Verbot von Gästetickets

Kopf einschalten unerwünscht

Die Präfektur der Stadt Neapel hat auf Geheiß des italienischen Innenministeriums verfügt, dass Anhänger:innen von Eintracht Frankfurt keine Karten für das Champions-League-Spiel in Neapel am kommenden Mittwoch erhalten. Sie verbot dem SSC Neapel den Verkauf entsprechender Tickets.

Beim Hinspiel in Frankfurt vor einigen Wochen hatte die Frankfurter Polizei nach eigenen Angaben kleinere Scharmützel von mehr oder weniger gleichgesinnten Einzelpersonen zügig unterbunden. Selbiges ist den italienischen Behörden allerdings nach eigener Einschätzung trotz monatelanger Vorbereitungszeit offenbar nicht möglich.

Die ganze Angelegenheit ist nicht nur für Tausende Betroffene, die längst Urlaub genommen sowie Flüge und Unterkünfte bezahlt haben, höchst ärgerlich, sie wirft auch grundsätzliche Fragen auf: Immer wieder agieren Polizei- und andere Ordnungsbehörden am Rande oder jenseits der Legalität, wenn es darum geht, anreisende Fußballfans kollektiv als Gewalttäter:innen zu brandmarken und in ihr Recht auf Handlungsfreiheit und Freizügigkeit (Immerhin EU-Grundrechte) massiv einzugreifen.

Die Entwicklung macht dabei keinesfalls bei Fußballfans Halt: So hinderte die Bundespolizei den Vorsitzenden der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) kürzlich an der Ausreise nach Bulgarien. Solche „Ausreiseuntersagungen“, haben ihren Ursprung in Anti-Hooligan-Maßnahmen, die nach der WM 1998 etabliert wurden, als deutsche Gewalttäter den französischen Polizisten Daniel Nivel fast ermordeten. Natürlich versicherten die Behörden seinerzeit, die Ausreiseverbote würden sich nur gegen bekannte Gewalttäter richten – und nicht gegen politisch unliebsame Personen.

Kein Rechtsschutz gegen Willkür

Wer dagegen den Rechtsweg beschreitet, bekommt Jahre später häufig Recht von Verwaltungs- und anderen Gerichten, aber das Jahrhundertspiel ist längst vorbei, die Reise ist längst geplatzt, die Kosten sind längst entstanden. Bittere Realität: Gegen Verwaltungs- und Polizeiwillkür gibt es defacto keinen wirksamen Rechtsschutz in der Europäischen Union, die doch von sich behauptet, das rechtsstaatlichste und demokratischste Europa aller Zeiten zu sein.

Das alles sollte Journalist:innen wegen seiner grundsätzlichen Bedeutung interessieren, denn schließlich sind sie substanziell auf andere Grundrechte wie Meinungs- und Pressefreiheit angewiesen. Letztere wird laut „Reporter ohne Grenzen“ auch in Europa immer weiter eingeschränkt: Italien rangiert bereits jetzt auf einem für ein EU-Land beschämenden 58.Platz. Dass die Regierungsbeteiligung von Rechtspopulist:innen und (Post-)Faschist:innen sich positiv auswirkt, darf getrost bezweifelt werden, Polen (Platz 66) und Ungarn (Platz 85) lassen grüßen. Alarmsignale genug also für kritischen Journalismus, wie ihn sich unter anderem die „Süddeutsche Zeitung“ auf die Fahnen geschrieben hat.

Eintracht in der Champions League: Köpfe einschlagen unerwünscht
Screenshot: SZ

Doch ihr Italien-Korrespondent Oliver Meiler kam am Mittwoch zu einer gänzlich anderen Sicht der Dinge: Unter dem reißerischen Titel „Köpfe einschlagen unerwünscht“ feierte er die Grundrechtseinschränkung durch italienische Behörden regelrecht: Das Verbot sei „Notwehr gegen absehbare Gewalt“, die Klagen der „Vereinsoberen von Eintracht Frankfurt“ dagegen „ein bisschen surreal“, denn „unter den lautesten Choristen in den Fanblöcken befinden sich ja nicht nur Messdiener, wie man schon beim Hinspiel sehen konnte“:

„Da haben sich Ultras von Eintracht und Napoli die Köpfe eingeschlagen. Und was war in Marseille los, als die militante Frankfurter Anhängerschaft glaubte, ihren Fanatismus auch auf der Straße fortzusetzen zu müssen? Und in Rom 2018, als sich 10 000 Frankfurter rund um das Spiel bei Lazio auch nicht wie gute Gäste aufführten, um es mit einem krassen Euphemismus zu sagen?“

Meinung statt Recherche

Daran stimmt wenig bis nichts. Was in Marseille „los war“, hat Eintracht-Vorstandsmitglied Philipp Reschke im September so beschrieben: „Wer sich mit Olympique de Marseille beschäftigt, weiß, was ihn bei solchen Spielen hier erwartet. (…) Das ist ein Stück weit ein rechtsfreier Raum, den wir da auf der Seite der Olympique-Fans feststellen mussten.“

Durch eine in den Gästeblock geschossene Leuchtrakete wurde unter anderem ein 65-jähriger Eintracht-Fan lebensgefährlich verletzt. Er war mit seiner 64-jährigen Partnerin angereist, die ebenfalls verletzt wurde. Gegen die Täter wird wegen versuchten Mordes ermittelt. Zahlreiche Gästefans vor Ort sprachen von regelrechten Menschenjagden in den Straßen der französischen Hafenstadt und von mangelndem Schutz durch die örtliche Polizei.

All das wird bei Oliver Meiler unter dem Label der „militanten Frankfurter Anhängerschaft“ und ihrem „Fanatismus auf der Straße“ nun ausschließlich gegen die Frankfurter gewendet. Man wünschte sich, der schwerverletzte Eintracht-Senior könnte dem Korrespondenten seine Meinung zu dieser Art von Journalismus sagen.

Das übliche ist richtig, weil es üblich ist

Dass sich unter einer fünfstelligen Zahl Frankfurter Auswärtsfans nicht alle „wie gute Gäste“ aufführen, um Meilers Euphemismus aufzugreifen, soll an dieser Stelle nicht bestritten werden. Aber genau da liegt der Hase im Pfeffer: Viele deutsche Mannschaften reisen im Europacup mit zahlreichen Anhänger:innen, teilweise mit deutlich mehr als Teams aus anderen Ländern.

Andere Länder wie Frankreich, die Niederlande oder eben Italien bekämpfen dieses Phänomen seit Jahrzehnten mit harter und teilweise fragwürdiger Repression. Dass es dagegen nicht mehr Widerspruch gibt, liegt vor allem daran, dass Fußballfans praktisch keine Lobby haben, weil sie von den meisten bürgerlichen Zeitgenoss:innen ohnehin nur als laute, betrunkene und rüpelhafte Störer des Alltags wahrgenommen werden, die zudem immer wieder zu Gewalt neigen.

Die – nicht zuletzt journalistische – Frage ist aber, wie eine Zivilgesellschaft mit ihren vermeintlichen Schmuddelkindern umgeht. Denn die Gesellschaft besteht nun einmal nicht nur aus Vorzeige-Familien, die samstags lieber zu IKEA fahren, statt sich 800 Auswärtskilometer für ein 0:4 in Sandhausen ans Bein zu binden. Wie immer, wenn es um abweichendes Verhalten geht, wäre ein differenzierter Blick daher hilfreich und angebracht.

Umgekehrt gibt es nämlich auch großartige Geschichten zu erzählen: von Tausenden Freiburger:innen beispielsweise, die am gestrigen Donnerstagabend den Weg nach Turin fanden – und friedlich sich und ihre Mannschaft feierten – auch nach deren Niederlage. Oder von 30.000 und mehr Frankfurter:innen, die im Frühjahr 2022 Barcelona übernahmen (auch ganz ohne gewalttätige Zwischenfälle).

Doch davon will Meiler nichts wissen: „Naiv ist auch die Annahme, die Entscheidung richte sich gezielt gegen Fans aus dem Ausland. In Italien gibt es ständig solche Verfügungen. Stuft das Innenministerium eine Begegnung als ‚Hochrisikospiel‘ ein, untersagt es den Vereinen, den Gästefans Tickets zu verkaufen. Die Fans vom AS Rom und von Napoli zum Beispiel wurden nach grotesken Prügeleien auf der Autobahn mit einem Auswärtsverbot von zwei Monaten belegt.“ Eine tautologische Erzählung: Das Übliche ist richtig, weil es üblich ist.

Vielleicht sollte sich der SZ-Korrespondent lieber fragen, warum es in Italien trotz dieser härtesten Repression so oft zu Gewalt kommt – und ob das irgendwas mit fehlenden Perspektiven, einer heillos undemokratischen Polizeitradition und der schlichten Tatsache zu tun hat, dass Menschen in und um völlig marode italienische Stadien häufig wie Tiere behandelt werden, wie ich aus eigener Anschauung berichten kann.

Ein verstörender Minister

Stattdessen kann man es natürlich für Journalismus halten, von oben herab darüber zu schwadronieren, dass „man es dem italienischen Staat nicht verdenken“ könne, dass er „die öffentliche Ordnung vor einer Abordnung von Überreizten“ schützen wolle. Die Behörden fragten sich schließlich nur, „ob sie sich und den Bürgern Straßenschlachten zumuten wollen“. Noch ein wenig Geraune von den „Hooligans der Eintracht“, die sich „mit anderen Ultras aus Italien in internationalen Allianzen zusammenspannen“ – und fertig ist das mediale Horrorszenario, wonach den Bewohner:innen des Golfs von Neapel der zweite Untergang nach dem Ausbruch des Vesuv bevorstünde.

Innenminister der post-faschistischen Meloni-Regierung ist übrigens Matteo Piantedosi, ein parteiloser Zyniker, den Meilers eigene Zeitung im Zusammenhang mit den aktuell im Mittelmeer ertrunkenen Flüchtlingen „verstörend“ nennt. Auf Geheiß dieses Ministers werden wenig überraschend also verstörende Verbote erlassen, doch statt eins und eins zusammenzuzählen, findet der Korrespondent letztere lobenswert und folgerichtig.

Sollte es sich eines nicht so schönen Tages begeben, dass dem italienischen Innenministerium einer noch gefestigteren Rechtsregierung einfällt, dass Pressefreiheit auch recht „verstörend“ ist – und dass man im Stile Viktor Orbáns auch etwas dagegen unternehmen könnte – werden sich nicht nur Oliver Meiler und die „Süddeutsche Zeitung“ noch Verbündete wünschen. Fußballfans, deren Bürgerrechte man Jahre zuvor bereits en passant für irrelevant erklärt hat, dürften dann kaum ihre Stimme erheben. Oder sie müssen dann gerade alle zu IKEA.

13 Kommentare

  1. Man stelle sich vor, jemand wäre 1990 bei der WM in Italien auf die Idee gekommen „Was? Deutsche Fußballfans? Alles Brutalos, die dürfen nicht kommen!“ Das Geschrei wäre in den Medien ein ganz Anderes gewesen.
    Damit will ich sagen: Es ist nicht der Fußballfan der stört, es ist der Vereinsfan! Wenn man für die _National_mannschaft ist, sieht es schon wieder ganz anders aus!

  2. Nö.
    Das ist jetzt unbeliebt, aber ich sage es trotzdem: In so ziemlich allen Industrienationen außerhalb Europas sind Sportveranstaltungen vor allem eines: Sportveranstaltungen, wo Leute ins Stadion gehen um das eine oder das andere Team anzufeuern. Einzelne Konflikte gibt es sicher immer, beim Aufeinandertreffen von Fans beider Teams muss bei allen anderen Sportarten und selbst im Fußball in weiten Teilen der Welt nicht mit unbändiger Gewalt gerechnet werden.
    In Europa tun viele aus mir unerklärlichen Gründen so, als wären durch nichts zu bändigende Eskalationen inhärenter Teil der „Fußballkultur“, als wäre die wichtiger als dass.. naja, die Leute in den Städten wo die Spiele stattfinden auch noch da leben dürfen.
    Ich wünschte wichtige Diskussionen über Polizeigewalt würden nicht so häufig im Kontext von „Fan“-Unsinn geführt werden, denn die passiert auch oft genug bei Leuten, die wirklich einen Grund haben nicht zu tun was die Polizei will.

  3. @Daarin: Da kann ich Ihnen sehr „One night in Turin“ von Pete Davies ans Herz legen. In Italien hatte man schon 1990 eine komplette Abscheu gegen ausländische Fans, vor allem den im Vorfeld medial verteufelten englischen Fan, Verein oder Nicht-Verein macht da relativ wenig unterschied.

  4. Der Kommentar wirkt auf mich, eher nach gekränktem Fan-Herzen, als nach Medienkritik. „Meinung statt Recherche“ … naja, Glashaus und so.

    Macht doch mal die schier unglaubliche Mengen an Kommentaren der diversen Zeitungen zum Thema. Da scheint grundsätzlich Meinung über Recherche zu stehen. Was mir schon auch logisch erscheint. Trotzdem ärgere ich mich regelmäßig über Kommentare, ob nun bei SZ, Zeit, Spiegel oder Taz. Sollte aus journalistischer Sicht ein Kommentar nicht trotzdem mehr Recherche und Fakten enthalten als gefühltes Wissen und erdachten Zusammenhängen? Die Quellendichte geht oft gegen null.

  5. Ein sehr guter Beitrag. Vor allem der Aspekt ist wichtig und geht weißt über das Fußballfan-Thema hinaus, dass Ordnungs- und Sicherheitsbehörden Entscheidungen treffen, die gesetzeswidrig sind, das aber erst Monate, manchmal Jahre später juristisch feststeht. Nicht ganz anders wurden ja auch bei uns wegen Corona Freiheitsbeschränkungen verfügt, die nun vor Gericht keinen Bestand haben. Die Politik ist gefragt, Freiheitsrechte von Fans oder Bürgern wirkungsvoller – also zeitnah – zu schützen.

  6. Ich persönlich nehme Fußballfans ebenfalls als „laute, betrunkene und rüpelhafte Störer des Alltags“ wahr und mein Arm ist nicht lang genug, um zu zeigen, wie weit mir dieses inszenierte und hochgejazzte Ballspektakel am Arsch vorbei geht, aber genau da liegt ja auch die Gefahr des Wegschauens – wenn es einen nicht angeht und wenn man die ausgegrenzte Gruppe eh nicht ausstehen kann. Daher muss ich sagen dass solche Betrachtungen wie in diesem Artikel aufgezeigt, für alle wichtig sind, auch wenn man das auf den ersten Blick nicht wahrhaben will.

  7. „30.000 und mehr Frankfurter:innen, die im Frühjahr 2022 Barcelona übernahmen (auch ganz ohne gewalttätige Zwischenfälle)“ – Sowas kann man auch nur schreiben, wenn man die ganz dicke rosarote Brille aufsetzt. Ich glaube, niemand hier möchte in einer Stadt anwesend sein, die von 30.000 Frankfurter:innen überrollt wird. Auch wenn am Ende zum Glück niemand verletzt wird, Fußballfans – gerade in so einer Menge – sind fast immer eine Zumutung an die Toleranz und das Wohlwollen der Unbeteiligten.

  8. @#8 Bernhard: Nein, schön wär’s… Ich wehre mich nur gegen das Glorifizieren solcher Massen-Auswärtsfahrten – auch wenn es keine Verletzten oder Toten gibt. Ich bin schon häufiger als mir lieb war mit Fußball-Fans – auch auf kürzeren Strecken und in kleineren Gruppen – und glaube mir: Für Außenstehende ist das in aller Regel keine Freude. Fußball-Fans in solchen Mengen sind wie ein Heuschreckenschwarm und jeder macht 3 Kreuzzeichen, wenn sie wieder weg sind…

  9. Das muss diese Cancel-Culture sein, die es angeblich nicht gibt: Unerwünschte Dinge einfach verbieten.

  10. @#10 Mycroft: Unerwünschte Dinge verbieten ist einfach Politik, das hat nicht mit Cancel Culture zu tun. Und wenn man sich die Bilder von gestern anschaut, waren die Befürchtungen mehr als berechtigt. Ich denke nicht, dass man es im Namen der Freiheit unwidersprochen hinnehmen muss, dass eine Horde Gewalttäter durch die Stadt vagabundiert und alles in Schutt und Asche legt.

  11. @Christoph: wenn alle immer die Definition von Cancel Culture verwenden, die ihnen gerade passt, darf ich das auch. ;-)

  12. @Christoph (#9):

    „Ich bin schon häufiger als mir lieb war mit Fußball-Fans – auch auf kürzeren Strecken und in kleineren Gruppen – und glaube mir: Für Außenstehende ist das in aller Regel keine Freude.“

    Ja, ich hatte kürzlich das zweifelhafte Vergnügen, mit einer Truppe besoffener, redundant gröhlender Hools im Regionalzug von Braunschweig nach Magdeburg zu fahren. Lärm- und Geruchspegel waren immens, und ich hätte mir sehr den Mut gewünscht, ein herzhaftes: „Schnauze, setzen!“ zurückzubrüllen.

    Andererseits haben sie niemanden angegriffen, und (jugend-)kulturelles Daneben-Benehmen ist kein Grund für Ausreiseverbote oder Vorbeuge-Gewahrsam. Kann mich dunkel erinnern, vor 20 Jahren auch mal in einem Zug gegröhlt zu haben. Nicht alles, was nervt, ist verboten. (Wobei die Bahn ihr Hausrecht hier schon ein wenig ernster nehmen könnte.)

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