Aus für Online-Kiosk

Du wolltest schon immer Zeitungsartikel einzeln kaufen? Mit Blendle stirbt diese Möglichkeit gerade.

Titelseiten von Zeitungen und Zeitschriften auf Blendle
Zeitungen und Zeitschriften im Blendle-Kiosk

Am 3. September, fast genau acht Jahre nach dem Start, schließt der Online-Kiosk Blendle in Deutschland. Das ist traurig, aber gar nicht überraschend: Schon seit längerer Zeit siechte die Plattform vor sich hin. Viele Verlage hatten sich mit ihren Zeitungen und Zeitschriften längst zurückgezogen. Die, die ihre Inhalte dort jetzt noch anbieten, tun es weniger aus Überzeugung oder weil sie dort wesentlich Umsätze generieren oder die Seite irgendeine strategische Funktion für sie hätte – sondern weil ihre Inhalte automatisch einlaufen und es fast weniger Arbeit machte, das einfach laufen zu lassen, als es abzustellen.

Auf Blendle kann man Zeitungen und Zeitschriften online durchblättern und einzelne Artikel mit nur einem Klick für Centbeträge kaufen – ohne Abo, ohne sich bei jedem einzelnen Medium registrieren zu müssen. Marten Blankesteijn, einer der beiden niederländischen Gründer, sagte mir zum Start:

„Wir haben Blendle gegründet, weil wir gesehen haben, dass keiner unserer Freunde die brillanten Artikel gelesen hat, die in Zeitungen und Magazinen veröffentlicht wurden. Wir waren sicher, dass sie ihnen gefallen würden, aber es gab einfach keinen Weg, sie dazu zu bringen, sie zu lesen. Einige Artikel waren nicht einmal online, andere nur hinter einer Paywall. Wir waren überzeugt, dass wir unsere Freunde glücklich machen könnten, indem wir ihnen leichten Zugang zu dem besten Journalismus verschaffen, und dass wir die Verleger glücklich machen würden, wenn wir ihnen diese neue Leserschaft gäben.“

Blankensteijn und sein Partner Alexander Klöpping waren anfangs extrem erfolgreich, etablierte Medien von sich zu überzeugen: Sie gewannen die „New York Times“ und Axel Springer als Investoren; die damalige Gruner+Jahr-Chefin Julia Jäkel ging in ein „Advisory Board“ und sagte öffentlich freundliche Sätze über Blendle, alle großen Verlage waren mit ihren Titeln an Bord, über 100 ingesamt.

Doch Blankensteijn und Klöpping haben sich längst verabschiedet; vor drei Jahren wurde Blendle vom französischen Unternehmen Cafeyn übernommen. Als ich mich dort im vergangenen August nach der Zukunft von Blendle erkundigte, sagte man mir, dass man sich in den zwei Jahren zuvor darauf konzentriert habe, Blendle in die Cafeyn-Gruppe zu integrieren und deshalb bei Blendle kaum etwas gemacht habe. „Aber Blendle und die Cafeyn-Gruppe warten auf den richtigen Zeitpunkt und die Gelegenheit, um signifikant in den deutschen Markt zu investieren.“ Man sei „definitiv“ daran interessiert, seine Präsenz in Deutschland auszubauen.

Das klang schon damals nicht sehr überzeugend.

Das iTunes, nicht das Spotify des Journalismus

Was ist schief gelaufen? Man kann es sich einfach machen und auf die Musikindustrie zeigen: Auch wenn Blendle immer wieder als das Spotify des Journalismus bezeichnet wurde, ist es doch das iTunes des Journalismus. Es bietet keine Flatrate, sondern den Einzelverkauf von Artikeln.

Doch der Einzelverkauf hat sich auch in der Musikwelt nicht durchgesetzt – die Flatrate ist bei digitalen Medien die Regel geworden. Das ist aus Sicht der Nutzer praktisch; aus Sicht der Inhalteproduzenten aber problematisch: Die Künstler werden von Spotify für das Streamen ihrer Inhalte nur mit extrem kleinen Beträgen abgespeist. Auf die Produktion journalistischer Inhalte lässt sich das Flatrate-Konzept ohnehin nur schwer übertragen, schon weil sie anderes konsumiert werden als Musik (ein Artikel wird selten in der Heavy Rotation immer wieder gelesen).

Für gelegentliche Zeitungsleser war das Blendle-Angebot praktisch; in die Strategie der Verlage passte es aber eigentlich nie richtig. Das fiel anfangs noch nicht so sehr auf, weil es bei vielen gar keine klare, erfolgversprechende Strategie gab. Entsprechend gab es eine Bereitschaft, den enthusiastischen jungen niederländischen Gründern zumindest eine Chance zu geben, insbesondere da die versprachen, dass das Experiment für die Verlage ohne Kosten und nur mit minimalem Risiko verbunden war.

Allerdings haben die Verlage in der Folge auch fast nie dafür geworben, ihre Inhalte auf Blendle einzeln erwerben zu können. Im Zweifel erschien es immer interessanter, die Leute direkt als Kunden gewinnen zu können, mit allen Daten und Kontakten, die damit verbunden sind.

Umgekehrt gelang es Blendle kaum, eine wirkliche eigene Community aufzubauen. Eigentlich war es als ein kleines soziales Netzwerk angelegt, in dem einen Empfehlungen von Freunden angezeigt werden, ergänzt um redaktionelle Empfehlungen oder Vorschläge, die auf angegebenen Interessen beruhten. Die große Gemeinschaft von jungen Leuten, die man auf digitalem Weg für hochwertige gedruckte Inhalte begeistern konnte, gab es vielleicht so doch nicht.

Ein Online-Produkt für Freunde des Gedruckten

Auch das dürfte eine Hypothek des Unternehmens gewesen sein: Es hat sich vor allem darauf konzentriert, die Inhalte von Zeitungen und Zeitschriften in Zeitungs- und Zeitschriftenform zugänglich zu machen. Einerseits sorgte es für ein Unbundling, ein Auseinanderschneiden der Inhalte, was ziemlich revolutionär war. Andererseits präsentierte es sie im Kontext, und zwar im Kontext der Zeitungsseite.

Vielleicht war auch das ein Grund, warum sich vor acht Jahren so viele Verlage auf das Experiment einließen, weil es von einer solchen sichtbaren Liebe für das gedruckte Produkt getrieben war – bis hin zur Präsentation in den jeweiligen Hausschriftarten der Blätter. Diese Liebe teilte man in den Verlagen, sie war aber vielleicht bei den jüngeren, digital geprägten Menschen nicht mehr ausreichend vorhanden oder gar zu erwecken.

Für jemanden, der als gelernter Zeitungsleser gezielt die Seite 3 der SZ ansteuert oder das „Streiflicht“ auf der Titelseite, die Feuilleton-Glosse der FAZ oder die Wirtschaftsreportage, der sich vom gestalterischen und dramaturgischen Rhythmus einer Zeitungsausgabe und einer Zeitungsseite leiten lässt, war Blendle ein Traum. Aber digital sozialisierte Leser, die dort nach Artikeln suchten, die die SZ oder die FAZ online hinter der Abo-Bezahlschranke veröffentlicht hatten, wurden immer wieder nicht fündig – weil der Artikel nicht oder noch nicht in der Zeitung veröffentlicht worden war.

Auch aus Verlags-Sicht machte Blendle immer weniger Sinn: Für die meisten von ihnen gibt es inzwischen eine sehr eindeutige Antwort auf die Frage, wie sich ihr Journalismus online am besten finanzieren lässt: mit dem Verkauf von Abos.

Das ist für die Leserinnen und Leser regelmäßig frustrierend, wenn sie vor verschlossenen Artikeln stehen, für die einige von ihnen womöglich sogar einzeln zahlen würden. Dieser Frust wird aber von den Verlagen nicht nur hingenommen, er ist teilweise ausdrücklich erwünscht und Teil der Strategie: Irgendwann, vielleicht beim zehnten Mal, wenn jemand wieder vor der Paywall steht, ist der Frust so groß, dass er doch noch ein Abo abschließt.

Dass auf diese Weise gute und wichtige Artikel nicht das Publikum bekommen, was sie verdienen, ist der Preis, den sie bereit sind zu zahlen – weil sich so zumindest im Moment am besten gewährleisten lässt, dass man sich die Produktion guter und wichtiger Artikel leisten kann.

Dann halt Readly

Ein Vertriebsweg wie Blendle hat in dieser Strategie der kalkulierten Frustproduktion natürlich keinen Platz. So gesehen ist es fast erstaunlich, wie viele Medien man auch heute noch dort im Drucklayout durchblättern kann – um sich bei Interesse einzelne Artikel zu kaufen: Die SZ ist noch dabei, die FAZ und der „Tagesspiegel“, „Stern“, „Geo“, „Business Punk“, „11 Freunde“ und „Freundin“.

Registrierte Blendle-Nutzer bekommen nun das Angebot, zwei Monate kostenlos das Angebot Readly zu testen. Readly gehört inzwischen zu Cafeyn, das vor drei Jahren Blendle übernommen hatte. Dort kann man für eine Flatrate von 11,99 Euro im Monat zahlreiche E-Paper von deutschen und internationalen Zeitschriften durchblättern. Das ist also tatsächlich eine Art Spotify des Journalismus – allerdings mit gravierenden Einschränkungen: Man kann zwar in den Magazinen lesen, aber die Inhalte nicht teilen oder auch nur herauskopieren. Es ist, als würde man in einen geschlossenen Raum mit Zeitschriften geführt, in denen man lesen darf. Neben vielen Special-Interest-Titeln, Fernsehzeitschriften und Klatschblättern finden sich hier seit kurzem auch Burda-Zeitschriften wie „Focus“ und „Bunte“. Im Zeitungssegment finden sich unter anderem die Springer-Blätter „Bild“ und „Welt“, die Samstagsausgabe der „Rheinischen Post“ und internationale Blätter wie „Libération“, „Neue Zürcher Zeitung“, „Presse“ und „Guardian“.

Es ist ein – je nach persönlicher Mediennutzung – günstiger Weg, viele gedruckte Inhalte digital zu lesen. Aber mit dem Blendle-Gedanken, journalistische Inhalte zu entdecken und zu teilen, hat es nichts gemein.

Offenlegung: Blendle war bis Mitte 2018 Geschäftspartner von Übermedien und hat die Paywall bereitgestellt.

5 Kommentare

  1. Dass Readly zwei Monate kostenlos getestet werden kann, habe ich nicht so verstanden, denn man soll dafür auf sein Blendle-Guthaben verzichten: https://www.blendle.support/hc/de/articles/17044351760273-Was-sind-die-Bedingungen-für-das-Readly-Angebot-

    Alternativ wird auch eine Auszahlung angeboten, die Blendle aber möglichst kompliziert und teuer macht: https://www.blendle.support/hc/de/articles/17044233633553-Ich-habe-noch-Geld-in-meinem-Portemonnaie-was-soll-ich-tun-

  2. Mir haben Sie drei Monate kostenlos offeriert, weil ich vielleicht ein höheres Guthaben dort habe oder weil ich schon mal Readly Kunde war.

    Ich bin aus der Schweiz, da wird die Neue Zürcher Zeitung nicht offeriert, aber die NZZ am Sonntag. Und viele österreichische Medien. Bis vor Kurzem war auch noch die Weltwoche dabei. Und zuvor auch mal die SonntagsZeitung von Tamedia.

  3. Ein interessanter Artikel mit nachvollziehbaren Vermutungen zu den Gründen für den Misserfolg. Mal wieder so ein Fall, wo ich denke, dass ich wohl zur angepeilten Zielgruppe gehöre und dennoch nicht zum Kunden geworden bin.

    Beim Hinweis auf die erfolgreichen Streaming-Modelle im Musikgeschäft hat sich bei mir als diesbezüglichem Nischenwesen aber kurz Widerspruch geregt, was ich zum Anlass genommen habe, mal kurz nach Umsatzzahlen von Spotify und Bandcamp zu suchen. OK, Spotify hatte letztes Jahr 11,73 Milliarden Euro Umsatz, Bandcamp 188 Millionen US-Dollar laut eigener Aussage. Ich muss also meinen Widerspruch dämpfen, im Vergleich sind alle Aussagen zum Erfolg von Streaming-Diensten im Musikgeschäft gerechtfertigt. Und trotzdem: 188 Mio. Dollar im Musik-Downloadgeschäft für einen einzigen Anbieter, das ist doch noch mehr als nichts. Das sieht jedenfalls nicht danach aus, als dass diese Nische Musikdownload nicht doch noch eine Weile neben dem Mainstream-Streaming bestehen könnte. Und damit dann zurück zum eigentlichen Thema dieses Artikels hier: Allein der Hinweis aufs Musik-Streaming erklärt dann vielleicht doch nicht, wieso ein artikelweises Herunterladen von Presseartikeln nicht vielleicht doch eine Chance in einer Nische hätte haben können.

  4. Das ist jetzt leider ein wenig Halbwissen, weil ich immer noch nicht dazu gekommen bin, mich bei der hiesigen wieder anzumelden, aber kommt nicht das Online-Angebot öffentlicher Büchereien (hier heißt das anscheinend „Pressreader“, aber es mag bei anderen Büchereien ähnliche Angebote geben) der Idee eines „Streaming-Dienstes für Zeitungen und Zeitschriften“ sehr nahe? Die Abo-Gebühr ist dann die Jahresgebühr für den Büchereiausweis.

  5. Ich habe Blendle gerne genutzt. Sicher viel zu selten, aber gerne – für mich hat es genau den skizzierten Job gemacht: Erst gerade wieder habe ich einen FAZ-Artikel gelesen, der mich halt einfach interssierte. Die FAZ hat häufiger über Blendle Geld von mir bekommen, sogar die NZZ manchmal (es ist ja nicht alles schlecht). Nun halte ich mich durchaus für überdurchschnittlich an der Lektüre von Inhalten aus verschiedenen Medien interessiert und kann mir so ein paar Abos leisten. Ich zahle aber nicht 40 oder 50 Euro im Monat dafür, dass ich vielleicht zweimal im Monat was lese. Eigentlich ist das ja eine Abofalle. Aus wirtschaftlicher Sicht kann ich die Sicht der Verlage verstehen, aus Nutzersicht finde ich sie katastrophal. Nun geht der Content von Zeit, FAZ und Co. halt künftig größtenteils an mir vorbei. Ich kann damit leben – es ist ja in diesem Internet nicht so, dass es einen Mangel an frei zugänglichem, guten Journalismus gäbe. Aus wirtschaftlicher Sicht verstehe ich durchaus, dass die Verlage auf Abos setzen. Vielleicht ist die Zielgruppe von Leuten wie mir auch einfach zu klein, vielleicht war das Produkt zu analog gedacht. Ich jedenfalls wünsche mir genau das: Ein iTunes für Journalismus. Das Spotify Readly probiere ich gerne mal aus – unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ist das für mich aber keine Alternative.
    Bis auf Weiteres glaube ich übrigens tatsächlich, dass im Entbündeln von Inhalt und Produkt viele versteckte Chancen schlummern. Meine Hoffnung ist, dass es den Verlagen noch nicht schlecht genug geht und man vielleicht später mal auf die Idee kommt, dass man sich für Einzelverkauf zusammentun könnte.
    Fun fact: Durch Blendle habe ich zum ersten Mal verstanden, was Journalismus eigentlich wert sein könnte – indem ich mir Gedanken machen musste, ob mir dieser oder jener Artikel jetzt wirklich 99 oder 67 Cent wert ist. Meistens fand ich’s angemessen.

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