„Zur Sache“, „Freda“ und Co.

Für jedes Weltbild ein Portal: Wie Österreichs Parteien ihre eigenen Medien erschaffen

Der 12. Dezember 2022 war kein guter Tag für den österreichischen Bundeskanzler Karl Nehammer von der konservativen ÖVP. Der Rechnungshof, der in Österreich die Parteifinanzen prüft, verdächtigte die Partei öffentlich, die Obergrenze für Wahlkampfkosten von sieben Millionen Euro im Nationalratswahlkampf 2019 überschritten zu haben. Sollte sich dieser Verdacht bestätigen, drohen den Konservativen Strafzahlungen und – womöglich noch schlimmer – ein gewaltiges PR-Debakel. Denn Wahlkampfmanager war damals ausgerechnet der heutige Bundeskanzler: Karl Nehammer.

Immerhin gibt es im Internet einen Ort, an dem ÖVP-Anhänger ein tröstlicheres Bild vermittelt bekommen, ja, eine Art Parallelrealität: den Blog „Zur Sache“. Der titelt ganz überraschend: „Einhaltung der Wahlkampfkosten bestätigt“. Die ÖVP habe die Obergrenze der Wahlkampfkosten „deutlich“ unterschritten, wird einer der Parteimanager zitiert. Es gebe zwar noch „offene Rechtsfragen“, die Angelegenheit werde auch noch „letztgültig“ geprüft, aber die „Rechtsansicht der ÖVP sei jedenfalls klar“: Alles in Ordnung.

Wie kann das sein?

Übersichtsseite des Blogs „Zur Sache“ Screenshot: zur-sache.at

„Zur Sache“ wirkt auf den ersten Blick wie ein klassisches Medienprodukt, mit Claus Reitan ist auch ein langjähriger Journalist an Bord. Im Impressum aber steht, dass hinter „Zur Sache“ die ÖVP-Fraktion im Parlament steckt. Das erklärt die augenfällige Schlagseite der Beiträge. „Zur Sache“ steht damit beispielhaft für einen Trend am österreichischen Medienmarkt: Inzwischen betreibt jede Parlamentspartei solche Plattformen in eigener Sache.

Die alten Parteizeitungen

Neu ist die Strategie nicht, eigene Botschaften direkt an die Wähler zu bringen. Medien mit Parteinähe – oder im Parteieigentum – galten aber eigentlich als Relikt des 20. Jahrhunderts, als gedruckte Parteizeitungen in Österreich weit verbreitet waren. Die SPÖ, zum Beispiel, gab einst ihre „Arbeiter-Zeitung“ heraus, die zur besten Zeit eine Auflage von 300.000 Stück erzielte. Doch die Parteibindung der Bevölkerung ließ nach, ein Parteimedium nach dem anderen gab auf. Nun erleben sie im Netz eine Renaissance.

Kommunikationswissenschafter Josef Trappel von der Universität Salzburg, der seit Jahren zu dem Thema forscht, erklärt das auch mit finanziellen Gründen: „Für die Arbeiter-Zeitung musste man die Redaktion, den Druck und einen großen Apparat finanzieren. Heute geht es online viel kostengünstiger“, sagt er. Als die ersten Parteien mit ihren Online-Projekten begannen, zogen die restlichen nach: „Am Ende ging es auch darum: Wenn alle anderen ein Medium haben, machen wir es auch“, sagt Trappel. Und seit diesem Herbst sind alle Parteien mit Online-Plattformen vertreten.

Einziger Überlebender am Print-Markt ist das „Neue Volksblatt“, eine Tageszeitung im Eigentum der Oberösterreichischen ÖVP. Die Zeitung steht regelmäßig in der Kritik, weil sie besonders stark von Inseraten des Landes Oberösterreich und seiner landeseigenen Unternehmen profitiert. Und das, obwohl das Parteiblatt nur eine geringe Auflage hat. Der ehemalige Landeshauptmann im Bundesland, Josef Pühringer von der ÖVP, verglich ein Inserat auch indirekt mit einer Parteispende. Vor knapp zehn Jahren schon sagte er: „Wer uns unterstützen will, kann im ,Volksblatt‘ inserieren.“

Das kleine Medienimperium der FPÖ

Das Problem der neuen digitalen Parteien-Portale: Dass nicht immer gleich ersichtlich ist, wer dahintersteckt. Und im schlechtesten Fall wird das Publikum dort getäuscht und die öffentliche Debatte mit irreführenden Behauptungen beeinflusst – was eine Partei schon länger professionalisiert hat.

Die rechtspopulistische FPÖ hat sich über die Jahre ein kleines Medienimperium geschaffen. Das Flagship ist der Sender FPÖ-TV mit Video-Beiträgen auf YouTube und Facebook, etwa: „Jetzt bewiesen: Karl Nehammer ist ein Schummel-Kanzler!” – was noch einer der freundlicheren Beiträge ist. Lieblingsthema der FPÖ ist bekanntlich das Thema Zuwanderung und Asyl.

FPÖ-TV auf Youtube Screenshot: youtube.com/fpoetv

Die reichweitenstärksten Beiträge von FPÖ-TV wurden, auch unterstützt durch Werbung, bis zu eine Million Mal angeklickt – ein beachtlicher Wert in einem Land mit nur neun Millionen Einwohnern. Keine andere Partei in Österreich kommt derzeit mit Bewegtbild an die FPÖ heran. Ein Grund dafür ist auch: In den Reihen der FPÖ findet sich auch ein früherer Redakteur des öffentlich-rechtlichen ORF. Er brachte sein Know-how beim Aufbau des Parteisenders ein, der bereits seit zehn Jahren existiert.

Zum Jubiläum neulich gratulierte FPÖ-Parteichef Herbert Kickl: „Die Mädels und Burschen, die bei uns arbeiten, sind ganz wichtig für uns“. FPÖ-TV sei „ein maßgeblicher Erfolgsfaktor für unsere politische Arbeit, weil wir rasch und ungefiltert unsere eigenen Positionen nach draußen bringen können“. Und nicht immer nimmt es FPÖ-TV mit der Wahrheit so genau: Ein Video über Flüchtende, die laut dem Parteimedium „im Jahr 2022“ die österreichische Grenze stürmten, enttarnten Faktenchecker als Täuschung. Die Bilder stammen aus dem Jahr 2015 und wurden einfach als aktuell verkauft. Die FPÖ entschuldigte sich später und sprach von einem „Fehler“.

„Populistische Parteien wollen ihren Anhängerinnen und Anhängern ihre eigene Interpretation der Welt mitgeben“, sagt Kommunikationswissenschafter Trappel. „Das funktioniert nicht, wenn man auf kritischen Journalismus angewiesen ist. Mit den eigenen Parteimedien aber sehr wohl.“

Endzeitstimmung bei AUF1

In den vergangenen Jahren sind im Umfeld der FPÖ gleich mehrere Digitalmedien entstanden, die zwar nicht direkt im Parteieigentum stehen, aber eindeutig FPÖ-freundlich berichten. Der Onlinesender AUF1 ist so ein Fall. FPÖ-Politiker wie Kickl werden von dem Sender mit unkritischen Fragen in ein gutes Licht gerückt. Wenn die Justiz gegen FPÖ-Politiker vorgeht, behauptet AUF1 ohne Belege, dass es Österreichs Ermittler bevorzugt auf Oppositionelle abgesehen hätten. Aktuell beschwört AUF1 in seinen Headlines die Apokalypse: „Die Welt steht vor dem Untergang“, heißt es dort, und dass das „Ende der Menschheit“ bevorstehe. Wer das glaubt, denkt wahrscheinlich auch, dass AUF1 den „tödlichen Plan“ der Eliten „durchschaut“ hat.

Die Endzeitstimmung ist für AUF1 auch ein Geschäftsmodell. Von den Videos ist es nur ein Klick in den AUF1-Shop, in dem Notstromaggregate und Dosennahrung angeboten werden. Als „Krisenvorsorge“.

Übersichtsseite des AUF1-Shops, Kategorie Krisenvorsorge, unter anderem mit Notfallradio
Geschäftsmodell Krise Screenshot: auf1.shop

Hinter AUF1 steckt ein Mann namens Stefan Magnet. Er betreibt hauptberuflich eine Werbeagentur und produzierte im Auftrag der FPÖ Wahlkampf-Videos. Sozialisiert wurde Magnet im rechtsextremen Bund freier Jugend (BfJ), bei einer Veranstaltung trat er gemeinsam mit dem österreichischen Neonazi Gottfried Küssel auf. Weil das blaue AUF1-Logo frappierend an jenes der deutschen ARD erinnert, geht der öffentlich-rechtliche Sender derzeit gerichtlich gegen das Alternativmedium vor. Magnets Deutung das markenrechtlichen Verfahrens: „Sie wollen AUF1 umbringen“.

Der „Wochenblick“ ist Geschichte

Auch das altbekannte Internet-Portal „unzensuriert“ kann man gefahrlos als FPÖ-nah bezeichnen. Wie auch den „Wochenblick“. Seit 2016 macht er mit rechtspopulistischen Artikeln und Verschwörungsmythen Reichweite, auch in Deutschland. Zum Start damals gab es Artikel, die Angst vor Einwanderern schürten, und Pfeffer-Spray für Neu-Leser als Abo-Beigabe. Das Angebot fand schnell ein geneigtes Publikum. Inseriert hat häufig die FPÖ.

Doch nun macht der „Wochenblick“ überraschend dicht. Wie Geschäftsführer Norbert Geroldinger vorige Woche mitteilte, stellt der „Wochenblick“ seinen Betrieb ein, noch in diesem Monat. Warum genau, ist nicht ganz klar. „Eine neuerliche Prüfung und Beurteilung der wirtschaftlichen Situation hat ergeben“, schreibt Geroldinger, „dass der Betrieb nicht länger haltbar ist“. Es war immer darüber spekuliert worden, dass die FPÖ Oberösterreich das Blatt und seinen angeschlossenen Youtube-Kanal querfinanziert.

Schlagzeilen mit Schlagseite dürfen sich Leserinnen und Leser auch auf der Website „Neue Zeit“ erwarten, aber aus einer anderen politischen Richtung. Hinter der „Neuen Zeit“ steckt eine Werbeagentur, die mehrheitlich der sozialdemokratischen SPÖ gehört. Alleine in den vergangenen 90 Tagen investierte das Medium mehr als 14.000 Euro in Facebook-Werbung, um seine Beiträge zu pushen. Beworben werden dort vor allem negative Artikel, die gegen die politische Konkurrenz agitieren.

Relevant nur am Rand

Parteimedien wie die „Neue Zeit“ berichten nicht zwingend falsch, sie übertrieben aber gerne oder lassen relevante Informationen weg, wenn sie nicht in ihre Agenda passen. Kurz vor der Landtagswahl in Oberösterreich im vergangenen Jahr vermeldete das Parteiportal, dass die SPÖ laut einer Umfrage den Sprung von Platz drei auf Platz zwei schaffen und damit die rechte FPÖ überholen würde. Was die „Neue Zeit“ nicht erwähnte: Die Umfrage war im Auftrag der SPÖ-Landespartei erstellt worden. Wichtiger Kontext, den andere Medien selbstverständlich erwähnten. Bei der Wahl landete die SPÖ dann übrigens auf dem dritten Rang.

Startseite des österreichischen SPÖ-Magazins "Kontrast"
Magazin „Kontrast“ der SPÖ Screenshot: kontrast.at

Während Leserinnen und Leser bei manchen dieser Medien erst suchen müssen, wer es betreibt, steht es bei „Kontrast“ gleich ganz oben, auf der Seite „Über uns“. Dort deklariert sich das Portal als „sozialdemokratisches Magazin“, weiter unten im Impressum steht: „Produziert wird dieses Magazin von MitarbeiterInnen des SPÖ-Parlamentsklubs“. Man informiere sich „bei ExpertInnen und BloggerInnen“ und durchforste „internationale Beiträge und Studien“. Daneben versuche man „Formen des ‚kollaborativen Journalismus‘ zu entwickeln“. Die Berichterstattung aber ist erwartbar einseitig.

Ein zugespitzter Artikel von „Kontrast“ löste beispielsweise eine internationale Falschmeldung aus: „Finnlands Premierministerin Marin will 4-Tage-Woche und 6-Stunden-Tag“, titelte das Portal im Dezember 2019 – also kurz nachdem Sanna Marin Regierungschefin wurde. Über Umwege übernahm auch der Deutschlandfunk die Nachricht, korrigierte sie aber später. Unter dem Titel „Eine Nachricht, die keine war“ schrieb die Redaktion: „Wir müssen selbstkritisch einräumen: Bei genauem Lesen hätten wir, hätten alle Berichtenden natürlich hellhörig werden können.“

Denn „Kontrast“ schrieb zwar, dass Marin über das Thema auf einer Feier zum 120. Jubiläum gesprochen hatte. Aber das war vor ihrer Amtszeit. Und niemand hatte mal nachgefragt, ob sie diesen Plan auch in Regierungsverantwortung weiter verfolge. Auf Twitter dementierte die finnische Regierung die Meldung: Das Thema befinde sich derzeit nicht auf der Agenda.

Die grüne „Freda“

Die letzte österreichische Partei, die ihr eigenes Medium startete, waren die Grünen. Sie schufen, von der Öffentlichkeit erstaunlich unbeobachtet, das „Freda-Magazin“, das einen „sozial-ökologischen Blick auf die Politik und ihre Prozesse“ werfen will. Ziel sei „die Bildung sowie die Politisierung der Bürger*innen im Sinne einer aktiven Beteiligung am politischen Leben und die Stärkung ihrer Selbstwirksamkeit für Klimaschutz, Demokratie und Menschenrechte.“ Einen Objektivitätsanspruch stellt Obfrau Michaela Sburny aus dem „Freda“-Vorstand nicht. Aber sie sagt: „Wir wollen unsere Inhalte evidenzbasiert darlegen.“ „Freda“ soll betont unaufgeregt sein.

Startseite des österreichischen Magazins der NEOS namens "Materie"
Liberale NEOS-„Materie“ Screenshot: materie.at

Das hat sich auch das Team des zweitjüngsten Medienprojekts vorgenommen: „Materie“ ist die Onlineplattform der liberalen NEOS. Seit Sommer hat die Schwesterpartei der FDP eine eigene Plattform. Ihr Chef, Stefan Schett, möchte ein seriöses Produkt mit belegten und nachvollziehbaren Fakten produzieren, sagt er – aber immer aus liberaler Perspektive.

Er selbst sei seit Jahren Parteimitglied, sagt Schett. „Die Blattlinie ist es, den liberalen Diskurs zu fördern.“ Die Zielgruppe sei dabei bewusst breit angelegt. Im Idealfall schaffe man es auch, Menschen, die die Partei nicht wählen, die eigene Argumentationslinie nahezulegen. Für Parteimedien wie dieses gebe es „einen legitimen Platz im politischen Diskurs“, findet Schett.

„Das ist kein schlechter Journalismus, das ist gar kein Journalismus“, sagt der österreichische Professor für Medien- und Kommunikationswissenschaft Matthias Karmasin über die digitale Parteipresse. Die Medien seien „affirmativ und nicht diskursiv“, das unterscheide sie von Zeitungen und Magazinen, die nach politischer und wirtschaftlicher Unabhängigkeit trachten. „Wochenblick“, „Kontrast“ und Co. klassifiziert der Experte schlicht als „Public Relations“.

Finanziert werden die Medien mit Geld, das die Parteien für ihre Fraktionsarbeit bekommen. „Klubförderung“ nennt sich das in Österreich, sie soll für die Arbeit der Fraktionen im Parlament aufgewendet werden. Sie müssen dafür also nicht die Gelder der Partei ausgeben. Streng genommen gehören die Medienprojekte deswegen der jeweiligen Fraktion – und sollen sich auch mit Themen der Fraktion beschäftigen. Lediglich die Grünen haben die Finanzierung anders organisiert. „Freda“ gehört zur Parteiakademie, die alle Fraktionen zusammen zur „staatsbürgerlichen Bildungsarbeit“ betreiben. Die Arbeit der Plattform muss also auch zu den Vorgaben passen.

Wie viel öffentliches Steuergeld genau in die Parteimedien fließt, ist allerdings nicht bekannt. Die Fraktionen müssen es nicht angeben. Nur die NEOS machen ihr Budget öffentlich: Jährlich sind für „Materie“ 54.000 Euro vorgesehen. Damit bezahlt der Parlamentsklub unter anderem Honorare für externe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Werbung auf Social Media und Podcast-Produktionen. Für die drei Angestellten fallen zusätzlich insgesamt bis zu 9.000 Euro brutto im Monat an. Auch die grüne Bildungswerkstatt teilt auf Nachfrage das Budget mit: Für Sachkosten und Personal sind es in diesem Jahr 200.000 Euro, 2023 werden es vermutlich 270.000 Euro sein.

Ist das – auch aus Wählersicht – gut investiert? PR sei legitim, sagt Kommunikationswissenschafter Karmasin. Man könne über eine „Offenlegungspflicht“ nachdenken. „Man könnte aber auch darüber nachdenken, im Parteiengesetz festzuschreiben, dass solche Medien als PR zu klassifizieren sind – und dass der österreichische PR-Ethikrat für sie zuständig ist.“ Das Gremium soll fragwürdige Werbeaktivitäten identifizieren.

Und so lange es diese Zuständigkeit nicht gibt, sei es wichtig, dass Leserinnen und Leser über ausreichend Medienkompetenz verfügen, um die PR zu durchschauen. Andererseits suchten die Leser dieser Portale oft nach Bestätigung für ihr Weltbild. Und das finden sie dort ja dann auch.

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