Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wird heute gestreikt. Die Gewerkschaften Verdi und der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) haben dazu aufgerufen, da die Tarifverhandlungen mit den ARD-Anstalten „festgefahren“ seien. Mitarbeiter*innen verschiedener Sender legten deshalb am Morgen ihre Arbeit nieder, zum Beispiel beim WDR und auch beim Deutschlandradio – obwohl Mitarbeiter*innen dort noch am Dienstag von einem leitenden Angestellten darauf hingewiesen wurden, das mit dem Streik „in diesen Zeiten“ vielleicht besser noch mal zu überdenken.
Stephan Detjen ist Chefkorrespondent des Senders, er leitet das Hauptstadtbüro. In einer Mail über einen großen Verteiler bittet er die „lieben Kolleginnen, lieben Kollegen“, ihm einen „kollegialen, persönlichen Gedanken zu den Streikaufrufen gegen unsere Programme“ zu erlauben. Das Streikrecht sei „ein Grundrecht“, schreibt Detjen, „und ich achte es so hoch wie alle Grundrechte. Jede und jeder muss frei sein, davon Gebrauch zu machen“.
Und dann kommt das Aber:
„Aber das Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG gilt auch negativ, d.h. als gleichrangige Freiheit, einem gewerkschaftlichen Streikaufruf nicht zu folgen, dies auch zu begründen oder einen Streikaufruf in Frage zu stellen.“
Er selbst werde nicht streiken, schreibt Detjen, „weil ich es grundsätzlich, ganz besonders aber in diesen Zeiten für falsch halte, öffentlich-rechtliche Rundfunkprogramme durch Streiks einzuschränken oder gar zu beschädigen“. Es sei „unser Anspruch, führende und für unsere Gesellschaft existentiell bedeutsame Informations- und Kulturprogramme zu produzieren“. Diese Aufgabe als Journalistinnen und Journalisten leite sich aus einem Verfassungsauftrag ab. „Dafür sind wir in privilegierter Weise mit Mitteln ausgestattet, die durch hohe Beiträge von der Allgemeinheit finanziert werden.“
Massagesitze und Streik in einem Atemzug
Detjen sorgt sich um das Ansehen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: Jeder könne sich selbst ausmalen, „welche Wirkungen dieser Streik in der gegenwärtigen Debatte über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk hat“. Mit Verweis auf „Entlassungs- und Einsparwellen“ bei Zeitungen, „von deren Härte wir keinerlei eigene Vorstellung haben“, schreibt der festangestellte Chefkorrespondent:
„Niemand sollte sich wundern, wenn unsere Kritiker und Gegner den […] Streik in unseren Redaktionen künftig in einem Atemzug mit Intendantengehältern, 7er BMWs und Massagesitzen nennen.“
Auch den Zeitpunkt des Streiks findet Detjen falsch:
„Derweil ist Krieg in Europa, Klimakonferenz in Ägypten, in den USA findet heute Nacht eine Wahl mit möglicherweise historischen Nachwirkungen statt – und wir sollen morgen nicht mit allen unseren Mitteln, Kompetenzen und Ressourcen darüber informieren?“
Er könne das mit seinem „Selbstverständnis als Journalist im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht vereinbaren“.
Nach seinen Ausführungen, welche „guten Gründe“ es gebe, dem Streik am Mittwoch fernzubleiben, schreibt Detjen: „Trotzdem: das Streikreicht gilt. Selbstverständlich.“ – um dann abermals ein Aber anzufügen:
„Aber so wie ich es respektiere, wenn sich Kolleginnen und Kollegen morgen einer gewerkschaftlichen und kollegialen Solidarität verpflichtet fühlen, will ich doch auch denen, die vielleicht noch schwanken, sagen, dass es das Recht und gute Gründe gibt, morgen unserem Informationsauftrag gegenüber unseren Hörerinnen und Hörer nachzukommen – und auch das wird sicherlich von allen kollegial respektiert werden.“
„Meinen Sie das ernst?“
Detjens Mail hat im Deutschlandradio für einigen Wirbel gesorgt. Ein anderer Mitarbeiter, der unter anderem als Moderator für den Deutschlandfunk arbeitet, antwortete Detjen in einer Rundmail.
Auch er werde nicht am Streik teilnehmen, schreibt der Mitarbeiter, er wolle aber auch nicht dezidiert zum Streik aufrufen oder davon abraten, das stehe ihm nicht zu. Aber er stellt infrage, ob es angebracht ist, wie sich Detjen als Vorgesetzter an die Kolleg:innen wendet: „Ich möchte mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen“, schreibt der Mitarbeiter, „aber sind Sie sicher, dass es Ihnen zusteht, den Kolleg*innen in dieser Form ins Gewissen zu reden?“.
Natürlich stehe es Detjen frei, einem Streikaufruf nicht zu folgen, diesen infrage zu stellen und das auch zu begründen:
„Jedoch kritisiere ich Ihre Wortwahl und Gedankenführung, die alle diejenigen, die sich den Zielen dieses Streikes anschließen wollen, als betriebsschädigend darstellt. Und mehr noch, impliziert Ihre Wortwahl, dass alle Streikenden Ihrer Ansicht nach offenbar das Image des ÖRR weiter zu schädigen mutwillig in Kauf nehmen.“
Zu Detjens Mahnung, Kritiker des öffentlich-rechtlichen Rundfunks könnten den Streik künftig „in einem Atemzug mit Intendantengehältern, 7er BMWs und Massagesitzen nennen“, schreibt der Mitarbeiter:
„Meinen Sie das ernst? Nehmen wir mal an, morgen streiken die Intendanten der ARD, vielleicht auch noch die Programmdirektoren. Ja, dann könnte ich mir das vorstellen.“
Den streikenden Kolleg:innen vorzuwerfen, sie würden „aus einer privilegierten Position heraus unangemessene Forderungen stellen“, findet der Mitarbeiter wiederum unangemessen, „vor allem aus der Position eines Festangestellten, der aus guten Gründen sehr respektiert ist, als Journalist und Führungskraft, der aber auch aus einer beruflich wie finanziell eben doch sehr anderen Position spricht, als zum Beispiel viele Freie Kolleg*innen“.
Dass Detjen „die oft eben nicht so tolle Lage und Arbeitsbelastung der Freien Kolleg*innen“ offenbar nicht mitdenke, sei sein Gefühl, aber er wolle das nicht unterstellen. Er finde es schwierig, schreibt der Mitarbeiter an Detjen, „dass Sie den Kolleg*innen derart ins Gewissen reden und die nicht unbeträchtliche Verantwortung an der aktuellen Vertrauensmisere des ÖRR durch einzelne Führungskräfte mehr oder weniger unerwähnt lassen“. Nach solchen Worten eines Vorgesetzten könnten sich „wohl nicht viele der schwankenden Kolleg*innen nun guten Gefühls diesem Streik anschließen“.
„Auch aus diesem Grund finde ich Ihre ‚persönlichen Gedanken‘ eben nicht allein persönlich, sondern politisch.“
Korrektur: Wir hatten zunächst geschrieben, Verdi habe zum Streik aufgerufen. Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) hat das aber auch. Wir haben das im Text ergänzt.
Der Autor
Boris Rosenkranz ist Gründer von Übermedien. Er hat an der Ruhr-Universität Bochum studiert, war „taz“-Redakteur und Volontär beim Norddeutschen Rundfunk. Anschließend arbeitete er dort für verschiedene Redaktionen, insbesondere für das Medienmagazin „Zapp“. Seit einigen Jahren ist er freier Autor des NDR-Satiremagazins „Extra 3“.
7 Kommentare
Doch, ich wundere mich, mit den Dienstwagen der Intendat*innen in einem Atemzug beschimpft zu werden, denn ich bin nicht mal für einen Fahrradzuschuss qualifiziert. Wenn wir in so besonderer Weise ausgestattet sind, frage ich mich, warum ich mich wieder einmal arbeitssuchend melden musste und immer noch nicht weiß, ob mein Vertrag ab 1. Januar verlängert wird. Wenn er es wird, ist es übrigens der letzte, denn man darf „nur“ acht Jahre befristet beschäftigt werden.
@1: Mein Schwiegervater z. B. der unterscheidet da gar nicht. Alle die „da“ arbeiten sind korrupt und gehören an die nächste Wand gestellt. Zwangsgebühr für den Staatsfunk gehört abgeschafft. Zack, fertig. Die Leute sind eh alle vom gleichen fauligen Schlag.
Die Differenzierung, dass es auch beim ÖR höhere und niedrigere Dienstposten und unterschiedlichste Berufsfelder gibt wird gar nicht erst zur Kenntnis genommen. „Ihr“ seid in diesen Milieus alle ein Pack, dem man gerne den Tod wünscht und für solche Sprüche gibt’s dann im Sportschützenverein Beifall.
Ich kann jedem ÖR-(Hauptstadt-)Journalisten nur raten, mal an einem Stammtisch im ländlichen Raum teilzunehmen, nur um den Horizont zu erweitern.
Also ja, ankommen tut „da unten“ nur:
ÖR streikt, wofür zahle ich meine GEZ-Zwangsgebühr, die sollen gefälligst arbeiten, die verwöhnten überbezahlten Nichtsleister.
Spontan wäre mein Gedanke: „Wenn ich eh‘ gehasst werde, kann ich auch streiken!“
Ansonsten – deutlich besser bezahlte Vorgesetzte und Abteilungsleiter lassen sich mit Massagesessel-Dienstwagen verwöhnen und ein immer noch besser bezahlter „Kollege“ sagt mir, diese Massagesessel-Dienstwagen wären der Grund, aus dem ich mal lieber nur die Krümel schlucke, die man mir runterfallen lässt?
Mercedem suam accepsit, was?
Der Herr Detjen hat Recht. So einfach ist das.
@ Florian Blechschmied:
Nein, so einfach ist das.
#4 Nein, das ist nicht so einfach. Schon gar nicht so einfach, wie das der reaktionäre Schwiegervater des Anderen Max meint. Das soziale Gefälle zwischen den fest angestellten Hierarchen und den Freien, die das Programm zum großen Teil füllen, ist größer, als Laien es sich vorstellen. Übel ist, dass die Anstaltsleitungen den Programmmitarbeitern keinen Inflationsausgleich zugestehen wollen, wie ihn die Zuhörer/Zuschauer/innen für sich selbst ganz selbstverständlich verlangen. Natürlich habe ich auch Bauchschmerzen, wenn ausgerechnet an Tagen mit so einer Nachrichtenlage gestreikt wird. Aber heute gibt es das Internet, so dass ich jederzeit andere Quellen für aktuelle News finde. Und ganz ehrlich: Piloten und Lokführer streiken ja auch nicht von ungefähr in der Hauptreisezeit, oder?
Wenn die Führungskräfte mal einspringen und das (Not-) Programm selbst machen müssen, schadet das gar nicht: Sie werden dann daran erinnert, was ihre Untergegebenen und journalistischen Subunternehmer Tag für Tag so alles leisten.
Bei Streiks, Betriebsratswahlen und Krankheit sollte jede Führungskraft schlicht und einfach den Mund halten. Damit zeigen sie den nötigen Respekt vor diesen Grundrechten. Jeder Kommentar, jeder mahnende umsomehr, zeigt dagegen, wie wenig sich diese Menschen um die Rechte, Nöte und Bedürfnisse anderer scheren. Ein Armutszeugnis und definiv eine zusätzliche Motivation zu streiken.
Doch, ich wundere mich, mit den Dienstwagen der Intendat*innen in einem Atemzug beschimpft zu werden, denn ich bin nicht mal für einen Fahrradzuschuss qualifiziert. Wenn wir in so besonderer Weise ausgestattet sind, frage ich mich, warum ich mich wieder einmal arbeitssuchend melden musste und immer noch nicht weiß, ob mein Vertrag ab 1. Januar verlängert wird. Wenn er es wird, ist es übrigens der letzte, denn man darf „nur“ acht Jahre befristet beschäftigt werden.
@1: Mein Schwiegervater z. B. der unterscheidet da gar nicht. Alle die „da“ arbeiten sind korrupt und gehören an die nächste Wand gestellt. Zwangsgebühr für den Staatsfunk gehört abgeschafft. Zack, fertig. Die Leute sind eh alle vom gleichen fauligen Schlag.
Die Differenzierung, dass es auch beim ÖR höhere und niedrigere Dienstposten und unterschiedlichste Berufsfelder gibt wird gar nicht erst zur Kenntnis genommen. „Ihr“ seid in diesen Milieus alle ein Pack, dem man gerne den Tod wünscht und für solche Sprüche gibt’s dann im Sportschützenverein Beifall.
Ich kann jedem ÖR-(Hauptstadt-)Journalisten nur raten, mal an einem Stammtisch im ländlichen Raum teilzunehmen, nur um den Horizont zu erweitern.
Also ja, ankommen tut „da unten“ nur:
ÖR streikt, wofür zahle ich meine GEZ-Zwangsgebühr, die sollen gefälligst arbeiten, die verwöhnten überbezahlten Nichtsleister.
Spontan wäre mein Gedanke: „Wenn ich eh‘ gehasst werde, kann ich auch streiken!“
Ansonsten – deutlich besser bezahlte Vorgesetzte und Abteilungsleiter lassen sich mit Massagesessel-Dienstwagen verwöhnen und ein immer noch besser bezahlter „Kollege“ sagt mir, diese Massagesessel-Dienstwagen wären der Grund, aus dem ich mal lieber nur die Krümel schlucke, die man mir runterfallen lässt?
Mercedem suam accepsit, was?
Der Herr Detjen hat Recht. So einfach ist das.
@ Florian Blechschmied:
Nein, so einfach ist das.
#4 Nein, das ist nicht so einfach. Schon gar nicht so einfach, wie das der reaktionäre Schwiegervater des Anderen Max meint. Das soziale Gefälle zwischen den fest angestellten Hierarchen und den Freien, die das Programm zum großen Teil füllen, ist größer, als Laien es sich vorstellen. Übel ist, dass die Anstaltsleitungen den Programmmitarbeitern keinen Inflationsausgleich zugestehen wollen, wie ihn die Zuhörer/Zuschauer/innen für sich selbst ganz selbstverständlich verlangen. Natürlich habe ich auch Bauchschmerzen, wenn ausgerechnet an Tagen mit so einer Nachrichtenlage gestreikt wird. Aber heute gibt es das Internet, so dass ich jederzeit andere Quellen für aktuelle News finde. Und ganz ehrlich: Piloten und Lokführer streiken ja auch nicht von ungefähr in der Hauptreisezeit, oder?
Wenn die Führungskräfte mal einspringen und das (Not-) Programm selbst machen müssen, schadet das gar nicht: Sie werden dann daran erinnert, was ihre Untergegebenen und journalistischen Subunternehmer Tag für Tag so alles leisten.
Bei Streiks, Betriebsratswahlen und Krankheit sollte jede Führungskraft schlicht und einfach den Mund halten. Damit zeigen sie den nötigen Respekt vor diesen Grundrechten. Jeder Kommentar, jeder mahnende umsomehr, zeigt dagegen, wie wenig sich diese Menschen um die Rechte, Nöte und Bedürfnisse anderer scheren. Ein Armutszeugnis und definiv eine zusätzliche Motivation zu streiken.