Verifizierung bei Twitter

Die Sache hat einen blauen Haken, Elon Musk

Seit Elon Musk Twitter übernommen hat, habe ich als Nutzer dort kaum noch eine ruhige Minute. Das liegt zum einen an Mastodon, wohin nun ein kleiner Exodus startete. Das Crossposting und beide Netzwerke im Überblick behalten zu müssen wollen, nervt. Noch mehr aber, Sie ahnen es, nervt Elon Musk selbst.

Täglich treibt er die aufgescheuchte Twitter-Gemeinde nun vor sich her, ob mit seinem eigenen User-Verhalten, hastigen symbolischen Verschlimmbesserungen oder seinen vollmundigen Ankündigungen als neuer „Chief Twit“.

Seine offenbar neueste Idee nervt aber nicht nur, sie könnte fatal für das Soziale Netzwerk und Musks hochpreisige Investition sein.

Twitter-Haken mit Preisschild

Wie das amerikanische Technikportal „The Verge“ (Vox Media) berichtet, soll Musk bei Twitter nachdrücklich eine grundlegende Veränderung vorantreiben: Künftig sollen Nutzer:innen Geld dafür bezahlen, damit ihr Account (weiterhin) als verifiziert angezeigt wird. 19,99 US-Dollar monatlich soll „Twitter Blue“ kosten. Dieses optionale Abonnement mit einigen erweiterten Funktionen wie etwa nachträglich bearbeitbare Tweets gibt es unter anderem in den USA und Kanada schon länger, allerdings kostete es bisher 4,99 US-Dollar und hatte mit dem Haken, der User als „echt“ markiert, nichts zu tun.

Nun hätten verifizierte User bald 90 Tage Zeit, um sich anzumelden oder sie verlieren, Achtung Druckmittel, dieses Abzeichen. Musk hat es laut „The Verge“ mit der Änderung eilig:

„Mitarbeitern, die an dem Projekt arbeiten, wurde am Sonntag mitgeteilt, dass sie eine Frist bis zum 7. November einhalten müssen, um das Feature zu starten, oder sie werden entlassen.“

Übersetzung von uns

Musk selbst bestätigte indirekt und in anderem Zusammenhang, dass man am „ganzen Verifikations-Prozess“ arbeite.

Na und?

Man könnte leicht denken: Soll Musk mit seinem neuen Spielzeug doch machen, was er möchte. So einfach ist das aber nicht. Heute morgen habe ich einen Tweet abgesetzt, an dem sich drei Dinge ablesen lassen:

  1. Dass die Überschrift dieses Artikels, sorry, nur eine Zweitverwertung ist.
  2. Dass es nach wie vor, auch für Artikel wie diesen, gewinnbringend sein kann, auf Twitter sachliche Diskussionen zu führen.
  3. Dass es ein grundsätzliches Missverständnis vom Sinn der blauen (eigentlich ja: weißen) Haken bei Twitter und in anderen sozialen Netzwerken gibt.

Hier geht es um den dritten Punkt.

Eitelkeit hie, Nutzen da

Häufig befriedigt das Zeichen, da nehme ich mich gar nicht aus, kurzzeitig die eigene Eitelkeit. Wer einen Haken hinter seinem Namen hat, kann dem Missverständnis aufsitzen, damit auch einen Haken hinter den Wunsch setzen zu können, wichtig zu sein. Diese Logik mag aus den frühen Tagen Sozialer Netzwerke übrig geblieben sein, als reichweitenstarke Accounts zuerst verifiziert wurden, sie greift jedoch längst nicht mehr. Bei Twitter gibt inzwischen recht klare Richtlinien und Kategorien für verifizierte Accounts. So können sich dort auch nur einem begrenzten Follower-Kreis bekannte Politiker:innen, Journalist:innen (etwa ich) oder Unternehmen und Organisationen verifizieren lassen. Eben um Usern zu zeigen: Ja, das bin ich und nicht irgendwer, der sich als ich ausgibt.

Diese Funktion bieten die meisten Sozialen Netzwerke an, sie ist aus naheliegenden Gründen gut.

  1. Sie schafft für alle User:innen eine gewisse Verlässlichkeit über die Herkunft einer Aussage. (Das macht die Aussage natürlich noch nicht wahr oder gepostete Inhalte echt.)
  2. Sie hilft User:innen, echte Accounts von Satire-Accounts (die nach den Twitter-Richtlinien ebenso nicht verifiziert werden wie Haustiere oder fiktive Charaktere) zu unterscheiden.
  3. Sie kann User:innen, die von Identitätsdiebstählen durch Fake-Accounts betroffen sind, helfen, Kontrolle über die Kommunikation zu wahren.

Diese drei grundlegenden Funktionen erfüllen die Abzeichen natürlich auch für Journalist:innen, die Twitter für die Recherche nutzen. Und sie dienen Faktenchecker:innen, auch außerhalb der Netzwerke Informationen zu verifizieren.

Nehmen wir mal an, Sie würden Übermedien nur von Twitter oder Instagram kennen und stießen zufällig irgendwann auf diese unsere Website. Klar, das passt optisch zusammen, aber wer sagt Ihnen, dass es sich dabei nicht um einen Scam handelt – eine Seite, die so tut, als habe sie etwas mit Übermedien zu tun, aber Ihnen in Wahrheit Ihre Kontodaten oder andere krumme Dinge abziehen möchte? Wir tun das – unter anderem, indem wir auch auf den verifizierten Accounts unsere Website uebermedien.de verlinken.

Stimmen solche Angaben nicht miteinander überein, lassen sich Fakes wie das angebliche Video von Horst Seehofer auf der Website einer vermeintlichen CSU-Kampagne schnell entlarven.

Wie wichtig es sein kann, auf den blauen Haken zu achten, zeigen Beispiele, in denen das Handle eines Accounts identisch mit dem Original zu sein scheint. Etwa, wenn ein auf den ersten Blick @SPIEGEL_EIL genannter Account in Wahrheit eine Nachmache ist, in der das große „i“ durch ein kleines „l“ ersetzt wurde. Ein Trick, den man auch beim (angeblichen!) Rennstall des Automobilherstellers Ferrari schon gesehen hat:

Wo es beim Haken hakt

Auf das Verifizierungsabzeichen ist nicht immer Verlass. Die angezeigten Namen kann man genauso wie das Bild ändern. Übermedien-Autor und „Titanic“-Chefredakteur Moritz Hürtgen hatte sich diese Besonderheit 2018 zu eigen gemacht und sich für eine Satire-Aktion kurzerhand in „hr Tagesgeschehen“ umbenannt. Sein Kürzel @hrtgn beließ er, wie es war – und somit erweckte „hr Tagesgeschehen“ als verifizierter Account und mit dem passenden Bildchen versehen den Eindruck, eine Seite des Hessischen Rundfunks zu sein. So legte er die Nachrichtenagentur Reuters genauso rein wie „Welt“, „Bild“, „Focus“, n-tv und ORF, die die Meldung übernahmen. Beatrix von Storch (AfD) nahm eine „Bild“-Pushbenachrichtigung sogar zum Anlass, einen SPD-Abgeordneten während dessen Rede im Bundestag zu unterbrechen und auf die vermeintliche Nachricht hinzuweisen.

Auch darf man sich nicht darauf verlassen, dass alle staatlichen Institutionen automatisch verifiziert werden. Während etwa eine Vielzahl deutscher Behörden auf Twitter einen Haken hinter ihrem Namen führen dürfen, trifft das bei der Deutschen Marine nicht zu. Der Account ist zweifelsfrei der Marine zuzuordnen, wird auch auf der Website der Bundeswehr als offizieller Kanal geführt. Anders aber als der Facebook – oder der Instagram-Account der Bundeswehr ist er nicht verifiziert.

Verifizierte Scam-Accounts

Wenn Elon Musk in Sachen Verifizierung eine Aufgabe sucht, wie wäre es denn dann mit dieser? Mutmaßlich über Phishing-Attacken und/oder aus Datenbank-Leaks erbeutete Passwörter zu verifizierten Accounts landen auf dem Schwarzmarkt, den „The Verge“ als „riesig und äußerst lukrativ“ bezeichnet. Auch auf Twitter selbst bekommt man gelegentlich von gefakten „Twitter-Support“-Accounts die Bitte zugeschickt, sich auf einer externen, dürftig nachgebauten Twitter-Seite einzuloggen, um das Verifizierungsabzeichen nicht zu verlieren. Darauf kann man mit Pech auch mal reinfallen.

Hinzu kommt, dass Twitter selbst schon gefälschte Konten verifiziert hat, wie das Unternehmen 2021 eingestehen musste.

Mindestens mutig, vielleicht aber auch einfach naiv

Der Haken dient nicht vorrangig dem, dessen Namen er ziert, sondern allen anderen, weil er hilft, Informationen einzuordnen. Musk aber will, dass der Haken ihm dient.

Möglichst schnell sollen über ihn möglichst viele User zum Bezahlen gebracht werden. Mit dem Effekt, dass man sich mit „Twitter Blue“ auch das Recht auf eine Verifizierung erkaufen kann, während sie User:innen entzogen wird, die sie brauchen oder sich verdient haben.

All seinem basisdemokratischen und vorgeblich user-orientierten Gehabe zum Trotz: Musk interessiert sich nicht primär dafür, wie in diesem, nun seinem, Sozialen Netzwerk offener Diskurs, Informationsaustausch und freie Meinungsäußerung erhalten und gestärkt werden können. Dass er bei seinem Streben nach Rendite aber auch bereit zu sein scheint, ein wichtiges Qualitätsmerkmal für alle User:innen aufzugeben, ist bestürzend: Er schränkt eine Funktion ein, die es allen User:innen und insbesondere Journalist:innen ermöglicht, Absender von Desinformation leichter zu identifizieren.

Und das für einen zweifelhaften finanziellen Gewinn.

Das Netzwerk könnte mit solchen Umbauten auch an Bedeutung für die Berichterstattung verlieren. Dass man Musk nicht unbedingt als Förderer der Pressefreiheit bezeichnen kann: nun gut. Aber sein Netzwerk profitiert davon, schnell Informationen und Einordnungen bieten zu können. Dass er es ausgerechnet für Journalist:innen irrelevanter, wenn nicht gar nutzlos machen könnte, hat einen Haken. Let that sink in, Elon.

4 Kommentare

  1. Ich fürchte ja, genau die hier befürchteten Konsequenzen werden dazu führen, dass einige die 20$ zahlen werden, um eben weiter als halbwegs brauchbare Quelle erkannt zu werden.

    Ich für meinen Teil wäre ja ganz froh, wenn – insbesondere die Journalisten – Abstand von Twitter als Nachrichtenquelle nehmen würden.

  2. Würde noch eine weitere Gefahr dieses Prozesses sehen: Die Qualität der Verifizierung könnte leiden, indem nun vermehrt fake accounts fälschlicherweise verifiziert werden.
    Die „incentives“ für Twitter sind nämlich dann so, dass man im Zweifel Accounts trotzdem eher verifiziert, weil es zahlende Kunden sind, die man sonst verprellen würde. Aus der Prämisse „brauche Beweise für Echtheit zum abhaken“ wird dann ganz schnell „brauche Beweise für Unechtheit zum nicht nicht abhaken“.

    Disclaimer:
    Mit dem Tag der Übernahme bin ich entsprechend meinen Vorankündigungen sofort raus, live vor meinem Informatik-Kurs vorne am Board. (Meinetwegen kindischer) einfacher Grund: Elon Musk soll keinen Cent an mir verdienen.

  3. Ich nutze Twitter schon seit einigen Monaten quasi nicht mehr. Hatte nie einen verifizierten Account, aber das Netzwerk ist mMn furchtbar geworden. Nur noch Geschrei und Hyperventilieren (meine Wahrnehmung). Andauernd soll jemand zurücktreten. Man muss ewig scrollen, um qualifizierte Aussagen zu etwas zu lesen. Die schnellen und kritischen EInordnungen waren für mich lange absolut wertvoll, aber das Drumherum wollte ich mir nicht mehr geben.

    Jetzt, wo es diesem wahnsinnigen Milliardär gehört, der lieber Raketen und energiefressende Stromautos baut, 40 Mrd in ein Soziales Netzwerk investiert, als konkrete Lösungen für unseren Planeten zu erarbeiten, ist Twitter für mich gestorben.

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