Pleitegespräch

Robert Habeck, Kanzler der Herzen a.D.

Er war der Posterboy der politischen Kommunikation von Katar bis Instagram, und auch die Magazine waren verliebt: Habeck als Rocker, Retter in der Apokalypse, Kanzler und, ja, Jesus.

Das ist erstmal vorbei. Nach schweren Managementfehlern wie der verkorksten Gasumlage und einem holpernden AKW-Weiterbetrieb erschüttert den Politiker nun weit, weit Schlimmeres: ein Shitstorm. Oder war es eine Trollkampagne gegen den Star des Kabinetts? Hat sich Twitter nun an dem Minister gerächt, der die Plattform 2019 verließ, weil sie ihm nicht gut tut?

Robert Habeck bei Sandra Maischberger
Screenshot: Das Erste

Als Sandra Maischberger ihn am Dienstagabend im Zwiegespräch fragt, ob er mit einer Insolvenzwelle rechne, sagt der Minister: „Nein, das tue ich nicht.“ Er fährt fort: „Ich kann mir vorstellen, dass bestimmte Branchen einfach erst mal aufhören zu produzieren. Nicht insolvent werden.“ Diese etwas Jeff-Goldblum-artige Sprechweise – als würde Habeck sich die Antworten wirklich beim Sprechen erst aus dem Autorengehirn herausschütteln – wirkt auf einmal nicht mehr sexy, sondern: desorientiert. Habeck mäandert über die Preisunterschiede bei Brötchen und schließt, Betriebe seien bald womöglich nicht insolvent, aber „sie hören vielleicht auf zu verkaufen“.

Das ist, soweit fraglos, unwürdiges Gestammel. Habeck steht schließlich mit der Wasserdüse auf der Feuerleiter der Nation; zittrige Hände sind das Letzte, was man da sehen will. „Womöglich“, „vielleicht“, „ich kann mir vorstellen“ – Habeck ist mal wieder Korrespondent seines Innenlebens. Im Sommer gefiel das dem Publikum noch, zumal Scholz den stocköden kalten Verwalter gab. Dann doch lieber öffentliches Hadern. Aber wie viel des Shitstorms lag am Patzer, wie viel an der Person Habeck – und wie kam es zur medialen Verstärkung?

Frühstücksdefizite

Die Fallhöhe ist beim Medienliebling Habeck eben enorm: Er trägt zudem, wie fast jeder Politiker, einen Resonanzkörper mit sich herum, gewachsen aus früheren Missetaten. Armin Laschet wirkte lange schon fahrig und unkontrolliert, weshalb sein Lachen in der Flut enorm verfing (anders als das Lachen des Bundespräsidenten ebendort). Habecks Resonanzkörper: Er gilt als larmoyant in eigener Sache. Über Frühstücksdefizite hat sich der Wirtschaftsminister gleich mehrfach öffentlich beklagt. Mal störte sich Habeck im Gespräch mit Markus Feldenkirchen daran, dass er morgens nur Müsli mit Wasser gegessen habe, „kein Scheiß“. Bei Maischberger sprach er darüber, dass er eigentlich gar nicht mehr zum Brötchen kaufen oder essen komme.

Wer böswillig ist (und wer ist das heutzutage nicht?) hört: Existenzangst und die falsche Müslibegleitflüssigkeit sind in den Augen des Herrn Ministers offenbar ein gleichwertiges Schicksal – typisch abgehobene Grüne. Britta Hasselmann vertiefte diese Kerbe schließlich in der Haushaltsdebatte: Der Minister habe nun einmal „viel zu tun“, warb sie um Verständnis. Das klang fast schon zynisch.

Habeck gilt aber nicht nur wegen seines zerzausten Auftritts, sondern auch wegen früher fachlicher Patzer seinen Kritikern als Luftikus des Kabinetts: Als er vor der Wahl die Pendlerpauschale nicht richtig erklären konnte und die Aufgaben der Bafin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) nicht korrekt referierte, sah er schon einmal nicht mehr süß trottelig aus, sonder nur noch trottelig. Daran erinnern jetzt natürlich alle – auch wir.

Dramatische Wenden sind zudem medial immer interessant: Gerade kehrt sich das Verhältnis zwischen Kanzler der Herzen und Kanzler der Wahlstimmen wieder um. Während die Opposition in der Generaldebatte im Bundestag Habeck Maischberger links und rechts um die Ohren knallte (die Sendung, nicht die Moderatorin), nagelte Scholz sie mit einer furiosen Rede an die Wand (die Opposition, nicht die Moderatorin). Das Organigramm der Bundesregierung stimmt seit gestern wieder mit der Realität überein.

Der erste Spin

Dann ist da der erste „Spin“. Er ist in der Kommunikation zudem entscheidend: Wie wird ein Medienauftritt bewertet? Wer zuerst ein prägnantes Etikett erfindet und verklebt, von dem schreiben viele andere ab, das war schon immer so, deshalb drängeln sich bei Plenardebatten so viele Parteikclaqueure in den Kanälen. Heute allerdings funktioniert dieser Mechanismus wie auf Steroiden. Die besten Spins verdrängen alle anderen auch deshalb, weil sie durch Algorithmen in die Timelines aller Nutzer gespült werden.

Den ersten Dreh („Spin“) zu Habecks Maischberger-Ausfall lieferte vermeintlich (!) „el_haginho“:

Damit ist die Fallhöhe gesetzt: Keine Insolvenzwelle, nur weil jemand nicht verkauft – „sagenhaft“, „Drama“, gut: Wer den Politiker nach diesem Intro nicht auch ziemlich blöd findet, ist selbst schuld oder grünversiffter Systemling. Und der passgenaue Schnipsel wird fortan mit allerlei Variationen von Drüberkommentaren rumgereicht – das ermöglicht Twitter umstandslos („Video twittern“).

„Welt“-Star Tim Röhn etwa verbreitete den Beitrag von „el_haginho“ ohne eigene Einordnung und erhöhte die Reichweite so deutlich (ich habe wiederum Röhn kommentiert retweetet). Es sammelten sich bald höhnische, mal entsetzte Kommentare: „Das macht mich ehrlich gesagt sprachlos. Habeck redet von Produktionseinstellungen, die keine Insolvenz herbeiführen“ schimpfte man in der FDP, „unfassbar“ fand das eine Kollegin in der SPD, beide landeten damit in der „Bild“: „Weiß unser Wirtschaftsminister nicht, was eine Insolvenz ist?“

Aahpfff

Zugleich immunisierte sich Twitter diesmal selbst gegen den Verdacht, hier könnte eine Fälschung im Umlauf sein. So spottete neben manchen Oppositionspolitikern auch der Satiriker Cornelius Otte in diese Richtung:

Doch Maischberger trägt tatsächlich eine Mitverantwortung. Dass die Sache mit den Insolvenzen nämlich so eindeutig eher nicht ist, mag die „Welt“ belegen: Sogar dieses der Grünenliebe nicht unbedingt verdächtige Blatt relativierte den Habeckpatzer.

Und den ersten Spin setzte hier kein maliziöser Internetkommentator – sondern die Moderatorin Maischberger selbst, als sie Habeck noch im Interview falsch belehrt: „Aahpfff, wenn ich aufhöre zu verkaufen, verdiene ich kein Geld mehr, dann muss ich die Insolvenz anmelden, wenn ich das nicht mache nach zwei Monaten, habe ich sie verschleppt!“ Vielleicht veranlasste das el_haginho erst zu seiner „Einordnung“.

Die Lage ist tatsächlich anders: Insolvenzen müssen beantragt werden, dazu besteht in manchen (also nicht allen) Fällen eine Pflicht. Grob gesagt immer dann, wenn ein Unternehmen beschränkt haftet. Hängt ein Unternehmer aber selbst drin, muss er keinen Antrag stellen, das machen dann allerdings meist andere, die Gläubiger, für ihn. Aber es ist eben kein Automatismus.

Da Insolvenzrecht ziemlich kompliziert ist, habe ich mit dem erfahrenen Insolvenzrechtler und Berliner Anwalt Tom Brägelmann gesprochen. „Natürliche Personen wie Einzelkaufleute oder auch eine offene Handelsgesellschaft (OHG) sind nicht insolvenzantragspflichtig“, erklärt er mir geduldig. Das heißt, wer nichts mehr verkauft, ist erstmal nicht insolvent. „Dafür haften aber die Gesellschafter oder der Einzelkaufmann persönlich in voller Höhe mit ihrem Privatvermögen.“ Allerdings: Banken würden Frisören, Bäckereien und anderen Betrieben in so einem Fall sofort die Kredite fälligstellen, mahnt Brägelmann, und sie werden, ebenso wie Finanzämter und Sozialversicherungen, möglicherweise ihrerseits Insolvenz des Gläubigers beantragen. „Folge ist über kurz oder lang die Privatinsolvenz des Unternehmers.“

Also: Der tatsächliche Unterschied ist unterm Strich gering. Aber Habeck hat mit dem Verweis darauf, dass nicht die Insolvenzen entscheidend sind, durchaus recht. Viele Betriebe, das stellte deutlich später auch Habecks Ministerium klar, gaben schon in der Pandemie den Betrieb auf, ohne deshalb insolvent zu gehen. Ähnlich sagte es am Donnerstag noch einmal Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Industrie- und Handelskammertages DIHK.

Um es mit Maischberger zu sagen: Aahpfff, nicht jeder Produktionsstopp führt also zur Insolvenz!

Das Unaussprechliche

Habecks wahrer Fehltritt ist ein anderer, übergeordneter. Obwohl zahlreiche Mittelständler und Unternehmer (das sind Menschen) existenziellen Sorgen entgegensehen, verheddert er sich in Termini, Betrachtungswinkeln, Frühstück. Der unrühmliche Grund, darf man spekulieren: Er möchte eine Schlagzeile verhindern. „Wirtschaftsminister rechnet mit Pleitewelle“ wäre eine Katastrophe aus Regierungssicht. Die Wutwinterangst sitzt eben tief.

Mit „Insolvenzwelle“ oder gar „Pleitewelle“ ist es wie mit Lord Voldemort: Ihre Namen sagt man nicht, niemals. Aber auch im Rückblick auf vergangene schwere Jahre ist nicht ausgemacht, dass es dazu überhaupt kommt. Selbst in den Pandemiejahren ging die Zahl der Insolvenzen weiter zurück. Fachleute warten schon seit langem auf eine Trendwende, denn eine geringe Zahl der Insolvenzen bedeutet auch – das ist die wirtschaftliche harte Realität – dass womöglich Marktmechanismen dabei versagen, nicht funktionierende Geschäftsmodelle auszusieben. Freie Marktwirtschaft: It’s not for everyone!

Der Minister dachte womöglich auch an die anstehenden Erleichterungen des Insolvenzrechts. Gerade wurde bekannt, dass das Bundesjustizministerium mehrere Entschärfungen auf den Weg bringen will. Aber auch das ändert nichts am Fakt: Die Wirtschaft schlottert, und die Bürger wünschen Klarheit.

Habeck hat es versäumt, sich klar auszudrücken und ist einer Moderatorin zu lasch entgegen getreten. Das „Netz“, also Twitter und andere Plattformen mit stets sprungbereiten Algorithmen, Trollarmeen aus Russland und Hetzer haben dieses Punktversagen allenfalls verstärkt, übertrieben, verbreitet und den Kontrast aufgedreht – mehr nicht.

4 Kommentare

  1. Mir ist dieses ganze Geheule um die angebliche marktwirtschaftliche Inkompetenz von Habeck ein echtes Rätsel. Es ist gerade mal ein Jahr her, dass zigtausende Gastwirte, Freiberufler und Künstler in Deutschland aufgehört haben zu produzieren und trotzdem nicht insolvent wurden.

    Über dem gesamten Gespräch lagen für alle, die Subtext verstehen können, Begriffe wie Überbrückungshilfe, Subvention, Soforthilfe. Das ist in Berlin nur noch nicht eingetütet worden. Also wird der Wirtschaftsminister in einer Labersendung wie Maischberger dieses Thema doch nicht mit Klartext befeuern, sondern tunlichst mit »womöglich«, »vielleicht« und »ich kann mir vorstellen« umkleiden.

    Ich gebe aber zu, es war eine Steilvorlage für die Moderatorin und den Guide in ihrem Ohr, die beide von der Quote leben. Die Versuchung, diese Vorlage mit einem gerüttelt Maß an Böswilligkeit zu verwandeln, war einfach größer als ein aufrichtig interessiertes Nachhaken.

  2. „mehr nicht.“

    Das wirkt auf mich schon wie eine ziemliche Verharmlosung dessen, was die „stets sprungbereiten Algorithmen, Trollarmeen aus Russland und Hetzer“ im Netz und damit unserer Gesellschaft anrichten.

    Klar, den Anlass haben Habeck (und ein wenig Maischberger) geliefert. Aber ohne die Empörungsmaschinerie, wäre es vermutlich halb so wild und vor allem könnte man sowas klarstellen, ohne den „Shitstorm“ damit zwangsläufig weiter anzufeuern.

    Und ich mache mir mehr und mehr Sorgen, dass dieses „mehr nicht“ in absehbarer Zeit unkontrollierbare Folgen haben wird.

  3. Irgendwie ist keinem aufgefallen, dasss Habeck beim letzten Nachhaken von Maischberger erkärt, dass an einer Unterstützung nach dem Vorbild der Corona-Hilfen gearbeitet wird. Ist doch naheliegend, dass einem Betrieb dann nicht unbedingt die Insolvenz droht, wenn er den Verkauf erstmal einstellt.

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