„Was die Berichterstattung nun also leisten muss: so zu informieren, dass diese Informationen zugleich als Appell und eben dringende Warnung verstanden werden, ohne die Mittel der Aufmerksamkeitsökonomie zu missbrauchen. Aber wo hört die Warnung auf und wo fängt das Verbreiten von Panik an?“
Verantwortungsvoll wohltemperierte Panik, jetzt
Im Jahr 2019 präsentierte die Moderatorin Évelyne Dhéliat auf dem französischen Sender TF1 das Sommerwetter des Jahres 2050. Über 40 Grad im Süden, 38 Grad in Lille, 26 Grad in der Bretagne. Es handelte sich dabei um eine Art Nachrichten-Science Fiction im Zuge einer Präventionskampagne zur globalen Erwärmung, in welcher fiktive Wetterberichte veranschaulichen sollen, wie die Zukunft der Menschheit aussehen wird: auf der ganzen Welt Überschwemmungen durch steigende Wasserstände und heftige Regenfälle, ein Anstieg der Durchschnittstemperatur und eine alles zerstörende Dürre.
TF1 und Dhéliat wollten mit Karten und Nachrichtenbildern die Zuschauer alarmieren, ihnen eine faktenbasierte Sorge vor den realen Konsequenzen der Klimakrise vermitteln – ihnen also auch reflektierte Angst machen.
In den vergangenen Tagen waren nun Wetterkarten zu sehen, die sich gar nicht mal so sehr von diesem warnenden Blick in die Zukunft und von der dunkelrot gefärbten Karte von TF1 unterscheiden; die aktuellen Karten sind keine SciFi-Requisite einer Abschreckungsinszenierung, sondern: reale Berichterstattung. Die Wirklichkeit hat die News Fiction eingeholt. Wir befinden uns in einer meteorologischen Situation, die journalistische Superlative bewirkt – nicht, weil Medien das schändlicherweise durch Dramatisierung forcieren, sondern weil die Extremsituationen, vor denen gewarnt wird, nun, dramatisch sind.
Guten Morgen, die heutige FR pic.twitter.com/pRwOhkuYNK
— Viktor Funk (@Viktor_Funk) July 19, 2022
„Heiß, heißer, tödlich“ titelt die „Frankfurter Rundschau“, „Heiß und gefährlich“ vorigen Samstag die „Süddeutsche Zeitung“. Mit „So gefährlich werden die kommenden Sommer“ leitete die „Berliner Morgenpost“ ihre Warnungen ein, die FAZ mahnte „Die Hitze wird für viele lebensgefährlich“ und „Wann hohe Temperaturen zur Gefahr werden“ stand in der „Rhein-Zeitung“.
Auch einfach ein direktes „Seien Sie vorsichtig!“ wie in der FAS erfüllte seinen Auftrag. „Wenn Vögel vom Himmel fallen“ beschrieb am Samstag die SZ das apokalyptisch anmutende Moment der Hitze, mit „Der Süden brennt“ und „Feuertod, verdurstetes Vieh, explodierende Bäume“ beschrieb es der „Tagesspiegel“. Auch das Wort „Rekord“ wurde in den vergangenen Tagen im Zusammenhang mit dem Wetter noch häufiger genutzt, als dass die Empfehlung eines regelmäßigen Wassertrinkens ausgesprochen wurde.
Es besteht das professionelle Bedürfnis nach markanten Darstellungen, ein repräsentatives Beispiel sind Wetterkarten. Aber auch die stoßen an ihre Grenzen, wenn eine weitere Verdunklung der Rot-, Braun- und Schwarztöne gar nicht mehr vorgesehen war – weshalb die heißesten Stellen mitunter nun weiß markiert werden müssen. Andere, wie die „New York Times“, arbeiten mit Zeitvergleichen, um die aktuellen Gradzahlen in den Kontext einer Entwicklung zu setzen. (Dieser Tweet geht raus an alle „Früher war es auch heiß“-Hottaker.)
Many areas of France, Belgium, the Netherlands, Germany and Britain were 20 degrees hotter on Tuesday than historical averages on the same date during the late 20th century. https://t.co/Aw2Co1J7eK pic.twitter.com/vVqfaoqo0J
— The New York Times (@nytimes) July 19, 2022
Nach den historischen Hitzewellen in Indien und Pakistan im März und April wurde im Juni – und wird jetzt – ein Großteil der nördlichen Hemisphäre von anomal hohen Temperaturen heimgesucht. Nach Angaben der Weltorganisation für Meteorologie sind die in ganz Europa registrierten Werte auf eine ungewöhnlich frühe und intensive Hitzewelle zurückzuführen, die aus Nordafrika kam und in Europa Temperaturen bedingte, die normalerweise im August vorherrschen.
In Teilen Spaniens und Frankreichs lagen die Temperaturen für diese Jahreszeit um bis zu zehn Grad Celsius über dem Durchschnitt und brachen zahlreiche Monatsrekorde, was laut Klimaforscher:innen nur ein Vorgeschmack auf unsere Zukunft ist, da der Klimawandel die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass ähnliche Hitzeperioden immer wieder auftreten. Laut einer aktuellen von Klimawissenschaftler:innen durchgeführten Studie zur Zuordnung von Wetterextremen sind Hitzewellen, wie sie in Indien zu verzeichnen waren, 30-mal wahrscheinlicher geworden.
Wo hört die Warnung auf, wo fängt Panikmache an?
Was die Berichterstattung nun also leisten muss: so zu informieren, dass diese Informationen zugleich als Appell und eben dringende Warnung verstanden werden, ohne die Mittel der Aufmerksamkeitsökonomie (wie Hyperbeln, Boulevardisierung oder Negativität) zu missbrauchen. Aber wo hört die Warnung auf und wo fängt das Verbreiten von Panik an?
Ist beispielsweise der zutreffende Satz „Hitze tötet“ zu alarmistisch? Oder eine Aussage darüber, dass Hitzewellen immer länger und intensiver und zu einem Bestandteil unseres Lebens werden, schon zu furchteinflößend?
Und andersherum: Wenn über die Bullenhitze berichtet wird, ist es dann in Anbetracht der unter der Hitze leidenden Menschen nicht unverantwortlich oder zu verniedlichend, in den Bebilderungen plantschige Freibäder und sonnige Strände zu zeigen? Die Herausforderung besteht darin, die abstrakte Vorstellung einer für Mensch und Tier bedrohlichen Hitze so zu übersetzen, semantisch wie visuell, dass zugleich erklärt wie aufgeklärt wird, ohne aufgepeitscht zu wirken. Und Zusammenhänge zwischen dem Klimawandel und den Ereignissen, die wir erleben, in Echtzeit herzustellen – insbesondere, wenn das Wetter sich wie gegenwärtig in seinen Extremen als Manifestation der Klimakrise ökologisch, ökonomisch und sozial bemerkbar macht – was jedoch oftmals ein schwieriges Unterfangen ist. Weil es journalistisch gesehen zwei unterschiedliche Aufgaben sind, die hier beide geleistet werden müssen: das Warnen vor der akuten Hitze sowie vor den mit ihr einhergehenden gesundheitlichen und ökologischen Problemen – wie auch vor den Ursache dieser Hitze, der Klimakrise.
Aufgabe eins verlangt, schnellstmöglich auf eine unmittelbaren Bedrohung hinzuweisen; Aufgabe zwei bedeutet, darüber aufzuklären, was wir tun können, damit diese Bedrohung nicht zunimmt.
Nicht die Medien machen Angst
Die Hitzewelle konkretisiert den Klimawandel. Beim Berichten über die Zunahme von Hitzewellen wird fast automatisch eine Verbindung zur globalen Erwärmung hergestellt. Medien erfüllen hier ihre Pflicht, zu informieren. Es ist ihre Aufgabe zu warnen, wenn sie ein Ereignis vorhersehen können, das einen Teil der Bevölkerung in Gefahr bringen wird, wie zum Beispiel ältere Menschen und Menschen ohne Obdach. Und sie müssen Warnungen nicht nur aussprechen, sondern sie so lange wiederholen, bis davon auszugehen ist, dass der Auftrag erfüllt wurde – was jedoch den subjektiven Eindruck verstärken kann, dass eine Angstspirale befeuert wird.
Die Kolumne
Samira El Ouassil ist Zeitungswissenschaftlerin, verdient ihr Geld aber mit Schauspielerei und politischem Ghostwriting. Außerdem ist sie Vortragsreisende und macht, zusammen mit Friedemann Karig, den Podcast „Piratensender Powerplay“. Bei Übermedien schreibt sie seit 2018 jede Woche über Medien, Politik und Kommunikation.
Dieser Eindruck liegt aber (zumeist) nicht an der Berichterstattung selbst oder an den Wiederholungen, sondern am Inhalt der Botschaft: Die Hitze selbst hat eine angstauslösende Dimension, und umso mehr, wenn sie als Ausdruck unserer globalen Krise verstanden wird.
In der Dringlichkeit deutscher Medien, über diese Hitze mit der gebotenen Alarmiertheit zu berichten, um Menschen sowohl für akute Gefahren wie Gesundheit und Umweltschäden zu sensibilisieren, ist auch eine fast kassandrahafte Verzweiflung zu erkennen, alle Instrumente zu nutzen, um das Publikum auf eine Weise zu warnen, dass dieses die Warnungen auch ernst nimmt.
Die „Zeit“ hat beispielsweise einen Live-Blog zur Hitze eingerichtet, eine Art Ticker, der einen auf dem Laufenden hält über die Entwicklungen der Temperaturen sowie die Schäden, die diese bedingen.
Anfangs fand ich diese Form kurios. Als seien heiße Sommertage eine bedrohliche Naturgewalt, die über uns hereinbricht wie eine Flutkatastrophe oder ein Erdbeben, Ereignisse, über die man in Echtzeit informiert werden muss. Bis ich bemerkte, dass ich selbst dem Wahrnehmungsfehler unterlag, der dazu führte, dass ich die Hitze unterschätzte – weshalb ein drängelnder Liveblog vielleicht eben genau die richtige Form ist, um mich permanent daran zu erinnern.
Denn die lebensbedrohliche Hitze, sowohl in Deutschland als auch in anderen Ländern, ist natürlich auch eine Naturkatastrophe – eine, die vielleicht nicht für jeden so augenblicklich spür- oder sichtbar ist wie ein Erdbeben oder eine Flut oder ein Waldbrand. Sie ist eine graduelle, sich anschleichende Alltagskatastrophe, die Asphalt langsam aber beständig aufweicht, Ernten langsam aber beständig ausdörrt, Menschen langsam aber beständig in Mitleidenschaft zieht. Der mahnende Liveblog ist also vielleicht die bestmögliche Form, um zu kompensieren, dass eine bedrohliche Hitze nicht mit plötzlicher Zerstörungsgewalt in unsere Gegenwart stürmt, sondern uns wie der Frosch im immer wärmer werdenden Wasser langsam und dann plötzlich zersetzt.
Gekaperte „Wirtschaft vor acht“
Aber wie ist es mit Aufgabe zwei? Also darüber aufzuklären, was zu tun ist, damit die Bedrohung nicht zunimmt? Meines Erachtens hat „Wirtschaft vor acht“ im Ersten diese Woche das am cleversten und gleichsam subversivsten gemacht. Moderatorin Anja Kohl hat den Sendeplatz gewissermaßen gekapert, indem sie veranschaulichte, dass sich die Schäden durch den menschengemachten Klimawandel auch in ökonomische Zahlen übersetzen lassen, dass durch ihn quantifizierbare Werte verloren gehen, und wir über kurz oder lang mehr verlieren, wenn wir die Klimaziele nicht erreichen.
Kann das bitte vielfach geteilt werden!!
— Sebastian Hornschild (@Hornschild) July 18, 2022
Abgesehen davon, dass diese Ausgabe demonstriert hat, wie sinnvoll doch ein lange gefordertes „Klima vor acht“ wäre, hat Kohl dadurch en passant gern gewählte politische Narrative entlarvt: dass Umwelt und Wirtschaft ein Gegensatzpaar wären und wir beim Schutz der Umwelt auf unseren Wohlstand verzichten müssten – dabei ist es im Gegenteil genau andersherum, erst durch den Schutz der Umwelt kann die Wirtschaft aufrecht erhalten werden.
Die journalistischen Formen vermitteln auch etwas von dem berichterstatterischen Dilemma, einem Publikum auf sachliche Art die Dramatik der Situation verdeutlichen zu müssen. Es scheint allerdings, als könnte über die Hitze ein Gefühl für das größere, abstrakte Thema, die Klimakrise, geschaffen werden. Vielleicht sollte Anja Kohl mal eine deutschsprachige Version der fiktiven Wetternachrichten des Jahres 2050 moderieren, um auch hier zu zeigen, was noch alles bevorsteht, um verantwortungsvoll wohltemperierte Panik zu erzeugen. Aktuelle Bilder hätten wir für die Sendung ja bereits.
Die Menschheit™ kann sich wohl nicht gleichzeitig mit vielen Problemen auseinandersetzen. Inflation, Energiepreise (ist nicht das Selbe), Ukrainekrieg, CoVID19 und Klimakrise bekomme niemand gewuppt. Plus die ganzen echten (Feminismus, Inklusion, Diversität, Verlustängste u.ä.) und unechten (LGBTQAI+, Wokeismus, Genderwahn, linksgrünversiffte Systemmedien u.v.m.) persönlichen gesellschaftlichen Probleme…
In der Liste fehlt noch das Mittel der perspektivischen Umkehr mittels ironischer Realitätsabbildung:
„Dieser Sommer wird der mit Abstand kühlste Sommer der nächsten Jahrzehnte.“
Dieselbe Schlagzeile kann bei unterschiedlichen Menschen unterschiedliche Reaktionen hervorrufen.
Daher halte ich es für müßig, die optimale Waage zwischen Panikmache und Verharmlosung finden zu wollen.
Bestimmte Leute wird man so oder so nicht erreichen.
Entschuldige die inhaltsleere Stilkritik, aber es regt mich immer auf, wenn ich Worte wie „Gradzahlen“ lese. Das Wort, dass Du suchst, ist „Temperatur“ oder meinetwegen „Temperaturwert“, wenn man auf den Zahlenwert abstellen will. „Gradzahl“ ist eine nachlässige Formulierung, die auch nicht eindeutig ist. Es könnte auch einen Winkel bezeichnen.
Schreib Strecke, Länge oder Höhe statt „Meterzahl“. Frag nicht „Wieviel Kilo hat das?“, sondern „Wie schwer ist es?“
Ihr dürft jetzt „Ok, Boomer“ schreiben.
@#4: Ok, Boomer, aber du meintest in Zeile 2 sicherlich „Wörter“ und nicht „Worte“ … ;-)
Ich musste den Unterschied nachschlagen und Du hast natürlich Recht. Das ist die Art Antwort, die ich verdient habe.
Lasst uns wie REWE sein: Jeden Tag ein bisschen besser. :-)
Ich finde es eher kontraproduktiv, wenn bei jedem Wetterphänomene auf den Klimawandel hingewiesen wird. Ein Teil der Bevölkerung weiß um den Zusammenhang, er wird ja auch immer offensichtlicher. Aber andere Teile negieren, bestenfalls ignorieren ihn noch immer oder gar immer mehr. Die erreicht man damit nicht, im Gegenteil.
Konkret ist es ja sogar oft ein Fehler, jedes Wetterphänomen als Zeichen des Klimawandels zu benennen, denn es kann allein für sich auch ohne Klimawandel auftreten und im Einzelfall finden sich dann nicht selten konkrete Gründe, die als Erklärung völlig ausreichen. Wetter ist noch immer nicht Klima. Es ist erst die Häufung solcher Phänomene, die korrekt mit dem Klimawandel in Verbindung gebracht werden kann. Klimawandelleugner halten Wetter und Klima nicht auseinander, wenn heute mal nur 20 °C sind, sind sie beruhigt. Jeder andere sollte es aber tun. Ein beständiges Mahnen und Warnen hat zudem etwas Pädagogisches,. Aber niemand ist mehr Kind und niemand will geführt werden. Dafür ist Journalismus auch nicht da. Er sollte nicht zum Aktivismus werden. Der Rezipient muss die Möglichkeit behalten, seine eigenen Schlüsse zu ziehen. Das ist letztlich viel nachhaltiger und erreicht so vielleicht auch jene Quer- und Nichtdenkerkreise. Ganz ohne Nachdenken kommen die auch nicht aus und werden eher hellhörig, wenn man ihnen etwas „verschweigt“. Ich halte diesen Aspekt für das größere Problem.