60. Geburtstag

Wie das ZDF mal eine Gelegenheit zu „selbstkritischer Bestandsaufnahme“ entdeckte

Ich weiß nicht, ob Sie es wussten, aber das ZDF ist eine klimaanlagenförmige Kiste, die von zwei winzigen Windrädern und einem schätzungsweise schokoladentafelgroßen Solarpanel angetrieben wird. Links ist ein Einfülltrichter, in den man die Ansprüche reintun kann, in der Mitte befindet sich ein Schlitz, aus dem sie als Enttäuschungen wieder rauskommen, und aus dem Ausgabefach auf der rechten Seite fliegen ungedeckte Schecks auf die Zukunft.

Man kann sich das schlecht vorstellen, wenn man es nicht gesehen hat:

(Bevor Sie fragen: Unter der Servierhaube befindet sich eine Geburtstagstorte.)

Die vermutlich lustig gemeinte Darstellung ist Teil eines leider ebenso vermutlich ernst gemeinten Beitrages, mit dem das ZDF am Sonntag seinen 60. Geburtstag in seinem Premiumnachrichtenmagazin „heute journal“ beging. Die kleine Servierwagenmaschine ZDF dient dazu, in kompakter Form all das zu visualisieren, was Leute vom Sender erwarten – oder an ihm kritisieren.

Der Sprecher sagte: „Das ZDF hat Generationen geprägt. Doch was wird vom Mainzer Sender heute nicht alles erwartet?“ Dann zählte er auf:

„Das ZDF soll
kreativ
kritisch
innovativ
modern
ausgewogen
unabhängig
divers
inklusiv
transparent
klar
wahr
und wach sein.“

Entsprechend beschriftete Zettel fliegen nach und nach in den Trichter.

Es klingt, als könnte eine kleine, von zwei Windrädchen und einem Solartäfelchen betriebene Anstalt unmöglich all diese vielen, widersprüchlichen Ansprüche erfüllen. Dabei gibt es wirklich keinen Grund, warum sie es nicht können sollte. Ja, das ZDF soll all das sein. Es muss all das sein. Was denn sonst?

Tägliches Brot Kritik

Drei Experten hat das ZDF für den Beitrag befragt, die Medienschaffende Jagoda Marinić, den Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen, und den Medienmilliardär Mathias Döpfner. Marinić findet das ZDF irgendwie gut, Pörksen bemängelt, dass es im Sender kein richtiges offenes Gesprächsformat gibt, und Döpfner meint, es wäre keine gute Idee, wenn das ZDF TikTok oder Youtube eins zu eins kopieren würde.

„Kritik gehört zum täglichen Brot der öffentlich-rechtlichen Sender“, formuliert der Autor des Beitrags nun, der offensichtlich über die Bedeutung von Redensarten und Metaphern so wenig nachgedacht hat wie über die Verbildlichung des Senders als Servierwagen. Die Kritik kommt nun also einzeln aus dem Schlitz in der Mitte:

„Die Reizwörter lauten:
Zwangsgebühren
Selbstbedienung
Üppige Gehälter
Enger Meinungskorridor
Staatsnähe
und Lügenpresse“

„Stimmt das?“, fragt der Beitrag und lässt zur Antwort Pörksen sagen:

„Journalismus ist eine Kulturtechnik, die alle angeht, denn jeder ist unter den gegenwärtigen Medienbedingungen in dieser gesamten Öffnung des kommunikativen Raumes selbst zum Sender geworden.“

Das ist richtig, das ist auch das, was Pörksen gerade immer sagt, es hat nur nichts, aber auch wirklich gar nichts mit der Frage zu tun, ob die verschiedene Kritik am ZDF berechtigt ist.

Det muss bleiben!

Am Ende fragt der Beitrag noch: „Was heißt das für die Zukunft?“ und lässt die Maschine rechts wieder Schlagwörter ausspucken.

„ZDF für alle will im Fernsehen und online
preiswert
faktenorientiert
informativ
unterhaltsam
kulturell vielseitig
und verlässlich sein.“

Aha. „Aber eines soll bleiben.“ Schnitt auf Mathias Döpfner:

„Was immer man modernisiert beim ZDF, aber bitte, nehmen Sie uns niemals die Mainzelmännchen weg.“

Guuudnaabend.

Nun weiß ich ohnehin nicht, warum man eine so umfassend diskreditierte Person wie Döpfner als Gesprächspartner wählt. Aber wenn man das macht, mutmaßlich aus der Überlegung, einen besonders harten Kritiker des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zu Wort kommen zu lassen, dann kann man ihn doch nicht nur mit der Bitte zu Wort kommen lassen, die Mainzelmännchen nicht abzuschaffen?!

Zu rechts, zu links

In den Schlagzeilen am Anfang dieses „heute journals“ wird der Themenblock übrigens allen Ernstes angekündigt mit den Worten „Kritischer Blick – 60 Jahre ZDF und Mediendebatte“; in der Mediathek ist das Kapitel mit den Worten „60 Jahre: Das ZDF in der Kritik“ bezeichnet.

Was damit gemeint ist, hört sich bei Moderatorin und Hauptabteilungsleiterin Anne Gellinek so an:

„Seit es das ZDF und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland gibt, gibt es auch Kritik an ihm. Konservativer Schwarzfunk, spießig, provinziell. Oder aber: zu links, zu grün, die Satire zu frech oder zu geschmacklos.“

So kann man Kritik natürlich von vornherein entwerten und als beliebiges „Irgendwas ist halt immer“-Genörgel abtun. Der Vorwurf, zu konservativ zu sein, entsprang einer anderen Zeit und Realität als der, zu grün zu sein.

„Wir nehmen den Sechzigsten zum Anlass, um auf genau diese Debatte zu schauen“, fügt Gellinek hinzu. Nein. Das ZDF hat aus größtmöglicher Entfernung in die grobe Richtung dieser Debatte geschielt und sich dabei Mühe gegeben, dass man nichts erkennt.

Die gute alte Tante

Intendant Himmler, Moderatorin Gellinek Screenshots: ZDF

Zur Feier des Tages ist der Intendant höchstselbst ins „heute journal“-Studio gekommen, nicht live allerdings, „das Interview haben wir vor der Sendung aufgezeichnet“, aber es wäre auch absurd gewesen, wenn Norbert Himmler extra dafür so lange wach geblieben wäre; das Interview hätte sich auch zu einem beliebigen Tag der letzten Jahre aufzeichnen lassen, so zeitlos, beliebig und egal ist es. Gellinek leitet es ein mit den Worten „60 Jahre ZDF: Grund zum Feiern, aber auch Gelegenheit zu selbstkritischer Bestandsaufnahme“, und das Schöne an Gelegenheiten ist ja, dass man sie nicht nutzen muss.

Ihre erste Frage an ihren Chef lautet: „Die gute alte Tante ZDF wird 60. Sind wir nun junggebliebene Rentner oder altes Eisen? Können wir weg?“ Himmler ergriff routiniert die Chance der Vorlage, auf der Ebene der Anthropomorphisierung zu antworten: „Ich finde, 60 ist doch ein tolles Alter! Man hat ne Menge Lebenserfahrung und man steht auch noch voll im Saft, und von daher ist das ein prima Alter.“

Man stelle sich vor, jemand, der wirklich ungern jeden Monat 18,36 Euro zahlt oder unzufrieden damit ist, wie dieses Geld ausgegeben wird – jawohl, solche Leute soll es geben! – sieht das und hat womöglich noch das Wort von der „selbstkritischen Bestandsaufnahme“ im Ohr. Er muss sich verarscht fühlen.

„Trotzdem gibt es ja im Moment sehr viel Kritik an den öffentlich-rechtlichen Sendern“, sagt Gellinek als nächstes, „zu alt, zu schwerfällig, zu teuer, zu viele Mitarbeiter. Was kann der öffentlich-rechtliche Rundfunk, was andere nicht können?“ Himmler sagt: „Ich finde, dass wir diese Kritik sehr ernst nehmen müssen“ – sehr ernst, aber doch nicht ernst genug, in irgendeiner Weise konkret darauf einzugehen. Auch die Frage der Moderatorin lässt er unbeantwortet, kritisiert aber dafür die Kritiker:

„Ich glaube, dass die Kritiker verkennen, was wir leisten als ZDF, was wir jeden Tag leisten, 24 Stunden im Hauptprogramm, aber auch das komplette Angebot, das wir bieten, die Digitalkanäle, die Partnerkanäle, den Kinderkanal, zum Beispiel, die Mediathek und auch die ZDFheute-App. Das bekommen alle für 15 Cent am Tag. Und was bekommt man, wenn man an den Kiosk geht für 15 Cent. Das ist eine beachtliche Leistung, und ich wäre froh, wenn man das am Geburtstag auch sehen würde.“

Hey, feiert uns gefälligst mal!, ruft der ZDF-Intendant. Dass man für 15 Cent am Tag mehr vom ZDF bekommt als für 15 Cent am Kiosk, könnte natürlich auch daran liegen, dass jeder diese 15 Cent zahlen muss, selbst wenn er gar nicht zum Kiosk geht, aber wer wollte solche Werbesätze schon zu genau unter die Lupe nehmen, und das noch am Geburtstag.

Schön nach dem „heute journal“ noch „Tagesthemen“

Himmler fügt dann noch hinzu, dass das ZDF schon sehr, sehr glaubwürdig sei und dem ZDF vom Publikum Glaubwürdigkeit „gerade auch in Krisenzeiten“ sehr zugesprochen werde. Er erwähnt nicht, dass laut einer Umfrage, die das ZDF selbst bei der Forschungsgruppe Wahlen in Auftrag gegeben hat, der Sender zwar immer noch gute Werte hat: 63 Prozent sagen, ihr Vertrauen, dass im Sender „wahrheitsgemäß berichtet wird“, sei groß oder sehr groß. Aber das sind fünf Prozentpunkte weniger als vor einem Jahr, sieben weniger als vor zwei Jahren.

Auf die Frage, warum es zwei öffentlich-rechtliche Nachrichtensysteme braucht, sagte Himmel, dass doch gut sei, wenn nach dem super „heute journal“ auch noch die ebenfalls ganz guten „Tagesthemen“ laufen, das sorge für Vielfalt und publizistischen Wettbewerb, und eine große Demokratie brauche so etwas, „gerade in Zeiten von Fake News und Falschinformationen“.

Das ist das Standardargument des ZDF, und es überzeugt vor allem, wenn es ungestört von dem Gedanken bleibt, dass es auch mit nur einem öffentlich-rechtlichen Systeme Vielfalt und einen publizistischen Wettbewerb um die beste Nachricht gäbe – nämlich den mit privaten Medien. Aber wer wollte von einer ZDF-Interviewerin erwarten, dass sie den ZDF-Intendanten so interviewt, wie es Marietta Slomka in ihren besten Momenten mit Politikern macht?

Kritische-Blick-Simulation

Dieser „Kritischer Blick – 60 Jahre ZDF und Mediendebatte“-Schwerpunkt bildete offenbar den Abschluss der selbstkritischen Jubiläumsaktivitäten, der vor zwei Wochen im ZDF-„Morgenmagazin“ begann – und auch schon davon geprägt war, sich von der vorgeblichen Offenheit für Kritik (zum Beispiel von Übermedien-Redaktionsleiter Frederik von Castell) auf gar keinen Fall die annähernd makellose Selbstdarstellung zerstören zu lassen. Alles, was irgendwie unangenehm klingen könnte für das ZDF, wurde von Moderatorin Dunja Hayali sofort weiträumig mit Flatterband abgesperrt.

In einem bizarren Black-Mirror-haften Geburtstagsfilm schaute ein kleines Mädchen in die Zukunft der Medien und musste sich vom ZDF erzählen lassen, dass sie selbst das Programm bestimme, indem sie sage, was ihr gefällt und was nicht. „Woher weiß ich, was mir gefällt“, fragte das Kind total realitätsnah. „Wir machen dir ein Angebot“, antwortete das ZDF, basierend auf einem „Algorithmus“. Kind: „Algo-WAS?“

Dass es nicht nur um die Transformation in eine neue digitale Medienwelt geht, sondern da draußen gerade die ewige Debatte, welchen und wie viel öffentlich-rechtlichen Rundfunk sich diese Gesellschaft leisten will, in außerordentlich akuter und dringlicher Form geführt wird – man würde es nicht ahnen, wenn man diese ZDF-Beiträge sieht.

Es wäre weniger peinlich gewesen, wenn sich das ZDF entschlossen hätte, den 60. Geburtstag ausschließlich zu einer besinnungslosen, rauschenden Feier der eigenen Tollheit zu nutzen, die fantastischen Marktanteile, die lanzigen Talkshows, die spannenden Krimis, die Lebensmittel- und Marken-Tests, die anderen spannenden Krimis, Bares für Rares, die weiteren spannenden Krimis, Pilcher, Böhmermann, Kerner, Mai Thi, was auch immer.

Aber in einer Pose der Selbstkritik die Kritik auszublenden, kleinzumachen, wegzureden – das ist frech. Mögen die kleinen Windräder der ZDF-Servierwagenmaschine die Schokolade der Geburtstagstorte ins Getriebe wehen!

3 Kommentare

  1. Lieber Herr Niggemeier, das ZDF schenkt uns jeden Vorabend einen Mord, der von 247 SOKOs aufgeklärt wird. Etwa zehnmal im Monat einen neuen Rosamunde-Pilcher-Film. Erst kürzlich die weltbeste und ungeschlagen phantastischste Mini-Serie, die je aus einem Frank-Schätzing-Roman herausgewrungen wurde – und natürlich die Mainzelmännchen.

    Wie sollte da eine noch so selbstkritische Bestandsaufnahme anders enden als mit der Feststellung: „Wir sind großartig“?

  2. Die Listung der Buzz-Wörter ist jedenfalls gelungen und die Zeichnungen dazu lassen auch beim Verpassen der damals aktuellen Sendung den „Tenor“ gut erkennen.
    Die finanzielle Frage dürfte angesichts sozialer Klima und anderer Probleme noch an Aktualität gewinnen.
    Welche Fähigkeiten braucht der normale Bürger, um sich in der Medien-Vielfalt ein Bild der Realität zu machen?
    Was kostet es wo?

  3. Ich bringe nur mal so einen spontanen Einfall ins Spiel. Die Ö.R.-Sender könnten doch ihre behördenhafte Unzugänglichkeit für Kritik (bitte um amtliche Nachsicht) vielleicht dadurch etwas auflösen, wenn sie einer unabhängigen Organisation monatlich zumindest eine Stunde Sendezeit einräumen, um ein oder zwei wesentliche Kritikpunkte an Sendungen oder Sender konkret und konstruktiv vorzutragen. Das signalisiert den Eindruck von Bereitschaft zur auftragsgemäßen Selbstreflexion mindestens in der Programmgestaltung.
    Für diese Aufgabe fällt mir sofort „Übermedien (ÜM)“ ein. Einige Euro aus den Gebühren wären dafür bei ÜM vertretbar angelegt. Doch sofort fürchte ich, dieser Vorschlag weist gerade die Schwäche auf, die es stets zu bekämpfen gilt: „Übermedien“ könnte sich damit selbst schon dann eine monstermäßige Aufgabe ans Bein binden, wenn es „nur“ um das ZDF ginge. Der Kritik-Apparat, der vermutlich daraus erwachsen müsste, könnte als solcher zu viel der unabdingbaren Unabhängigkeit mit auffressen. Etwa so, wie man es bei den Ö.R.-Anstalten selbst vermuten könnte.
    Dann lieber weiter so, gerne bei ÜM und zwangsläufig beim Ö.R. Oder?
    Nur mal so,
    Anton Sahlender, Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.

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