Wochenschau (136)

Bitte fühlen Sie sich doch in mich ein, wie ich mich nicht in Sie einfühle!

Bei der Lesung des Buches „Gegen Judenhass“ des Standuppers Oliver Polak saßen im Herbst 2018 „Zeit“-Journalist Ijoma Mangold, KIZ-Rapper Maxim Drüner und Publizist Jakob Augstein gemeinsam mit dem Autor in den Münchner Kammerspielen und sprachen über den im Buch beschriebenen Antisemitismus. Augstein zeichnete auf der Bühne einen Austausch nach, den er und Polak hatten: Der Comedian habe ihn kritisiert und ihm vermittelt, dass es seinen Einschätzungen an Empathie fehle. „Und das hatte ich dann verstanden“, stellte Augstein auf der Bühne fest, „empathielos will ich ja nicht sein. Empathielos will ja keiner sein.“

Wäre dieser Text eine Sitcom, käme jetzt ein harter Schnitt und man sähe Augstein, wie er als Gastgeber im „Freitag-Salon“ der ukrainischen, vom aktuellen Krieg betroffenen Schriftstellerin Tanja Maljartschuk erklärt, wie groß seine Angst vor Krieg ist, weil er in Hamburg hässliche Nachkriegsarchitektur gesehen hat.

Einladung zum Freitag-Salon
Einladung zur Veranstaltung Screenshot: freitag.de

Am Montag sprachen beide im Literaturhaus Berlin, das einstündige Gespräch wurde von Radio Eins ausgestrahlt, und die Erkenntnis, die ihn 2018 ereilte, war Augstein offenbar abhanden gekommen. Das Gespräch mit der Autorin, genauer: seine Gesprächsführung war eine bemerkenswerte Demonstration ausgeführter Empathielosigkeit, eine ziemlich exemplarische Präsentation dessen, wie der Dunning-Kruger-Effekt funktioniert: Augstein fehlte das Einfühlungsvermögen, um zu bemerken, dass ihm das Einfühlungsvermögen fehlte. Mit dem Taktgefühl eines Landrovers bretterte er sich mit plauder-aggressivem Belehrungspublizismus durch das Gespräch, das eher eine kommunikative Karambolage war als ein Austausch.

Karambolage auch deshalb, weil es hier verschiedenen dialogische Ebenen gab, die auf abenteuerliche Art kollidierten, die Ebene seiner professionellen Rollen und die Ebene seiner Sprecherposition. Es lohnt sich, diese Konfusionen zu betrachten; sie vermitteln etwas über das Wesen handwerklich gut geführter Gespräche. Denn eine grundsätzliche Frage in jedem kommunikativen Austausch – aber in einem journalistischen Gespräch ganz besonders – ist jene, wo genau der oder die Journalist:in herkommt und sich hin bewegt – und ob er dabei den Gesprächspartner mitnimmt oder stattdessen vor den Bus der eigenen Befindlichkeiten wirft.

Es ist kein Zufall, dass Maljartschuk in diesem Gespräch immer wieder fragt, wo Augstein eigentlich hinwill mit seinen Fragen, sie ahnte es vermutlich: in eine Sackgasse seiner Selbstbezüglichkeit.

Welche Funktion nimmt er ein?

Ob in Talkshows, Zeitungsinterviews oder einem Podcast: In Gesprächen ist relevant, welchen Hut die Befragenden beim Austausch aufhaben, weil damit bestimmte Dialogmodi einhergehen, aber auch die Frage, wann die Grenzen der Professionalität erreicht werden. Bei einem politischen Streitgespräch machen die Gesprächsführenden sich selbst und ihre persönlichen Erfahrung eher seltener zum Thema, beim Kamingespräch würde man das eher zugestehen und sogar befürworten, um Interaktion auf Augenhöhe zu haben, dem Gegenüber durch Selbstöffnung die Möglichkeit zu bieten, dies ebenso zu tun und ein Gespräch zu führen, statt ein Ab- und Ausfragen zu absolvieren.

In diesem „Freitag-Salon“ entstand aber eine atemberaubende Vermischung der Funktionen des Gastgebers. Mal war Augstein Moderator, mal Journalist, mal Gast in seiner eigenen Sendung. Er versuchte, in Aufklärungspose der Schriftstellerin ein politisches Zugeständnis an seine Positionen abzuringen, ging zugleich nicht auf ihre Fragen ein und wollte seine eigene Position vor den kritischen Nachfragen seiner Gästin verteidigen. Er verfiel so permanent in Introspektion und Darlegen seiner anekdotischen Evidenzen.

Wäre Maljartschuk mit ihrem souveränen Umgang mit dieser Gesprächsführung nicht so durchsetzungsfähig geblieben, hätte ich nach diesem Salon sehr viel über Augstein und kaum etwas über sie gelernt, was ja hoffentlich nicht Ziel und Zweck dieses Formats ist. (In der Abstraktion fände ich so eine Reihe übrigens lustig: Ein Sendung, in der es alleine darum geht, die Gastgebenden, nicht aber die Gäste besser kennenzulernen, einfach durch die Art, wie die Einlader die prominenten Personen aus Kultur und Politik zerquatschen. Die Sendung müsst natürlich „Ich, unverbesserlich“ heißen.)

Tanja Maljartschuk, Jakob Augstein
Tanja Maljartschuk, Jakob Augstein Fotos: Zbrud, Harald Krichel CC-BY-SA

Augstein hakt bei verschiedenen Punkten nach, indem er behauptet, Dinge nicht zu verstehen – man kommt nicht umhin anzunehmen, dass dieses Unverständnis manchmal rhetorisch gespielt ist, um die Position seine Gegenübers zu kritisieren oder mindestens herauszufordern. Das sind die Augenblicke, in denen er pendelt zwischen Nachhaker-Journalist, dessen Aufgabe es ist, anstrengend zu sein, und taktlosem Klotz, der seltsame Sachen fragt, um dann „Ich frag ja nur“ sagen zu können. Beispielsweise wundert ihn die Aussage von Maljartschuk, dass in der Situation des Angegriffenwerdens das Ich verschwindet. „Ich kann mir nicht vorstellen, so einen Satz zu sagen: ‚Das Ich gibt es nicht mehr.‘ Da kann ich mir jetzt im Moment, wie ich hier sitze, nicht vorstellen, diesen Satz zu sagen.“

Insgesamt kann sich Augstein offensichtlich so einiges nicht vorstellen, und es ihm wichtig, dieses Unverständnis auch zu vermitteln:

„Aber sozusagen, Sie gehen von bestimmten Prämissen aus, die sie für vollkommen selbstverständlich halten. Ich zum Beispiel gar nicht. Also ich würde jetzt gar nicht sagen, dass die Gesellschaft und der Einzelne immer so in eins fallen. Das ist so ein Gedanke, den kann ich zwar verstehen, wenn Sie das sagen, den hätte ich aber unmittelbar so nicht. Das heißt also, was ja ganz interessant ist, dass Sie halten das für komplett selbstverständlich. Das ist, das sagen Sie jetzt so, Sie sind sicher, dass das so ist. Aber wenn ich das höre, würde ich sagen, na ja, das überzeugt mich jetzt gar nicht so, also das finde ich schon wichtig, das festzuhalten. Man kann das auch anders sehen, verstehen Sie?“

Ja, wir verstehen alle, dass er da vieles nicht versteht. Beispielsweise auch nicht, warum eine Schriftstellerin in einer akuten Kriegssituation nicht zu schreiben vermag. Verwunderung offenbar geboren aus einer Vorstellung von Kriegsliteratur, in der das Trauma natürlich zur Muse wird.

Manchmal wird es seltsam investigativ, so als wolle er sie eines Widerspruchs in ihrer Argumentation oder Handlungen überführen, oder holt Dritte ins Gespräch, zu deren Aussagen sie sich nun verhalten soll, als sei sie die ukrainische Pressesprecherin.

Er fragt sie, ob sie eigentlich russische Freunde habe.

„Ich habe meine Tante in Russland“, erklärt sie.

„Aber Sie haben keine russischen Freunde“, stellt er fest.

„Doch, ich hatte, doch seit 24 Februar melden sie sich nicht mehr“, antwortet sie.

Und was leitet Augstein mit seiner Frage ein?

„Ich fand es interessant, dass der ehemalige Botschafter Melnik gesagt hat, Russland ist ein Feindstaat und wird es auch nach dem Krieg bleiben. Und er habe nie russische Freunde gehabt.“

Genauso ruft er einen Satz des Beraters von Präsident Selenskyj auf. Alexei Arestovych habe gesagt, man solle den Deutschen ausrichten, dass die Ukrainer keine Angst vor der atomaren Bedrohung haben.

„Geht Ihnen das auch so? Sie haben auch keine Angst? (…) Er sagt, er hat keine Angst vom Atomkrieg. Da würde ich sagen, das geht mir zum Beispiel anders. Und ich frage Sie jetzt: Haben Sie auch keine Angst vorm Atomkrieg?“

Ihr Antwort war interessant und zeigte die Seltsamkeit dieser Frage auf:

„Ich bin nicht diejenige, die Reden für Arestovych schreibt. Es ist mir auch nicht so wichtig, was er da gesagt hat. Aber in der Ukraine ist man überzeugt, dass das eine Drohung ist, ein Mittel, um auf den Westen Druck zu machen und der Ukraine die Hilfe verweigern diesbezüglich.“

Augstein erwiderte: „Ich finde, es ist ein verdammt wirksames Mittel.“

Maljartschuk antwortete: „Ich finde auch, weil Sie das jetzt fragen und etwas anderes möchten Sie nicht wissen.“

Aus welcher Position fragt er?

Als was war Augstein da? Als jemand, der lieber Fragen beantworten wollte, die er gerne gestellt bekommen möchte? Zu diesen Rollenkonfusionen der Funktion kommt einer weitere, grundsätzlichere Rollenkonfusion: die seiner Sprecherposition als Deutscher in diesem Gespräch bei gleichzeitiger Selbstpositionierung als Opfer des Krieges.

Hier ist eine wesentliche Quelle der Befremdung, die dieses Interview auslöst. Augstein präsentiert Maljartschuk das eigene Kriegstrauma, ein biographisch geerbtes, das offensichtlich Teil seiner Sozialisierung war, um seinen Punkt deutlich zu machen. Die Art, wie er das tut, blendet in dieser Betrachtung der eigenen Verletzung ihre Position, ihr akutes Trauma, aus und wird fast ungewollt komisch, wenn er einer Frau, deren Land gerade in zertrümmert wird, von der Traurigkeit hanseatischer Trümmer berichtet, mit denen er gezwungen war aufzuwachsen, weil Deutschland im Krieg war.

„Ich hatte immer das Gefühl, in einer verwundeten, verletzten Stadt aufzuwachsen. (…) Mein toter Vater hatte so eine komische Narbe am Arm. Hier war ein Eintrittsloch und da war so ein Austrittsloch. Also, es heißt, der Krieg war – und dabei bin ich Jahrgang ’67, ich bin also echt Nach-Nach-Nachgeborener, wenn Sie wollen – der Krieg war bei uns, bei mir präsent. Sie denken jetzt wahrscheinlich, Sie haben jetzt irgendwie mit so einem verwöhnten, verweichlichten Westarsch zu tun. Vielleicht stimmt das auch. Aber was Sie nicht wissen, ist sozusagen, was der Krieg für mich in meiner Biografie und in meinem Hintergrund bedeutet. Das können Sie auch nicht wissen. Ich versuche es Ihnen jetzt aber klar zu machen. Das heißt, ich habe wirklich echt Angst vor Krieg, und zwar wirklich. Nicht wie aus dem Fernsehen oder oder so, und deshalb sind sozusagen diese Leichtfertigkeit, mit der Herr Arestovych über den Atomkrieg redet, gruselt mich. Ich finde, er soll es nicht tun. Er soll gefälligst seine Klappe halten. Verstehen Sie?“

Durch den Versuch, sein und ihr Kriegsschicksal argumentativ miteinander zu verknüpfen, implodieren nun alle Rollen: Moderator, Journalist, Gast, Gastgeber, Deutscher, Kriegsopfer, politischer Kommentator, Privatperson, denn bei allen Ebenen, die er abruft, blendet er notorisch einen Aspekt aus, der aber politisch, historisch und diskursiv mitadressiert werden muss: Dieser Krieg, der diese Trümmer erzeugt hat, der die Familie von Augstein und in zweiter Ordnung Augstein traumatisiert hat, ist ein deutscher. Einer, der übrigens auch die Ukraine überzogen hat.

Nun als Deutscher einer Ukrainierin die Schäden dieses deutschen Kriegs als Argument für die Richtigkeit der eigenen pazifistischen Position und der Falschheit ihrer selbstverteidigenden Position darzulegen, ist vermessen und verdrängend. Und zu alldem: empathielos. Er versucht eine Person, die gerade in einem akuten Krisentrauma befindet, von der Schwere seines historischen Leiden zu überzeugen und reagiert dann auch noch überheblich und geradezu pampig, als sie seine Inanspruchnahme dieser Kriegsopferrolle hinterfragt und ablehnt. Die Ironie ist, dass er die Empathie vermissen lässt, die er von ihr gerne für sein Leiden hätte, wenn er sie mehrmals fragt, ob sie seine Angst verstünde.

Fehlende Reflexion

Noch bemerkenswerter ist, dass Augstein sich im Gespräch darauf beruft, er versuche, eine analytische Position einzunehmen, ein view of nowhere. So kritisiert er die Analogie, die zu Kriegsbeginn angewandt wurde, als die Ukraine anthropomorphisiert und als eine überfallene oder vergewaltigte Person beschrieben wurde: „Aber die Analogie finde ich schwierig, weil eigentlich hat die Analogie so ein bisschen was, wenn ich das sagen darf, etwas so emotional manipulierend ist, weil man natürlich sofort sagt: Ja klar! Aber Politik ist, glaube ich, was anderes, oder?“

Maljartschuk erklärt: „Aber das ist keine Politik, es ist ein Krieg.“

„Ja, aber ich glaube, das hat schon sehr viel mit Politik zu tun, was wir da erleben, auf allen Seiten“, erwidert Augstein, und das ist ein Schlüsselmoment. Für ihn ist es Politik, für sie ist es Krieg. Sie hat das verstanden, er konnte oder wollte das nicht verstehen.

Es steht dafür, wie er seine Diskursposition nicht reflektiert, nicht bemerkt, dass er, weil er seine Rolle als Journalist verlassen hat und Privatperson in seinem eigenen Format geworden ist, subjektiv argumentiert, eben weil er aus der Perspektive seiner Position als in Deutschland Aufgewachsener und Lebender spricht.

Auf seinen Vorhalt, ukrainische Intellektuelle würden jetzt so tun, als habe es noch nie einen Krieg gegegeben und als wären jetzt alle moralischen Maßstäbe ausgehebelt, erklärt sie, dass es der erste Krieg im Leben dieser Intellektuellen sei und ihre Aussagen deshalb nachvollziehbar seien. Augstein präzisiert dann aber, dass es ihm bei dieser Kritik um die deutsche Öffentlichkeit ginge, „die mich da tatsächlich mehr interessiert, weil ich bin ja Teil der deutschen Öffentlichkeit und nicht der ukrainischen.“

Das ist aber nicht die nüchterne Position, kein view from nowhere, sondern, klar, eine eingenommene deutsche. Ebenso wenn er betont, dass man den Empfänger für den Appell, den er unterschrieben hatte, missverstanden hatte:

„Zum Beispiel, als es diesen Appell gab zum Waffenstillstand, den ich auch unterzeichnet habe, hat man den Unterzeichnern nachher vorgeworfen, sie würden den Ukrainern Vorschriften machen wollen. Wo ich sage: Leute, dann lest mal gründlich. Der Appell hat sich nicht an den ukrainischen Präsidenten gerichtet, sondern an den deutschen Bundeskanzler, weil der ist natürlich für einen deutschen Wähler, Journalistin, Beteiligte an dem Diskurs die Adresse. Und der Adressat ist der Bundeskanzler, nicht der ukrainische Präsident und auch übrigens auch nicht Putin, weil dann wurde immer gesagt: Ihr wollt ja von Putin gar nichts, sondern von den Ukrainern alles. Wo ich sagen würde: He, Riesenmissverständnis, ich will weder von Putin was noch von den Ukrainern. Ich will was von dem deutschen Bundeskanzler.“

Ok, wir haben verstanden, wenn es etwas in den öffentlichen Verhandlungen dieses Krieges offenbar viel mehr braucht, dann unbedingt die deutsche Perspektive und ein Gespräch darüber, was dieser russische Krieg gegen die Ukrainer:innen vor allem den Deutschen antut.

Was er ausblendet

Umso befremdlicher also, dass er sich dieser Sprecherposition sehr bewusst ist, zugleich ihr ihre Position durch performatives Nichtverstehen nicht zugesteht. Er gesteht ihr auch nicht zu, seine Position eben nicht teilen zu können. Und zu allem Überfluss ignoriert er komplett die Implikationen, die seine deutsche Sprecherposition in diesem Austausch hat. Er blendet sie aus und zieht nur das eigene historische Leid als argumentative Grundlage heran.

„Und ich finde es schon interessant, wie viele Setzungen gemacht werden, die gar nicht hinterfragt werden. Und das ist etwas, was ich als Journalist“ – er beendet den Satz nicht, da Maljartschuk ihn mit einer Frage unterbricht, aber ich vermute, dass er sinngemäß sagen wollte: „als Journalist kritisch sehe“.

Das mag stimmen, und als Journalist müsste er auch diese eigene Interview sehr kritisch sehen, vor allem, abgesehen von der Vermengung der Rollen und Funktionen, weil Augstein ein so wesentliches Element des Journalismus einfach vergessen zu haben scheint: die Empathie. Es scheint immer noch, dass im Streben nach dem Ideal einer distanzierten Objektivität (die hier ja ohnehin nirgends eingehalten wurde) die Idee von Einfühlungsvermögen immer noch suspekt ist, irgendwo kurz vor dem embedded Journalism.

Dabei belegt die Praxis und dieses kaputte Gespräch ganz besonders, welchen Wert Empathie in der publizistischen Arbeit einnimmt: Ohne diesen Träger ist ein qualitativer und ethischer Journalismus nicht möglich.

Ich hoffe, dass Augstein sich an das Gespräch von 2018 erinnert und seine damalige Erkenntnis wiedererlangt: „Empathielos will ja keiner sein.“

8 Kommentare

  1. Ich finde es bemerkenswert, wie sehr Augstein den typisch deutschen Nationalismus verinnerlicht hat. Mit dem verlorenen Weltkrieg, nach dem man so viel gelernt und bewältigt und bereut hat, begründet man die eigene angeblich objektive und bessere Sicht auf die Welt. Deutschland habe deshalb die Verantwortung, die Pflicht und auch das Recht, sich in internationale Angelegenheiten einzumischen. Diese Überheblichkeit ist bei Augstein nicht nur oberflächliche Propaganda für ein politisches Programm, sondern anscheinend in Fleisch und Blut übergegangen. Er begründet seine eigene Kompetenz mit seiner Nachkriegserfahrung.

    So würde ich das interpretieren, nicht direkt (nur) als Mangel an Empathie, sondern als (nationalistische?) Arroganz. Mich würde durchaus interessieren, ob Augstein gegenüber deutschen Gesprächspartnern mit ähnlicher Biografie, aber anderem Standpunkt, aufgeschlossener auftreten würde.

  2. Sehr starke Anslyse!
    Performatives Nichtverstehen als Stilmittel in der Gesprächsführung weiß aber auch Holger in eurem Podcast gut anzuwenden. Immerhin hat man bei ihm den Eindruck, er sieht es als ein geeignetes Mittel an, Erkenntnisse im Dialog zu gewinnen
    – mit durchaus unterschiedlichem Erfolg, wie ich finde.

  3. Neben der mangelnden Empathie und dem tlw aggressiv-arroganten Verhalten, fand ich besonders bemerkenswert (und unangenehm) wie Augstein den Raum für die Betroffenheit, das Leid, das Trauma von Tanja Maljartschuk und ihrer Familie, Freunde, Landsleute, den Menschen in der Ukraine mit der eigenen Befindlichkeit okkupierte und diesen genommen Raum mit seinen (bei weitem weniger dramatischen) Gefühlen und Erinnerungen auffüllte, so dass das Leid der wirklich vom russischen Angriffskrieg Krieg betroffenen Ukrainer in den Hintergrund verschwinden konnte.

    Für dieses (egoistische) Verhalten kann es verschiedene Erklärungen geben. Es könnte sein, er stellt seine Ideologie oder Sichtweisen über den Menschen und lieber diese als seine eigenen Glaubenssätze infrage. Ideologie über den Menschen zu stellen ist mE ein Effekt und Merkmal von Fanatismus.
    Es kann auch sein, es passt nicht in sein Denken oder sein emotionales Vermögen, sich vorbehaltlos dem Leid von Ukrainern zu öffnen – oder seine Empathie war schlicht blockiert (durch Ängste vor einem Atomkrieg, bei dem er dann die Gefahr auf Ukrainer statt Putin projiziert (klassische Täter-Opfer-Umkehr) oder er hat keine Empathie (eher unwahrscheinlich).

    Dieses Leid der Opfer auszublenden und auf die eigenen Befindlichkeiten und Gefühle umzulenken ist mir aus Missbrauchszusammenhängen wohl bekannt. Dort dient es zur Verteidigung des Täters, seiner Unterstützer und dem Verleugnen und Kleinreden der Realität der Missbrauchten. Man will dem Leid der Betroffenen – aus welchen Gründen auch immer – schlicht keinen Raum geben. Deshalb okkupiert man diesen Raum und füllt ihn mit relativ unerheblichen eigenen Gefühlen und Befindlichkeiten.

  4. Frau El Ouassil,
    aufgrund ihres Textes bin ich auf das Gespräch zwischen Herrn Augstein und Frau Maljartschuk aufmerksam geworden.
    Nach dem Hören des Gespräches und nochmaligem lesens ihres Textes habe ich den Eindruck, das Sie hier uber das Ziel hinausgeschossen sind.
    Frau Maljartschuk scheint, so wie ich sie auf der Aufnahme wahrnehme, unter dem Krieg zu leiden und, zum damaligen Zeitpunkt, nicht in der Lage zu sein eine kritische Distanz aufbauen zu können – Herr Augstein scheint um kritische Distanz bemüht.
    Daher (scheinen) beide von gegensätzlichen Bezugspunkten auszugehen.
    In ihrem Text wandten Sie sich gegen die Position von Herrn Augstein und schlossen damit, das er zu wenig emphatisch sei. Seine gegensätzliche Ansicht zu Frau Maljartschuk kann kein Argument sein, um ihm eine unterausgeprägte Emphatie nachzusagen. Soweit mir bekannt ist, ist ein Diskurs nur möglich, wenn keine Einstimmigkeit besteht.
    Sollte ich ihren Text missgedeutet zu haben, Bitte ich darum, mit einer Aufklärung/Erläuterung/Richtigstellung auf mich zu zukommen.
    Ich wünsche eine, hoffentlich großteilig, angenehme Woche.

  5. „Empathielos will ja keiner sein“ ist jetzt auch nur eine Phrase. Empathie ist u.a. die Fähigkeit, besonders manipulativ zu sein, ergo macht Empathie niemanden zu einen guten Menschen und Empathielosigkeit niemanden zu einem schlechten.
    Im konkreten Fall ist das aber wohl so oder so nicht das Problem, wenn er sich nicht in sie hineinversetzen will. Wonach es nunmal aussieht.

  6. Herrje, was für ein Dünbrettbohrer !
    Augstein braucht seine Geprächspartnerin nicht etwa für ein Gespräch, sondern nur als Empfängerin für seine eigene Salbaderei.
    Und hat dann noch nicht mal das Rückgrat, den Subtext seiner wiederholten message -Ergebt Euch endlich, damit wir unsere Ruhe haben!- auch zu vertreten.

  7. Ich danke sehr für diesen Artikel. Zumal er mit einigen Kommentaren dazu zeigt, dass Augstein nicht allein ist mit seinem Anspruch, sein Opfer-sein eines Weltkrieges für seine Haltung gegenüber der Ukraine („seid kompromissbereit“) zu erklären. Welche Hybris. Augstein – darin der Drilling der beiden anderen Mimen dieser Zeit: Precht und Hirschhausen ähnlich – geht es um Augstein. Das ist in Ordnung, solange es nicht deutsche Politik und deutsche Wahrnehmung bestimmt.

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