AfD-Erklärerin mit AfD-Partner

Die Begeisterung der Medien für Cornelia Koppetsch ist noch peinlicher geworden

In Berlin endet an diesem Dienstag ein Prozess, in dem es um Beleidigung und Körperverletzung geht. Angeklagt ist der Berliner AfD-Politiker Kai Borrmann. Er soll im August 2021 die Musikjournalistin Steph Karl in einem Café rassistisch beleidigt haben. Als Karl mit ihrer ebenfalls afrodeutschen Freundin der Situation zu entkommen versuchte, soll Borrmann den beiden Frauen gefolgt sein und sie weiter mit dem N-Wort herabgewürdigt haben. Als Karl sich dagegen verwehrte („Ich bin kein N*, ich bin ein Mensch“), soll der AfD-Mann die Frau geschlagen und ihr im Laufe der körperlichen Auseinandersetzung in den Arm gebissen haben.

Medial interessant ist der Prozess aus mindestens drei Gründen. Der erste: Die Geschädigte ist Journalistin. Sie arbeitet für das HipHop-Portal „16Bars“, für dessen Youtube-Kanal sie zum Beispiel Rapper interviewt. Diese Videos fanden in der Verhandlung vom 6. Februar sogar Erwähnung.

Die Verteidigung des AfD-Mannes gestand am Ende im Plädoyer zwar ein, dass Borrmann das N-Wort verwendet und die jungen Frauen am Nebentisch ungebeten mit Ausführungen belästigt zu haben. Sie behauptet aber, dass die körperliche Auseinandersetzung von der Geschädigten ausging. Anwalt Uwe Wolfgang Kasper setzte zu einer für die AfD nicht untypischen raunenden Erzählung an, ihn habe nach dem ersten Verhandlungstag jemand angerufen, der beobachtet haben wollte, dass ein Video von Steph Karl gelöscht worden sei, in dem diese Kampfkünste demonstriert. Die Journalistin erwähnte daraufhin drei mögliche Videos, die alle zugänglich sind und in denen sie sich etwa von Farid Bang durch eine Selbstverteidigungstechnik entwaffnen lasse oder mit dem Rapper Stunts vollführe; außerdem habe sie im Alter von fünf Jahren mal Taekwondo gemacht.

Den Youtube-Kanal von „16Bars“ haben mehr als eine Million Menschen abonniert; die damit verbundene Bekanntheit von Steph Karl dürfte aber kaum ausschlaggebend gewesen sein für das feuilletonistische Interesse am Verfahren (was auch etwas über die Verfasstheit dieses Feuilletons sagt: seine fehlende Diversität). Wichtiger dafür ist die Frau, die den AfD-Politiker damals begleitete.

Alle schwärmten, alle jubelten

Es handelt sich um die Soziologin Cornelia Koppetsch, die 2019 für ihr Buch „Die Gesellschaft des Zorns“ gefeiert wurde. Ein „Spiegel“-Artikel von Tobias Becker fasste die Begeisterung seinerzeit in folgende Worte:

„Alle schauten auf dieses Buch. Alle schwärmten, alle jubelten. ‚Kaum jemand erklärt die Umbrüche unserer Zeit so glänzend wie die Soziologin Cornelia Koppetsch‘, schrieb ‚Die Zeit‘. ‚Ein großer Wurf‘, urteilte die ‚Frankfurter Allgemeine‘. ‚Die soziologisch bislang tiefgründigste Auseinandersetzung‘ mit dem Rechtspopulismus, befand die Onlineseite der ‚Welt‘. ‚Die Gesellschaft des Zorns‘, so der Titel des Buches, stand im Sommer in beiden deutschen Sachbuchbestenlisten auf Platz eins, es wurde nominiert für den NDR Sachbuchpreis und den Bayerischen Buchpreis. Der SPIEGEL, die ‚Neue Zürcher Zeitung’ und viele andere führten Interviews mit der Autorin.“

Cornelia Koppetsch 2019 auf der Frankfurter Buchmesse Foto: Imago / Pacific Press Agency

Doch vor der Verleihung des Bayrischen Buchpreises kamen Plagiatsvorwürfe auf, die eine Untersuchung von Koppetschs Hochschule, der TU Darmstadt, später bestätigte. Danach machte Koppetsch nurmehr mit Plagiaten in ihrem nächsten Buch „Rechtspopulismus als Protest“ von sich reden; die TU Darmstadt führte ein zweites Disziplinarverfahren gegen die Professorin durch.

Der Auftritt vor Gericht macht die Geschichte vom Fall der einst gefeierten Soziologin nun noch einmal schillernder, auch wegen der ungewöhnlichen Form der Körperverletzung (Steph Karl: „Um ehrlich zu sein, ich bin in meinem Leben noch nie gebissen worden“). Ein Boulevardmedium könnte titeln: „Vom Schloss Bellevue ins Kriminalgericht Moabit“.

Ach, der Kai!

Die eigentliche Brisanz der Szene verdankt sich aber dem Umstand, dass durch die sturen Abläufe des Verfahrens etwas publik wurde, was 2019 einigen zwar bekannt war, aber nicht veröffentlicht werden durfte: Der AfD-Mann Kai Borrmann ist der Lebensgefährte von Koppetsch. Er ist der im Buch nachnamenlose „Kai“, dem die Soziologin am Ende ihres Erfolgsbuches dafür dankte, den Stoff des Buches „immer wieder mit mir diskutiert und weiterentwickelt“ zu haben.

Das Buch, das 2019 den vermeintlich „bisher ambitioniertesten Versuch“ darstellte, „den Rechtspopulismus mit einer Gegenwartsdiagnose zu verbinden“ (Gustav Seibt in der ‚Süddeutschen Zeitung“), entstand also unter tätiger Mitwirkung eines Rechtspopulisten von der AfD. Klingt wie ein schlechter Witz. Und könnte eigentlich dazu führen, dass sich der Teil des Feuilletons, der „Die Gesellschaft des Zorns“ gepriesen hatte und auszeichnen wollte, einmal fragte, warum ein Buch, das der AfD so viel Verständnis entgegenbringt und zugleich von einem AfD-Mann „weiterentwickelt“ wurde, derart gut gefunden wird.

Patrick Bahners, der gerade ein Buch über „die AfD und den deutschen Nationalismus“ veröffentlicht hat und den Prozess für die FAZ verfolgte, hat die Lobeshymnen von 2019 nicht vergessen. Dass das mit der Selbstkritik für Leute, die beruflich Kritik üben, aber nicht so einfach ist, legt der aktuelle Bericht von Tobias Becker im „Spiegel“ über den Gerichtsauftritt von Koppetsch nahe. Der Text ja-abert sich mit vielen Fragen und wenigen Schlüssen durch das steiniger gewordene Terrain und ist deswegen beispielhaft für die feuilletonistische Begeisterung für Koppetschs Buch, von der selbst dann nicht gelassen werden kann, wenn nun für alle Welt klar ist, wem die Danksagung für die Mitwirkung gilt:

„Hat Koppetsch nur die Problembeschreibungen der Nationalisten nachgesprochen? Und was genau ist ihr eigentlich fachlich vorzuwerfen? Die Liaison selbst sicher kaum. Aber hätte sie die Liaison früher offenlegen müssen?“

Dabei sind die Antworten gar nicht so schwer. Man könnte als Journalist doch zumindest skeptisch werden, wenn das Wissen um die Liaison nicht veröffentlicht werden darf, wie Becker 2019 es am eigenen Leib erfahren haben dürfte. Jedes Kind hätte den Verdacht, dass Koppetsch damit etwas verbergen wollte, weil die Verbindung ihr Buch in ein ungünstiges Licht gerückt und Skandalpotential gehabt hätte (An der angeblichen Super-Analyse der AfD wirkt die AfD mit). Und ginge es nicht um die „Sorgen“ der Rechtspopulisten, für die in der selbstempfundenen Mitte der deutschen Gesellschaft unendlich viel Verständnis vorrätig zu sein scheint, bräuchte man nicht lange auf den „Aktivismus“-Vorwurf zu warten – an eine Wissenschaftlerin, die ihrem AfD-Lebensgefährtin schließlich nicht dafür dankte, dass er sich so bereitwillig habe beforschen lassen.

Eine Beziehung, zwei Meinungen

Aber den Blick nach links wirft Becker in bester Hufeisen-Manier nur, wenn er damit Koppetschs AfD-Verbindung entschuldigen kann:

„‚Zwei Individuen können eine Beziehung führen, ohne eine politische Symbiose einzugehen und immer einer Meinung zu sein‘, schrieb die ‚Süddeutsche Zeitung‘ vor ein paar Tagen. Es ging um Louis Klamroth und Luisa Neubauer. Gilt derselbe Satz auch für eine Soziologin, die zum Rechtspopulismus forscht und mit einem Rechtspopulisten liiert ist? Selbstverständlich.“

Der Vergleich ist schon deshalb infam, weil Luisa Neubauer anders als die AfD nicht für eine menschenverachtende Politik kämpft, sondern auf die Dringlichkeit eines Riesenproblems verweist, das kein vernunftbegabter Mensch negieren wird. Außerdem kann man bei Klamroth jede Woche überprüfen, ob oder gar wie sehr er von der politischen Arbeit seiner Freundin geprägt ist (was, wie gesagt, schlecht die wissenschaftlichen Befunde betreffen kann, auf die Neubauer permanent verweist).

Die naheliegende Frage wäre, warum eine solche Überprüfung im Fall Koppetsch nicht stattfindet. Warum keine der begeisterten Rezensionen 2019 oder danach mal diskutiert hat, inwiefern Koppetschs These vom „kulturellen Liberalismus“, der zur „herrschenden Ideologie“ geworden sei und deshalb die Leute in den Rechtspopulismus zwinge, mit den AfD-Selbstbeschreibungen als Opfer übereinstimmt. Zumal Koppetschs einseitige Kritik der „heuchlerischen“ „kosmopolitischen Eliten“ stellenweise schon so klingt wie rechte Rhetorik („Vielmehr sind es Minderheiten – Politiker, Journalisten, Banker, Hochschullehrer, Gewerkschaftsführer -, die Mehrheiten erklären, was das Beste für sie sei.“) Und warum Beckers „Spiegel“-Text diese Diskussion auch jetzt noch unterlässt, obwohl damit doch am einfachsten Klarheit geschaffen werden könnte darüber, wie stark sich die Ansichten der Soziologin von denen ihres AfD-Mannes unterscheiden.

Grandioser Kitsch

Stattdessen wird – auch ein seltenes Privileg – ausgerechnet Borrmann als Gewährsmann für die politische Haltung seiner Freundin zitiert – derselbe Mann, der im Verfahren wenig plausibel die eigene Gewalttat und seinen Rassismus abstreitet:

„Nach der Verhandlung berichtete Borrmann auf dem Gerichtsflur, dass er Koppetsch zu Parteitagen mitgenommen, ihr immer wieder Gesprächspartner vermittelt habe. Politisch hätten er und seine Lebensgefährtin unterschiedliche Ansichten, sie sei linksliberal, aber das sei für ihre Beziehung kein Problem. ‚Man muss mit den Marotten des anderen leben.'“

Eine Auskunft, die der „Spiegel“-Artikel mit einem Einsatzabsatz frenetisch feiert:

„Was für ein großer, ein schöner Satz auch!“

Was für ein grandioser Kitsch, möchte man zurückseufzen.

Aber in diesem Kitsch wohnt die Koppetsch-Begeisterung von Teilen des Feuilletons, die der sachlichen Analyse eines Buchs die boulevardeske Freude am Miteinander vermeintlicher Gegensätze vorziehen. Weil es vermeintlich nichts Schöneres gibt, als verschiedene Meinungen „auszuhalten“ (womit aber immer nur rechte Positionen gegen Kritik imprägniert werden sollen).

Dabei hat gerade Koppetschs Aussage vor Gericht gezeigt, wie schlecht es um die so begehrte Streitkultur in ihrer Beziehung mit dem AfD-Mann bestellt ist. Die Soziologin erklärte, dass sie sich mit Borrmann „mehr oder weniger akademisch“ unterhalte (auf Nachfrage sogar: „ausschließlich“), und dass ihr Freund den beiden Frauen am Nebentisch, bei denen sie sich zuvor eine Zigarette geschnorrt hatte, etwas „erklären wollte“ über „Schwarzsein“, das für sie wiederum „akademisch“ klang.

Müsste man nun nicht annehmen, dass, wie im feuilletonistischen Fantasialand mit der paradiesischen Debattenkultur erträumt, die angeblich linksliberale Soziologin mit ihrem rechten Lebensgefährten, der von einer „akademischen“ Erklärung am Nebentisch zurückkehrt, sofort in einen „mehr oder weniger akademischen“ Disput verfiele, um mit dem AfD-Freund aufs Trefflichste zu streiten etwa darüber, wie akademisch es ist, als weißer rechter Mann afrodeutschen Frauen „Schwarzsein“ erklären zu wollen?

Worum es genau ging bei der Auseinandersetzung am Nebentisch, hatte Koppetsch laut eigener Aussagen aber weder mitbekommen noch erfragt (war sich gleichzeitig aber sicher, dass das N-Wort nicht gefallen ist). Dabei könnte man sich selbst in nicht-akademischen Beziehungen vorstellen, dass die Frau von dem Mann, der im Café ungefragt fremde Frauen in Gespräche verwickelt, wissen wollen würde, worum es dabei gegangen sei. Steph Karl hatte, gefragt nach Koppetschs Reaktion auf Borrmanns Belästigung, zuvor den Eindruck geschildert, die Soziologin habe gewirkt, als wäre sie es gewohnt, dass er Stress suche: „Sie hat das hingenommen, als wäre es das Normalste von der Welt.“

Kritik von links? Welche Kritik von links?

Wie einseitig der Jubel über die Größe der vermeintlich Linksliberal-rechten-Love-Story ist, wird an einem anderen Punkt noch deutlicher. Denn mit den „Marotten“ des anderen wird in solchen „Spiegel“-Texten nur gelebt, wenn es sich um rechte handelt. Die Kritik von links in reichweitenschwächeren Medien, die es an Koppetschs Buch 2019 auch gab, kann dagegen ignoriert werden – obwohl das deutsche Feuilleton doch angeblich nichts lieber macht, als verschiedene Meinungen auszuhalten und zu streiten.

Ausführlich hat sich der Soziologe Floris Biskamp auf dem Blog der Deutschen Gesellschaft für Soziologie mit Koppetschs Thesen auseinandergesetzt. Biskamp geht in seiner Kritik von „Die Gesellschaft des Zorns“ unter anderem ein „auf die allzu polemische Schelte gegen Kosmopolit_innen, auf die allzu dünne Datenbasis, mit der Koppetsch allzu steile Thesen vertritt, auf die weitestgehende Ausblendung der faschistischen Vergangenheit, auf den paradoxen methodischen Nationalismus.“ Erwähnung findet er in den „Spiegel“-Artikeln von Becker weder 2019 noch heute.

Die anderen Kritiken stammen von Tom Uhlig, der in der „Jungle World“ und in „konkret“ über das Problematische an Koppetschs Thesen geschrieben hatte. Uhlig, der übrigens auch als erster auf die durch schnöseligen Dialekt als „Kabarett“ getarnten Rassismen und Antisemitismen von Lisa Eckhart aufmerksam gemacht hatte, gebührt das Verdienst, im Oktober 2019 die Verbindung der Rechtspopulismus-Erklärerin mit dem Rechtspopulisten recherchiert zu haben (inklusive der Vorgeschichte Borrmanns in anderen völkischen Parteien).

Den Hinweis auf eine Verbindung zwischen Borrmann und Koppetsch nimmt Becker in seiner Recherche aus dem Dezember 2019 nach dem Auffliegen der Plagiate zwar auf, erachtet es aber nicht für notwendig, Uhlig dafür namentlich Anerkennung dafür zu zollen:

„In Abgrenzung zu den kritisierten Kollegen nennt Koppetsch ihre Methode ‚theoriegeleitete Empathie‘. Die Zeitschrift ‚konkret‘ machte daraus die Überschrift ‚Empathy for the Devil‘. Im zugehörigen Text wies der Autor darauf hin, dass Koppetsch sich am Schluss ihres Buchs ‚bei meinen Bekannten aus der AfD‘ bedankt, ‚die mir in vielen Diskussionen ihre gesellschaftlichen Sichtweisen dargelegt haben‘.“

Dass Uhlig nicht genannt wird, sagt auch etwas über den elitären Dünkel des Feuilletons. Prominente Personen, auf die sich Becker bezieht, benennt er selbstverständlich (Armin Nassehi, Andreas Reckwitz).

Süffisante Süffisanz

Über die inhaltliche Kritik von Uhlig verlieren die „Spiegel“-Texte weder damals noch heute ein Wort. (In der FAZ wurde er seinerzeit in einem absurden, dort nicht mehr abrufbaren Text von Sara Rukaj zum hegemonialen „Diskurswächter“ und „zivilgesellschaftlichen Oberaufseher“ promoviert.) Dafür wird ein anderer Kritiker abgewatscht, der den Text des „konkret“-Autors Uhlig verbreitet hatte:

„Der Berliner Historiker Bodo Mrozek zum Beispiel verlinkte den Text aus ‚konkret‘ auf Facebook und schrieb süffisant dazu, ‚noch schwerer‘ als die Zitiermängel ‚wiegt allerdings die namentlich ebenfalls nicht gekennzeichnete Übernahme ihrer Hauptargumentation, die in soziologisch verbrämtem Vokabular rechtspopulistische Narrative reproduziert‘‘.“

Süffisant. Das ist das Wort, mit dem Becker das Argument abtun will, das in den Kern der Debatte führt. Man möchte es am liebsten auf die Couch legen, sagt „süffisant“ doch mehr über den „Spiegel“-Autor aus als über den besagten Facebook-Post. Aus dem Vorwurf des hämischen Spotts spricht nämlich auch ein – wie stark auch immer reflektiertes – Unterlegenheitsgefühl; dass Leute, die nicht im Impressum des „Spiegel“ stehen und „Die Gesellschaft des Zorns“ genauer gelesen haben, mit einem klaren Satz den von den großen Feuilletons illuminierten Koppetsch-Festspielen den Stecker ziehen können.

Denn selbstverständlich braucht es das Wissen um die Liaison von AfD-Erklärerin und AfD-Mann gar nicht für eine Kritik des Buchs, sondern nur genaue Lektüre. „Die Gesellschaft des Zorns ist damit kein Text über die Rechte, sondern unabhängig der Intention mitunter ein Text der Rechten, welcher sich genauso studieren lässt wie ihre Selbstzeugnisse, weil es sich weitgehend um eine Wiedergabe, keine kritische Untersuchung ihres Selbstverständnisses handelt“, schreibt Tom Uhlig in einem 2022 in der Zeitschrift „Freie Assoziation“ erschienenem Text. Ob Tobias Becker das meint, wenn er in seinem aktuellen „Spiegel“-Text zum Gerichtsverfahren Koppetschs Buch, um es nicht ganz aufgeben zu müssen, von „Wissenschaft“ zu „Quelle“ herabstuft, ist nicht sicher.

Große unwissenschaftliche wissenschaftliche Leistung

Uhligs Zeitschriftenaufsatz aus dem vergangenen Jahr ist eine umfassende Rekonstruktion der Feuilleton-Debatte von 2019 und der Begeisterung für Koppetschs Buch:

„Die Attraktivität der darin enthaltenen Übernahme rechter Narrative und strukturell antisemitischer Argumentationen überlebte offenbar den Verlust ihrer wissenschaftlichen Grundlage. Auf die Demontage des Buchs durch eine Untersuchungskommission folgte keine nennenswerte inhaltliche Auseinandersetzung, sondern eine formalistische Kritik der Arbeitsweise. (…)

Es wird sich also ins Zeug gelegt, die These eines offensichtlich schlecht gearbeiteten Buches zu retten. Die formalen Fehler stehen hier merkwürdig neben dem Inhalt, als würde sich die analytische Güte in ‚Originalität‘ ausdrücken, die ihre Geltung auch dann behauptet, wenn sie ihrer wissenschaftlichen Grundlage beraubt wurde.“

So betonte der Soziologe Armin Nassehi in Beckers „Spiegel“-Text von 2019, „dass die Fehler von Koppetsch ‚tatsächlich unverzeihlich‘ seien und ‚einen klaren Bruch mit wissenschaftlichen Standards darstellen, den man ihr nicht durchgehen lassen darf'“. Um ebenfalls zu bescheiden, das Buch sei „eine wirklich große wissenschaftliche Leistung“. Eine große wissenschaftliche Leistung, die einen klaren Bruch mit wissenschaftlichen Standards darstellt – wer kennt es nicht? Vielleicht sollte Nassehi die Wissenschaft Wissenschaft sein lassen und sich an die Erfindung des Perpetuum mobiles machen.

In der „taz“ berief sich Simone Schmollack bei der Ehrenrettung 2020 auf die verständnisvolle Betrügerin selbst, um zu bescheiden, wie man künftig zu ihr stehen solle:

„In einem Interview mit dem ‚Spiegel‘, in dem es zwar um die AfD und den Rechtspopulismus ging, sagte Koppetsch folgenden Satz: ‚Man erklärt die eigene Wahrnehmung möglichst öffentlichkeitswirksam zur Wahrheit – grenzt sich also ab, um sich seiner selbst zu vergewissern und auf diesem Weg die alte Geborgenheit zurückzuerobern.‘ Man kann diesen Satz auch übertragen auf die aktuelle Koppetsch-Debatte: Wer sich jetzt über alle Maßen von ihr distanziert, macht dies nicht nur für die Wissenschaft, sondern auch für sich selbst.“

Auch im „Spiegel“-Text von damals wurde der diskreditierten Koppetsch – auch ein seltenes Privileg – noch die Deutung über den von ihr verursachten Skandal zugestanden:

„Man könnte sagen, der Skandal erledigt Koppetschs Buch – und gleichzeitig bestätigt er zwei ihrer Kernbeobachtungen: die Lagerbildung in unserer Gesellschaft und die Selbstgerechtigkeit des kosmopolitischen Milieus. Koppetsch gefällt diese Lesart.“

Was nicht weiter verwundert, weil Koppetschs Betrug hier kurzerhand der „Selbstgerechtigkeit des kosmopolitischen Milieus“ in Rechnung gestellt wird.

Faszination für rechte Erklärungen rechter Bewegungen

Und was eben zum Kern der Koppetsch-Begeisterung führt. Die wirklich interessante Frage, über die man sich differenzierte Debatten wünschen würde, lautet: Warum sind die Besprechungen im weißen deutschen Feuilleton derart fasziniert von Erklärungsmustern für rechte Bewegungen, die sich von deren eigenen Spins freundlicherweise kaum unterscheiden? Und das obwohl, das macht es noch pikanter, die in diesen Feuilletons arbeitenden „Kulturkosmopoliten“ (Koppetsch) doch genau die Eliten sind, denen Koppetsch die Schuld am Aufkommen der AfD zuschreibt? Warum, um es noch mal in beispielhafter Deutlichkeit zu sagen, nennt „Spiegel“-Redakteur Becker dieses Koppetsch-Argument, das auf ihn zielt, nicht „süffisant“, sondern nimmt noch ihren professionellen Betrug auf seine Kappe?

Tom Uhlig schreibt in seiner Debatten-Rekonstruktion:

„Ein Teil der Antwort findet sich meines Erachtens in der ungeheuren Attraktivität der These Koppetschs und damit in der Wiederholung rechter Deutungsmuster unter anderem Vorzeichen, nämlich dem der akademischen Sozialwissenschaft. Sie entspricht einem gesellschaftlichen Normalisierungsbedürfnis, der rechten Ideologie ihren Irrationalismus auszutreiben, ihren blinden Hass gegen das Andere und seine Repräsentant*innen. Die Perspektive, es mit einem politischen Gegner zu tun haben, der sich nicht mit Klientelpolitik abspeisen lässt, sondern bewusst oder unbewusst Faschismus will, löst Angst aus und wird deshalb diskursiv verdrängt: Mit der ‚Lügenpresse‘ werde gar nicht die antisemitische Fantasie des Strippenziehers genährt, sondern das ‚postindustrielle Bürgertum‘ angegriffen, und die Verschwörungstheorie vom großen Austausch entspringe gar keiner Blut-und-Boden-Ideologie, sondern der Furcht vor ‚kultureller Enteignung‘. Schleichend wird damit die völkisch rechte Ideologie mit Ressentiments des Bürgertums kommensurabel gemacht, denn dort steht man der Interessenpolitik von Migrant*innen, Jüdinnen und Juden oder LGBTIQ-Menschen schon lange skeptisch gegenüber.“

Zu süffisant?

Armin Nassehi wird im „Spiegel“-Artikel von 2019 übrigens auch mit der Auskunft zitiert: „Es gibt da Leute, die sich damit zufriedengeben, AfD-Wähler einfach als Rassisten zu bezeichnen. Das mag ja stimmen, aber damit ist noch nichts erklärt.“ In dieser Darstellung liegt der dritte Grund, warum der Prozess gegen Borrmann medial interessant ist, allerdings ex negativo. Die Vorstellung, dass es „einfach“ sei, jemanden als Rassisten zu bezeichnen, ist schon deshalb absurd, weil Rassismus in seiner ganzen Dimension überhaupt nicht begriffen ist von einem Großteil der weißen deutschen Öffentlichkeit, zugleich aber die Gewissheit vorherrscht, dass man darüber nicht zu reden brauche, weil es so selbstverständlich ist – Skinheads mit Springerstiefeln, der Ku-Klux-Klan, fertig ist die Laube.

Mehmet Daimagüler hatte vor Jahren in einer „Anne Will“-Sendung auf diesen Widerspruch hingewiesen, was zu einer unfreiwilligen Sternstunde des deutschen Talkshow-Wesens führte. Und Grada Kilomba schreibt: „Die Schwierigkeit, Rassismus zu identifizieren, ist nicht nur funktional für Rassismus, sondern ein Teil des Rassismus selbst.“

Eine Gewalttat als Trotzreaktion

Was bei Tobias Beckers nicht enden wollendem Bemühen, Koppetsch mit Koppetsch zu erklären against all odds, im Prozessbericht dann dazu führt, noch die Gewalttat als „Trotzreaktion“ zu kaschieren, um sich vermeintlich findig über super Belege von Top-Thesen zu freuen:

„Koppetsch, das ist nun wichtig, beschrieb den Rechtspopulismus dabei nicht so sehr als Phänomen einer unterdrückten Unterschicht, sondern als Aufstand der Etablierten. Diese betrachteten sich selbst als ‚bedrohte Mehrheiten‘, nähmen ihre Kultur und Lebensweise als gefährdet wahr – und reagierten reaktant. Der Rechtspopulismus als große gesellschaftliche Trotzreaktion. Wer denkt bei dieser Analyse künftig nicht an den promovierten Islamwissenschaftler Kai Borrmann, der sich in einem französischen Café in Berlin-Mitte von der Redeweise junger, weltläufiger Frauen am Nebentisch provoziert fühlt?“

Grobe Schätzung meinerseits: schon mal alle Leute, die anders als der weiße „Spiegel“-Redakteur von Rassismus betroffen sind. Die wie Steph Karl erfolgreich, bekannt und gut drauf sein können, und denen trotzdem jederzeit und nicht auf irgendeinem Dorf, sondern in Berlin-Mitte ungefragt ein weißer deutscher Mehrheits-Kai an den Tisch treten kann, um ihnen durch das N-Wort ihren Platz in Hierarchie und Geschichte zuzuweisen, den Boden unter den Füßen wegzuziehen.

Grada Kilomba:

„Diese Beschimpfung ist wie eine mise-en-scéne, wo Weiße zu symbolischen HerrscherInnen und Schwarze durch Demütigung, Verletzung und Ausgrenzung zu figurativen Sklaven degradiert werden. Es gibt eine Schande-Stolz-Dynamik in dieser kolonialen Beziehung: Während die Schwarze Frau erniedrigt und beleidigt wird, hat das weiße Subjekt die Möglichkeit, Ehre und Macht zu entwickeln, was jedoch nur durch die direkte Degradierung der Ersteren ermöglicht wird.“

Das N-Wort war nie unschuldig und kann nur als rassistische Beleidigung verwendet werden. Es ist in die deutsche Sprache gekommen, als der transatlantische Versklavungshandel begann und ein Begriff gebraucht wurde, um Menschen das Menschsein abzusprechen, damit das sich aufgeklärt dünkende Europa diese Menschen wie Tiere in Ketten legen, umbringen und ausbeuten konnte. In dem Begriff steckt eine jahrhundertelange Geschichte von Abwertung und Schmerz, Gewalt und Trauma, die auch dann nicht verschwindet, wenn man sie zu ignorieren versucht.

Der Verteidiger von Borrmann probierte das selbstverständlich trotzdem, indem er, um den Rassismus des N-Worts zu leugnen, einfach aufs erfolgreich verbreitete Phantasma der „Politischen Korrektheit“ verwies. Das hilft seit 30 Jahren dabei, eine weiße Beschäftigung mit Rassismus zu verhindern und überholte Begriffe der Abwertung durch die Verdrehung ins Opfer-und-Märtyrerhafte im Sprachgebrauch zu halten – der Hartnäckigkeit von Teilen des deutschen Feuilletons sei Dank.

Nachtrag. Borrmann ist wegen Körperverletzung und rassistischer Beleidigung zu einer Geldstrafe in Höhe von 10.800 Euro verurteilt worden.

12 Kommentare

  1. Danke für den Beitrag. Nur kleiner technischer Hinweis: der Link zum SozBlog der DGS ist falsch, er führt tatsächlich zum Beitrag von Tom Uhlig in der konkret. Wäre toll, wenn Ihr das korrigiert.
    Danke!

  2. Wow, der ganze Komplex war mir bis hierhin nicht bekannt, danke für die Arbeit!
    Ich komme immer mehr zu der Erkenntnis, dass die Multikulti-Friedefreudeeierkuchen-Zeit, in der ich aufgewachsen bin, die Ausnahme war und nicht die Regel.
    Die Restauration ist in vollem Gange.

  3. Auf den Punkt-
    „Tom Uhlig schreibt in seiner Debatten-Rekonstruktion: […]
    Schleichend wird damit die völkisch rechte Ideologie mit Ressentiments des Bürgertums kommensurabel gemacht, denn dort steht man der Interessenpolitik von Migrant*innen, Jüdinnen und Juden oder LGBTIQ-Menschen schon lange skeptisch gegenüber.“

    Und da ist auch so etwas wie ein Hufeisen zu finden, welches tatsächlich keines ist, weil es gar keine Linken sind, die diese Neuauflage der Querfront betreiben.
    Weil Nationalisten nicht links sind, weil das Treten nach unten nicht links ist und das Hetzen gegen alles, dem eigenen Selbst Fremde, nicht.

    Die schwer verdauliche Wahrheit ist, dass auf Linkssein abonnierte Menschen manchmal schon rechts angekommen sind, ohne es zu merken. Gegen Atom, gegen das ( Groß ) Kapital, Antiamerikanistisch, gar pazifistisch … das und viel mehr kann mensch sein, ohne deshalb im geringsten links sein zu müssen.
    Im Augenblick ist vielleicht sogar das Gegenteil für viele viel einfacher.

    Und was liest mensch in so einem Fall besonders gerne, wenn nicht das, was zu einem spricht und das eigene Denken aufwertet?

  4. „was 2019 einigen zwar bekannt war, aber nicht veröffentlicht werden durfte“ Wem war denn die Verbindungen zwischen Koppetsch und Borrmann damals bekannt und wer hat die Veröffentlichung verboten?

  5. Vielen Dank für diese vorbildliche Recherche bzw. Synthese des bereits durch Andere Recherchierten. Wieder mal meine Übermedien-Unterstützung wert.

  6. @#4: „weil es gar keine Linken sind, die diese Neuauflage der Querfront betreiben. Weil Nationalisten nicht links sind, weil das Treten nach unten nicht links ist und das Hetzen gegen alles, dem eigenen Selbst Fremde, nicht.“

    Wenn ich das, was ich mache, aus der Überzeugung heraus, das richtige zu tun, mache, dann ist es mir herzlich egal, ob das für irgendwenn „links“ oder „rechts“ ist. Genauso wie es für mich irrelevant ist, welches dieser Label sich andere aufkleben oder aufgeklebt bekommen. Auch bei anderen bevorzuge ich Kategorien wie richtig (oder besser) und falsch (oder weniger gut).

    Ich nehme aber verblüfft zur Kenntnis, dass es offenbar Leute gibt, die sehr eifrig die korrekte Definition und Anwendung von „links“ und „rechts“ überwachen. Anscheinend hängt für diese Leute ein Stück der Persönlichkeit am „links“ oder „rechts“ sein dran.

    Abgesehen davon, dass mich das erstaunt, stört es mich nicht. Ich halte es aber für ineffektiv, über diese Labels anstatt über die dahinter stehenden Einstellungen zu debattieren.

  7. Hm,
    ich habe ernsthaft noch keinen Vertreter des „weder rechts, noch links“ Narrativs gesprochen oder gelesen, der nicht am Ende rechts war.
    Nach 3 Jahrzehnten Turbokapitalismus und der Zerstörung des Wohnungsmarktes der Metropolen durch massive Einflussnahme der großen Investmentkonzerne und Fondsmanager, nach Zerstörung bspw. der Bahninfrastruktur durch Teilprivatisierung und Rationalisierung, nach massiver Beschädigung der Gesundheitssysteme, der immer größer klaffenden Schere zwischen Arm und Reich, dem Rechtsruck allerorten und der Wiedersagbarkeit von bereits überwunden Geglaubtem, nach Pandemie und der Bestätigung, dass der Markt keine Krise kann, und bei all den Krisen die da kommen, gibt es für mich keine Alternative zu dem, was ich unter „Links“ subsummiere.
    Internationale Solidarität ist dabei ein unabdingbarer Hauptbestandteil, ebenso wie der Antifaschismus.
    Meine indifferente Phase hatte ich in den 80igern. Es ertrinken zehntausende im Mittelmeer und Hunderte Millionen, wenn nicht Milliarden, werden vom Klimawandel noch entwurzelt werden.

    Wenn Ihnen der Begriff „Links“ da nicht adäquat scheint, okay, ich kenne keinen besseren .

  8. @#8: „ich habe ernsthaft noch keinen Vertreter des ‚weder rechts, noch links‘ Narrativs gesprochen oder gelesen, der nicht am Ende rechts war.“ Mag sein, dass ich ein „Rechter“, „Recke“, „Nazi“, „Rassist“, Whatever bin. Damit kann ich leben. Nur weil mir jemand diese Begriffe an den Kopf wirft, werde ich meine Einstellungen kein bißchen ändern.

  9. @Bernhard:
    Ich schrieb „rechts“ und dass mir bislang noch niemand begegnet sei, bei dem es anders war. Und das finde ich tatsächlich interessant.
    Dennoch ist das natürlich keine empirisch gesicherte Erkenntnis, sondern anekdotische Evidenz.
    Von Maaßen hören wir gerade:
    „Natürlich bin ich nicht rechtsradikal, ich habe mich auch nie als RECHTS empfunden, ich bin NORMAL.“
    Dazu auch:
    https://uebermedien.de/36186/rechts-sein-aber-sich-nicht-rechts-nennen-lassen-wollen/

    Dennoch bleibt es anekdotische Evidenz.

  10. „Ich schreib mal auf, was mein Lebensgefährte und seine Freunde so denken.“
    Ach, hätte ich doch früher kapiert, wie erfolgreiches wissenschaftliches Arbeiten funktioniert.

    PS: Bin ich der einzige, der über einen Satz wie diesen grinsen muss?: „… nicht auf irgendeinem Dorf, sondern in Berlin-Mitte ungefragt ein weißer deutscher Mehrheits-Kai an den Tisch treten kann … “
    Als wäre Berlin nicht die Hauptstadt erbarmungsloser Hassprediger wie Wagenknecht und ihre rechten wie linken Gefolgschaft.

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