Holger ruft an (104)

Wie verändern diese krassen Gesichtsfilter unser Bild von uns selbst?

Samira El Ouassil und die vom Filter generierte jüngere Version ihrer selbst

Zwei neue Filter der Social-Media-Plattform Tiktok haben in den vergangenen Tagen viele Menschen fasziniert und alarmiert. Sie können mit künstlicher Intelligenz in bisher nicht gekannter technischer Brillanz live die Gesichter der Menschen, die sich filmen, verändern. Der „Bold Glamour“-Filter „verschönert“ sie hin zu einem leicht exotischen Schönheitsideal mit vollen Lippen, kräftigen Augenbrauen, markanten Gesichtszügen und makelloser Haut. Der „Teenage-Look“-Filter lässt sie jünger aussehen.

Im Gespräch mit Holger Klein erklärt unsere Kolumnistin Samira El Ouassil, wie diese Filter wirken und was sie in Menschen auslösen können. Der „Bold Glamour“-Filter versuche, „die Personen, die ihn anwenden, auf normschöne Art aufzuhübschen.“ Dabei verfestige sich das Bild, „das man von einem typisch schönen Influencer:innen-Gesicht vor Augen hat, als das Ideal, das man erreichen muss, dass man man als schöner Mensch gilt.“ Besonders Teenagerinnen seien davon beeinflusst.

Wenn in den digitalen Medien dann alle gleich aussehen, könne der Eindruck entstehen, dass man selbst nicht dem Durchschnitt oder dem Ideal entspricht. „Die eigenen Wahrnehmungsmaßstäbe verändern sich, so dass man sich als nicht schön betrachtet, als nicht attraktiv und dementsprechend minderwertig.“

Leute, die sich dauernd mit Filter filmen, sagt El Ouassil, „sind irgendwann so durchdrungen von diesem Ideal von sich selbst, das sie auf ihren eigenen Fotos sehen, dass sie versuchen, das durch Eingriffe kosmetisch nachzustellen.“ Als „Snapchat Dysmorphia“ bezeichne man das Gefühl: „Mein Gesicht sieht gar nicht aus, wie ich aussehe.“ Betroffene erkennen dann das wirkliche Ich gar nicht mehr als solches.

Während das vor allem junge Leute betrifft, schockiert der „Teenage-Look“-Filter vor allem ältere Menschen. „Wenn man eine junge Version von sich sieht, entsteht so etwas wie eine milde existenzielle Krise“, sagt Samira El Ouassil. Fast weinend kommentierten einige diese Videos auf Tiktok. „Sie werden sich ihrer eigenen Vergänglichkeit sehr ad hoc gewahr.“

Eine Gefahr, die mit diesem Filter verbunden sei, bestehe natürlich auch darin, dass Leute sich als jünger ausgeben können, als sie sind.

Das ganze Gespräch über die Wirkung dieser Filter und die Möglichkeit, irgendwie gesund mit ihnen umzugehen, hören Sie hier:

(Sie können den Podcast auch über die Plattform oder App Ihrer Wahl hören. Hier ist der Feed.)

Links

2 Kommentare

  1. Klar mag man es, schön oder zumindest altersgemäß gut auszusehen. doch diese vielen Filter sind dann doch bedenklich. Nicht nur weil das eigene Ego zu heftig aufgeplustert wird, sondern weil, was ich bei solchen Diskussionen oft nicht lese, dass Realwelttreffen mit den ganzen Influencern allerlei Geschlechts enttäuschte Reaktionen kommen könnten.
    Ich stelle mir gerade vor, ich hätte eine Verabredung ganz in der realen Welt, dann kommt die Influencerin ….. und sieht (vielleicht nur gerade weil übermüdet, vielleicht weil gerade etwas Stress gehabt, oder auch „nur so“) jetzt nicht gar so gut aus, wie auf dem Instagram Profil oder jenem von TikTok.
    .
    Ich muss bei all den IG-, TikTok- und sonstigen Filtern gerade an ein Hintergrundberichts-Jubiläumsband anlässlich 40 Jahre deutsche Science Fiction Heftromanserie PERRY RHODAN damals anno 2001 denken.
    Da stand über das Leben der Terraner des damals noch in-universe etwa 45. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung drin, dass jedes unbearbeitete Bild, jedes unbearbeitete Video im Trivid (Volumetrische Projektion der Future-Medienlandschaft im Wohnzimmer oder auf der Datenbrille) ein von einer unabhängigen Prüfstelle vergebenes Signet aufzuweisen hat, was die unverfälschte Echtheit des Bildes bestätigt.

  2. Spannend und sehr bedenklich finde ich auch den rassistischen Aspekt, den ihr am Anfang anreißt: Dass diese Filter Menschen auf der ganzen Welt mit einer nie dagewesenen Vehemenz ein Schönheitsideal einpflanzen, dass die KI aus ganz überwiegend „europäischen“ Gesichtern errechnet hat. Oder werden die mittlerweile diverser gefüttert? (Die KIs, nicht die Gesichter)
    Ein anderer Punkt wäre noch, dass diese optische Gleichmacherei dem eigentlich zunehmend verbreiteten Body Positivity-, Anti-Ableism- Anti-Ageism-, usw. Ansatz doch irgendwie völlig zuwider läuft.
    Und auch die Frage, ob oder wie sich diese virtuelle Stromlinienförmigkeit auf der Verhaltensebene in der Offline-Welt niederschlägt. Mein Eindruck ist, dass die Jugend (TM) durch die sozialen Medien ohnehin schon unter einem hohen Konformitätsdruck steht und das wird ja durch solche Bildbearbeitungsmöglichkeiten eher nicht weniger werden.

Einen Kommentar schreiben

Mit dem Absenden stimmen Sie zu, dass Ihre Angaben gemäß unseren Datenschutzhinweisen gespeichert werden. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.