Endlose Pandemie?

„Berliner Zeitung“ verkauft alte Olaf-Scholz-Rede als neu

Olaf Scholz hat in dieser Woche beim Weltwirtschaftsforum in Davos gesprochen. Er hat der Ukraine „unbefristete deutsche Unterstützung“ zugesagt, vor allem aber über die Wirtschaft der Zukunft geredet und für Freihandel geworben. So oder so ähnlich stand es überall.

Außerdem scheint der Bundeskanzler auch ausführlich über das Thema Gesundheit gesprochen zu haben, über die Stärkung der Weltgesundheitsorganisation WHO und über die öffentliche Finanzierung von Pharmaunternehmen. Er soll gewarnt haben: „Die Pandemie ist noch nicht vorbei!“ Das stand aber so nur in der „Berliner Zeitung“.

Sie hat, um das vorwegzunehmen, ein paar Dinge durcheinandergebracht, konkret: die Davos-Rede von Scholz in diesem Jahr mit der Davos-Rede von Scholz im vergangenen Jahr.

Immerhin: Das Foto ist von diesem Jahr. Ausriss: „Berliner Zeitung“

Der Autor – kein geringerer als der Herausgeber des Blattes, Michael Maier – referiert in seinem Artikel zwar zunächst ein paar Aussagen Scholz‘ aus diesem Jahr, die er aber erkennbar nicht sehr interessant findet. Den Schwerpunkt seines Berichtes nehmen Scholz‘ vermeintliche Aussagen zur Gesundheitspolitik ein – die aber eben aus dem vergangenen Jahr stammen.

Maier leitet diesen Teil ein mit der schönen Stilblüte:

„Wirklich ausführlich wurde Scholz beim Thema ‚Gesundheitskrise‘, bei dem Deutschland offenbar eine globale Führungsrolle übernehmen will.“

Weiter berichtet er:

„Scholz sagte, dass die G7-Gesundheitsminister sich bei ihrem Treffen in der letzten Woche auf den Pact for Pandemic Readiness verständigt hätten.“

Das Treffen der G7-Gesundheitsminister, in dem sie sich auf den Pact for Pandemic Readiness verständigten, fand am 19. und 20. Mai 2022 statt. All das, was Maier in diesem Zusammenhang über Scholz‘ Rede referiert, ist entsprechend alt – und bekannt.

Corona ohne Ende?

Aus der Rede ragt ein Zitat heraus, das die „Berliner Zeitung“ auch als Überschrift gewählt hat: „Die Pandemie ist noch nicht vorbei“. Der Artikel zitiert Scholz weiter:

„‚Sie wird kein Ende finden, wenn wir den Kreislauf, dass immer neue Mutanten zu immer neuen Infektionen auslösen, nicht endlich durchbrechen.‘ Noch gäbe es ‚Lockdowns in China, nach wie vor hohe Infektionszahlen‘ und ‚neue Virus-Varianten‘.“

All das hat bekommt natürlich eine besondere Brisanz, wenn man fälschlicherweise davon ausgeht, dass Scholz es im Januar 2023 gesagt hat und nicht im Mai 2022. Es klingt, als wolle der Bundeskanzler sich um keinen Preis von der Pandemie und den damit verbundenen rechtlichen Einschränkungen verabschieden wollen, obwohl sehr viel dafür spricht, dass inzwischen eine endemische Phase erreicht ist.

Die Online-Fassung des Artikels fand entsprechend große Aufmerksamkeit und wurde in den sozialen Medien vielfach geteilt – mit entsprechend kritischen Kommentaren. Elke Bodderas, die für die „Welt“ viel über Corona berichtet, verbreitete ihn so:

Der zu abenteuerlichen Corona-Theorien neigende Finanzwissenschaftler Stefan Homburg interpretierte die (alten) Äußerungen von Scholz als das Ende der Demokratie:

AfD-Abgeordnete verlinkten den Artikel; Querdenker verbreiteten ihn oder Teile daraus auf ihren Telegram-Kanälen.

Späte Korrektur

Die „Berliner Zeitung“ hat den Artikel am Abend des 18. Januar online veröffentlicht. Auch am Morgen des 20. Januar stand er dort noch unverändert. Erst im Laufe dieses Tages wurde er korrigiert. Inzwischen lautet die Überschrift: „Scholz sagt Ukraine in Davos deutsche Unterstützung zu“.

Ein paar Sätze über die Gesundheitspolitik sind trotzdem noch dringeblieben, nun aber eingeleitet mit den Worten: „Im vergangenen Jahr hatte Bundeskanzler Olaf Scholz gesagt, die Pandemie sei noch nicht vorbei.“ Unter dem Artikel steht der Hinweis:

„Korrektur: In einer früheren Fassung dieses Artikels wurde auf Aussagen von Scholz zur Pandemie Bezug genommen, die der Bundeskanzler im Mai 2022 getätigt hatte. Die Darstellung war irreführend und wurde daher entfernt.“

Aber das alles befindet sich jetzt hinter einer Paywall.

Nachtrag, 21. Januar. Die „Berliner Zeitung“ hat die Paywall entfernt.

1 Kommentare

  1. Das Gute vom Schlechten: das ist doch ein schönes Studienobjekt, an dem sich der Weg der Informationsverbreitung verfolgen lässt.

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