Den ersten Schock muss man direkt in der ersten Szene verdauen: Mutter Beimer ist mit Egon Kling verheiratet! Was wohl Hansemann und Else dazu sagen? Doch, halt: Es ist 1973, bis zum Start der „Lindenstraße“ dauert es noch zwölfeinhalb Jahre.
Außerdem ist das hier das Ruhrgebiet und nicht München. Das merkt man schon daran, dass sich alle bemühen, Ruhrdeutsch zu sprechen (was Marie-Luise Marjan dafür, dass sie in Hattingen aufgewachsen ist, erstaunlich unauthentisch tut), und man sieht es, weil der Himmel grau ist, die Häuser grau sind und die Autos grau sind. Willy Brandt hatte zwar schon im Bundestagswahlkampf 1961 gefordert, dass der Himmel über der Ruhr wieder blau werden müsse, doch die Wahl hatten Konrad Adenauer und die CDU gewonnen, und Brandt und der Umweltschutz mussten bis 1969 warten. Deswegen muss Wolfgang Grönebaum als Franz Rykalla erstmal dichten grauen Staub vom Auto wischen, ehe er zur Arbeit fahren kann.
Herzlich willkommen bei „Smog“, einem erstaunlichen Fernsehfilm, der Geschichte schrieb – und nicht nur Fernsehgeschichte. Er machte das abstrakte, gern wegignorierte Thema Umweltverschmutzung in einem Fernsehfilm zur besten Sendezeit sichtbar. 50 Jahre nach seiner Erstausstrahlung am 15. April 1973 hat er auf mehreren Ebenen noch hinzugewonnen.
Der titelgebende Smog – ein Kofferwort aus „smoke“ und „fog“ – ist jener verrauchte Nebel, der schon über Charles Dickens’ London hing und mit zunehmender Industrialisierung und motorisiertem Verkehr immer schlimmer wurde. Im Dezember 1952 starben in London innerhalb weniger Tage mehrere Tausend Menschen, zehn Jahre später im Ruhrgebiet rund 150 an den Folgen starker Luftverschmutzung, weswegen die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen eine Smog-Verordnung erließ.
Gründliche Recherchen
Im Film sorgt eine Inversionswetterlage, bei der die höheren Luftschichten wärmer sind als die bodennahen und wie ein Deckel über den Industrieabgasen liegen, dafür, dass die Konzentration an Schwefeldioxid in der Atemluft im Ruhrgebiet lebensbedrohlich ansteigt und der relativ neue Alarmplan erstmals zur Anwendung kommt.
Das Drehbuch stammte von Wolfgang Menge, jenem Autor, der nicht nur die Krimireihe „Stahlnetz“ erfunden hatte, sondern auch die Gameshow-Dystopie „Das Millionenspiel“ und die Sitcom „Ein Herz und eine Seele“, und dessen Schaffen so weitreichend war, dass man das Adjektiv „legendär“ in diesem Satz viermal hätte einsetzen können. Menge hatte so lange und so viel recherchiert, dass er vermutlich auch eine Doktorarbeit über das Thema hätte schreiben können; es wurde aber nur ein Drehbuch für einen Fernsehfilm – wenn auch eines, das von allen zuständigen Fachleuten und Behörden auf Richtigkeit überprüft worden war, wie er dem „Spiegel“ erzählte.
Regie führte Wolfgang Petersen, der mit gut 30 Jahren noch ganz am Anfang seiner Karriere stand, die ihn über den legendären „Tatort: Reifezeugnis“, „Das Boot“ und „Die unendliche Geschichte“ nach Hollywood bringen sollte, wo er Mitte der 1990er Jahre mit „In The Line Of Fire“, „Outbreak“ und „Air Force One“ die ganz großen Blockbuster drehte.
Der Autor
Lukas Heinser ist freier Journalist und Autor. Seit 2007 betreibt er das Popkultur-Blog coffeeandtv.de, von 2010 bis 2014 leitete er das BILDblog, von 2014 bis 2020 veröffentlichte er mit Friedrich Küppersbusch den Podcast „Lucky & Fred“. Seit 2013 arbeitet er als Assistent von Peter Urban beim Eurovision Song Contest, 2022 erschien sein Buch über den ESC.
Apokalyptische Bilder
Wenn man „Smog“ heute, 50 Jahre später, schaut, ist das eine vielschichtige Erfahrung: Zum einen ist da die rein filmische Ebene: Die Dialoge sind manchmal arg platt, und es herrscht ein Sozialrealismus, der in der „Lindenstraße“ über drei Jahrzehnte konserviert blieb. Die Bilder sollten sicherlich erschrecken und tun es mitunter auch noch, aber sie entfalten für Nachgeborene, die die 1970er Jahre vor allem durch das Prisma von „Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug“ und „Monty Python’s Flying Circus“ kennen, bisweilen eine unfreiwillig groteske Komik. Zum anderen ist da der zeitdokumentarische Aspekt, der sich nicht nur in den üblichen albernen Kleidungsstücken zeigt, sondern vor allem in der brutalen, für normal gehaltenen Umweltverschmutzung und den unbedarften Reaktionen darauf, die man heute einfach nicht mehr glauben will.
Ich bin 1983 in Duisburg geboren worden und nördlich von Duisburg, in Dinslaken, aufgewachsen. Als es Anfang 1985 im westlichen Ruhrgebiet zu einem echten Smogalarm der Stufe III kam (dem einzigen in der Geschichte der Bundesrepublik), fuhr meine Mutter mit mir zu meiner Großmutter nach Bonn, aber ich bin naheliegenderweise zu jung, um mich daran zu erinnern, und danach war der Himmel über dem Ruhrgebiet zumindest subjektiv betrachtet immer blau, und wir konnten auch unsere Wäsche an der frischen Luft trocknen. Trotz all der Geschichten, die ich gehört habe, kann ich mir schlicht nicht vorstellen, dass meine Eltern in einer solchen Umweltverschmutzung aufgewachsen sind, wie sie im Film gezeigt wird – und doch schrieb die „Frankfurter Rundschau“ in ihrer Vorab-Kritik von „fast vertrauten“ Bildern.
Diese Bilder werden jedoch zunehmend apokalyptisch: Hubschrauber kreisen über völlig verstopften Autobahnen, Autos verkeilen sich ineinander, Menschen brechen zusammen, bis eine Frau an einer Straßenbahnhaltestelle einfach leblos liegen gelassen wird. Petersen piekst auch direkt in noch offene Wunden, wenn er zeigt, wie – 28 Jahre nach Kriegsende – Fluchtzüge mit Frauen und Kindern den Duisburger Hauptbahnhof verlassen oder der Oppa der Familie Rykalla im Keller eine alte Gasmaske sucht und findet.
Prophetische Szenen
Eine globale Pandemie später wirken manche Szenen auf ganz andere, nicht minder gruselige Art prophetisch, etwa wenn im Krankenhaus die Sauerstoffgeräte fehlen und Eltern mit kranken Kindern weggeschickt werden, wenn ein Fernsehstudio geräumt wird, um zur Krankenstation umfunktioniert zu werden, oder ein marktschreierischer Verkäufer im Supermarkt Gesichtsbedeckungen zum Schutz der Atemwege anpreist. Die Menschen tragen diese Masken anschließend falsch.
Überhaupt erscheint „Smog“ erschreckend allgemeingültig, was das Vertrauen in die Wissenschaft, die Ausübung von Macht und die relativ entspannte Abwägung von Menschenleben gegen wirtschaftliche Interessen angeht: Der Industriedirektor lässt seine Sekretärin beim Wetteramt anrufen, um nachzufragen, ob es nicht sein könne, dass die ganzen wissenschaftlichen Voraussagen einfach falsch sind. Der Sekretärin beim Amt für öffentliche Ordnung fällt zugleich die Rolle als Stimme der Vernunft und als Kassandra zu, wenn sie ganz bodenständig ausruft: „Ist das nicht alles etwas chaotisch? So viele Behörden sind dafür zuständig!“ Und im Telefongespräch mit dem Deutschen Wetterdienst bemüht der Industriedirektor jenen deutschen Dreiklang, der noch immer direkt in die Katastrophe geführt hat:
„Wissen Sie, was passieren kann, wenn diese Prognose zu den 20 Prozent falschen gehört? Wollen Sie die Verantwortung übernehmen, wenn wir stilllegen müssen? Haben Sie eine Ahnung, was das kostet?“
Da sorgt die Polizei mit dem, was wir heute „Appell an die Eigenverantwortung“ nennen, fast für einen unfreiwilligen comic relief: „Wir bitten die Besitzer von Kraftfahrzeugen, Fahrten auf das unbedingt notwendige Maß zu beschränken!“ Und unter diesem ganz besonderen Nebel des Grauens schwillt der Soundtrack von Petersens damaligem Haus-Komponisten Nils Sustrate bedrohlich an.
Menschgewordene Cognac-Schwenker
Stellenweise wirkt der Film wie ein früher Vorläufer von Adam McKays Netflix-Satire „Don’t Look Up“, nur nicht so platt und holzhammermäßig: Es ist eine große Parade der mittleren Phase der Bonner Republik, die sich oft nur in Nuancen von deren Früh- bzw. Spätphase unterscheidet: Männer mit Halbglatzen und Karo-Sakkos reden mit Männern mit Halbglatzen und Karo-Sakkos. Es ist die Zeit, in der das Wirtschaftswunder nachgelassen hat und hinterfragt wird, die erste Ölkrise steht schon vor der Tür, mit ihr wird die Umweltbewegung kommen, aber hier stehen diese Männer noch mit beiden Beinen im Leben wie menschgewordene Cognac-Schwenker und reden sogar zuerst von der Wirtschaft und dann von Arbeitsplätzen. Zwischendurch verwenden sie überraschend modern anmutende Begriffe wie „Public Relations“ oder „Goodwill-Aktionen“ für das, was man heute „Greenwashing“ nennen würde. Sie sind keine Superschurken, sondern Menschen, die ihren Job machen. Der Gedanke, dass ihnen die Menschen und die Umwelt irgendwie am Herzen liegen könnten, drängt sich nicht auf.
Die Ankündigungen und Dreharbeiten zum Film hatten – um eine damals schon in der Presse gern genutzte Metapher zu bemühen – einigen Staub aufgewirbelt: Der Essener SPD-Oberbürgermeister Horst Katzor beschwerte sich über den „reißerischen Science-Fiction-Film“, den er freilich noch nicht gesehen hatte; der Hauptgeschäftsführer der Essener Industrie- und Handelskammer sprach von einem „abenteuerlichen Missgriff“; drei CDU-Landtagsabgeordnete machten sich in einer Kleinen Anfrage Sorgen um die „Attraktivierung des Ruhrreviers“ und erkundigten sich bei der Landesregierung nach Möglichkeiten, „darauf hinzuwirken, dass im Zusammenhang mit der geplanten Sendung darauf hingewiesen wird, dass Anlass zu solchen akuten Besorgnissen nicht besteht“. Der Minister für Bundesangelegenheiten, Friedrich Halstenberg, erklärte, dass die Landesregierung den WDR gebeten habe, den Film im Vorfeld noch einmal sorgsam darauf zu überprüfen, ob er von unbedarften Zuschauer*innen für einen Tatsachenbericht gehalten werden könne, weitere Eingriffe in die Ausstrahlung aber einer Vorzensur gleichkämen und gegen das Grundgesetz verstießen.
Drehbuchautor Wolfgang Menge wollte die Wahl des Ruhrgebiets als Schauplatz gar positiv verstanden wissen: Er hätte den Film auch in anderen deutschen Industrieregionen spielen lassen können, aber Nordrhein-Westfalen sei das einzige Bundesland mit einem Smog-Alarmplan, der die Grundlage des Films biete. Mit anderen Worten: In anderen Bundesländern wäre die Handlung darauf beschränkt gewesen, dass Menschen sterben.
Die Sorgen der Industrie und der ihr nahestehenden Politiker waren nicht unberechtigt: Die Bösen, das sind im Film natürlich zuallererst schneidige Industriedirektoren wie Herr Grobeck von den fiktiven Globag-Werken, aber es ist dann doch überraschend, aus wie vielen Richtungen sich der Film den Problemen nähert und wie differenziert Menge in seinem Drehbuch mit der Schuldfrage umgeht.
Denn es ist ja nicht nur die böse Industrie: „Wennse damals alle beim Bürgerprotest mitgemacht hätten, hätten die dat Ding gar nich bauen können“, stellt ein älterer Herr in einer kurzen Szene lapidar fest, und in einer Montage von Stimmen aus dem Volk verteidigen sich die Autofahrer: „Wieso? Die anderen fahren ja auch!“ oder „Ich hab ‘nen wichtigen Termin noch wahrzunehmen, deswegen muss ich dringend weg“, woraufhin der Reporter dann doch mal kurz kritisch nachfragt: „Ja, meinen Sie, dass das die kleinen Kinder interessiert, die jetzt keine Luft mehr kriegen?!“ Der halbwüchsige Sohn der wohlhabenden Industriellenfamilie beklagt sich über die niedrige Raumtemperatur und ignoriert den Hinweis seiner Mutter, „auch Ölheizungen verschmutzen die Luft“, indem er das Thermostat wieder hochdreht.
Echte Reporter
Dass die Landesregierung sich offenbar mehr Sorgen darum machte, dass der Film nicht als solcher erkannt werden und für Beunruhigung in der Bevölkerung sorgen könnte, ist interessant. Man könnte nämlich behaupten, dass sich Menge und Petersen große Mühe gegeben hatten, genau das zu erreichen: Weite Teile des Films finden als fiktive Sondersendung statt, aus echten WDR-Fernsehstudios und mit echten Reporterinnen und Reportern. Die Breaking News im Radio werden von Egon Hoegen verlesen, der unvergessenen Stimme des „Siebten Sinn“. Im Hörfunkstudio spricht die echte WDR-Moderatorin Gisela Marx, und auch die späteren WDR-Ikonen Kurt Gerhardt und Werner Sonne stehen mit Mikrofonen vor der Kamera und berichten von einer Katastrophe, die ja eigentlich gerade nur im Film stattfindet.
Dieses Stilmittel war natürlich nicht neu: Orson Welles war 1938 damit berühmt geworden, seine Hörspiel-Fassung von H.G. Wells’ „Krieg der Welten“ als Radio-Reportage zu inszenieren, die viele Menschen für echt hielten. Ursprünglich hatten die „Smog“-Macher geplant, den Film live ab 20 Uhr in einer Rückschau „auf die Ereignisse des Tages“ zu bringen, diesen Plan aber verworfen und dem Film sogar eine einführende Erklärung durch den Ansager Max Schautzer vorangestellt.
Trotzdem gab es wohl, wie die „NRZ“ am folgenden Morgen berichtete, „Dutzende“ Zuschauer*innen, die sich beim WDR meldeten: Besorgte Mütter hätten gefragt, ob sie angesichts der gefährlichen Wetterlage ihre Kinder in Sicherheit bringen müssten, und ein Autofahrer habe sich erkundigt, ob die Straße nach Herne immer noch blockiert sei. Dabei hätten alle Anrufenden den Film von Anfang an gesehen, berichteten die WDR-Redakteure, die am Telefon Dienst geschoben hatten, leicht konsterniert.
Ein wenig hatten sich Petersen und Menge allerdings auch abgesichert: Der junge Hörfunk-Reporter Werner Sonne etwa stand ja gar nicht als er selbst vor der Kamera, sondern als Fernseh-Reporter Erwin Kuchenbäcker – ein Detail, das am allergrößten Teil des Publikums vorbeigegangen sein dürfte, aber, hey, so hätten die Macher wenigstens eine Verteidigungsstrategie gehabt, wenn der Ärger größer geworden wäre!
Kaputte Strumpfhosen
Sonne ist nach einer langen Laufbahn als Redakteur, Moderator und Auslandskorrespondent seit 2012 im Ruhestand, aber er erinnert sich noch gut an die Dreharbeiten im Herbst 1972: Er und seine Kolleg*innen kamen an ihre Filmrollen, weil der WDR in der Aktuellen Abteilung Hörfunk Ausschau nach echten Reporter*innen gehalten hatte, die dem Film Authentizität verleihen sollten.
Für Sonne war – wie für die meisten Menschen in der Bundesrepublik – die gezeigte Umweltverschmutzung Alltag: Er war in Leverkusen aufgewachsen und erzählt im Gespräch mit Übermedien, wie in der Nähe seiner Schule weiße Schaumkronen auf dem schwarzen Wasser der Wupper schwammen, bevor die in den ohnehin schon schwer verseuchten Rhein floss.
Solche Bilder seien sogar positiv interpretiert worden, meint Sonne: „Wir reden hier über das Wirtschaftswunder und den Wiederaufbau nach dem Krieg. Da waren rauchende Schlote eher ein gutes Zeichen: Es ging voran!“ Im Vordergrund habe gestanden, dass die Industrie Arbeitsplätze, Wirtschaftswachstum und Wohlstand geschaffen habe. Kaputte Strumpfhosen, im Film sichtbare Folge der Luftverschmutzung durch Schwefeldioxid, gehörten auch in Leverkusen zum Stadtbild.
Für ihn ist die Bedeutung von „Smog“ gar nicht hoch genug einzuschätzen: „Der Film hatte ein überproportionales Echo und hat sowohl Filmgeschichte gemacht wie auch Geschichte insgesamt.“ Das internationale Interesse – der Film lief über Jahre immer wieder im Fernsehen, auch in Mexiko und Japan – führt er darauf zurück, dass die Umweltverschmutzung zum ersten Mal in einem Spielfilm thematisiert worden sei, „dramatisch, aber nicht überzogen“. Für den späteren politischen Korrespondenten Werner Sonne, der auch im Ruhestand noch fleißig Bücher schreibt, war das sogar „eine Art Startschuss für das Entstehen der Grünen“.
Besseres Wetter
Protest ist im Film kaum zu sehen. Einer der Fernsehmoderatoren erzählt von „einigen Jugendlichen mit Flugblättern“. Ob sie dafür den Schulunterricht bestreiken, sagt er nicht. Gerade in dieser Hinsicht hinterlässt der Film einen großen Zwiespalt: Einerseits ist natürlich unbestreitbar vieles besser geworden, was die konkreten Umweltbelastungen vor Ort angeht; andererseits ist eben vieles weltweit noch viel schlimmer geworden. So wie damals im Ruhrgebiet sieht es heute in vielen sogenannten Schwellenländern aus.
Im Film kommt die Rettung in Form eines Wetterumschwungs. Auf einer Pressekonferenz sorgt ein Behördensprecher mit dem Satz „Das Leben geht also wieder weiter“ für Heiterkeit. Für das Baby der Familie Rykalla und die Menschen, die vier Seiten Todesanzeigen in der Zeitung füllen, kommt allerdings jede Hilfe zu spät.
Am Morgen nach der Ausstrahlung ließ die „WAZ“ auf Ihrer Titelseite Vertreter der Ruhrgebietskommunen zu Wort kommen. Der Oberbürgermeister von Wanne-Eickel zeigte sich beeindruckt, bemängelte aber, dass „der Schwerpunkt beim Individualverkehr“ gelegen habe. Dem Duisburger Oberbürgermeister war der Film nicht aufrüttelnd genug. Der Präsident der Landesanstalt für Immissionsschutz lässt sich mit den Worten zitieren, man hoffe, „in einer solchen Situation etwas besser abzuschneiden“. Nur Essens Oberbürgermeister Katzor macht sich weiterhin Sorgen um die „Voreingenommenheit gegenüber dem Revier“ und will „die Kirche im Dorf lassen“.
Einen Tag später berichtet die „WAZ“ in Dortmund, Bürgermeister Willi Reinke erhoffe sich, dass die Bürger durch den Film „wachgerüttelt“ würden – allerdings ein bisschen anders, als man sich das jetzt vielleicht vorstellen würde: „Man kann nur hoffen, dass die Bürger durch diesen Film wachgerüttelt werden und in einer entsprechenden Lage Verständnis für die dann zu treffenden Maßnahmen aufbringen und die Bemühungen der Städte im Interesse des Umweltschutzes unterstützen.“ Auf der Titelseite der gleichen Ausgabe meldet die Zeitung, das Kraftwerk in Dortmund-Derne sei von den Behörden stillgelegt worden: „Zuviel Staub“.
Transparenzhinweis: Ich arbeite als freier Mitarbeiter für den WDR, allerdings noch nicht 1973, bei der Erstausstrahlung des Films.
Danke für diese nachdenkliche und ausführliche Rezension und die kleine Rezeptionsgeschichte. Finde ich interessant, alte Fernsehspiele oder dergleichen unter heutiger Perspektive anzuschauen, wenn sie dabei – wie hier hervorragend gelungen – trotzdem fest in ihrer Entstehungszeit verortet bleiben. Gerne öfter.
Kann mich erinnern, wie ich als Kind auf Klassenfahrt im Harz war und man quasi von oben auf die Smog-Glocke über Braunschweig und Salzgitter schauen konnte. Gruselig. Muss Mitte, Ende der Achtziger gewesen sein – im Radio wurde über solche Wetterlagen berichtet wie heute über Dürre und Hitzewellen. Und Schaumteppiche auf Flüssen kenne ich auch noch.
Im Naturschutz hat sich schon was getan. Was man aber nicht vergessen darf: Artenvielfalt und Insektendichte waren damals noch wesentlich höher; und es gab viele unberührte Ecken, die heute verschwunden sind.
Was mich an den Film-Ausschnitten interessiert: War Fernsehen damals wirklich so unscharf und ausgeblichen – oder liegt das an den Magnetbändern, die einfach schlecht gealtert sind? Denn ich bin sicher: Trotz aller Luftverschmutzung war das Ruhrgebiet auch 1973 nicht nahezu schwarz-weiß…
hier ein passender film von 1962 über die verschmutzung der saar:
Vielen Dank für diesen sehr interessanten Artikel. Ich finde es immer super spannend (und mitunter auch sehr unterhaltsam. Bis lustig) , sich ältere Medienbeiträge (egal, ob es sich um Fiktion handelt oder nicht) Jahrzehnte später und hinsichtlich der aktuellen politischen, gesellschaftlichen etc Entwicklungen anzuschauen. Und zu analysieren. Der Autor macht das hier wirklich sehr anschaulich und mit einer Prise Humor. Das gefällt mir sehr gut. Vielen Dank dafür. Ich werde mal schauen, ob ich den Film irgendwo im Internet finden kann.
Danke für diese nachdenkliche und ausführliche Rezension und die kleine Rezeptionsgeschichte. Finde ich interessant, alte Fernsehspiele oder dergleichen unter heutiger Perspektive anzuschauen, wenn sie dabei – wie hier hervorragend gelungen – trotzdem fest in ihrer Entstehungszeit verortet bleiben. Gerne öfter.
Kann mich erinnern, wie ich als Kind auf Klassenfahrt im Harz war und man quasi von oben auf die Smog-Glocke über Braunschweig und Salzgitter schauen konnte. Gruselig. Muss Mitte, Ende der Achtziger gewesen sein – im Radio wurde über solche Wetterlagen berichtet wie heute über Dürre und Hitzewellen. Und Schaumteppiche auf Flüssen kenne ich auch noch.
Im Naturschutz hat sich schon was getan. Was man aber nicht vergessen darf: Artenvielfalt und Insektendichte waren damals noch wesentlich höher; und es gab viele unberührte Ecken, die heute verschwunden sind.
Was mich an den Film-Ausschnitten interessiert: War Fernsehen damals wirklich so unscharf und ausgeblichen – oder liegt das an den Magnetbändern, die einfach schlecht gealtert sind? Denn ich bin sicher: Trotz aller Luftverschmutzung war das Ruhrgebiet auch 1973 nicht nahezu schwarz-weiß…
hier ein passender film von 1962 über die verschmutzung der saar:
https://www.ardmediathek.de/video/sr-retro-abendschau/saar-verschmutzung/sr/Y3JpZDovL3NyLW9ubGluZS5kZS9SRVRSTy1BU185MzEyNw
Vielen Dank für diesen sehr interessanten Artikel. Ich finde es immer super spannend (und mitunter auch sehr unterhaltsam. Bis lustig) , sich ältere Medienbeiträge (egal, ob es sich um Fiktion handelt oder nicht) Jahrzehnte später und hinsichtlich der aktuellen politischen, gesellschaftlichen etc Entwicklungen anzuschauen. Und zu analysieren. Der Autor macht das hier wirklich sehr anschaulich und mit einer Prise Humor. Das gefällt mir sehr gut. Vielen Dank dafür. Ich werde mal schauen, ob ich den Film irgendwo im Internet finden kann.