Wochenschau (141)

Die Klimakrise als die Katastrophe denken, die sie ist – ohne apokalyptisch zu werden

„Eines Tages, vielleicht in nicht allzu ferner Zukunft, werden sich die Bewohner eines heißeren, gefährlicheren und biologisch schwächeren Planeten als dem, auf dem ich gelebt habe, fragen, was Sie und ich gedacht haben, oder ob wir überhaupt gedacht haben. […] Und während ich dieses Buch über Kohle, Erdöl, Erdgas und Atomenergie schreibe, tue ich mein Bestes, um die Welt, in der ich gelebt habe, so zu betrachten, wie sie in Zukunft sein wird – nämlich als sicher verschwunden. Dementsprechend kratzt dieses kleine Buch so vor sich hin, ohne Lösungen anzubieten. Es gab keine; wir kannten keine. Trotzdem ist es vielleicht nicht uninteressant zu erfahren, was in den Köpfen von Büffeljägern, Indigenenmördern, Kohlebergleuten, Autobahnfahrern, Hausbesitzern und Atomingenieuren vor sich ging.“

William T. Vollmann („Carbon Ideologies I: No Immediate Danger“)


„Wenn Ihre Wissenschaft Ihnen ein Ergebnis liefert, das Ihnen nicht gefällt, verabschieden Sie ein Gesetz, das besagt, dass das Ergebnis illegal ist“, sagte der amerikanische Moderator Stephen Colbert 2012 spöttisch in Richtung konservativer Gesetzgeber in North Carolina. Diese hatten, von Immobilieninteressen getrieben, einen Gesetzesentwurf vorangetrieben. Damit sollten Regierungsbehörden daran gehindert werden, aktuelle Prognosen von Forscher:innen bei der Ausarbeitung von Entwicklungsstrategien und -vorschriften für den örtlich nachweislich steigenden Meeresspiegel zu verwenden. Anders ausgedrückt: Das Denken an die eintretende Katastrophe wurde dort politisch einfach verboten.

Besonders betroffen von den Schäden durch den steigenden Wasserspiegel ist der US-Bezirk Tyrrell County in North Carolina, der zusammen mit Monroe County in Florida eine der Küstenregionen in den USA ist, die mit größter Wahrscheinlichkeit aufgrund der Folgen des Klimawandels überschwemmt wird. Nahezu die gesamte dort lebende Bevölkerung wohnt in Gebieten, die 2050 unter Wasser stehen werden. Die desaströsen Effekte sind jetzt schon sichtbar, das Seewasser sickert zunehmend in die Wälder nahe der Küste und erzeugt sogenannte Geisterwälder: Die Bäume sterben am Salzgehalt, zurück bleibt ein Meer toter Baumstämme. Und obwohl die Einwohner in Tyrrell County auf eine kontinuierliche, sichtbare und erfahrbare Art in diesem Moment betroffen sind, glauben nur knapp über 40 Prozent der dort lebenden Menschen daran, von der Klimakrise betroffen zu sein; und nur wenig mehr glauben daran, dass die Klimaerwärmung ihnen Schaden zufügen wird. Sie leugnen nicht die Klimakrise an sich – die große Mehrheit stimmt der Aussage zu, dass wir eine haben. Sie glauben nur nicht, dass sie ihnen widerfährt. Die Menschen können oder wollen sich die Katastrophe, die vor ihren Augen stattfindet, einfach nicht vorstellen.

Beim zivilgesellschaftlichen, medialen und politischen Umgang mit der Krise erinnere ich mich immer wieder an Tyrrell County und seine Geisterwälder. Natürlich gibt es etliche psychosoziale Gründe und Hebel, warum wir kognitiv das Katastrophendenken vermeiden: Selbstschutz, Verdrängung, Psychohygiene. Aber ich habe zudem den Eindruck, dass es eine Warnhemmung in der öffentlichen Verhandlung der Klimakrise gibt. Und während ich mich daran gewöhnt habe, dass im täglichen Schnurren des politischen Apparates eine Angst vor der ökologisch ernüchternden Zukunft ungern thematisiert wird (auch weil diese sich nicht an die Taktung von Tagesgeschehen und Wahlkampfphasen anpassen lässt), scheint mir auch im Medialen noch eine Angst vor der Klimakrisenangst zu existieren.

Es fällt entsprechend auf, wenn ein Text eben doch seine Hoffnungslosigkeit verhandelt, beispielsweise als der Spiegel-Autor Jonas Schaible in seinem Essay „Was, wenn die besten Jahre vorbei sind?“ ungeschönt feststellt, dass es jetzt erstmal schlechter werden wird – wenn das best case scenario eintritt:

„Das bedeutet, allgemeiner gesagt, dass die klimatisch besten Jahre vorbei sind. Das bedeutet wiederum, dass es auch ökonomisch und politisch womöglich nicht mehr besser wird. Dass es im Gegenteil sogar tendenziell schlechter wird, härter, chaotischer, krisenhafter, extremer, instabiler. Oder jedenfalls: Dass es sehr viel schwieriger wird, aufwändiger, komplizierter, den Umständen das gute Leben abzuringen. Und dass nur ein Extremereignis das Abgerungene umwerfen kann.“

Man liest, man schluckt, man drückt es weg – und reagiert also wie jemand, der an der Küste lebt und einen Geisterwald sieht, während Schaible einem quasi die toten Bäume zeigt. Er schreibt aber auch:

„Dies ist keine Untergangsprognose, kein Doomismus, kein Adventismus.“

Wie kann es der Berichterstattung gelingen, eine schmerzhafte Wahrheit zu vermitteln und die Zukunft mit ihrem möglichen Schrecken zu denken zu trauen, ohne sich des Apokalyptischen bezichtigen lassen zu müssen?

Eine traditionelle Strategie hierbei scheint, auch um sich von der aktivistischen Arbeit der Klimaprotestierenden abzugrenzen, die Flucht in die betonte Gelassenheit zu sein. Ballflachhaltenjournalimus, der „unaufgeregt“ und „besonnen“, „fernab der Klimahysterie“, dem Eifer, mit dem angeblich debattiert wird, Einhalt gebieten soll. Es stellt sich mir manchmal die Frage, bei aller Unaufgeregtheit, ob in Anbetracht der eigenen Wirkungslosigkeit die Rationalität oftmals eine gewisse Resignation verbirgt – was natürlich eine unfaire und auch unjournalistische Unterstellung wäre, denn dass es in der Klimakommunikation Vernunft und Sachlichkeit braucht, ist unbenommen. Wir brauchen sie schon alleine, um drei wiederkehrende Momente der Klimaberichterstattung zu verhindern bzw. zu beherrschen: die Angst, die kritische Mythologisierung, den Pessimismus.

Angstmachende Apokalyptik

Angst ist eine Emotion, die sich medial gut vergolden lässt. Dementsprechend besteht stets die berechtigte Befürchtung, dass diese Angst missbraucht wird. Wie verhält es sich aber mit Prognosen, deren Inhalt schlicht Entsetzen und Furcht auslösen werden? In diese Oberflächenspannung sticht immer wieder die Kritik des Panikmache durch Klimaberichte oder Klimaaktivismus. So las man in der „Bild“ kürzlich von Chefreporter Peter Tiede über „Luisa Neubauers perfide PR-Masche“:

„Erzählungen und Mobilisierungstaktik basieren im Kern auf zwei Pfeilern: Angst und Opferrolle.“

Was Tiede macht: berechtigte Angst durch den Vorwurf der Instrumentalisierung delegitimieren. Die Herausforderung im Schreiben und Denken über die Klimakrise bedingt doch aber, die Angst, welche die Reflexion über die Klimakrise hervorruft, journalistisch zu zähmen, die Affekte durch das Ernstnehmen der Warnungen zu domestizieren.

Kritische Mythologisierung

Mit dem Vorwurf, Angst um der Angst willen zu schüren, geht oftmals die Kritik einer mythischen, religiösen Aufladung einher. So erklärt Kolumnist Harald Martenstein im Gespräch mit „Welt“:

„Es geht da ja nicht nur um eine politische Frage, sondern auch um etwas, das die Leute wahnsinnig emotional anfasst, um einen fast religiösen Eifer. Die Klimabewegung hat in meinen Augen schon so ein bisschen was Religiöses, es gibt den Weltuntergang, es gibt die Sünder und Ketzer, es gibt die Heiligen, Greta zum Beispiel, das geht alles schon ein bisschen in die religiöse Richtung.“

Ich halte das nicht mal für einen willentlich Bad-Faith-Take, etwas Transzendentales liegt zwangssläufig in der Auseinandersetzung mit Klimakrise: Wir sprechen über das Fortkommen der Menschheit und der unvermeidlichen Veränderung der Welt wie wir sie heute kennen. Die Warnung vor einer furchteinflößenden, abstrakten Zukunft, Warnungen, die mit einer Verschlechterung all unserer Lebensumstände einhergehen, aktivieren existenzielle und moralische Ängste, die wir in den Vorwurf an den Boten und Kritik am Apokalyptischen Ton übersetzen.

„Bild“-Chefreporter Peter Tiede zitiert in seiner Analyse der Klimakommunikation von Luisa Neubauer Psychotherapeut und Religionspsychologe Michael Utsch, der der Klimabewegung „sektenhafte Züge“ attestiert. Es würden „apokalyptische Endzeitängste“ geschürt. Tiede selbst erklärt:

„Die Untergangs-Fetischisten bieten dagegen ihr Heilsversprechen des brutalen Verzichtes. Eine der Gurvis (weiblicher Guru): Sie. Das Gendersternchen der Klimadebatte: unglaublich ‚woke‘ – eben eine Erweckte. Ihre Bestimmung.“

Die Ironie will, dass der Klimabewegung und den Klimajournalist:innen Religiosität und Dogmatismus vorgeworfen wird, dabei sind die ständig sich wiederholenden Vorwürfe den Warnenden gegenüber im Grunde Permutationen der sieben Todsünden: Sie seien hochmütig, anzunehmen sie wüssten alles besser, habgierig auf der Suche nach Aufmerksamkeit und Ruhm, zornig gegen die freie Gesellschaft, Kunst und Einsatzkräfte, maßlos in ihren Umstrukturierungsempfehlungen und angeblichen Verzichts-Forderungen, neidisch auf die Unbekümmertheit aufrichter Hedonisten, ignorant, was ihr behauptetes Wissen über die Zukunft angeht.

Spätestens seit ich das (übrigens sehr lustige und interessante) Interview der „Zeit“ mit einem echten Franziskanermönch las, der über den falschen Franziskanermönch bei den Protesten in Lützerath sprach, scheint mir die religiöse Aufladung der Klimakrise unübertroffen. In dem Austausch zwischen Bruder Markus und Interviewer Kilian Trotier geht es um Parallelen zwischen dem Klimamönch, „Jesus, der über das Wasser läuft“ und „im Tempel auch ordentlich gewütet“ habe und den heiligen Franziskus, „dem (…) es auch um die Schöpfung“ geht.

Der echte Mönch Bruder Markus sagt über den „Clima Mud Wizard“:

„Seine Aktion kann man schon anbinden an die Bibel, denn auch Jesus protestiert gegen eine Gesellschaftsform, gegen eine bestimmte Denke. In Lützerath geht es ja um etwas Unrealistisches: Politisch ist das ausverhandelt, es gibt rechtssichere Gerichtsurteile. Aber man kann trotzdem mit Recht sagen: Wir machen unseren Protest gegen den Klimawandel daran fest. Wir setzen etwas gegen die Sachzwänge, nämlich eine höhere Wahrheit.“

Das ist ein sehr interessanter Satz, da er unser nach wie vor bestehendes Denken über die Klimakrise offenlegt als Vorstellung des Kampfes gegen den Klimawandel als transzendentale, höhere Mission und eben nicht als Sachzwang, den dieser Kampf sehr praktisch darstellt.

Pessimismus

Das Dilemma der journalistischen Klimakommunikation ist, dass sie in Anbetracht der wissenschaftlichen Faktenlage einen gewissen Pessimismus walten lassen muss, um ehrlich in der Abbildung zu sein. Der Philosoph Eugene Thacker beschreibt zwei Arten von Pessimismus: „Das Ende ist nah“ und „Wird es nie enden?“ und beantwortet die Frage, welcher der beiden besser sein soll folgendermaßen:

„Keine von beiden wird uns helfen oder uns trösten oder uns sagen, wie wir leben sollen. Vielleicht weichen die alten existenziellen Sorgen über die Sterblichkeit und die Angst vor dem Tod einer neuen Art von Sorgen: der Angst vor dem Leben. Vielleicht leben nicht wir, sondern das Leben lebt uns.“ Übersetzung von uns

Das düstere Denken, die vermeintliche Vergeblichkeit des Handelns, die aus solch einem Pessimismus zu folgen scheint, ist gewissermaßen das Gegenteil des journalistischen Auftrags, dem Publikum eine Emanzipation durch Wissen über die Wirklichkeit und selbstbestimmtes Handeln zu erlauben. Gleichermaßen müsste aber Journalismus, um seiner Chronistenpflicht und Wahrhaftigkeit in der Abbildung nachzukommen, pessimistischer sein. Vielleicht muss er sich diskursiv dorthin wagen, wo auch Thacker das Nachdenken über die Klimakrise verortet:

„Irgendwo zwischen einer Philosophie und einer schlechten Einstellung, irgendwo zwischen dem Axiom und dem Seufzer.“

Zugleich braucht es publizistisch aber ebenso eine Aussicht auf Verbesserung, das Prinzip Hoffnung und einen wohltemperierten Optimismus, um eine Klimakrisenberichterstattung nicht einer eigenen Sinnlosigkeit zu überführen – denn was brächte das Warnen der Menschen vor schlechten Entwicklungen, wenn nicht auch der Wunsch wäre, dass es durch die Berichterstattung besser werden kann?

Der deutsch-östereichische Philosoph und Schriftsteller Günther Anders hat einen interessanten Begriff, eigentlich zwei, entwickelt, die ich gerne nutzen möchte um der journalistischen Betrachtung der Katastrophe näher zu kommen: Er etabliert die Idee der „Apokalypse-Blindheit“, die uns verbunden mit einer „prometheischen Scham“ daran hindert, das Ausmaß einer Weltzerstörung überhaupt vorstellen zu wollen oder zu können.

Die „prometheische Scham“ beschreibt hierbei die Scheu vor der Demütigung, die wir empfinden, wenn wir durch unsere eigene Schöpfung sabotiert werden könnten. Es ist der „Selbstbetrug“, dem wir nachhängen, wenn wir glauben, dass wir Kontrolle über die von uns entwickelte Technologie behalten können.

Anders entwickelte seine Idee der apokalyptischen Blindheit im Atomzeitalter, um unsere Wahrnehmungslücke in Bezug auf die möglichen negative Auswirkungen von Technologien (die das Potenzial haben, die Existenz der Menschheit und des Planeten zu bedrohen) zu beschreiben. Ihn beschäftigte die Frage, was die Menschheit daran hinderte, die atomare Situation angemessen wahrzunehmen, und mehr noch trieb ihn um: Warum klammert sie sich an die Verharmlosung der Gefahr? Seine Antwort darauf ist, dass wir aus prometheischen Scham keine Angst vor unserem eigenen Schaffen zulassen können, was einen überzogenen Optimismus in Bezug auf das, was wir technisch alle in der Lage sind zu leisten, bedingt.

Die Angst vor dem Negativen wird unterdrückt von einem unverhältnismäßigen Optimismus in Bezug auf unsere Kontrolle über unsere Technik, es ist der unverbrüchliche Glaube an die Innovation. Sie bewirkt, dass wir nicht objektiv auf das blicken, was eine zukünftige Gefahr darstellt: Apokalypse-Blindheit. Der Philosoph schlägt vor, sich zu trauen, sich ein Ende der Zeit vorzustellen, um „die Fähigkeit zur Angst” zu erhöhen, sie zuzulassen, um uns zu ermöglichen, die Auswirkungen unseres Handelns zu reflektieren.

„Ich habe vor dem weißen Papier gesessen und versucht, über die Ungeheuerlichkeit zu schreiben, und fand nicht die Worte. Und konnte mir auch das, worüber ich schreiben wollte, nicht vorstellen“, schreibt Günther Anders, „und da habe ich einen philosophischen Trick angewandt und habe gesagt: Die Tatsache, daß ich das nicht kann, ist vielleicht das Schreckliche.“

Katastrophale Gedanken denken

Ein rationaler Umgang mit der Klimakrise wäre also vielleicht, paradoxerweise: das Gefühl der Angst zuzulassen und sich so zu erlauben, die Katastrophe als Katastrophe, die sie ist, zu denken. Gerade und insbesondere in einer Übergangsphase von petroler Gewohnheit zu fossilem Entsetzen scheint für viele bereits das Infragestellen eines Systems, das lange für einen Teil der Menschheit komfortabel war, die innere Krise, die offenbar nicht nur prometheische Scham sondern prometheische Panik auslöst. Und ja: Jede pessimistische Prognose ist zugleich auch indirekt eine Klage, über das, was man früher fälschlicherweise für richtig heilt. Die Angst vor der Zukunft zuzulassen bedeutet also auch, die Fehler der Vergangenheit eingestehen zu müssen. Auch das ist ein Grund der Abwehr und Ablehnung gegenüber den Boten dieses Unbehagens – Klimajournalist:innen, Wissenschaftler:innen, Aktivits:innen – gegenüber. Im Grunde müssen wir also die Angst vor zwei Krisen begreifen lernen, die vor der Zukunft und die vor dem Zerbrechen eigener Gewissheiten.

Die Psychoanalytikerin Susan Kassouf nähert sich dieser Notwendigkeit „katastrophale Gedanken zu denken“ mit der Psychoanalyse und der Traumaforschung. In ihrer Arbeit „Katastrophale Gedanken denken: eine traumatisierte Sensibilität auf einem heißeren Planeten“ reflektiert sie unseren Umgang mit unserer Angst und stellt eine wesentliche Frage: Können wir – in Reaktion auf eine sich vor unseren Augen gewaltsam umstrukturierende Wirklichkeit – unser Denken umstellen?

Sie bejaht diese Frage und kommt über die Psychoanalyse zum selben Ergebnis wie Anders in seiner Philosophie: die Angst vor Katastrophe zuzulassen hilft uns dabei, einen Weg gegen diese zu prozessieren:

„Ich schlage vor, dass die Entwicklung unserer Fähigkeit, katastrophale Gedanken zu denken, es uns ermöglichen kann, sinnvollen Kontakt mit diesen sich entwickelnden Realitäten aufzunehmen, was es uns ermöglicht, Gedanken in längst überfällige Handlungen umzusetzen und Veränderungen in der Welt vorzunehmen.“

Auf keinen Fall den Marshmallow essen

Der Klimajournalismus hat also nicht nur die undankbare Aufgabe ungeschönt über das Kommende aufzuklären, sondern muss auch noch, ob er will oder nicht, Stütze und mediale Orientierung sein bei der Bewältigung dieser – in Kassoufs Sinne traumatischen – Übergangsphase, während er für den Schmerz, den er durch seine Aufklärung zwangsläufig erzeugt, kritisiert wird. Der „Spiegel“-Autor Schaible beschreibt in seinem Essay die Beschaffenheit dieser hybriden Wirklichkeit:

„Wie orientiert sich eine Gemeinschaft, die weder der Apokalypse entgegensieht noch der goldenen Zukunft, sondern der stetigen Erosion? [Klimakrisentheoretiker] Alex Steffen hat immerhin ein Wort für diesen Zustand. Transapokalyptisch. Das ist noch kein Umgang damit, aber immerhin ein Begriff.“

Und anstatt die Auseinandersetzung mit der ernüchternden Zukunft und der Angst vor der Katastrophe zu pathologisieren, so erklärt es Kassouf, sollen wir ihre Kultivierung in Betracht ziehen, „da es uns erlauben kann, die Realität des Zusammenbruchs des Klimas und der ökologischen Systeme zu verarbeiten und danach zu handeln.“

Diese Wachstumsschmerzen einer Wirklichkeitskonfrontation gilt es zu spüren. Denn, so sagte es Anders: Was alle treffen kann, das betrifft uns alle. Vielleicht brauchen wir also auch eine Berichterstattung des Transapokalyptischen. Eine Kombination aus Bewusstseinsschaffung durch Warnung, Politisierung durch Kritik und Hoffnung durch Alternativen. Wie Schaible schreibt, geht es jetzt darum, nicht mehr nur den metaphorischen Marshmallow jetzt nicht zu essen, damit wir später zwei haben, sondern jetzt „den Marshmallow nicht zu essen, um in Zukunft nicht auch noch Brot und Wasser entrissen zu bekommen.“

„Wir dachten keinesfalls, dass Bücher die Welt retten könnten; hingegen hielten wir sie für das einzige Mittel, um nicht vor ihr davonzulaufen“ schreibt Mohamed Mbougar Sarr in seinem Roman „Die geheimste Erinnerung der Menschen.“ Genau so würde ich es mit dem Klima-Journalismus halten. Wir müssen rein in die Geisterwälder.

3 Kommentare

  1. Bezüglich der konservativen Gesetzgeber in North Carolina vom Jahr 2012 und allen Konservativen, die nach dem Jahr 2012 wirklichkeitsleugnende Gesetze verabschiedet haben, um der Wirtschaft zu gefalllen und um blos keine auch disruptive neue Technologieentwicklung in die Wege leiten zu müssen.
    Ich finde, man sollte das „Konservativ“ in diesem Fall in Anführungszeichen setzen, da das Wort „Konservativ“ eigentlich aus dem Latein stammt „conservare“ eben etwas zu bewahren.
    Mit dem Gesetz der „Konservativen“ aus North Carolina aus dem Jahr 2012 haben diese „feinen Herren“ Politiker etwas zur Zerstörung des Lebens beigetragen.

  2. Starker Text. Ich würde aber die „Transapokalyptische Berichterstattung“, die die Autorin fordert („Kombination aus Bewusstseinsschaffung durch Warnung, Politisierung durch Kritik und Hoffnung durch Alternativen“), etwas anders nennen, nämlich „Transformativen Journalismus“ (Kombi aus: Wissenschaftsjournalismus über Umweltveränderungen, kritisch-investigativem Journalismus über die Dysfunktionen etablierter sozio-technischer Systeme & Konstruktivem Journalismus über öko-soziale Innovationen). Macht sich wahrscheinlich besser in künftigen medienpolitischen Debatten.

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