Podcast-Kritik (89)

„Shameless Acquisition Target“: Einen Podcast zu Geld machen

Logo des Podcasts "Shameless Acquisition Target", daneben die Comic-Zeichnung eines gut gelaunten Hörers

Ich habe lange keinen Podcast gehört, dessen Name so schlecht gewählt ist. Dessen Erzählung dermaßen verkopft, hastig und sprunghaft ist. Der keine klugen Zwiegespräche oder spannenden Momente entwickelt. Sondern einfach monologisiert. Ich habe lange keinen Podcast gehört, der so übel, weil kratzig übersteuert klingt. Ein Podcast, der auch noch vollgestopft mit Werbung ist. Dessen Format so unausgegoren ist. Und der auch noch so unregelmäßig erscheint.

Kurzum: Der US-Podcast „Shameless Acquisition Target“ ist ein großes Hörvergnügen.

Ja, richtig gelesen.

Mayer will aufgekauft werden

Laura Mayer versucht, mit diesem Podcast reich zu werden. Aufgekauft zu werden. Daraus macht sie keinen Hehl. Im Gegenteil: Der Podcast hat gar keinen anderen Zweck. Das alles klingt erstmal furchtbar unsympathisch, wird dann aber überraschend großes Herzkino für die Ohren. Versprochen.

„Shameless Acquisition Target“ ist die Dokumentation eines Selbstversuchs. Eine Underdog-Erzählung. Eine Satire. Eine Medienkritik. Ein Porträt einer Medienbranche. Eine Analyse der Mechanismen des modernen Mediengeschäfts. Wem jetzt der Kopf dreht: Genau so klingt dieser Podcast. Anstrengend. Krawallig. Lustig. Wirklich kompliziert.

Zuerst der Zweck: Die erfolgreiche Podcast-Veteranin Laura Mayer will nach einer Zwangspause aus Schwangerschaft und Krankheit samt Nahtoderfahrung wieder einen Podcast-Traumjob. Gegen alle Widrigkeiten, möglichst schnell und mit viel Geld. Sie will „aufgekauft“ werden. Entweder, weil sie durch diesen Podcast eine Stelle angeboten bekommt. Oder weil sie genügend Geld mit Werbespots in ihrem Format verdienen kann. Oder weil jemand die Rechte an ihrem Podcast und ihrer Geschichte kaufen will.

Dann ist „Shameless Acquisition Target“ eine Heldinnengeschichte und weckt bei mir nostalgische Erinnerungen an die erste Staffel des Podcasts „Millenial“, in der Megan Tan die emotionale Achterbahnfahrt erzählte, die Berufseinstieg und Erwachsenwerden für sie sind. Mit dem Unterschied: Laura Mayer ist keine Einsteigerin, sondern Podcast-Veteranin. Und wie jeder Mensch mit Berufserfahrung hat sie absolut keine Lust, nochmal ganz naiv auf Ausbeutung und schlechte Arbeitsbedingungen reinzufallen. Ihre wahlweise realistische oder zynische Perspektive setzt auf die selbe Art Klamauk-Humor, den Jamie Loftus in „My year in Mensa“ nutzt.

Schamlos in New York

In der ersten Folge erzählt Laura Mayer, warum sie mittlerweile so schamlos ist. Nämlich aus gutem Grund: Als die Mutter aller True-Crime-Podcasts „Serial“ 2014 den großen Durchbruch der Podcasts einläutet, ist Mayer in New York schon lange und gut im Geschäft. In diesem Podcast-Boom baut sie das Team eines erfolgreichen Podcast-Unternehmens auf. Mayer hat dafür zwei Jahre durchgearbeitet, alles außer den Job zur Nebensache gemacht, zwei Jahre lang kein einziges Wochenende gehabt. Sie ist damals ausgebrannt, ihre Haare fallen aus. Zeit für einen Jobwechsel.

Und hier wird die Heldinnengeschichte dann tragisch: Weil Mayer sich damals bei einem Konkurrenten bewirbt, wird sie an ihrem letzten Tag im alten Job gefeuert – und verliert somit alle Erfolgsbeteiligungen an dem Unternehmen, für das sie sich dermaßen aufgeopfert hat. Drei Jahre später wird das Podcast-Unternehmen aufgekauft werden – für einen dreistelligen Millionenbetrag.

Laura Mayer hätte also schon einmal reich sein können durch Podcasts. Sie sieht, wie Freunde und Feinde mit Podcasts erfolgreich sind. Das will sie auch. Nicht aus Neid. Sondern weil sie Mutter ist, nicht mehr jung, Verantwortung trägt für eine Familie und das Geld braucht. Für Krankenversicherungen zum Beispiel. So schamlos, so schonungslos ehrlich ist der Podcast.

„Shameless Acquisition Target“ zeigt – mit viel Humor und Selbstironie – die Seite einer schnellwachsenden Branche, über die alle Akteure Bescheid wissen und über die trotzdem niemand redet. Nicht nur in den USA, auch in Deutschland. Zum Beispiel, dass junge Menschen, oft Frauen, für wenig Geld sehr viel Arbeit in den Podcast-Firmen dieser Welt übernehmen und dazu oft wenig Teilhabe am Unternehmenserfolg bekommen. Das ist wohl das am schlechtesten gehütete Geheimnis der Branche. Womit Laura Mayer in „Shameless Acquisition Target“ in Vergangenheitsform abrechnet, ist nicht allzu weit von der aktuellen Realität der deutschen Podcast-Industrie entfernt.

Podcast-Klischees mit ihren eigenen Waffen schlagen

Wenn die erste Folge von Laura Mayer als tragische Heldinnengeschichte inszeniert wird, ist das eine gekonnte Anspielung auf die 08/15-Rezepte vieler Storytelling-Podcasts. Die zweite Folge beginnt als bedrohliche inszenierte Erzählung eines historischen Kriminalfalls in der Wohnung von Laura Mayer. Und dann stellt sich schnell heraus, dass Verbrechen, Vergangenheit und Podcasterin doch gar nichts miteinander zu tun haben. Grüße gehen raus an alle seelenlosen True-Crime-Formate!

Was „Shameless Acquisition Target“ so faszinierend macht: Der Podcast verstößt einerseits gegen alle „Regeln“ für Podcasts, die sich in den letzten Jahren eingeschlichen haben. Und zeigt damit klar, wie leer und wenig hilfreich sie sind. Mayer gelingt es, die beliebten Muster erfolgreicher Podcast-Formate treffsicher zu imitieren und dann zu persiflieren. Die subtilen und nicht so subtilen Seitenhiebe geben dem Podcast eine zusätzliche Ebene für Podcast-Kenner*innen. Meistens sagt Laura Mayer aber einfach vollkommen schamlos „wink, wink“, um dezent mit dem Holzhammer auf ihre eigenen Anspielungen und Witze hinzuweisen.

Zugegeben: Ich habe eine absolute Schwäche für solche Meta-Formate mit Ironie-Ebene und „Shameless Acquisition Target“ trifft bei mir genau diesen Nerv, der mein Gehirn Loopings durch wirklich beabsichtigte und theoretisch denkbare Ironie-Ebenen des Gesagten drehen lässt.

Aber wer sich auch nur ansatzweise für die wachsende Podcast-Medienindustrie interessiert oder die Kommerzialisierung der Podcasts mit Sorge beobachtet oder wer einfach nur die erste Staffel des Podcasts „Startup“ mochte – kommt an diesem Podcast einfach nicht vorbei. Dass die Zielgruppe des Podcasts dermaßen spitz ist, ist auch wieder Teil des Gags. Ganz schambefreit kann Laura Mayer dann auch die Werbespots für Firmen vortragen, die genau aus derjenigen Podcast-Branche kommen, die Mayer so verachtet. Der Podcast trainiert entweder die Ambiguitätstoleranz, ist doch Performancekunst oder gerät vielleicht bei so viel Kommerz am Ende zur eigenen Karikatur.

Ich weiß gar nicht, ob ich eigentlich möchte, dass Laura Mayer ihr Ziel erreicht. Ich würde es ihr gönnen, klar. Aber ich möchte noch eine ganze Weile zuhören können, wie sie mit „Shameless Acquisition Target“ gnadenlos mit allen Macken, Stärken und Schwächen von Podcasts abrechnet und genau dabei selbst einen ziemlich kreativen und eben doch hörenswerten Podcast erschafft.


Podcast: „Shameless Acquisition Target“ von Laura Mayer

Episodenlänge: bisher 4 Folgen, jeweils rund 40 Minuten

Offizieller Claim: The Podcast that pays for itself

Inoffizieller Claim: Ist das Kunst oder doch ein Pitch?

Wer diesen Podcast hört, mag auch… die sympathische Podcast-Berufeinsteiger-Story von „Millenial“; die hochpolierte Selbsterzählung eines Podcast-Unternehmens bei „Startup“; den krawalligen Selbstversuch „My year in Mensa“

Einen Kommentar schreiben

Mit dem Absenden stimmen Sie zu, dass Ihre Angaben gemäß unseren Datenschutzhinweisen gespeichert werden. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.