Zeitschriftensterben

Der Letzte macht das Heft aus

Titelbilder von Guido, Brigitte Mom, Barbara: "Danke!", "Wir sind dann mal weg!", "Feierabend!"

Abschied ist ein bisschen wie Sterben, behauptet Katja Ebstein, und wenn das stimmt, sind Bahnhofskioske in diesen Wochen wahre Friedhöfe. Im Februar hat RTL bekannt gegeben, den größten Teil der Zeitschriften des übernommenen Verlages Gruner+Jahr einzustellen, und nun ist eine nach der anderen zum letzten Mal erschienen.

„Feierabend!“, ruft die „Barbara“ vom Titel, „DANKE!“ die „Guido“. Die Angehörigen der weit verzweigten „Brigitte“-Sippschaft gehen mit „Wir sind dann mal weg!“ („Brigitte Mom“), „Und Tschüs!“ („Brigitte Woman“) und „Wir sagen Tschüs!“ („Brigitte Wir“). Und beim Outdoor-Magazin „Walden“ von „Geo“ klingt es fast so, als kehre man jetzt einfach dahin zurück, wo man hingehört: „Wir sehen uns draußen!“

Dort trifft man dann, allem Anschein nach, viele geschockte Zeitschriften-Menschen, Macher wie Leser, vereint in der Trauer um die Magazine, die sie miteinander verbanden. Die Leserbriefseiten sind voller Anteilnahme, Wehmut, Empörung und Unverständnis – und, besonders herzzerreißend: Schuldgefühlen. „Hätte ich das Heft öfter gekauft, müsste ich jetzt nicht traurig sein“, schreibt „Guido“-Leserin Nicole M. „Tut mir leid.“

Cover "View": "Das letzte Heft"

„Die Zeitungsregale in den Geschäften werden bald sehr traurig aussehen“, meint eine andere; die Redaktion hat ihrem Leserbrief die Überschrift „Bonjour Ödnis“ gegeben. Eine „Barbara“-Leserin schreibt: „Da fängt gerade mit 66 mein gutes Leben an und nun so was.“ Eine „Brigitte Wir“-Leserin: „Ich weine Ihnen allen jetzt schon nach.“ Ein „Geo Saison“-Abonnent: „Will miss you like crazy.“

Man macht sich kein Bild, was diese Zeitschriften ihren Leserinnen und Lesern bedeutet haben müssen. „Mir ist, als läge eine gute Freundin im Sterben“, bekennt eine „Brigitte Wir“-Leserin, „ihr habt mir mit Euren Beiträgen über intimste Beschwerden, über die ich nicht mal mit meiner Freundin und dem Frauenarzt sprechen möchte, schon mehrmals sehr geholfen.“ Im Reisemagazin „Geo Saison“ zitiert die Redaktionsleiterin in ihrem letzten Editorial aus der Zuschrift einer Abonnentin: „Keinen, tatsächlich keinen Urlaub der letzten 20 Jahre haben wir ohne dieses Heft gebucht!! Enttäuscht wurden wir nicht ein einziges Mal. Woher sollen wir künftig unsere Reise-Inspiration holen?“

Wer das schon beunruhigend findet, wird später im Heft von einer weiteren Zuspitzung überrascht: „Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich das Aus von GEO Saison bedaure!!!!!“, wird eine Leserin da zitiert. „Es gibt keine Zeitschrift, die ich so intensiv gelesen habe. Man kann überleben ohne GEO Saison, aber will man das? Nein!“


Das Gute, wenn eine Zeitschrift mit Ankündigung stirbt, ist, dass sie den Betroffenen zum Schluss wenigstens noch Lebens- oder sogar Überlebenshilfe geben kann. „Wir leben in einem Zeitalter der Abschiede“, heißt es über der letzten Titelgeschichte der „Brigitte Woman“, „aber wir sind nicht gut darin, Tschüs zu sagen. Woran liegt das und wie könnte man es ändern?“

Brigitte Woman: Und Tschüs!

Der Autor Till Raether bekennt darin, dass er Abschiede „nicht kann“, und was lustig und launig beginnt, bekommt eine besondere Ernsthaftigkeit, als er nach mehreren Absätzen auf das Sterben und den Tod seiner Mutter zu sprechen kommt. Er erzählt von der Art, wie er sich jeden Tag von ihr verabschiedete, als sie nach einem Schlaganfall im Pflegeheim war und klar war, dass sie nicht mehr aufwachen würde, und doch immer noch zweifelte, ob er sich „richtig“ von ihr verabschiedet hat. Sein Text endet mit den Worten „Bis später!“, und das ruft er natürlich seiner Mutter hinterher, aber mehr als nur ein bisschen auch den Leserinnen dieser Zeitschrift, die es nun nicht mehr gibt.

Das klingt, so schnöde zusammengefasst, womöglich anmaßend in dieser angedeuteten Doppeldeutigkeit, aber das ist es gar nicht. Was es ist: traurig und tröstlich.


Trost und Lebenshilfe braucht nicht nur die Leser-, sondern auch die Belegschaft. Manche Artikel in den letzten Ausgaben scheinen für sie geschrieben. „Neustart, leicht gemacht“, verspricht „Guido“ im Serviceteil und empfiehlt unter anderem: „Mal dir dein neues Leben! Mach eine Collage oder male ein Bild, das zeigt, welches Umfeld für dich optimal wäre.“ Über einem Interview mit einem Life-Coach, „wie ein Neuanfang gelingen kann“, heißt es wissend: „Manchmal steht das Leben im Zeichen von Veränderung.“ Die Überschrift: „Wage den Sprung – jetzt!“

Cover "Brigitte Wir": DANKE, ZUFALL!

Die letzte „Brigitte Wir“ gibt sich ähnlich entschlossen positiv. „Wie unerwartetes manchmal unsere Pläne durchkreuzt – und genau deshalb unser Leben bereichert“, behauptet ihre Titelgeschichte, zugespitzt sogar zur Zeile: „Danke, Zufall!“ Im Psychologie-Teil findet sich ein Stück mit der Überschrift „Loslassen für Fortgeschrittene“:

„Verluste und Veränderungen sind nicht zu verhindern und Trauer darum ist wichtig und braucht Zeit. Doch sobald wir es schaffen, die Realität zu akzeptieren, kehrt unsere Zufriedenheit schrittweise zurück.“

Cover "Geo": LASS GUT SEIN. Warum Durchhalten gut, Aufhören aber oft besser ist

Erstaunlicherweise scheint sich sogar „Geo“ in den Dienst der Kollegenhilfe zu stellen. Die Zeitschrift wird zwar anders als so viele ihrer Magazinschwestern, -kinder und -cousinen nicht eingestellt. Aber die Redaktion habe „bedrückende Wochen hinter sich“, schreiben die Chefredakteure in ihrem Vorwort. Und haben eine Titelgeschichte produziert, die lautet: „Lass gut sein.“ Unterzeile:

„Warum Durchhalten gut, Aufhören aber oft besser ist.“

Bei „Geo“ halten sie durch.

Man weiß natürlich nicht, welche der Geschichten in all den Gruner+Jahr-Heften wirklich durch das abrupte Aus der Zeitschriften inspiriert wurden und in welche man das nur mutwillig hineinliest. In der letzten „Barbara“ stellt sich ein Autor „dem Ende des Lebens“ und besucht deshalb seinen fast 95-jährigen Großvater im Seniorenheim. In der letzten „Guido“ wird Blue portraitiert, eine 57 Jahre alte „Delfindame“, die lange für die US-Navy Minen gesucht hat, und jetzt eigentlich in Rente gehen sollte, aber: „Von wegen! Sie startet in der Forschung noch mal durch“. In „Geo Saison“ führen „letzte Reisen“ zu drei Friedhöfen, anmoderiert mit dem Klassiker: „Hier ruhen meine Gebeine, ich wollt’, es wären deine“.

Im Koch-Teil von „Brigitte“ heißt es: „Der Ofen ist noch nicht aus“, und bei „Guido“: „Sag zum Abschied leise ‚gute Appetithäppchen‘“.

Die „Brigitte Mom“ bietet vorne im Heft eine Sammlung von „Stimmungsaufhellern“ und hinten eine Auswahl an „Beruhigungsmitteln“, aber kann gut sein, dass das einfach Standardrubriken für Mütter sind und nicht Notrubriken für arbeitslose Redakteurinnen.


Um Guido Maria Kretschmer mache ich mir nach dem Lesen all dieser Abschiedsmagazine fast am meisten Sorgen. Sicher, finanziell dürfte er nicht sofort ins Bodenlose stürzen, seine Nebentätigkeiten als Modedesigner und Einkaufsköniginnenkröner hat er ja, soweit man weiß, nie aufgegeben. Aber seine Zeitschrift ist in einem Maße durchguidoisiert, dass der Einschnitt gewaltig sein muss.

Cover Guido. DANKE!

Auf fast jeder Seite gibt er zu irgendwas seinen Kommentar ab, bewertet dieses Outfit oder jenes Getränk, empfiehlt und warnt – es wirkt, als säße er beim Durchblättern neben einem und würde unentwegt mit dem Finger auf Dinge im Heft zeigen. Es gibt „Guidos Style-Update“, „Guidos Styling-Queen“, „Guidos Feierabend-Kompass“, „Guidos Top 5“, die Frage „Guido, geht das so?“, und die Rubrik „Wer bin ich?“ hat zwar seinen Namen nicht im Titel (und, Überraschung: auch nicht zur Antwort), besteht aber daraus, dass Guido spontan aufgrund von Äußerlichkeiten jemanden einschätzt.

Selbst wenn er nur einen Bruchteil davon wirklich selbst beigetragen hat (und die Redaktion nicht längst mit einer Art GuidoGPT arbeitete), kann man nur hoffen, dass er in Zukunft wenigstens auf der Straße dauernd um Rat, Meinung und Urteil gebeten wird, um den Verlust dieses Magazins wettzumachen.

Und wen er alles noch in seiner Reihe „Unter vier Augen“ hätte interviewen wollen! „(…) meine liebe Freundin Elke Heidenreich, die Künstlerin Katharina Grosse, der zauberhafte Maler Norbert Bisky, Tina Turner oder Cher, Greta Thunberg, Michelle Obama, meine geliebte Mutter, (…) der Papst, meine Nachbarin, Katharina Thalbach, Helene Fischer oder Udo Lindenberg“. „Unsere ehemalige Bundeskanzlerin, Frau Dr. Merkel“ hatte allerdings schon freundlich abgesagt, und Tina Turner auf eine Art ja jetzt auch.

Als Trost hat Kretschmer für sich und seine Leserinnen nur Poesiealbumpoesie anzubieten. „‚Das Beste kommt zum Schluss‘, heißt es, wenn nach einem Sinn dafür gesucht wird, dass etwas zu Ende geht“, schreibt er zu Beginn seines letzten Editorials und zum Schluss:

„Es gibt ein Bleiben im Gehen, ein Gewinnen im Verlieren, und jedes Ende ist immer auch Geschenk, es überhaupt gemacht zu haben!“

Auf dem Cover ist eine Art Sticker mit den trotzigen Worten „Was gewesen ist, kann uns keiner nehmen“. Auf der Titelseite der letzten „Barbara“ klingt es ähnlich: „Auch die schönste Party geht irgendwann zu Ende. Die gute Zeit aber bleibt.“


„Es war die Zeit meines Lebens, wirklich!“, ruft Schöneberger ihren Leserinnen zu. Und:

„Aber ein Fest ist erst zu Ende, wenn die Letzten gegangen sind. Deshalb tanzt dieses Heft noch mal kräftig auf dem Tisch.“

Cover „Barbara“: FEIERABEND!

Wobei sie, wie sie an anderer Stelle („Barbara spricht Klartext“) verrät, um diese Uhrzeit selbst schon längst nicht mehr da ist: Zum „Mythos VIP-Party“ schreibt sie, dass sie in 25 Jahren im Geschäft „erst an zwei Abenden so richtig die Sau rausgelassen“ habe. Weil halt dauernd alle Selfies mit ihr machen wollten:

„Findet man auf einer Aftershowparty doch mal etwas Zeit, muss man erst mal nach lustigen Leuten suchen, mit denen man so richtig durchdrehen kann. Währenddessen merkt man meist, dass die Schuhe und die Korsage ohne das Bühnenadrenalin doch ganz schön eng sitzen. Also irrt man noch ein paar Minuten durch die riesige Location, begrüßt 1000 Leute, aber schnell und steif, damit die bloß nicht auf die Idee kommen, einen in ein Gespräch zu verwickeln. (…) Wir suchen dann meist das Weite und fahren schnell noch beim McDrive vorbei – mit einem Champagner, den wir auf der Party geklaut haben.“

Kein Wunder, dass ihr Abschiedsheft eher unsentimental daherkommt. Woher weiß man als Leserin, dass man nicht auch nur eine von den lästigen 1000 Leuten ist? „Sie sind eine ganz besondere Leserschaft, das sollen Sie wissen“, ruft Barbara ihnen im Editorial zu, oder, naja, vermutlich doch eher: im Vorbeihasten hinterher, so dass man gerade noch die champagnerflaschenförmige Ausbuchtung unter dem Mantel erahnen kann.


Die Reisezeitschrift „Geo Saison“ hat sich zum Finale handschriftlich in „Saisonende“ umbenannt und lässt viele, die im Laufe von 34 Jahren an ihr mitgewirkt haben, noch einmal Geschichten erzählen, „Liebeserklärungen an unser großartiges Heft“.

Cover "Geo Saison": Bella Ciao, die GEO-Saison-Abschiedsausgabe

Der Autor Lorenz Wagner schildert, wie er bei einer Reportagereise „auf Tour mit einem Südtiroler Volksmusikanten“, für die ihn nichts prädistenierte, eine Frau kennenlernte, die er praktischerweise – die Redaktion wollte im späteren Faktencheck alle Gesprächspartner kontaktieren – direkt nach ihrer Telefonnummer fragen konnte und später seine Frau wurde. Annette Rübesamen schreibt, wie sie einmal an einem Sommerabend auf einer stillen kroatischen Insel von einer fremden Frau angesprochen wurde: „Ob ich Annette Rübesamen sei? Sie wolle, sagt sie, nur mal Danke sagen. Und dass sie seit Jahren meinen Artikeln nachreise. (…) Ich musste schlucken. Das Reisen und Schreiben für GEO Saison habe ich immer geliebt, aus ganz egoistischen Gründen. Dass es auch andere Menschen glücklich machen konnte, war mir noch nie so klar gewesen wie in diesem Moment.“

Testweise hat die Redaktion auch die Künstliche Intelligenz von ChatGPT um Reisetipps gebeten. Sie seien gar nicht so übel, urteilt die Redaktion:

„Das Strandbad Tegeler See, die Wutachschlucht oder das Mozartfest in Würzburg können auch wir guten Gewissens empfehlen. Doch Obacht: Manche Tipps des Chatbots sind blanker Unsinn. So empfiehlt die KI einen Besuch des Spargelmuseums in Schwetzingen, dessen größter Schönheitsfehler allerdings darin besteht, dass es gar nicht existiert.“


Cover Eltern: Raus mit der Sprache

Die Zeitschrift „Eltern“ blickt immerhin auf eine fast 57-jährige Geschichte mit 681 regulären Ausgaben zurück: „ ein Magazin, in dem alle Themen auf den Tisch kamen, die Eltern bewegen. 1968 ein Plädoyer fürs Rooming-in auf den Geburtsstationen, in den 1970er-Jahren der Einsatz für eine gewaltfreie Erziehung und bereits 1991 ein reflektierter Blick auf ‚späte‘ Mutterschaft. Seit Oktober 1966 gab es die ELTERN. Bis heute.“

Besonders persönlich nimmt Nora Imlau Abschied, die 16 Jahre lang als freie Autorin für „Eltern“ schrieb:

„Ich halte mein jüngstes Kind im Arm und die Zeitschrift in der Hand, für die ich so lange und so gerne geschrieben habe. Und ich fühle die Gefühle, die gefühlt werden wollen: Traurigkeit und Stolz. Ungläubigkeit und Wut. Freude und Dankbarkeit. ‚Weinst du, Mama?‘, fragt mein Kind, und ich sage erst ‚Nein‘ und dann ‚Ja‘, weil man ehrlich sein soll mit Kindern und authentisch. Wie oft haben wir das hier geschrieben in diesem Heft: Seid echt und nahbar, das wünschen sich eure Kinder am meisten.“


Je mehr man das liest – der vielstimmige Dank an treue Leserschaften, die ganzen Bekenntnisse des Publikums, all die Hefte gesammelt oder nachbestellt zu haben, die Begeisterung der Macherinnen für ihre Arbeit und die Enttäuschung, so viele Pläne nicht mehr umsetzen zu können – umso drängender wird die Frage, warum diese Zeitschriften überhaupt sterben mussten.

Cover Walden: Wir sehen uns draußen!

Eine Antwort darauf findet sich in den Heften nicht, und Barbara Schöneberger weist vorsorglich darauf hin: „Nur dass Sie das wissen. Ich hätte auf jeden Fall weitergemacht – und in der Verlagskantine dann auch wirklich weniger gegessen und so weitere Kosten eingespart!“ In den veröffentlichten Leserbriefen mischt sich Unverständnis mit Schuldzuweisungen.

In „View“ schreibt eine Leserin:

„Mir ist es ein Rätsel, wie sich zig Garten-, Fitness-, Auto- oder Klatschmagazine am Markt halten können, aber eine VIEW, zu der ich nichts Vergleichbares gefunden habe, eingestellt wird! Am Geld kann es kaum liegen, denn relevante Preiserhöhungen gab es in der Vergangenheit kaum. Und selbst wenn: Ich würde sie gern bezahlen, wenn mir Ihr Magazin erhalten bliebe! Es ist mir unverständlich, was Ihre neuen Eigentümer geritten hat, diese Entscheidung zu treffen. Ich wünsche Ihnen für die Zukunft alles Gute – und wertschätzendere Chefetagen!“

Und ein andere:

„Ich kann nur Wut bekommen, wenn ich sehe, für was für einen Müll RTL Geld zum Fenster rauswirft – ‚DSDS‘, ‚Bachelor‘ usw. –, um dann ein Magazin wie VIEW abzusetzen.“

Und in „Brigitte Wir“ (Untertitel: „Das Magazin für die dritte Lebenshälfe“) beklagt sich eine Leserin:

„Dass sich über ältere Frauen und ihre Interessen marktorientiert so hinweggesetzt wird, finde ich empörend.“

Cover "Brigitte Mom": Wir sind dann mal weg!

Natürlich steht auch die Frage im Raum, ob da gerade nur diese Magazine sterben – oder ob nicht die ganze Idee, Artikel in regelmäßigen Abständen auf Papier zu drucken und an Kiosken zu verkaufen, in den letzten Zügen liegt. In „Brigitte Wir“ schreibt eine Leserin, dass sie die Zeitschrift „immer zitzerlweise gelesen und fast jeden Artikel sehr bewusst genossen habe“:

„Digitalisierung – ha!! Ich habe viel lieber eine Zeitschrift aus Papier in der Hand, die kann ich zum Sonnen auf die Liege mitnehmen (…).“

Die Redaktion der Zeitschrift „Eltern“ spricht es in ihrem Editorial an:

So ein Magazin, auf Papier gedruckt, ist vielleicht nicht mehr zeitgemäß. Die Million-Leserschaft der 1970er-Jahre haben wir schon lange nicht mehr. Und doch bleibt so ein Print-Heft etwas Besonderes, wie es riecht und sich beim Blättern zwischen den Fingern anfühlt.“

In besonders rätselhafter Form behandelt „Guido“ das Thema. Unter dem Titel „Tatort Kiosk“ produziert die Kolumnistin Paulina Sonnenschein auf 26 Zeilen einen Mikrokrimi. Sie beschreibt, wie sie an einem Sonntagmorgen verkatert in ihren Lieblingskiosk „stapft“, sich einen Cappuccino und ein Mandelcroissant geben lässt und dann die Zeitschriftenecke erkundet: „Von ‚Geo‘ bis ‚Guido‘ und den heißesten Prominews in ‚Gala‘ gibt es hier alles, was das Printherz begehrt.“ Dann wird sie von einer „Tussi“ aus ihren Gedanken und vom Regal weggerissen; Milchschaum landet auf ihrem Shirt.

„Statt sich zu entschuldigen, greift Madame zur ‚Vogue‘, zahlt, eilt raus und nimmt eine affige Pose ein. Knips, knips. Sieh an, eine Influencerin … gleich nach den Selfies wirft sie die Modebibel achtlos in ihre Designertasche und dampft ab. Später landet die Ausgabe vermutlich ungelesen im Altpapier.“

Ende der Geschichte. Alle Fragen offen.

Auf der Seite daneben stehen noch ein paar Zahlen und Textfetzen. „38 Millionen Deutsche lesen Texte lieber auf Papier statt am Bildschirm. Rumgedaddelt wird später am Handy“.

Und natürlich gibt auch Guido noch seinen Senf dazu: „Ein Selfie machen? Gern! Ein ganzes Shooting zwischen Tür und Angel inszenieren? Nope!“, urteilt er. Und, irgendwie andererseits: „Zugegeben, jeder Beitrag mit einem Magazintitel auf Instagram, Tiktok und Co. ist auch Werbung für das gute alte gedruckte Heft. Win-win, würde ich sagen.“

Zu spät, würde ich sagen.


Aber der Guido hat schon recht, wenn er in seinem Abschiedsvorwort schreibt:

„Ein Magazin ist eine sehr schöne Möglichkeit, Nähe aufzubauen. Ich hoffe wirklich, dass Zeitschriften und Gedrucktes immer Teil unserer Kultur bleiben werden!“

Die Autorin Alena Schröder schreibt in einem Abschiedsbrief an „Brigitte Mom“:

„Das hier ist also deine letzte Ausgabe und ich bin traurig. Ich fühle mich ein bisschen merkwürdig dabei, denn ich habe noch nie um einen Gegenstand getrauert, um ein Konsumgut, das irgendwann aus dem Supermarktregal verschwindet, weil eine Konzernspitze das so entschieden hat.

Aber eine Zeitschrift ist kein Joghurt. Und eine gute Zeitschrift ist viel mehr als das Papier, auf das sie gedruckt wird, oder die Texte und Bilder, aus denen sie besteht.“

Sie beschreibt die „papierne Verbindung“ zwischen den Leser*innen, Macher*innen und Autor*innen der Zeitschrift, die ihr das Gefühl gab,

„Ich bin nicht allein. Ich bin nicht die Einzige, die ab und zu die Nerven verliert, improvisiert, nicht immer perfekt ist. Die ihre Kinder über alles liebt, aber nicht jeden Aspekt von Mutterschaft. (…)

Ich werde dich vermissen am Kiosk und in meinem Briefkasten, in meinem Lieblings-Café und im Wartezimmer. Aber was mich tröstet, ist das Wissen um das unsichtbare Dorf, an dem du mitgebaut hast.

Das macht so schnell niemand platt, das steht und wächst weiter und wir Dorfbewohner*innen erkennen einander. Und längst nicht mehr nur an den Milchkotzflecken und den Augenringen.

Man spürt diese Verbindung an vielen Stellen in diesen Zeitschriften – vielleicht besonders, weil sie diese Nähe zum Abschied selbst in unterschiedlicher Form zum Thema machen, aber man ahnt auch als (zu) spät gekommener Leser, dass jedes dieser Magazine eine kleine Welt war: mit eigener Haltung, spezieller Mischung, unverwechselbarer Gestaltung, wiedererkennbarem Humor. Mit festen Plätzen für bestimmten Formen und vertrauten Autorinnen und Autoren.

Es ist schwer, sich vorzustellen, wie sich all das auf ein Online-Medium übertragen und eine ähnliche Nähe herstellen lassen soll – noch dazu, wenn alles in einem Sammelbehälter namens „Stern Plus“ oder „Geo Plus“ aufgeht. Und das hat vielleicht auch etwas mit dem Geruch und Gefühl von Papier zu tun, aber viel mehr natürlich mit Inhalt und Gestaltung, mit großformatigen Bildern und kleinteiligen Rubriken, mit Formen, Dramaturgie und Gewichtung.

Es sind Räume, in denen man sich irgendwann blind zurecht findet, die einem vertraut werden. Die man aber auch jederzeit neu entdecken kann.


"Finden Sie mal einen Mann mit so weichen Ohren"

Um eine Zeitschrift, die ich vorher noch nie in der Hand gehabt hatte, tut es mir jetzt besonders leid, weil mich ihr gelassener Humor sofort angesprochen hat. Ein Interview mit einer Psychologin zu der ewigen Frage, ob Tiere die besseren Partner und Freunde sind, trägt darin die schwer zu übertreffende Überschrift:

„Finden Sie mal einen Mann mit so weichen Ohren!“

Eine Glosse zum Thema, wie es sich lebt, wenn der Partner plötzlich im Ruhestand ist, ist im Inhaltsverzeichnis mit der Zeile „Einen sitzen haben“ angekündigt und folgenden Vorspann bekommen:

„Der Partner ist im Ruhestand. Er hat jetzt viel Zeit. Die nutzt er, um sich im Polstermöbel festzuwohnen.“

Die Autorin Karina Lübke schreibt, dass eine Freundin ihren Mann halb ironisch „Mofa“ nenne – „Hybrid aus Mann und Sofa“. Anders als der Gelbe Sack sei der faule Sack kein deutsches, sondern ein globales Phänomen. „In Japan nennen Frauen ihre Männer, die nach jahrzehntelanger Arbeit plötzlich tagsüber zu Hause sind, spöttisch ‚nasses Herbstlaub, das an den Schuhen klebt‘.“

Sie warnt vor vermeintlichen Lösungen wie der Anschaffung eines Hundes, „der regelmäßig mit dem Zweibeiner Gassi geht“, weil man letztlich selbst mit der Hundeleine an der Hand untwerwegs sein werde. Immerhin: „Hinterher kann man den vorgewärmten Mann ja als Stützkissen beim Serien-Marathon nutzen.“

Die Rausschmeißer-Kolumne einer Grafikerin, die unter anderem Art-Direktorin für das Magazin war, seit zwei Jahren sich schon die Zeit frei einteilen kann und nun mit der Einstellung dann endgültig in den Ruhestand geht, trägt die Überschrift: „Danke, ich finde alleine raus.“

Sie beschreibt darin, wie sie alles ausprobiert hat, wovon sie am Schreibtisch träumte: Malen, Gitarre lernen, Sport treiben. „Aber nach einer Weile merkte ich: Das ist es nicht.“

Sie habe sich dann wieder einen Mini-Job in ihrem alten Beruf als Grafikerin organisiert:

„Es bestätigt mich (…) darin, dass das, was ich einen Großteil meines Lebens gemacht habe, das Richtige war. Nicht Malen oder Tanzen. Sondern in einem supertollen Redaktionsteam, dem ich noch immer hinterhertrauere, ein Magazin zu gestalten.“

Das Magazin heißt „Brigitte Wir“, es ist eigentlich für Frauen über 60, und ich weiß nicht, was das über mich aussagt oder über das Magazin, aber mir hat das alles so gut gefallen, dass ich wünschte, es wäre nicht eingestellt worden.

Auf die allerletzte Seite hat die Redaktion ein Zitat von Jane Austen gestellt:

„Dass uns eine Sache fehlt, sollte uns nicht daran hindern, alles andere zu genießen.“

13 Kommentare

  1. Jetzt brauchen wir natürlich nur noch Medien-Expertinnen und -Experten, die uns haarklein analysieren, ob die betroffenen Magazine nun eh nur spekulativer Bullshit, temporär vertretbare Massenware, Mitläufer, Eintagsfliegen – oder aber kulturelle Solitäre waren. Und warum im letzteren Falle diese eigentlich unverzichtbaren kulturellen Juwelen durch die unverantwortlichen Machenschaften von irrwitzigen und verblendeten und korrumpierten EntscheidungsträgerInnen eliminiert worden sind. Trotz wohlwollender Beobachtung durch MedienjournalistInnen. :)

    Das sind alles extrem schwierige Fragen, und da spielt diesmal noch nicht mal das Thema „KI“ unmittelbar mit rein.

  2. Eine tolle Zusammenstellung. Danke!

    Ich dachte auch immer: Braucht man diese Magazine wirklich? Aber beim Medienzynismus vergisst man manchmal, dass hinter all diesen Magazinen Leser und Redakteure stehen, die einfach mit Herzblut über Jahre dabei sind.

  3. Sorry, diesen Text hätte es nicht gebraucht. Als überzeugter Gewerkschafter ist mir jeder Job im Journalismus wichtig, der jemanden ernährt. Aber mir kann niemand erzählen, dass die Welt ärmer ist, wenn es Barbara und Guido nicht mehr gibt. Auch der xste Brigitte – Clone für irgendwas ist entbehrlich. Deshalb tut es mir um die Arbeitsplätze leid, ganz sicher nicht um die diversen Blätter. Der Autor tut auch so, als ob alle Autoren dieser Blätter exclusiv für Guido etc geschrieben hätten. Das war mitnichten so. Viele Texte wurden recycelt, waren erst in dem einen Blatt, dann in dem anderen, leicht abgewandelt natürlich. Brigitte – Rrdakteurinnen mussten plötzlich für die Ableger mittexten, unentgeltlich natürlich. Das sind Themen, das wäre einen Text wert. Das Ende von Guido und Co. als Hefte ist verkraftbar.

  4. Klar, diese Magazine kommen einem außenständigen Post-Papier-Verfechter wie eine anachronistissche Ansammlung an Redundanz vor – erst recht nach dieser kleinen vergleichenden Abschiedsrevue. Dennoch frage ich mich: Warum ausgerechnet die und nicht Freizeit Woche, Freizeit Revue, Freizeit Magazin, Freizeit Aktuell, Freizeit im Spiegel, Meine Freizeit, Freizeit Express, Freizeit Heute, Freizeit Monat, Freizei Spaß, Freizeit Exklusiv, Freizeit Illustrierte, Schöne Freizeit, Freizeit Live, Freizeit Direkt, Freizeit Total, Freizeit Woche, Freizeit Rätsel, Freizeit mit Herz, Freizeit Glück?

  5. @3: „Aber mir kann niemand erzählen, dass die Welt ärmer ist, wenn es Barbara und Guido nicht mehr gibt.“ Für manche Leser und Redakteure eben schon. Das zeigt doch die Zusammenstellung hier.

    Dafür muss ein Text auch nicht exklusiv für ein Magazin geschrieben sein. Denn auch die Mischung macht ein Magazin aus. Das wirkt nur befremdlich, wenn man von außen draufschaut, nicht für den Leser.

    Und natürlich sollten die Redakteure für ihre (Mehr-)Arbeit ordentlich bezahlt werden, die Autoren für Zweitverwertungen, da hast du recht. Aber wie du auch schreibst, das ist ein anderer Artikel. Manche Themen kann man eben von mehreren Seiten beleuchten ;)

  6. @Martin Busche: Die Redewendung „dass die Welt ohne XY (Zutreffendes bitte einsetzen) auch nicht ärmer wäre“ fällt unter Dummdeutsch, weil sie für fast alles passt, das jemandem nicht passt. Bei XY fällt mir RTL, FDP, SUVs, Bayern München etc ein.
    Auch ich habe diese Magazine nicht gelesen, finde es aber dennoch eine Schande (und einen Fehler), dass RTL dort den Stecker zieht – insbesondere, wo selbst die Zeitschriften anscheinend genügend Leser/innen gefunden hat.
    Und danke für den mitfühlend-ironisch-sarkastisch geschriebenen Text. Einen schöneren Nachruf habe ich lange nicht gelesen.

  7. Schöne, melancholisch stimmende Geschichte, Stefan. Der Tod gehört zum Leben, das Sterben von Magazinen auch. Aber ein Massenmord macht doch betroffen.

    Gewerkschafter Busche #3 aber muss ich fragen: Gehört alles vermeintlich Redundante wirklich in die Tonne?
    Reicht ein Zeitungsmantel für ganz Deutschland (ist ja eh alles dpa)?
    Seat, Skoda, Audi – weg damit. Ist ja immer VW drunter.
    IG Metall, Chemie, Verdi – überflüssig. Sind alle DGB und wollen mehr Geld.

  8. Ich will nicht so tun, als ob ein Heft, dass ich nie gelesen hätte, einen Verlust für mich persönlich darstellt, aber natürlich ist ein Kahlschlag in dem Umfang schon traurig.

  9. Ich bin jetzt 40, und die GEO Saison war in den 90er und Nuller Jahren ein unhinterfragtes Kontinuum in meiner Lebensgeschichte. Meine Eltern hatten ein Abo (das irgendwann auslief), in vordigitalen Zeiten waren vermutlich mehrere unserer Familienurlaube auf dessen Einfluss zurückzuführen. Bei meiner Ex-Schwiegermutter stand auch eine Riesenpalette der blauen Heftrücken im Regal. Ich habe mir mit Vorliebe immer die Bilder angesehen. Da konnten sich Fotojournalisten noch richtig verwirklichen und ein breites Publikum finden. Tempi passati? Naja, wir alle haben inzwischen offs. kürzere Aufmerksamkeitsspannen, und die Google-Bildersuche führt schneller zum kostenlosen Ergebnis. – Danke jedenfalls, SN, für den schönen Artikel! Der Rückblick auf Brigitte Wir – „Finden Sie mal einen Mann mit so weichen Ohren!“ – zeigt jedenfalls, dass nicht alles Mist ist, auf dem „Frauenzeitschrift“ steht. (BTW: Anders, als man manchmal denken möchte, wenn man Übermedien liest ;) )

  10. Ich hadere ein bisschen mit dem Artikel: Für einen Bericht zu einem durchaus interessanten Thema gerät er durch die Fülle der beerdigten Titel recht lang, aber ich vermisse dennoch etwas mehr Analyse: Wie hat sich die Auflage entwickelt? Wie der Umfang der Hefte, der ja Rückschlüsse auf die Werbeeinnahmen zulässt? Und gibt es Hinweise darauf, ob die Inserenten nur zur Datenkrake abgewandert sind oder nur zu womöglich neueren, scheinbar profitablen Printtiteln wie „Landlust“ u. Ä.? Ich weiß, dass das stilistisch schon wieder eine andere Richtung ist, aber wäre nicht wenigstens noch ein Infokasten „drin“ gewesen?

  11. Geahnt habe ich es ja schon vorher.
    Aber nun ist es endgültig nicht mehr von der Hand zu weisen, welchen Einfluss Herr Niggemeier auf mich hat – nach dem Kauf von „Brigitte Wir, dem Magazin für die dritte Lebenshälfte“.

  12. Die rührseeligen Abschiedstexte der Leser waren mir etwas zu pathetisch, als dass ich sie einem Großteil der Leserschaft zugeschrieben hätte.
    Ich stehe der Fülle der „Brigitte“-Untertitel schon lange kritisch gegenüber. Kann nicht ein Magazin alle 2 Wochen für Leser:innen von 20-60 oder älter interessant genug sein? Das ist für mich auch Journalismus – alle abzuholen. Und bei allem was recht ist, nachhaltig war das schon lange nicht mehr. Je Magazin noch mehr Werbung, noch mehr Aufforderung zum Konsum, das finde ich heutzutage sehr kritisch. Da reißen es einzelne Themen über Umweltschutz und Co. auch nicht mehr raus. Die Bäume sind gefällt, die Farbe ist verbraucht.
    Wir müssen auch diesen Aspekt bedenken, denn der Aufwand der Herstellung steht für mich nicht im Verhältnis zu einem gemütlichen Schmökerabend oder dem was ich für mich an Themen aus jeder Ausgabe relevant gefunden hätte.
    Der Umweltgedanke war sicher nicht die Intention des Verlags gewesen, aber ich finde das erleichternd. Auch an Online-Ausgaben werden wir uns gewöhnen.
    Und als nächstes hoffen wir, das uns bald mal die ganzen Freizeit-Hefte erspart bleiben.

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