einem eben auch Sachen präsentiert, von denen man nicht wusste dass Sie einem interessieren könnten. Aber dennoch bleibt die Frage, wäre es ein Schaden für die Demokratie, wenn es solche Angebote nicht gäbe?