Über Bilder (5)

Ein altes Foto als perfektes Symbolbild für einen neuen Streit

Fotos schreiben Zeitgeschichte, wir schreiben über Fotos. Welche Nachrichtenbilder hinterlassen Eindruck? Wie wirken sie und warum? Wie viel ist inszeniert und von wem? Hendrik Wieduwilt analysiert für uns regelmäßig seine Auswahl des Monats.


In der Union brodelt es: Die Partei der Konservativen streitet über den Kurs – eine kulturkämpferische Union wünscht sich Friedrich Merz, andere, etwa Daniel Günther oder Hendrik Wüst, wollen eher in der Spurbahn Angela Merkels bleiben. Hendrik Wüst provozierte Friedrich Merz im Juni mit einem Gastbeitrag in der FAZ, was, wie sich die meisten in der CDU erinnern, genau die Art von Kommunikationsmittel war, mit der Merkel die Ära Helmut Kohl beendete. Leider gibt es keine Bilder davon, wie Friedrich Merz wutentbrannt „das ist der Fehdehandschuh!“ rief, mit – wie wir annehmen – verzerrten Gesichtszügen. Dazu gibt es nur einen Text von Mariam Lau, der diese Sentenz zugetragen wurde.

Um den großen Konflikt in der CDU dennoch zu bebildern, nutzten die Medien Bilddatenbanken. Und da findet man bei Politikern der Gewichtsklassen Wüst und Merz eigentlich alles, auch etwas vermeintlich Passendes für „Streit“, nämlich dieses Bild:

Friedrich Merz und Hendrik Wüst stehen sich Stirn an Stirn gegenüber
Hendrik Wüst (links), Friedrich Merz (rechts), Fehdehandschuh (imaginär) Foto: Imago / Panama Pictures

Es passt scheinbar perfekt zur Stimmung: Auf dem Bild sehen Wüst und Merz aus wie beim Wiegen vor einem Boxkampf: Die Köpfe nah beieinander, insbesondere Merz mit einer Haltung, als erwarte er einen Kopfstoß – oder bereite seinerseits einen vor. „CDU-Chef Merz, NRW-Ministerpräsident Wüst: Geht es schon um die Kanzlerkandidatur?“ lautet die Bildzeile beim „Spiegel“, „Tragen ihren Streit öffentlich aus“, heißt es bei „Bild“.

Das Problem: Das Bild zeigt gar nicht den gegenwärtigen Streit – vermutlich zeigt es gar keinen Streit. Die Wahrheit hinter dem Bild: Es war der Wahlkampfauftakt für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im April 2022. „Starkes Engagement“ versprach Merz dem Kandidaten Wüst damals, unter der CDU sei das Land in die „Spitzengruppe“ gekommen. Es war also kein Tag der Konfrontation – vermutlich war es nur, wie üblich auf Parteitagen, laut und man musste für eine Unterhaltung die Köpfe zusammenstecken.

Es war nicht das einzige Bild, das Medien für die Streitbebilderung aus dem Zusammenhang rissen. Manche wählten eine stillere Szene: Merz und Wüst scheinbar allein im Plenum, nach der Rede des britischen Königs am 30. März 2023.

Hendrik Wüst und Friedrich Merz unterhalten sich vor der leeren Bundesrats-Bank im Bundestag
Gehen wir vor die Tür oder klären wir das gleich hier? Foto: Imago / Bernd Elmenthaler

Es strahlt eine gewisse Verzweisamung aus: Jetzt ist es eine Sache zwischen diesen Männern, soll das wohl ausdrücken. Mit Streit hatte das freilich auch nichts zu tun.

Feste Regeln, ob ein solches Bildtheater zulässig ist, gibt es nicht – sofern nicht durch die Bildbeschriftung eine falsche Tatsachenbehauptung aufgestellt wird, etwa „Hier streiten Merz und Wüst über den Kurs der Union“. Alles weitere ist Stilfrage.

Eher streng verfährt die FAZ: „Fotos sollten in der journalistischen Berichterstattung ein Bild der Wirklichkeit zeigen“, sagt Henner Flohr, Bild-Chef der Zeitung. „Wir betrachten Fotografen als Autoren und freuen uns, wenn besondere Momente und Begegnungen eingefangen werden. Die Aufnahme eines flüchtigen Moments verwenden wir jedoch nur dann, wenn sie die Situation so wiedergibt, wie sie von unseren Autoren wahrgenommen wurde und nicht um später aufkommende Schlagworte zu illustrieren.“

Wenn es kein aktuelles journalistisches Bild gebe, greife er auch auf Archivfotos zurück, sagt Flohr. „Wenn wir Archivaufnahmen nutzen, bemühen wir uns, den Aufnahmezeitpunkt anzugeben und in der Bildunterschrift deutlich zu machen, dass das Bild aus einem anderen Zusammenhang stammt.“ Flohr nennt als Beispiel diesen Beitrag, dort lautet die Bildunterschrift „Vor dem Streit: Wüst und Merz im Mai bei einem Bundesligaspiel in Dortmund“.

Doch die größte politische Wirkung wird das Boxer-Foto entwickelt haben, das „Bild“ und „Spiegel“ nutzten. Es war auch das Bild, auf das Merz offenbar direkt antwortete. Auf Instagram präsentiert er ein eigenes Foto, das auch kompositorisch wie eine direkte Replik auf das Boxer-Bild wirkt: Die Kontrahenten im Profil, mit professioneller Mimik – nämlich einer, bei dem die Augen und Krähenfüße mit lachen.

Ironischerweise ist das Instagram-Foto gewissermaßen echter als das dekontextualisierte Streit-Symbolbild: Merz und Wüst haben auf dem Sommerfest tatsächlich herumgekumpelt, gescherzt und getrunken. Das mag zwar vorgetäuscht sein, ist aber im zeitlichen Umfeld des Instagram-Posts passiert.

Wie groß die Wirkung des Postings ist, bleibt fraglich. Klassische Medien haben es nicht aufgegriffen – und dass die Rivalität nicht mit einem Glas Bier beseitigt ist, dürfte jedem klar sein.

Die FAZ greife „nur in Ausnahmefällen“ auf solche Postings zurück, sagt Bild-Chef Flohr, nämlich dann, wenn die Inszenierung Teil der Berichterstattung sei. „In solchen Fällen machen wir die Quelle kenntlich, um deutlich zu machen, dass es sich nicht um ein journalistisches Foto handelt.“

Außerdem aufgeschnappt: Trump und der KI-Kuss

Der republikanische Wahlkämpfer Ron DeSantis greift mit einem Video seinen Konkurrenten Donald Trump an und nutzt dafür KI-Fotografien. DeSantis meint, Trump sei zu nachsichtig mit dem Immunologen Anthony Fauci gewesen.

Drei der Standbilder, die zeigen, wie Trump Fauci umarmt und küsst, sind dabei offenbar mit Hilfe von KI gefälscht.

Sechs Fotos von Trump mit Fauci
Drei von diesen Bildern sind nicht wie die anderen Screenshot: twitter.com/DeSantisWarRoom

Im Tweet haben Nutzer mit Hilfe der Funktion „Kollektive Anmerkungen“ auf die Fälschung hingewiesen. Unter anderem Reuters hat die KI-Herkunft durch Experten prüfen lassen, AFP zeigt in einem Video zudem die einzelnen Indizien: Ein falsch gezeichnetes Trump-Ohr, fehlerhafte Texturen und sinnlose Schriftzüge.

Es ist offenbar der erste Fall von KI-gefälschter Politfotografie auf der großen Politbühne Amerikas, die gezielt einen Irrtum hervorruft. Zuvor hatten die Republikanier KI nur zur Illustrierung einer düsteren Zukunftsvision verwendet – da allerdings lag es in der Natur der Sache, dass die Bilder nicht echt sind.

Fachleute wie der von Reuters befragte Computerwissenschafteler James O’Brien von der Universität Kalifornien gehen davon aus, dass die KI bald fehlerfrei Bilder erstellen kann. Dann werde es “unmöglich”, Fehler zu finden.

Apropos KI: Ausstellung für „Promptografie“

Im französischen Arles beginnt am 3. Juli das älteste internationale Fotofestival, die „Rencontres de la Photographie“. Eine Ausstellung fokussiert sich auf KI-generierte Bilder – und damit niemand Fotos mit Computerfantasien verwechselt, gibt es dafür einen neuen Begriff: Die „Promptografie“. Beispiele für die teils surrealen, teils realistischen Bilder zeigt „Profifoto“. Trostreiche Worte findet der autralische KI-Spezialist Ronen Becker im Gespräch mit dem Magazin. Die KI könne nur das reproduzieren, was in der Vergangenheit geschaffen worden sei – und „wir brauchen auch zukünftig immer noch Fotografen, die die Gegenwart einfangen“.

2 Kommentare

  1. „Die FAZ greife „nur in Ausnahmefällen“ auf solche Postings zurück, sagt Bild-Chef Flohr“

    Da stimmt doch etwas nicht

  2. Es kommt einem ja zunächst wie ein wahnsinniger Verlust vor, wenn man Fotos nicht mehr trauen kann. Sind sie echt oder KI?
    Aber dabei darf man nicht vergessen: kein Foto zeigt die Realität, sondern immer nur den Teil, den der/die FotografIn auswählt.
    Und zweitens: Es gab ja auch ein paar Jahre Menschheitsgeschichte vor der Fotografie. Da sind wir ja auch irgendwie klar gekommen.
    Hart wird nun dem Niedergang zuzusehen und innerlich zu akzeptieren, dass ein Foto nun ist, was Gemälde schon lange sind.

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