SZ will’s mal mit moderneren Karikaturen versuchen
Man kann als Freund der „Süddeutschen Zeitung“ an ihren Karikaturen verzweifeln. 2018 trennte sich das Blatt nach einer Netanjahu-Karikatur mit antisemitischen Klischees im Streit von Dieter Hanitzsch. In diesem Jahr stieß mir (und nicht nur mir) eine Karikatur von Pepsch Gottscheber unangenehm auf, die den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj auf eine typisch antisemitische Art verzerrte und positionierte:
links: @SZ von gestern
rechts: antisemitische Karikatur von 1898 pic.twitter.com/3HS0ZGgtbf
— Stefan Niggemeier (@niggi) May 26, 2022
Aber es sind nicht nur solche Aufreger. Vor allem wirken die Karikaturen immer wieder furchtbar angestrengt, überbeschriftet, ahnungslos und, Geschmackssache natürlich: unlustig. „Altbacken, humorlos und schlecht“, nannte sie der Schriftsteller und Karikaturenkritiker Jakob Hein 2018 in einem Gastkommentar für Übermedien. „Ganz offenbar hat keiner dieser Zeichner die Entwicklungen von Karikaturen in den letzten 40 Jahren wahrgenommen.“
Um eine @SZ-Karikatur zu werden, reicht es nicht, nicht witzig zu sein, es muss auch Ahnung fehlen. pic.twitter.com/aJed1mJejJ
— Stefan Niggemeier (@niggi) October 6, 2022
Okay, wir sollten nicht über die Karikaturen in der @SZ diskutieren, ohne dieses Meisterwerk vom Montag zu würdigen. Was will es uns sagen? (Alternativ: Wo ist der Witz?) pic.twitter.com/F3of2o1rQZ
— Stefan Niggemeier (@niggi) September 19, 2018
Auch innerhalb der SZ-Redaktion war man offenbar immer wieder unzufrieden mit der Art oder Qualität der Zeichnungen. Nun soll es besser werden. Das Blatt versucht, den Karikaturenplatz auf seiner Meinungsseite zu modernisieren. Von heute an gibt es einen neuen Rhythmus von Zeichnerinnen und Zeichnern, die sich abwechseln, darunter sind drei neue. Dafür scheidet unter anderem Josef „Pepsch“ Gottscheber aus, der seit fast 50 Jahren für das Blatt gearbeitet hat.
„Wir wollen ein neues Konzept ausprobieren mit Zeichnerinnen und Zeichnern unterschiedlichen Geschlechts und unterschiedlicher Generationen“, sagt Detlef Esslinger, der die Meinungsseite als Ressortleiter verantwortet. Auch bei der Themensetzung soll es eine größere Vielfalt geben: „Wir wollen auch weiter die klassische tagespolitische Karikatur bringen – zum Beispiel Liz Truss unmittelbar, nachdem sie zurücktrat. Aber wir wollen auch regelmäßig die Zeitläufte abbilden, die Gesellschaft, nicht nur die Gewählten, sondern auch die Wählenden.“ Sowohl schwarz-weiße als auch farbige Karikaturen sollen erscheinen.
Heute zeichnete zum ersten Mal die Bremer Cartoonistin Miriam Wurster (Jahrgang 1964). Neu im Team ist auch die Hamburger Comiczeichnerin Katharina Greve (Jahrgang 1972), die den Montag übernimmt. Kittyhawk (Jahrgang 1972), die bislang als Urlaubs- und Krankheitsvertretung einsprang, erscheint nun jeden Freitag. Ihren Platz als Auswechselkarikaturistin übernimmt Teresa Habild (Jahrgang 1979).
Auch in Zukunft karikieren Wolfgang Horsch (Jahrgang 1960, dienstags) und Sinisa Pismestrovic (Jahrgang 1980, donnerstags) für die SZ. Für die Wochenendausgabe zeichnet weiterhin Luis Murschetz (Jahrgang 1936).
Neben Pepsch Gottscheber scheiden Oliver Schopf und Burkhard Mohr als SZ-Karikaturisten aus.
Gottscheber verabschiedete sich von der SZ-Leserschaft mit einer Zeichnung, die mit „Einsteiger in Hamburg“ beschriftet ist. Sie zeigt einen überlebensgroßen und möglicherweise grimmig dreinschauenden Panda-Bär in einem Container im Hamburger Hafen. Eine kleine Gruppe von Beobachtern in der Nähe zeigt darauf und sagt laut Sprechblasen: „?“, „!“ und „?“.
Das trifft es ganz gut.
Einen Fortschritt erkenne ich aber auch im Werk der „Neuen“ nicht, die ja alle keine Berufsanfänger sind. Wo sind Leute wie z.B. Patrick Chappatte*? Zu teuer? Das kann alles eigentlich nur am Budget liegen.
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* der übrigens auch mit Beschriftungen arbeitet, nicht nur bei Aufträgen von US-Medien, die in dieser Hinsicht schmerzfrei sind…