Verkürztes Zitat

Wie der NDR Karin Prien eine Rassismus-Debatte einbrockte

Für eine Aussage über ihre Kabinettskollegin Aminata Touré wird der schleswig-holsteinischen Bildungsministerin Karin Prien Rassismus vorgeworfen. Seitdem steht die CDU-Politikerin am Pranger und wird heftig beschimpft – für eine Äußerung, die ihr von einem NDR-Reporter in den Mund gelegt wurde.

Hintergrund ist die Frage, ob Georgien und Moldawien künftig als sichere Herkunftsländer gelten sollen. Das würde Abschiebungen dorthin erleichtern. Die Grüne Integrationsministerin Touré hatte angekündigt, das Vorhaben durch eine Enthaltung im Bundesrat blockieren zu wollen.

In einem Hörfunk-Beitrag von NDR-Info äußerte sich Prien Mitte vergangener Woche zu dem Konflikt. Darin heißt es:

„Prien erinnerte daran, dass die Staats- und Regierungschefs beispielsweise noch am Wochenende die EU-Beitrittsperspektive für Moldawien betont haben. Da sei es ein Widerspruch, das Land nicht als sicheres Herkunftsland einzustufen.

Und Karin Prien sagte weiter: ‚Natürlich ist Aminata Touré durch ihre eigene Fluchtgeschichte geprägt, aber am Ende muss man in der Lage sein, als Politiker sich auch von seinem eigenen Schicksal ein Stück weit zu lösen und sich auch neben sich zu stellen und auch Entscheidungen mitzutragen, die einem auch persönlich wehtun.‘“

Ist Touré in ihrer Haltung zur Asylpolitik befangen, weil ihre aus Mali stammenden Eltern ebenfalls ehemalige Geflüchtete sind? Es hört sich an, als würde Prien die Eignung Tourés für ihr politisches Spitzenamt in Frage stellen, gewürzt mit einer Prise Alltagsrassismus.

Schlagzeilen-Ausrisse, u.a.: Grüne Jugend wirft CDU-Politikerin Rassismus vor
Screenshots: SHZ, ntv, „Bild“, „Tagesspiegel“

Die Reaktionen waren entsprechend empört. Die Landesvorsitzende der SPD Schleswig-Holstein, Serpil Midyatli, twitterte:

Prien steige „voll ein in die hetzerische Schiene ihres Parteivorsitzenden“, schrieb Midyatli weiter. Dies werfe ein schlechtes Licht auf Schleswig-Holstein und die Landesregierung.

Die Landesvorsitzende der Grünen Jugend, Johanna Schierloh, sprach von „internalisiertem Rassismus“ und forderte eine Entschuldigung.

Die taz nannte Priens Aussage „ziemlich dumm. Mit keinem Wort hat Touré schließlich persönliche Erfahrungen für ihre Haltung geltend gemacht.“ Prien dresche „billig emotionalisierend“ auf ihre Gegner*innen ein und unterstelle ihnen persönliche Motive“.

Vorlage des NDR-Journalisten

Allerdings war es nicht die CDU-Bildungsministerin, welche Zweifel an der Unbefangenheit von Aminata Touré ins Feld geführt hat: Prien wurde, wie sich mittlerweile herausgestellt hat, von dem NDR-Info-Reporter aufs Glatteis geführt. Und ist ausgerutscht.

Das ließ sich im Hörfunk-Beitrag zumindest erahnen. Der Ton von Karin Priens Aussage deutete, wenn man aufmerksam hinhörte, darauf hin, dass die Politikerin nur auf eine entsprechende Interview-Frage reagierte und lediglich die darin aufgestellte These aufgriff.

Tatsächlich war es genau so. Der Reporter hatte die Frage gestellt: „Ist Aminata Touré zu sehr von ihrer eigenen Geschichte beeinflusst und sieht den Blick für die Realität nicht?“ Die Frage ist aber im Beitrag nicht zu hören.

Am Freitag hat der NDR – nach zwei Tagen öffentlicher Empörung – den Mitschnitt des gesamten Gesprächs im Netz veröffentlicht. „Aus Transparenzgründen“, wie der Sender schreibt, weil sie Prien „verkürzt zitiert sieht“.

Es stellt sich heraus: Nicht nur hat Prien bis zu diesem Zeitpunkt im Gespräch ihre Grüne Kabinettskollegin mit keiner Silbe erwähnt. Auch verwies sie in ihrer Antwort explizit auf ihren eigenen jüdischen Hintergrund. Aber auch dieser Teil wurde von NDR Info aus der Antwort herausgeschnitten.

Das ungekürzte Gespräch

Das Gespräch verlief an der entscheidenden Stelle so:

NDR: „[…] auch hier [in Kiel] gibt’s ja durchaus Widerstände ein Stück weit, Stichwort Sichere Herkunftsländer. Glauben Sie, dass man hier überhaupt zu einem Konsens kommen kann zwischen CDU und Grünen, um eine neue Migrationspolitik zu machen?“

Prien: „Das wird natürlich schwierig, weil hier einzelne Protagonisten im Land natürlich auch wirklich sehr dezidierte Positionen vertreten. Aber ich glaube, man muss sich auch dem versuchen, nüchtern und vernunftsgesteuert zu nähern. Bei den, etwa Moldawien und Georgien. Wenn man überlegt, die freie Welt trifft sich am Freitag in Moldawien. Man beschwört die Wertegemeinschaft, man beschwört die Beitrittsperspektive zur EU. Und gleichzeitig sagt man: Das kann aber kein sicheres Herkunftsland sein. Das ist, ich glaube, das ist ein Widerspruch, der muss aufzulösen sein.“

NDR: „Ist Aminata Touré zu sehr von ihrer eigenen Geschichte beeinflusst und sieht den Blick für die Realität nicht?“

Prien: „Natürlich ist Aminata Touré durch ihre eigene Fluchtgeschichte geprägt, das wäre ja auch ein Wunder, wenn es nicht der Fall ist. Aber ich bin durch meinen jüdischen Hintergrund auch geprägt. Aber am Ende muss man in der Lage sein, als Politiker sich auch von seinem eigenen Schicksal ein Stück weit zu lösen und sich auch neben sich zu stellen und auch Entscheidungen mitzutragen, die einem auch persönlich wehtun.“

Es ist ein journalistischer Taschenspieler-Trick, sich durch eine geschickte Suggestivfrage bestimmte Antworten zu erschleichen. Besonders unseriös ist es, die Nachfrage in der veröffentlichten Version wegzulassen und so einen Skandal zu produzieren, der eigentlich keiner ist.

Als Brandbeschleuniger fungierte dann eine Meldung des dpa-Landesdienstes Schleswig-Holstein am Mittwochnachmittag, die gleich mit Empörung begann:

Midyatli empört wegen Äußerung von Prien über Touré

Kiel (dpa/lno) – Schleswig-Holsteins SPD-Vorsitzende Serpil Midyatli hat empört auf Äußerungen von Bildungsministerin Karin Prien (CDU) über deren Kabinettskollegin und Sozialministerin Aminata Touré (Grüne) reagiert. (…)

Midyatli warf Prien am Mittwoch eine Entgleisung vor, für die Sie (sic!) sich sofort entschuldigen müsse. Prien habe die Fachministerin Touré in ihrer politischen Einschätzung zu sicheren Herkunftsländern allein auf ihren persönlichen Hintergrund als Kind von Geflüchteten reduziert. Prien liefere mit ihrer Aussage über ihre Kabinettskollegin den besten Beweis dafür, wie Alltagsrassismus funktioniere. „Das ist einem Mitglied einer Landesregierung, die sich zudem ausdrücklich einer humanitären Migrationspolitik verpflichtet sieht, absolut unwürdig.“ Touré sei gebürtige Schleswig-Holsteinerin, betonte die SPD-Landeschefin.

Kurz darauf ergänzte dpa die Meldung noch um die „heftige Kritik“ der Grünen Jugend: „Die Landesregierung sollte sich fragen, ob jemand, der eine solche Aussage macht, für rassismuskritische Bildung in Schulen zuständig sein sollte.“ Unter der Überschrift „CDU-Politikerin Prien in Kritik wegen Äußerung über Touré“ verbreitete dpa die Aufregung kurz darauf auch bundesweit.

Erst in einer weiteren Meldung am Abend kam Prien erstmals dazu zu Wort:

Prien wehrte sich gegen die Angriffe: „In einem langen Interview zu Migrationspolitik wurde ich am Ende auch zur Biografie meiner Kabinettskollegin Aminata Touré befragt. Darauf angesprochen habe ich Verständnis für ihre persönliche Perspektive geweckt und dabei auch meine eigene, jüdische Perspektive hervorgehoben.“

Erst durch die Fokussierung des Interviews auf diesen einen Satz und den fehlenden Kontext sei in dem Radiobeitrag der Eindruck entstanden, der in keiner Weise ihre Haltung widerspiegele. „Mir Rassismus zu unterstellen, ist völlig absurd“, so Prien. „Ich setze mich vehement gegen jede Form von Rassismus ein, das weiß auch Aminata Touré, mit der ich heute darüber gesprochen habe. Sollte durch meine Äußerung ein falscher Eindruck entstanden sein, so bedauere ich dies zutiefst.“

Am nächsten Tag drehte das Thema eine weitere Runde bei dpa mit dem Zitat der CDU-Politikerin Julia Klöckner, die „ihrer Parteifreundin beisprang“:

„Dass die SPD nun reflexhaft Rassismus ruft, ist doppelt schäbig: Zum einen relativiert sie damit die Rassisten, zum anderen ist dieser Reflex auch ein Grund für das Erstarken der AfD.“

Vom NDR kam bisher keine Entschuldigung; auch Kritiker*innen wie die SPD-Politikerin Serpil Mydiatli haben sich bisher nicht korrigiert.

Und so hat die CDU-Politikerin Serap Güler durchaus recht, wenn sie twittert:

„Es ist ein Unding, wie hier versucht wird, gegen [Karin Prien] zu schießen. Ein Unding ist die Nummer, die der NDR hier abgezogen hat.“

7 Kommentare

  1. „Es ist ein Unding, wie hier versucht wird, gegen [Aminata Touré] zu schießen.“

    Ich vermute mal, in die Klammern hat sich hier die falsche Politikerin eingeschlichen. Frau Güler dürfte sich auf Prien beziehen.

  2. Also sorry, das muss Konsequenzen haben für den NDR. Die Fehlerkultur ist da ja noch schlimmer als bei der Tagesschau. wie peinlich und unwürdig für den Sender.

  3. Jap, da ist der NDR den Gesetzen der Aufmerksamkeitsökonomie gefolgt. Super. Super Bildzeitungs/Welt/[beliebige andere große Tageszeitung]-Niveau. Und sich dann nicht zu entschuldigen, wirkt total souverän. Ich bin tief beeindruckt.

    Mindestens genauso schlimm finde ich, wie führende Landespolitikerinnen – oder die es noch werden wollen – jedes Stöckchen dankbar aufnehmen und sich ohne um die Hintergründe/Fakten zu scheren sofort Zeter und Mordio schreien. „Hängt sie“ zu rufen, wäre nur noch ein kleiner weiterer Schritt der Eskalation. Das ist furchtbar.

    Wie soll man Vertrauen in die Politik haben, wenn sich deren Akteurinnen aufführen wie 14-jährige auf dem Schulhof. Sie liefern den Demokratiefeinden („die Presse lügt, die Politiker ziehen nur ne Schau ab“) wunderbare Steilvorlagen.

  4. Ich finde Priens Aussage auch in verkürzter Form nicht aufregend.
    Mich regt eher diese hysterische Skandalisierungslust auf.

  5. Ich kann mich Lars nur vollkommen anschließen.
    Unabhängig von der unseriösen Berichterstattung des NDRs, finde ich die verkürzte Aussage auch keinesfalls als diskriminierenden Aufreger, der scheinbar gern daraus gemacht worden ist.
    Dem Journalisten des NDR gehören die Ohren langezogen und der Rest möge mal aufhören, nur um der eigenen Erwähnung wegen so indifferenziert auszuteilen.

  6. „auch in der verkürzten Form nicht aufregend.“ Ja, aber man muss natürlich einkalkulieren, dass jemand nicht offen sagen würde, dass eine Politikerin befangen sei, weil sie bspw. schwarz ist, und sich nicht davon freimachen könne.
    Also unterstellt man dem poltischen Gegner natürlich grundsätzlich das schlimmste. ;-)

  7. Womit wir uns mal wieder im Reich der Spekulation befinden und daraus lässt sich hervorragend alles konstruieren.
    Daran krankt die derzeitige Berichterstattung derzeit massiv und tut niemandem einen Gefallen damit. Das einzige Resultat ist m. E. schlussendlich Resignation und der Unwille des Volkes noch mitzuhelfen, unsere Probleme anzugehen. Statt dessen wird allmählich von jedem gefühlt der Kopf in den Sand gesteckt, weil medial jedes Problem, mit dem wir zur Zeit zu kämpfen haben, ausgeschlachtet und hochstilisiert wurde, bis man alle Reflexe zu handeln eingestellt hat, weil alles zuviel und zu hoffnungslos erscheint. Wo bleiben die positiven Nachrichten? Wo die Meldungen über Lösungen und Ideen? Wo bleibt die Wahrheit?

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