rbb-Investigativteam in eigener Sache

„Kaum etwas ruft so große Interessenskonflikte hervor wie Recherchieren im eigenen Haus“

Screenshot von rbb24-Sondersendung "Krise im rbb"
Sondersendung über den rbb im rbb Screenshot: rbb

Beinah jeden Tag kommt Neues aus der Skandalwelt des Rundfunks Berlin-Brandenburg (rbb) an die Öffentlichkeit, aber immer öfter ist es der rbb selbst, der es enthüllt. Am Donnerstag berichtete das interne Rechercheteam aus mehreren langjährigen Investigativ-Journalisten zum Beispiel, dass es bei der Planung des „Digitalen Medienhauses“ offenbar erhebliche Unregelmäßigkeiten gab. Unter dem Artikel heißt es, die Gruppe, die zu den Vorwürfen gegen die rbb-Spitze recherchiert, „arbeitet selbstständig, unabhängig und ist nicht an Weisungen gebunden“.

Doch wie recherchiert es sich „unabhängig“ im eigenen Haus? Wie geht man damit um, möglicherweise belastende Dinge über langjährige Kolleg:innen herauszufinden? Und vor welchen rechtlichen Hürden stehen sowohl die Journalisten als auch der Sender selbst?

Einmischung der Chefredaktion?

Fünf Mitglieder hatte die Recherchegruppe ursprünglich: René Althammer, Jo Goll, Daniel Laufer, Oliver Noffke und Gabi Probst. Probst ist inzwischen nicht mehr Teil des Teams.

Der Chefredakteur lasse den internen Rechercheuren freie Hand und greife nicht in die Berichterstattung ein, sagt Althammer. Die Stücke würden genauso in Absprache mit den verschiedenen Redaktionen über die unterschiedlichen Ausspielwege des rbb veröffentlicht wie alle anderen auch.

„Es hat ja Kolleg:innen gegeben, die, nicht zu Unrecht, der Überzeugung waren, dass sie mit ihrem Wissen im eigenen Haus nichts bewirken können“, sagt Althammer. „Das ist ja eine Erfahrung, die auch der Redaktionsausschuss machen musste, der viele Sachen seit Jahren immer wieder thematisiert hat. Das sagt auch viel über die Leitungs-Kultur im rbb. Whistleblower gehören glücklicherweise zu unserem Alltag, die nehmen große Risiken auf sich. In diesem Fall hat die Berichterstattung des ‚Business Insider‘, die erst durch einen Whistleblower möglich wurde, auch für uns regelrecht die Tür aufgestoßen.“

Zu der Frage, wer diese Quelle ist, recherchiere man aber nicht: „Ich habe hohen Respekt vor der Person, die den Mut aufgebracht hat, all das, worüber wir jetzt leider berichten müssen, öffentlich zu machen“, sagt Althammer.

Die inzwischen gekündigte Intendantin Patricia Schlesinger hatte, nachdem die ersten Vorwürfe bekannt wurden, bei einer Betriebsversammlung heftig gegen die Quelle gewettert: „Wer immer die unwahren, tendenziösen Behauptungen, die jetzt kursieren, in die Welt gesetzt hat, will nichts verbessern oder aufklären, sondern Zwietracht und Misstrauen säen, verunglimpfen und beschädigen.“ Sie sprach von einem „Akt der Illoyalität“.

Althammer sagt: „Die Äußerungen von Patricia Schlesinger zur ‚Quelle‘, die viele zu Recht als Drohung empfunden haben, waren unangebracht. In der Sache wurde hier sehr freigiebig mit Geld und selbstherrlich mit Compliance-Regelungen umgegangen. Letztlich wurde so das hohe Vertrauen ausgenutzt, das uns als öffentlich-rechtlicher Anstalt entgegengebracht wird. Das schlägt jetzt auf alle Kolleg:innen zurück, die merken das auch in der täglichen Berichterstattung.“

Ein Wettbewerbsvorteil?

Ist es leichter, im eigenen Haus zu recherchieren? Wenn man schon beim Gang in die Kantine mehr potentielle Quellen für eine Geschichte trifft als manche Journalisten während einer jahrelangen Recherche?

Inzwischen wendeten sich viele Kolleg:innen an das Team, sagt Althammer. „Wir fragen auch nach, was für uns einfacher ist, weil viele uns kennen und vertrauen. Ansonsten nehmen wir nur an den Personal- und Belegschaftsversammlungen teil, an den normalen Redaktionsschalten, so wie sonst immer.“

Auch das kann aber natürlich ein Informationsvorsprung sein. Als der Medienredakteur des öffentlich-rechtlichen US-Senders NPR über einen MeToo-Skandal im eigenen Haus berichtete, entschied er sich, nicht zu einer internen Versammlung zu dem Thema zu gehen, sondern sich über den Inhalt von Kollegen informieren zu lassen, wie er es auch bei einem Skandal in einem anderen Unternehmen hätte tun müssen – um einen Rollenkonflikt zu vermeiden.

Einen „Wettbewerbsvorteil“ gegenüber externen Kolleg:innen, die zum rbb recherchieren, nimmt Althammer dennoch nicht wahr. Auf interne Geschäftspapiere des rbb habe man keinen Zugriff, und was im Intranet stehe, gelange sowieso sofort an die Öffentlichkeit – Geheimwissen stecke da ohnehin nicht drin. Er hat auch nicht das Gefühl, beim Recherchieren bevorzugt zu werden. Anfragen muss das Team, wie die anderen auch, an die Pressestelle schicken. „Eine Vorzugsbehandlung kann ich bislang nicht erkennen, leider.“

Der Anwalt von Patricia Schlesinger, Ralf Höcker, behauptet das Gegenteil: „Der rbb darf seine eigenen Journalisten im Rahmen der allgemeinen Auskunftsansprüche nicht bevorzugen. Dennoch geschieht natürlich genau das. Vom rbb kommen die bestinformierten Fragen und der rbb geht mit unseren Antworten am einseitigsten um. Was die Mandantin entlastet, fällt da gerne mal unter den Tisch.“

Multiple Persönlichkeit?

Dass Schlesinger ausgerechnet Höcker mit ihrer Rechtsvertretung beauftragt hat, löste im rbb erhebliche Irritationen aus. Er ist Kritiker des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und dafür bekannt, besonders aggressiv gegenüber Journalist:innen aufzutreten, auch im Vorfeld von Veröffentlichungen, mit Methoden, die manche als Einschüchterungsversuche beschreiben. Für den rbb-Medienjournalisten Jörg Wagner ist die Berufung von „ausgerechnet Höcker“ der „Höhepunkt des unwürdigen Abgangs der ehemaligen Intendantin Patricia Schlesinger“.

Höcker macht dem rbb Vorwürfe: „Der rbb hat alle Akten in seinem Justiziariat und verlangt über seine Journalisten von Frau Schlesinger Auskunft über eben diese Akteninhalte. Wenn Frau Schlesinger den rbb dann bittet, ihr Akteneinsicht zu gewähren, um Fragen der Journalisten zu beantworten, heißt es, dass dies aus Gründen des Geheimnisschutzes leider nicht möglich sei. Sie bekommt nicht einmal eine Kopie ihres früheren Kalenders und ihres E-Mailverkehrs. Der rbb hat uns ausrichten lassen, dass das Geheimhaltungsinteresse des rbb insoweit höher zu bewerten sei, als das Interesse der Mandantin, sich gegen kritische Journalistenanfragen verteidigen zu können. Das ist die Folge, wenn man als multiple Persönlichkeit agiert und der eine Persönlichkeitsanteil versucht, herauszufinden, was beim anderen schiefläuft. Vielleicht läuft ja bei der Gesamtpersönlichkeit etwas schief.“

Gegen die Berichterstattung des rbb vorgegangen ist die Kanzlei bislang aber nicht: „Wenn die tendenziöse Berichterstattung überhandnimmt, würden wir das tun“, so Höcker. „Im Moment konzentrieren wir uns aber auf das Abmahnen frei erfundener Berichte etwa der ‚Bild‘-Zeitung, die wahrheitswidrig behauptete, Frau Schlesinger habe eine Abfindung gefordert.“

Der Medienwissenschaftler Volker Lilienthal von der Universität Hamburg bewertet den möglichen Wettbewerbsvorteil der rbb-Leute anders: „Ja, die Nähe und beste Kenntnis von Strukturen und handelnden Personen ist ein Vorteil. Unfair finde ich das aber nicht. Denn immerhin sind sie infolge der Affäre in ihrem Ansehen auch getroffen und benachteiligt worden. Das ist dann sozusagen ausgleichende Gerechtigkeit.“

Daniel Drepper ist im Vorstand der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche und leitet die Recherchekooperation von NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“. Er bewertet die Situation pragmatisch: „Ich will vor allem, dass die Sachen ans Licht kommen, egal wer Vor- und Nachteile hat, Hauptsache es wird ordentlich recherchiert und kommt raus.“ In der Nähe des internen Teams sieht er sowohl Vor- als auch Nachteile: „Wer zum Beispiel in den letzten Jahren damit gescheitert ist, intern Dinge anzusprechen, der vertraut jetzt vielleicht auch nicht den hauseigenen Rechercheur:innen, sondern geht mit brisanten Informationen lieber gleich nach draußen, zumal es jetzt ein Vorbild dafür gibt. Obwohl es eine spannende Aufgabe ist, beneide ich das interne Rechercheteam nicht darum.“

Ein „Maulkorb“ für rbb-Leute?

Für Irritationen hat gesorgt, dass rbb-Chefredakteur David Biesinger im Intranet darauf hinwies, auch dem Rechercheteam dürften keine internen Daten übermittelt werden: „Mit der Herausgabe von sensiblen Daten, Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen an Personen, die keine Berechtigung auf Kenntnis dieser Informationen haben, kann eine Verletzung der Pflichten aus dem Arbeitsvertrag oder dem Beschäftigungsverhältnis einhergehen. Dazu gehört auch die Herausgabe solcher Daten an recherchierende Journalisten, auch solche, die für den rbb tätig sind.“ Medial wurde dieser Hinweis teilweise als „Maulkorb“ interpretiert.

René Althammer weist das zurück: „Das ist völlig ok, auch ich will, dass jedem bewusst ist, dass er ein Risiko eingeht, wenn er uns Informationen zukommen lässt. Aber das besprechen wir auch bei jeder anderen Recherche mit unseren Quellen.“ Wie es wäre, wenn es zu einem offenen Streit mit dem hauseigenen Justiziariat käme, kann Althammer allerdings nicht einschätzen. „Das ist bislang glücklicherweise eine hypothetische Frage.“ Bislang sei alles „business as usual“, auch in der alltäglichen Absprache mit Juristen im Haus, ob Beiträge medienrechtlich zulässig sind.

Schlesingers Anwalt Höcker wettert dagegen gegen die ganze Konstruktion: „Nach Paragraph 6 Medienstaatsvertrag muss die Investigativberichterstattung des rbb auch über eigene Angelegenheiten unabhängig sein“, so Höcker. „Das ist bei der Polizei ähnlich. Wenn gegen Polizisten ermittelt wird, machen das aus Gründen der Unabhängigkeit nicht die Kollegen vom gleichen Revier, sondern zum Beispiel Beamte aus der Nachbarstadt. Denn die haben keine persönlichen Interessen. Beim rbb ‚ermitteln‘ dagegen aktuell Journalisten, die sich selbst aus der Schusslinie bringen wollen und obendrein als Nachrücker für Posten in Betracht kommen, die sie zuvor selbst ‚freigeschrieben‘ haben. Wer derlei Berichterstattung für unabhängig hält, dem ist nicht mehr zu helfen.“

Für seinen Vorwurf, man könne sich durch eigene Recherchen gewissermaßen die Positionen freiräumen, die man selber anstrebe, gibt es bislang keinerlei Anhaltspunkte. Allerdings sagt auch Daniel Drepper vom „Netzwerk Recherche“: „Ich kann mir kaum etwas vorstellen, das so große Interessenskonflikte hervorruft, wie Recherchieren im eigenen Haus.“ Den Vorwurf gezielt Personen wegzurecherchieren, findet er eher abwegig – es hindere einen ja auch sonst niemand, zu einer Person zu recherchieren und die Ergebnisse dann jemandem zur Veröffentlichung zu geben. „Aber es gibt jenseits davon wirklich jeden erdenklichen Konflikt: Menschen haben jahrelang zusammengearbeitet, sie sind befreundet oder sich spinnefeind, man schuldet dem einen noch etwas oder will von der anderen in Zukunft noch etwas – da ist einfach so viel denkbar.“

Für Volker Lilienthal ist die Unabhängigkeit hingegen grundsätzlich gewährleistet: „Zwar sind die Rechercheur:innen Partei, denn sie wollen ihren eigenen Arbeitslatz sozusagen sauberhalten. Aber sie haben von Anfang an eine unabhängige, besser gesagt: distanzierte Haltung gegenüber der bisherigen und jetzigen Senderleitung eingenommen. Letztere wiederum kann es sich nicht leisten, die Unabhängigkeit zu beschneiden – das öffentliche Echo wäre fatal. Anderseits weiß ich: Von der rbb-Spitze gab es ein Zeichen, es nicht zu übertreiben mit der Transparenz. Da droht also möglicherweise eine Restriktion – aber was wäre Journalismus, wenn er sich von so etwas einschüchtern ließe?“

Allerdings steht gerade ein solcher Vorwurf bei einer anderen ARD-Anstalt im Raum: Beim NDR in Kiel soll kritische Berichterstattung über bestimmte Personen und Institutionen unterbunden oder eingeschränkt worden sein.

Mehr investigativer Medienjournalismus!

Drepper warnt entsprechend: Das Haus müsse sich im Umgang mit dem hauseignen Recherche-Team all dieser Konflikte sehr bewusst sein. Er fordert, die Beteiligten institutionell abzusichern: „Wenn dieses Rechercheteam irgendwann wieder aufgelöst wird, wäre es schon sehr wichtig, dass das dann keine freien Mitarbeiter:innen sind, die anschließend über ihre Vertragsverlängerung verhandeln müssen, unter Umständen mit Führungskräften, gegen die sie monatelang recherchiert haben.“

Ein weiteres mögliches Dilemma für das interne Rechercheteam ist es, dass es unter Umständen Dinge herausfindet, die arbeits- oder sogar strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen – und die dann vom rbb selbst veröffentlicht werden, der gleichzeitig eigentlich eine Fürsorgepflicht für seine Mitarbeiter hat. Dazu sagt Schlesingers Anwalt Höcker: „Das letzte, was den rbb interessiert, sind Fürsorgepflichten für Mitarbeiter. Dort sind nach meinem Eindruck alle ganz im Gegenteil eifrig damit beschäftigt, mit den Fingern auf den jeweils anderen zu zeigen.“

Im Zuge der Krise beim rbb sind mittlerweile auch andere Anstalten in Erklärungsnot geraten, was beim NDR mittlerweile zur vorübergehenden Beurlaubung der Führungsspitze des Landesfunkhauses Kiel geführt hat. Auch dort recherchieren Kolleg:innen, unter anderem von Medienmagazin „Zapp“, zum eigenen Haus.

Für Daniel Drepper ist dies ein enorm wichtiger Aspekt: „‚Zapp‘ hat in der Vergangenheit wahnsinnig gute Arbeit bei der Aufklärung von Vorgängen im eigenen Haus geleistet.“ Diese Institutionalisierung von Medienjournalismus sei „viel besser als eine ad hoc aufgestellte interne Recherchegruppe. Es ist daher ein großer Fehler gewesen, ‚Zapp‘ als einzigem Medienmagazin in der ARD das Budget zu kürzen. Das zeigt sich gerade jetzt total, denn es braucht viel mehr investigativen Medienjournalismus.“

1 Kommentare

  1. Was wäre denn die Alternative? Dass die Redaktionen überhaupt nicht über den Skandal im eigenen Haus berichten?

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