Luca Pferdmenges ist Reise-Influencer und er hat ein Ziel: Er will als jüngster Mann alle 195 Nationen dieser Erde bereisen. Gerade erst war er wieder unterwegs und hat das all seinen Follower*innen gezeigt. Immerhin fast 40.000 Menschen folgen „thegermantravelguy“, wie er sich nennt, auf Instagram, auf TikTok sind es mehr als 2,5 Millionen.
Was Pferdmenges von einem seiner jüngsten Ausflüge auf Instagram präsentiert, könnte ein ganz normaler Reisebericht auf Social Media sein: Geldwechsel, Jonglieren in einem Souk vor den applaudierenden Einheimischen, ein Abstecher in eine Moschee, Selfie mit anderen Influencer*innen, die auch mit dabei sind, Pferdmenges Partnerin und ein zweiter Reise-Influencer aus Deutschland, Philipp Buehl („buehlphilipp“ auf Instagram mit knapp 1.000 Follower*innen).
Wie gesagt: Das könnte alles ganz normal sein, Reise-Influencer-Alltag. Würden die abgebildeten Szenen nicht mitten im von Bashar al-Assad beherrschten Syrien stattfinden. Pferdmenges‘ Fokus liegt aber auf etwas anderem, seiner Länder-Bucket-Liste. Für ihn ist Syrien „Country No 111“, Land Nummer 111, wie er in einer Story auf Instagram schreibt.
Sieht man sich die Postings an, beginnt man sich schnell zu fragen, ob es auf all den Reisestationen, in Aleppo, zum Beispiel, oder in Homs, tatsächlich gar keine Spuren des Krieges gibt, der dort seit 2011 gut 5,6 Millionen Menschen zur Flucht gezwungen hat.
Und dann plötzlich doch: in Aleppo. Pferdmenges postet ein Foto von sich vor einem riesigen Trümmerhaufen und schreibt dazu: „The consequences of an unnecessary Civil War“, die „Konsequenzen eines unnötigen Bürgerkrieges“. Schnitt zum nächsten Clip: Einheimische wollen Fotos mit den Besucher*innen aus dem Westen machen. Freude. Der Stadtkern fühle sich dann doch an wie eine „ganz normale Stadt“, findet der Reise-Influencer – auch wenn die riesigen Assad-Plakate kaum zu übersehen seien.
Wie kommen junge deutsche Influencer dazu, in ein Land wie Syrien zu reisen, um von dort muntere Reiseberichte zu verbreiten? Ein Land, in das Journalist*innen nach wie vor kaum eingelassen werden, um kritisch über die Lage vor Ort zu berichten: über immer noch akute Konflikte, Hinrichtungen, Bombardierungen. Kein anderer Krieg habe so vielen Journalist*innen das Leben gekostet wie der in Syrien, berichtet die Organisation Reporter ohne Grenzen. Weiterhin sind Medienschaffende und Zivilbevölkerung dort vom Tod bedroht.
Vorwurf: Propaganda für das Assad-Regime
Man hätte es schon vor Reiseantritt ahnen können: Auf die Mischung aus allzu positivem Content, verkannter Verantwortung, etwas Naivität und zahlreichen offenen Fragen braute sich schnell ein kleiner Shitstorm gegen die Influencer zusammen. Ihnen wurde unterstellt, dass sie mit ihren Reiseberichten vor allem eins machen würden: Propaganda für das Assad-Regime, dem ein freundliches Bild des Landes, ausgesendet von harmlosen Influencern, nur recht sein kann. Kritische Anmerkungen gibt es in den Postings kaum.
Mir hat Instagram gerade zufällig ein Reel in die Timeline gespült, von 3 deutschen Instagrammern, die diesen Sommer in Syrien waren. Getarnt als Reiseberichte reproduzieren sie übelste Regime Propaganda. pic.twitter.com/QEwAfy7UBz
Influencer und Syrien-Reisender Philipp Buehl schreibt auf Anfrage von Übermedien, als Tourist habe er aus Sicherheitsbedenken von vornherein beschlossen, sich nicht kritisch zur Situation in Syrien zu äußern. „Aber ich habe auch kein einziges Mal etwas Positives über das Regime gesagt.“ Über die Risiken, sich als Tourist „zu kritisch gegen Assad“ zu äußern, sei er sich im Klaren gewesen, schreibt auch Pferdmenges. Und:
„Ich bin jedoch auf meiner Mission, jedes Land der Welt zu bereisen und stelle dabei, wenn irgendwie möglich, die positiven Seiten eines Landes in den Vordergrund. Dass das bei einem Land wie Syrien schnell kontrovers und manchmal schwierig wird, ist mir bewusst. Die Kernbotschaft unserer Stories war nicht ‚das Regime ist gut‘ – sondern, dass die lokale Bevölkerung unfassbar einladend und freundlich ist. Daran halte ich fest.“
Die Mission seiner Reisen ist leicht in seiner und auch der Profilbeschreibung von Buehl erkennbar. Die Kernbotschaft der Syrien-Reise stellt Pferdmenges jedoch erst im Nachhinein so klar heraus, nachdem es den Shitstorm gab und er um Stellungnahme gebeten wurde.
Natürlich stellen sich nun ein paar Fragen, etwa: Wer hat die Reise bezahlt? Die Influencer sagen auf Anfrage von Übermedien: sie selbst. Gab es denn irgendwelche Vereinbarungen, wie die Postings aussehen sollen? Die Influencer sagen: Nein, gab es nicht. Also laut Selbstauskunft alles nur fürs eigene digitale Fotoalbum – und die Followerschaft, die das verfolgt.
Und wo sehen sie sich in der Pflicht, Stellung zu beziehen und wo nicht?
„Meine Veröffentlichungen sollen keine Plattform für politische Diskussionen sein“, antwortet Buehl. Und auch Pferdmenges möchte nicht, dass aus seinem Insta-Feed „ein politischer Battleground“ werde, wie er es nennt. Ihm gehe es darum, „eine gewisse Neutralität“ zu bewahren, um seine Follower aus verschiedenen Teilen der Welt „zu verbinden“. Okay. Das kann womöglich auch klappen, aber vielleicht eher, wenn man sich nicht gerade an einem der Krisenherde dieser Welt befindet – und das weitgehend unkommentiert lässt.
Wer von der Reise profitiert
Insgesamt ist das eine fragwürdige Inszenierung von Menschen mit großen Reichweiten, die praktisch vor allem für jene ist, die davon profitieren.
Das sind zunächst die Reise-Influencer selbst, denn: „Unterhaltsame, polarisierende, emotionale und oberflächliche Inhalte werden von den Algorithmen bevorzugt gegenüber Beiträgen, die hintergründig sind, komplexe Zusammenhänge darstellen, ausgewogen oder faktenbasiert berichten“, wie Journalist und Forscher Henning Eichler in einer Studie festhält. Die Rechnung ist einfach: Kontroverser Ort plus spaßiger Content ergibt viel Reichweite und Sichtbarkeit.
Dann ist da ein grausames Regime, dem diese unkritische Darstellung vor der Welt einer Legitimierung seiner selbst gleichkommt. Die positiven Seiten lassen sich nun mal nicht von der politischen Dimension entkoppeln, auch wenn man sich das als unverfänglich geltender Influencer wünscht.
Und auch die Reiseagentur, die den Trip für die Influencer organisierte, profitiert. Sie will natürlich weitere Reisen verkaufen. Influencer Philipp Buehl sagt, er sei selbst durch andere Reise-Influencer auf Syrien als mögliches Ziel aufmerksam geworden.
„Seit vielen Jahren hört man über Syrien ausschließlich (negative) Nachrichten im Zusammenhang mit der aktuellen Krise. Es ist seit Beginn dieser Krise viel Grausames in Syrien passiert, das soll nicht verheimlicht werden. Ich bin davon ausgegangen, dass Menschen aufgrund dieser Nachrichten vermuten, dass ganz Syrien bis heute ein Kriegsgebiet ist, in dem aktiv und auf offener Straße gekämpft wird. Denn diese Vermutung hatte ich selber, bis ich vor einiger Zeit auf Content von anderen Reise-Influencern aufmerksam wurde, welcher die aktuelle Situation gezeigt hat.“
Die Agentur, die den Reise-Influencern über die Grenze half, die RJ Tavel Agency, wurde von den Portugiesen Rita and João Leitão gegründet. Auffällig ist das ausgeprägte Faible für schwer zugängliche Ziele. Neben Syrien werden etwa auch Jemen, Libanon oder auch Usbekistan als begleitete Reisetour angeboten.
Die Deutsche Welle berichtete bereits Ende 2021 von Reiseanbietern, die Touren nach Syrien anbieten. Deren Verkaufsargument: Das Leben dort habe sich inzwischen normalisiert, Reisen sei sicher und die Nachfrage hoch. Ein Dialog in den Instagram-Kommentaren zwischen der Reiseagentur und einer Userin über die antike Oasenstadt Palmyra (ein Teil von Homs) verlief übersetzt so:
„Wie geht es Palmyra jetzt nach dem Krieg?“
„In Palmira steht praktisch alles. Nur 3 Gebäude wurden zerstört.“
„Wirklich??? Ahhh, das ist so gut!!!“
Also alles geradezu perfekt für Influencer, die mit „unique content“ auf sich aufmerksam machen möchten. Die Reiseagenturen helfen, entlegene Flecken der Erde zu bereisen, je abgelegener und abenteuerlicher, desto besser. Für Syrien bedeutet das bei der RJ Travel Agency: „7 Tage Gruppentour für 950 Euro von Beirut nach Syrien, inklusive Aleppo und Palmyra (in Homs)“. Was nur für Tourist*innen gilt, an die Syrien Visa vergibt. „Journalists can’t book this tour“ – darauf weist die RJ Travel Agency ausdrücklich hin.
Buehl und Pferdmenges, die beiden Reise-Influencer, beteuern, sich klar vom Assad-Regime zu distanzieren, Möglichkeiten das nach der sicheren Rückkehr im eigenen Content aufzufangen, habe es gegeben. Diese wurden allerdings dann nur mäßig und nach Konfrontation wahrgenommen. Buehl sagt, er habe etwa eine Instagram-Caption zur Syrienreise angepasst, in der es hieß: „Ich empfehle jedem, Syrien zu besuchen“. Dort steht nun unter anderem auch: „Ich unterstütze in keiner Weise die Grausamkeit des syrischen Regimes.“
Und Pferdmenges gibt nun gegenüber Übermedien an, er wolle Syrien als Reiseland eigentlich gar nicht bewerben: „Ich halte Syrien nicht für ein attraktives Reiseland und würde auch niemandem empfehlen, nach Syrien zu reisen.“
Verwirrend. Zumal der restliche Content in den Instagram-Highlights der Influencer, der mehr Interpretationsspielraum zulässt, als gut wäre, dort weiterhin abzurufen ist. Wie sollte man auch sonst beweisen, dass man ein weiteres Land bereist hat? Und das ist offenbar das Wichtigste.
Die Autorin
Olivia Samnick arbeitet als freie Journalistin und Filmemacherin. Zuvor studierte sie Journalistik, Medien- und Kommunikationswissenschaften. Derzeit schreibt sie als EJO-Stipendiatin über Trends und Entwicklungen im europäischen Journalismus und spricht zur Zukunft des Journalismus im Bonjourno-Podcast.
3 Kommentare
ich erinnere mich gerade daran, wievie gefährliche sehenswürdigkeiten schon gesperrt wurden, weil es im grunde selten um den ort oder die geschichte geht, sondern um den nervenkitzel in sein profil zu schauen, wenn man bilder und videos aus krassen no go aereas hochgeladen hat, am besten hängt man an zahnseide über einem abgrund. da müssen dann die ersten kommentare so lauten „wow“ bist du mutig und das hätte ich mich nicht getraut! wenn dann der kriegsgebiettourist dann aufpasst das im hintergrund nicht ein kamel lustig guckt, ein hund kotzt, oder eine frau ausversehen winkt und grinst und damit die gesamte story zerstört( merke der hintergrund ist der neue fordergrund) dann geht das profil.. ab dafür! sch ne das heisst ja heute.. viral! man merkt schon, ich finde es absolut abartig und eine verhöhnung dieser vielen menschen, die in der welt umherirren auf der suche nach asyl, ruhe und unterkunft. diese social media nehmen uns alles an unausgesprochenen gesellschaftsregeln weg und ersetzen es durch ein “ weil es geht, mach ich es auch, na und?“ stellen sie sich an dieser stelle bitte zwei kotzsmileys vor.
Ich kann absolut nicht nachvollziehen, was in den Influencer*-Köpfen vorgeht. Und auch mir ist es ein Leichtes, mich deshalb in verächtlichen Gedanken zu suhlen, gerne auch noch vergrößert auf die Followerschaft.
Aber gerade letzterer Gedanke lässt auch die Frage aufkommen: Haben die Influencer überhaupt wirklich so viel Macht/Einfluss, wie es gerne behauptet wird? Darauf werden sie ja gerne festgenagelt, wann man an deren Verantwortung appelliert. Aber bedeutet das nicht im Umkehrschluss auch, dass die Follower unmündiges Klickvieh sein müssen? Ist das nicht total menschenverachtend? Warum gesteht man ihnen weniger Verantwortung für ihr Tun zu? Weil sie blind einer Masse folgend und es nicht anders können? Wenn niemand die Influencer in ihrem Tun bestätigen würde, würden sie es vermutlich irgendwann lassen. Insofern sind sie also in ihrer Macht nicht unabhängig und lassen sich auch von einer Masse/dem Fame leiten. Und den bekommen Sie eben durch die Follower. Klar, das Verhältnis Macht/Einzelperson ist hier umgedreht, aber es ist eben nicht so simpel, dass einer* Täter* ist und alle anderen Opfer sind.
Es ist natürlich einfach, immer mit dem Finger auf die Verfehlungen einiger weniger zu zeigen und sich vielleicht sogar insgeheim darüber zu freuen, wenn ein Influencer beim Fame-Rausch ums Leben kommt. Damit fühlt sich der nächste Urlaub in einem „sicheren“ Land gleich viel besser an und das Nicht-Posten von Urlaubsfotos löst beim Lesen der nächsten Influencer-Häme in den Medien so schöne Überlegenheitsgefühle aus. Geprahlt wird dann eben im kleinen Familienkreis, der einem wohlgesonnen ist.
Eigentlich sollte das alles eher Mitgefühl auslösen, wenn eine Reise-Bucket-List zum Lebensinhalt für Influencer und auch den Followern wird. Oder zumindest zum Zugeständnis verleiten, dass jünge Menschen sich eben auch ausprobieren und ihr eigenes Wesen kennenlernen müssen. Die Leute haben jetzt ihr Fett wettgekriegt, muss man das jetzt echt noch so aufbauschen?
Bei Übermedien hätte ich jetzt auch eher erwartet, dass die Berichterstattung über den Fall beleuchtet wird. Irgendwie fehlt mir hier die übliche Metaebene.
Die Influencer-Szene ist halt eine jener frustrierenden Erscheinungen, die bei der von uns in den Neunzigern so bejubelten Demokratisierung der Medienlandschaft herausgekommen sind. Ähnlich wie bei Auguste Gusteaus Motto „Jeder kann kochen“ in „Ratatouille“ sind die Einstiegshürden gefallen, jeder kann zum Sender werden. Da aber in den Schulen keinerlei Medienerziehung stattgefunden hat, die diesen Namen verdient – jedenfalls nicht systematisch in den Curricula verankert – ist diesen jungen Leuten nie das vermittelt worden, was wir in unseren journalistischen Ausbildungen gelernt haben: dass man Verantwortung trägt für das, was man veröffentlicht. Dieses Defizit ist vor allem deshalb so misslich, weil auch die Rezipienten nie gelernt haben, quellenkritisch zu rezipieren.
Vermutlich kann immer noch eine Mehrheit der Nutzer:innen in dieser Generation solchen Content richtig einordnen. Der Anteil derer, die unkritisch oberflächliches, oft werbliches hedonistisches Zeug konsumieren, dürfte vergleichbar sein mit dem Anteil der Regenbogenpresse-Leser:innen bei den Alten.
Gemessen an dem, was mit dem Internet alles an Gutem und Sinnvollem möglich gewesen wäre, ist das zwar durchaus ein Anlass, an unserer Kultur und unserem Bildungssystem zu verzweifeln. Vor dem Hintergrund all des unfassbaren Desinformationsmülls, der vor allem in den letzten drei Jahren das Netz überschwemmte, finde ich diese Peinlichkeiten seitens junger Berufstouristen, denen Dinge wie Klimakrise und Krieg sichtlich am Allerwertesten vorbeigehen, aber fast noch harmlos. Das echte Problem sind nach wie vor die Reitschusters, Magnets, Wegscheiders, Tichys und Achguts dieser Welt.
ich erinnere mich gerade daran, wievie gefährliche sehenswürdigkeiten schon gesperrt wurden, weil es im grunde selten um den ort oder die geschichte geht, sondern um den nervenkitzel in sein profil zu schauen, wenn man bilder und videos aus krassen no go aereas hochgeladen hat, am besten hängt man an zahnseide über einem abgrund. da müssen dann die ersten kommentare so lauten „wow“ bist du mutig und das hätte ich mich nicht getraut! wenn dann der kriegsgebiettourist dann aufpasst das im hintergrund nicht ein kamel lustig guckt, ein hund kotzt, oder eine frau ausversehen winkt und grinst und damit die gesamte story zerstört( merke der hintergrund ist der neue fordergrund) dann geht das profil.. ab dafür! sch ne das heisst ja heute.. viral! man merkt schon, ich finde es absolut abartig und eine verhöhnung dieser vielen menschen, die in der welt umherirren auf der suche nach asyl, ruhe und unterkunft. diese social media nehmen uns alles an unausgesprochenen gesellschaftsregeln weg und ersetzen es durch ein “ weil es geht, mach ich es auch, na und?“ stellen sie sich an dieser stelle bitte zwei kotzsmileys vor.
Ich kann absolut nicht nachvollziehen, was in den Influencer*-Köpfen vorgeht. Und auch mir ist es ein Leichtes, mich deshalb in verächtlichen Gedanken zu suhlen, gerne auch noch vergrößert auf die Followerschaft.
Aber gerade letzterer Gedanke lässt auch die Frage aufkommen: Haben die Influencer überhaupt wirklich so viel Macht/Einfluss, wie es gerne behauptet wird? Darauf werden sie ja gerne festgenagelt, wann man an deren Verantwortung appelliert. Aber bedeutet das nicht im Umkehrschluss auch, dass die Follower unmündiges Klickvieh sein müssen? Ist das nicht total menschenverachtend? Warum gesteht man ihnen weniger Verantwortung für ihr Tun zu? Weil sie blind einer Masse folgend und es nicht anders können? Wenn niemand die Influencer in ihrem Tun bestätigen würde, würden sie es vermutlich irgendwann lassen. Insofern sind sie also in ihrer Macht nicht unabhängig und lassen sich auch von einer Masse/dem Fame leiten. Und den bekommen Sie eben durch die Follower. Klar, das Verhältnis Macht/Einzelperson ist hier umgedreht, aber es ist eben nicht so simpel, dass einer* Täter* ist und alle anderen Opfer sind.
Es ist natürlich einfach, immer mit dem Finger auf die Verfehlungen einiger weniger zu zeigen und sich vielleicht sogar insgeheim darüber zu freuen, wenn ein Influencer beim Fame-Rausch ums Leben kommt. Damit fühlt sich der nächste Urlaub in einem „sicheren“ Land gleich viel besser an und das Nicht-Posten von Urlaubsfotos löst beim Lesen der nächsten Influencer-Häme in den Medien so schöne Überlegenheitsgefühle aus. Geprahlt wird dann eben im kleinen Familienkreis, der einem wohlgesonnen ist.
Eigentlich sollte das alles eher Mitgefühl auslösen, wenn eine Reise-Bucket-List zum Lebensinhalt für Influencer und auch den Followern wird. Oder zumindest zum Zugeständnis verleiten, dass jünge Menschen sich eben auch ausprobieren und ihr eigenes Wesen kennenlernen müssen. Die Leute haben jetzt ihr Fett wettgekriegt, muss man das jetzt echt noch so aufbauschen?
Bei Übermedien hätte ich jetzt auch eher erwartet, dass die Berichterstattung über den Fall beleuchtet wird. Irgendwie fehlt mir hier die übliche Metaebene.
Die Influencer-Szene ist halt eine jener frustrierenden Erscheinungen, die bei der von uns in den Neunzigern so bejubelten Demokratisierung der Medienlandschaft herausgekommen sind. Ähnlich wie bei Auguste Gusteaus Motto „Jeder kann kochen“ in „Ratatouille“ sind die Einstiegshürden gefallen, jeder kann zum Sender werden. Da aber in den Schulen keinerlei Medienerziehung stattgefunden hat, die diesen Namen verdient – jedenfalls nicht systematisch in den Curricula verankert – ist diesen jungen Leuten nie das vermittelt worden, was wir in unseren journalistischen Ausbildungen gelernt haben: dass man Verantwortung trägt für das, was man veröffentlicht. Dieses Defizit ist vor allem deshalb so misslich, weil auch die Rezipienten nie gelernt haben, quellenkritisch zu rezipieren.
Vermutlich kann immer noch eine Mehrheit der Nutzer:innen in dieser Generation solchen Content richtig einordnen. Der Anteil derer, die unkritisch oberflächliches, oft werbliches hedonistisches Zeug konsumieren, dürfte vergleichbar sein mit dem Anteil der Regenbogenpresse-Leser:innen bei den Alten.
Gemessen an dem, was mit dem Internet alles an Gutem und Sinnvollem möglich gewesen wäre, ist das zwar durchaus ein Anlass, an unserer Kultur und unserem Bildungssystem zu verzweifeln. Vor dem Hintergrund all des unfassbaren Desinformationsmülls, der vor allem in den letzten drei Jahren das Netz überschwemmte, finde ich diese Peinlichkeiten seitens junger Berufstouristen, denen Dinge wie Klimakrise und Krieg sichtlich am Allerwertesten vorbeigehen, aber fast noch harmlos. Das echte Problem sind nach wie vor die Reitschusters, Magnets, Wegscheiders, Tichys und Achguts dieser Welt.