Glaubwürdigkeit über Bord
Kennen Sie den schon? Bietet ein Zeitungsverlag eine 17-tägige Kreuzfahrt an, auf der Leser:innen mit einem Redakteur über „Lösungen zur Bewältigung des Klimawandels“ diskutieren könn …
Ach, halt! Das ist ja gar kein Witz.
Liebe „Zeit“: Ihr bietet uns an, sich mit einem Eurer Top-Redakteure über „Lösungen zur Bewältigung des Klimawandels“ zu unterhalten. Und zwar während einer von Euch organisierten 17-tägigen Kreuzfahrt von Barbados nach Rio de Janeiro?
Sorry, aber merkt Ihr eigentlich noch was? pic.twitter.com/EzyS8EMMHD— Lorenz Meyer (@shengfui) September 25, 2022
Das Angebot gibt es wirklich. Der Zeitverlag bietet Leser:innen an, mit „Zeit“-Redakteur Uwe Jean Heuser auf große Reise zu gehen. Ausweislich des Reiseplans für diese Kreuzfahrt ist Heuser ein echter Experte auf dem Feld der Klimaberichterstattung:
„Dr. Uwe Jean Heuser arbeitet seit 1992 bei der ZEIT und hat zwanzig Jahre das Wirtschaftsressort geleitet. Im Herbst 2021 hat er für die ZEIT das neue Ressort GREEN gegründet und entwickelt seitdem mit seinem Team Lösungsansätze zur Bekämpfung des Klimawandels.“
Los geht’s Anfang Dezember in Miami, ankommen soll man kurz vor Weihnachten in Rio de Janeiro. Veranstaltet wird die Reise von Hapag Lloyd Cruises (dem Impressum nach „eine Unternehmung der TUI Cruises GmbH“, Geschäftsführung Wybcke Meier – das merken wir uns mal für später).
„Zeit Reisen“ vermarktet die Kreuzfahrt mit dem Zusatzprogramm an die eigene Leserschaft. Beziehungsweise: Hat vermarktet. Nachdem wir dem Verlag und Heuser Fragen geschickt haben, erbat der Verlag sich zunächst Zeit für die gemeinsamen Antworten – und nahm die Anzeige dann offline. Warum? Der Verlag schreibt: „Die Seite ist im Aktualisierungsmodus.“ Was vermutlich daran liegt, dass Heuser nicht mehr mitfahren möchte.
Auf unsere Frage, wie das zusammenpasse: eine Kreuzfahrt mit dem Ansatz, über „Lösungsansätze zur Bekämpfung des Klimawandels“ zu diskutieren, schreibt Heuser, er habe Ende September seine Teilnahme an der Reise abgesagt. Und: „Es wird auch kein anderes Mitglied der Green-Redaktion mitfahren.“
Gründe nennt er erst auf Nachfrage:
„Wir haben das Ressort Green bei der ZEIT gegründet, um nach Lösungen zu suchen für eine beschleunigte grüne Transformation und gleichzeitig die Widerstände zu beschreiben. Das heißt auch kritische und offene Dialoge dort zu führen, wo noch nicht jede und jeder überzeugt ist. Die aufkommenden Irritationen wogen aber deutlich schwerer und haben mir gezeigt: Die Teilnahme zu planen war ein Fehler, den ich dann umgehend korrigiert habe.“
Ein Angebot im ständigen Wandel
Schon zuvor hatte der Verlag an dem Angebot, das nun gelöscht wurde, geschraubt.
Hier der Link zum Angebot. Dort heißt es so schön über den „Zeit“-Reisebegleiter: „Im Herbst 2021 hat er für die ZEIT das neue Ressort GREEN gegründet und entwickelt seitdem mit seinem Team Lösungsansätze zur Bekämpfung des Klimawandels.“ Ja, ähh, danke! https://t.co/ikMvkxRjda
— Lorenz Meyer (@shengfui) September 25, 2022
Vor Lorenz Meyers Tweet vom 25. September war der Reisebeschreibung zu entnehmen, Heuser sei Leiter des Ressorts „Green“, das „Lösungsansätze zur Bekämpfung des Klimawandels“ entwickelt. Das sei unglücklich formuliert, schreiben Verlag und Heuser. „‚Green‘ entwickelt natürlich selbst keine Lösungsansätze, sondern beschreibt sie.“
Heuser sammelt Seemeilen
Hält Heuser Kreuzfahrten denn persönlich für eine unproblematische und zeitgemäße Art zu reisen? Dazu sagt der „Zeit“-Redakteur: „Keine Form der Fernreise ist heute unproblematisch. Deshalb sollte es darum gehen, die Transformation hin zu klimaneutralem Reisen massiv zu beschleunigen.“
Grundsätzlich scheint Heuser der Kreuzschifffahrt jedoch nicht abgeneigt. Mit der Möglichkeit, mit ihm als „Zeit-Reisebegleiter“ in den Austausch zu kommen, wirbt der Verlag nicht das erste Mal. Eine zehntägige Kreuzfahrt von New York nach Hamburg hatte „Zeit Reisen“ bereits 2017 im Angebot. Im Januar 2019 konnte man sich gar 46 Tage auf See begeben und bekam ein „unvergessliches maritimes Abenteuer“ von Hamburg nach Shanghai versprochen. 14 Tage, von Dubai bis Singapur, sollte mit an Bord: Uwe Jean Heuser. Und auch 2020 hieß es, als Kuba, die Dominikanische Republik und die kleinen Antillen auf dem Programm standen, man könne mit Heuser auf einem Segel-Kreuzfahrtschiff unter anderem darüber sprechen oder gar von ihm erfahren, „wie eine für die Begrenzung des Klimawandels notwendige Transformation gesellschaftlichen und ökonomischen Handelns gelingen kann“. 2021 soll es mit Heuser als Reiseleiter von Kapstadt nach Mauritius gegangen sein. Und jetzt hieß es eben:
„Sonne, Samba, Südamerika – Freuen Sie sich auf karibische Strände, koloniale Perlen“ (ja, wirklich, auch das ist kein Witz) „und das Feuer des brasilianischen Temperaments, während Sie auf der ‚EUROPA‘ entlang der Atlantikküste Südamerikas reisen.“
Heuser scheint eine besondere Beziehung zur Schifffahrt zu haben. Denn auch das neue Ressort „Green“ wurde den „Zeit“-Leser:innen 2021 auf dem Wasser vorgestellt. Da durfte es allerdings eine Nummer kleiner sein und ging auch nur vier Tage elbaufwärts im „gemütlichen Flussschiff“ von Hamburg nach Travernmünde statt mit dem Kreuzfahrtschiff durch internationale Gewässer. In der Ankündigung las sich das so:
„Uwe Jean Heuser (…) stellt sein neues ZEITRessort ‚Green‘ vor, in dem er mit seinem Redaktionsteam ab dem Herbst neue Wege aufzeigen wird, den Klimawandel zu bewältigen und unser Zusammenleben zukunftsfähig zu gestalten.“
Wir wollten wissen, wie viele Kreuzfahrten Uwe Jean Heuser für die „Zeit“ bereits begleitet hat. Die erstaunliche Antwort der Verlagssprecherin: „Zwei, die letzte im Januar 2019.“ Wie das mit den verschiedenen angebotenen Reisen zusammenpasst? Vom Verlag heißt es auf erneute Nachfrage:
„Herr Heuser hat, wie von uns geschrieben, an zwei Kreuzfahrten teilgenommen: von New York nach Hamburg 2017 sowie 2019 von Dubai nach Singapur (eine Teilstrecke auf der Fahrt von Hamburg nach Shanghai).
Die Segelreise 2020 hatte Herr Heuser abgesagt. An der Reise 2021, die in die Ostsee verlegt wurde, hat Herr Heuser ebenfalls nicht teilgenommen.
Auf der Flussschifffahrt von Hamburg nach Travemünde war Herr Heuser einen Tag für einen Vortrag an Bord. Eine Kreuzfahrt war das nicht.“
Sie lesen es mindestens zwischen den Zeilen: Die Antworten des Verlags und Heusers kommen nicht nur stückchenweise, sie werfen auch immer wieder neue Fragen auf. Weshalb der Verlag mehrfach Reisen veranstaltet und mit einem Redakteur bewirbt, der das doch eigentlich gar nicht will und am Ende in drei von fünf Fällen auch gar nicht mitfährt, bleibt rätselhaft.
Transparenz ist offenbar verzichtbar
Mindestens verwirrend ist auch, wer die Kreuzfahrt veranstaltet: Hapag-Lloyd Cruises. Das Unternehmen gehört zu TUI Cruises, und TUI Cruises-Chefin Wybcke Meier wurde kürzlich in der „Zeit“ zum Thema Kreuzfahrt interviewt. Schlagzeile: „Verzicht macht die Welt nicht besser“.
Offenbar hat man sich in der Hamburger Zeitungs-und-dies-und-das-Verlagsgruppe an Meier ein Vorbild genommen und ebenfalls Verzicht geübt: Ein Transparenz-Hinweis zur gemeinsamen unternehmerischen Tätigkeit findet sich nicht im Text. Hätte es den nicht gebraucht? Eine Verlagssprecherin antwortet:
„Der Zeitverlag und seine Tochterunternehmen unterhalten Geschäftsbeziehungen zu einer großen Zahl von Unternehmungen und Institutionen, die naturgemäß auch Gegenstand von redaktioneller Berichterstattung sein können. Ob, wann und wie das geschieht, entscheiden alleine die Redaktionen von ZEIT und von ZEIT ONLINE. Geschäftspartner des Zeitverlages haben keinerlei Einfluss auf die Arbeit der Redaktion.“
Nachtrag, 20. Dezember. Der Deutsche Presserat widerspricht: Nach seiner Auffassung hätte die Redaktion den Interessenskonflikt transparent machen müssen. Er sprach eine Rüge wegen Verstoß gegen Ziffer 7 des Pressekodex (Trennung von Werbung und Redaktion) aus.
Ist halt so
Warum verkauft man überhaupt Kreuzfahrten bei der Zeit? Gründe dagegen gibt es ja zu Genüge, zumindest der frühere Reisebegleiter Heuser sieht sie inzwischen. Vom Verlag heißt es schlicht: „ZEIT Reisen ist ein Geschäftsfeld des ZEIT Verlages, es gehören auch Schiffreisen dazu.“ Bringt das der Verlagsgruppe etwa so viel Geld? Dazu möchte der Verlag wieder keine Angaben machen. „Wir äußern uns zu den Umsätzen einzelner Geschäftsbereiche grundsätzlich nicht.“
Gut, aber wenn schon Kreuzfahrt, warum dann ausgerechnet mit der „MS Europa“ und nicht wenigstens der „MS Europa 2“? Nach Angaben von Hapag Lloyd zum Umweltmanagement der Flotte ist die nämlich mit einem Katalysator ausgestattet, der laut Reederangaben die entstehenden Abgase reinige und den Ausstoß von Stickoxiden um beinahe 95 Prozent reduziere. Das Kreuzfahrtschiff „MS Europa“ verfügt anscheinend nicht über einen solchen Katalysator. Warum hat man sich für das umwelt- und klimaschädlichere Schiffsmodell entschieden? Darauf heißt es von der Verlagssprecherin, die Auswahl treffe Hapag Lloyd, nur die Inhalte gestalte „Zeit Reisen“.
Damit auch die Reisenden sich maximal unschuldig fühlen können, bewarb der Verlag das Angebot auch mit dem Hinweis: „Jetzt das Klima schützen!“ Nein, immer noch kein Witz. Die Logik geht so: „Den CO₂-Ausstoß für sämtliche Fahrten mit Bahn, Bus, Flugzeug und Schiff sowie das Landprogramm kompensieren wir für Sie!“. Auf unsere Nachfrage bestätigt die „Zeit“, dass sie das nicht nur für die Reiseteilnehmer, sondern auch für alle Begleiter mache. Seit Anfang 2020 kompensiere man in zertifizierten Klimaschutzprojekten von „Atmosfair“: „Wir kalkulieren die Kompensation gemäß der Angaben von Atmosfair und myclimate. Wir berechnen dabei alle Reisebestandteile, auch die Hin- und Rückflüge zu 100 Prozent.“
Gigantische energiefressende Seniorenresidenzen
Vielleicht hätten sie bei der „Zeit“ mal einen Artikel lesen sollen, der zusammenfasst, warum Kreuzfahrten nicht nur wegen des CO₂-Ausstoßes problematisch sind. „Schwimmender Albtraum“ zum Beispiel. Der ehemalige Kreuzfahrt-Bootspfarrer Christoph Störmer rechnet darin mit der Kreuzfahrt-Industrie ab. „Gigantische Energiefresser und Dreckschleudern“ seien die „schwimmenden Seniorenresidenzen“, auf denen „reine Völlerei und Maßlosigkeit“ herrsche, und darüber hinaus: Moderne Sklavenschiffe.
„Oben regiert der Luxus, unter Deck wird hart gearbeitet, in der Regel neun Monate nonstop, zu Löhnen weit unter dem deutschen Mindestlohn. Ein international verbindliches Übereinkommen erlaubt 14 Stunden Arbeit täglich und bis zu 72 Stunden wöchentlich, das ganze Jahr über.“
Störmer hat die Kreuzfahrt satt – und auch die ständige Werbung dafür in der Zeitung:
„Wenn ich morgens die Zeitung aufschlage, werden mir ständig Kreuzfahrten schmackhaft gemacht. Für 7500 Euro inklusive Flüge soll ich 10 Tage lang die ‚abgeschiedene und geheimnisvolle arktische Wildnis‘ und ‚unberührte Natur‘ rund um Spitzbergen erkunden. Ein anderes Blatt wirbt auf eineinhalb Seiten für Kreuzfahrten in die Antarktis. Für den schmaleren Geldbeutel gibt es im Winter eine 31-tägige Reise rund um die Kanarischen Inseln für knapp 3000 Euro. All inclusive. Mich packt eine Mischung aus Wut und Resignation.“
Der Text ist Mitte September erschienen. Und, ach was: In der „Zeit“.
Der Artikel offenbart etwas positives: die Redaktionen arbeiten offenbar unabhängig von Marketing und der PR-Abteilung. ;-)
Dass ausgerechnet Uwe Jean Heuser sich Sorgen ums Klima macht, ist aber auch wirklich schon lange eine allgemein bekannte Tatsache:
https://www.zeit.de/2015/43/heliskiing-kanada-ski-helikopter-columbia-mountains, und dann auch nochmal 2019, als man schon wirklich nicht mehr sagen konnte, Klimaschutz sei vielleicht noch nicht bei allen angekommen : https://www.zeit.de/entdecken/reisen/2019-01/heliskiing-kanada-tiefschnee-columbia-mountains-cmh
Runde Sache, liebe ZEIT!