Früher hieß es: Unschuldig bis zum Beweis der Schuld. Bei Mord, Betrug oder Drogenhandel führte eine richterliche Verurteilung in der Regel auch zu moralischen Schuldsprüchen in der Gesellschaft.
Doch der mediale Umgang mit Straftaten hat sich signifikant verändert. In rasantem Tempo erscheinen heute True-Crime-Formate, die dem Grusel, der morbiden Faszination, aber auch dem Personenkult um Straftäter:innen die große Bühne bieten. Produktionen wie „Bad Vegan“, „The Tinder Swindler“ oder „Worst Roommate Ever“ beleuchten dabei die Gräuel der Kriminalität mit Stimmen von Opfern und unter Abwesenheit der Täter:innen. Gleichzeitig entstehen jedoch zunehmend Formate, die verurteilten Straftäter:innen das eigene Narrativ, zuweilen unhinterfragt, überlassen.
Die Netflix-Formate „Inventing Anna“ und „Shiny_Flakes“ unterstützen die Betrügerin Anna Sorokin sowie den Online-Dealer Maximilian Schmidt, die eigene Schuld in fabelhafte Erzählungen unkonventionellen Erfolgs umzudichten. Deutsche Talkshows wie „Markus Lanz“, die „NDR Talkshow“ oder „Stern TV“ ermöglichen dem verurteilten Doppelmörder Jens Söring die kritikfreie Selbstdarstellung als Opfer US-amerikanischer Justiz. Anstatt Straftäter:innen kritisch zu hinterfragen, befähigen Medien durch ihre sensationsfokussierte Berichterstattung das Gegenteil: einen popkulturell vermarktbaren Personenkult.
Menschliche Abgründe faszinieren und unterhalten. Das wissen Talkshow-Redaktionen genauso wie Produzent:innen von fiktionalen oder dokumentarischen Inhalten. Der spätestens seit der Pandemie enorm gewachsene Trend von True-Crime-Produktionen widmet sich zunehmend gegenwärtig relevanten, mitunter sehr aktuellen Straftaten. „Inventing Anna“ erzählt so die Geschichte der russisch-deutschen Betrügerin Anna Sorokin in freier Drama-Fiktion nach.
Sorokin gab sich in New York City jahrelang als reiche deutsche Erbin Anna Delvey aus, mogelte sich so unter die bessere Gesellschaft der Metropole und betrog systematisch Unternehmen und Bekanntschaften um insgesamt 275.000 US-Dollar. Sie wurde in den USA zu vier Jahren Haft verurteilt und befindet sich aktuell erneut hinter Gittern (diesmal in Abschiebehaft), da sie nach ihrer Haftentlassung nicht wie gefordert das Land verlassen hatte.
Dieser Umstand hält Sorokin jedoch nicht davon ab, weiterhin Pressearbeit in eigener Sache zu betreiben. Während ihr in New York City ganze Kunstausstellungen gewidmet werden, bespielt Anna Sorokin ihre eine Million Follower per Instagram und nimmt Podcast-Auftritte wahr. All das live aus der Abschiebungshaft. Sorokins Spiel mit der Aufmerksamkeit ist virtuos.
Der Autor
Felix Jung ist studierter Literatur- und Medienwissenschaftler. Zwischen Berlin und Brüssel arbeitet er als selbstständiger Autor und Texter sowie als Editor für das Magazin BEIGE. Von Publikationen für das Bundeswirtschaftsministerium bis zu Erotikhörbüchern hat er schon alles verfasst, am liebsten schreibt er jedoch über popkulturelle Phänomene der Gegenwart.
Das Narrativ von der Systemkritik
Einer, der Sorokins Geschick in nichts nachsteht, ist Jens Söring. Für den Doppelmord an seinen Schwiegereltern wurde er in den USA verurteilt, saß dort 33 Jahre in Haft. Seit Ende 2019 ist er frei und wieder in Deutschland. Der Medien-Profi Söring hat acht Bücher veröffentlicht, arbeitet als Speaker und Berater und war in zahlreichen namhaften deutschen Talkshows zu Gast.
Söring hat sein ursprüngliches Geständnis des Doppelmordes bereits in seinem Prozess 1990 revidiert und seitdem versucht, Gerichte und Öffentlichkeit von seiner Unschuld zu überzeugen, indem er seiner damaligen Freundin Elizabeth Haysom die Tat anlastet. In Deutschland darf er seine Ex-Freundin jedoch nicht der Tat bezichtigen, was eine direkte kritische Auseinandersetzung mit ihm erschwert – er dürfe ja nicht über die genauen Umstände sprechen, heißt es dann. Stattdessen kann er sich als Systemopfer und -kritiker inszenieren, der sich gegen die Ungerechtigkeit der US-amerikanischen Justiz zur Wehr setzt.
Zu dieser Inszenierung gehört auch, auf seiner Webiste Artikel und TV-Beiträge zu sammeln, in denen Söring seine Geschichte erzählt. Aussagen wie „Freiheit habe ich jetzt, Gerechtigkeit nicht“ (im „Spiegel“ und „Man kämpft nicht 30 Jahre für eine Lüge“ („Welt“) findet man dort, wie auch einen „Bild“-Artikel zu einem der kommenden „Streaming-Kracher von Netflix“, einem für den Winter 2022 geplanten True-Crime-Format über „einen der spektakulärsten Kriminalfälle der vergangenen Jahre“.
Auch findet sich ein Beitrag des ProSieben-Formats „Galileo“ in der Auflistung, betitelt mit „33 Jahre unschuldig im Knast“. In diesem wird Söring ein Freispruch geschenkt, den er vor Gericht nie bekommen hat. „Galileo“ löschte den Beitrag nach Zuschauer:innen-Beschwerden, ProSieben sprach von einem „klaren handwerklichen, journalistischen Fehler, Jens Söring in dem Beitrag als unschuldig zu bezeichnen“. Der Trailer ist in Sörings Newsroom dennoch abrufbar. Inklusive der Aussage, Söring habe „unschuldig im Knast“ gesessen.
Systemkritische Anmerkungen in eigener Sache sind derweil auch von Anna Sorokin in diversen Medien-Outlets zu hören. Immer wieder wird auf die absurde Justiz Bezug genommen, wie zuletzt bei „Call Her Daddy“, einem der meist gehörten Podcasts auf Spotify:
Ich bin hier [in Abschiebehaft], weil die Einwanderungs- und Zollbehörde entschieden hat, dass meine vorzeitige Entlassung aus dem Gefängnis für sie keine Bedeutung hat und dass ich […] ‚eine ständige Gefahr für die Gemeinschaft‘ darstelle. Offenbar sind Schlagzeilen der Daily Mail zulässige Beweise, die die Entscheidungen des New York State Board of Parole außer Kraft setzen.“
(Übersetzung von uns)
Außerdem kokettiert Sorokin, ganz im Stile ihres Alter-Egos Anna Delvey, in der „New York Times“: „Ich würde Sie und alle anderen und mich selbst belügen, wenn ich sagen würde, dass mir irgendetwas leid tut.“ Und bei BBC „Newsnight“ antwortete sie auf die Frage, ob sich Kriminalität auszahlen würde: „Auf eine Art, ja.“
Der als „Kinderzimmer-Dealer“ bekannt gewordene Maximilian Schmidt nutzt das Netflix-Special „Shiny_Flakes“ ebenfalls, um das eigene Vergehen zu relativieren. Indem er die zuständigen Ermittlungsbehörden immer wieder als langsam und nicht zeitgemäß ermittelnd darstellt, versucht er sein Handeln zu legitimieren und verklärt den Drogendhandel zu unternehmerischem Geschick. Schuldgefühle gegenüber denjenigen, die bei ihm Drogen bezogen haben, hat Schmidt offenbar nicht:
Ich hatte nicht unbedingt ein schlechtes Gewissen, da für mich die logische Argumentation war: Wenn nicht von mir, dann von wem anders.
Natürlich versuchen viele Straftäter:innen, die Systemkritik für die eigene Beweislast zu instrumentalisieren. Dass Fernsehen, Hörfunk und Print diese eigennützig gesponnenen Narrative eins zu eins verbreiten, ist jedoch problematisch.
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Gleichzeitig gilt auch: Jede straffällig gewordene Person hat das Recht auf Rehabilitation. Doch haben Straftäter:innen wie Sorokin, Söring und Schmidt auch das Recht auf eine Medienkarriere? Blickt man auf deren Fälle, so erscheint es tatsächlich, als könne man mit geschickter Pressearbeit für genug Furore und Zweifel an der eigenen Strafttäterschaft sorgen. Und zugleich Talkshow-Einladungen und Buch-Deals abgreifen. So werden Straftaten zum Ausgangspunkt für anschließende legale Geschäftsmodelle.
Klar ist: Anna Sorokin oder Jens Söring werden nicht zur Rehabilitation in Talk-Formate eingeladen, sondern vorrangig für die Quote. Sorokins kürzlicher Auftritt im Podcast „Call Her Daddy“ spiegelt genau das. Nicht nur füllt Moderatorin Alex Cooper nahezu die gesamte Folge mit Fragen, die mit einem journalistischen Interview weniger gemein haben als mit einem Smalltalk im Treppenhaus – Sorokin antwortet auch noch auf nahezu alle Fragen mit „I don’t know“ und ausgiebigem Gekicher. Der Unterhaltungs- und Informationswert des Gesprächs erschließt sich nur denjenigen, die Anna Sorokins Liste an begangenen Straftaten kennen. Was den Podcast attraktiv für Zuhörer:innen macht, ist nämlich nicht was besprochen wird, sondern dass gesprochen wird. Die Anwesenheit der Straftäterin allein ist kontrovers.
Und diese Kontroverse zahlt sich aus. Nicht nur für die Produzenten solcher Formate, sondern auch für die Medien-Profis mit krimineller Vorgeschichte. Anna Sorokin, deren Betrug sich auf circa 275.000 US-Dollar belaufen soll, erhielt für die Rechte an „Inventing Anna“ von Netflix 320.000 US-Dollar. So ist sie in der Lage, nicht nur die meisten ihrer Opfer zu entschädigen, sondern auch einen Großteil ihrer Anwaltskosten zu decken. Was bleibt: Sorokin (oder Delvey, wie sie sich immer noch nennt) ist berühmt und kann alleine mit ihrer kriminellen Geschichte und ihrer Präsenz sechstellige Beträge erwirtschaften.
Wie gerecht ist so etwas? In einem „TIME“-Beitrag kritisiert Sorokin-Opfer Rachel Williams genau das:
Wenn Ihre Straftaten aufsehenerregend genug sind, könnte ein Medienunternehmen die Rechte an Ihrer Geschichte vor der Verhandlung an sich reißen, so dass Sie sich einen Anwalt Ihrer Wahl leisten können – einen, der erfahren genug ist, um Ihre Strafe zu minimieren. Sie könnten so viel Geld erhalten, dass Sie selbst nach dem Einfrieren Ihrer Gelder und der Rückzahlung der Opfer noch Geld übrig haben. Und nicht nur das: Wenn es Ihnen um Ruhm geht, haben Sie sich eine „Marke“ aufgebaut, eine Plattform geschaffen und ein Publikum gefunden, das Sie für künftige Gelegenheiten nutzen können.
(Übersetzung von uns)
Im Herbst diesen Jahres soll auch Jens Söring ein eigenes „Netflix“-Special gewidmet werden. Inwiefern es Söring darin möglich sein wird, die eigene Unschuldsbehauptung öffentlichkeitswirksam zu bekräftigen, bleibt abzuwarten. Schon jetzt steht allerdings die Frage im Raum, wie True-Crime-Formate den Opfern gegenüber respektvoll bleiben und ein kritisches Täter:innenbild vermitteln können. Insbesondere, wenn die Täter:innen unter den beschriebenen Umständen so offensichtlich davon profitieren.
Personenkult ohne weitere Fragen
Das Narrativ der Systemsprenger:innen ist attraktiv. Es füllt eine narzisstisch-individualistische Leerstelle im Zeitalter von Fake News, medialer Überstimulation und kollektiven Besserwissens: Für jede noch so absurde Theorie scheint es Anhänger:innen zu geben. Und Personen, die sich diese Dynamik zu nutzen machen. Aus diesem Grund wäre es so wichtig, dass die mediale Präsenz von verurteilten Straftäter:innen von kritischen Fragen und überprüfbaren wie überprüften Fakten begleitet wird. Das Gegenteil ist jedoch der Fall – die beteiligten Medien-Outlets befeuern den Personenkult um Jens Söring, Anna Sorokin und Maximilian Schmidt und blasen deren Geschichten mitunter sogar auf:
Zu sehen ist dies etwa anhand der Summen, um die Sorokin andere betrogen hatte und die für „Inventing Anna“ bewusst in die Höhe getrieben wurden. Aus den in Wirklichkeit rund 275.000 US-Dollar Schaden werden in der Nacherzählung bereits 400.000 – und das nur von einem einzigen Opfer. Auch nicht bezahlte Rechnungen von Privatjets (65.000 US-Dollar statt tatsächlichen 35.000) oder Hotels wie des „11 Howard“ (70.000 statt tatsächlichen 30.000 US-Dollar) multipliziert die Serie.
Auffällig ist zudem die Herausarbeitung emotionaler Komplexität, Tiefe und Zerbrechlichkeit von Sorokins Netflix-Charakter. In der zweiten Hälfte der Serie erleidet sie mehrere psychische Zusammenbrüche – Das Leben als Hochstaplerin ist nicht immer leicht. In Folge 4 rettet sie einem Bankangestellten (den sie über den Tisch ziehen will) durch schiere Anwesenheit dessen Ehe und Sexleben. Auch dem Ursprung ihrer kriminellen Ader wird durch den Besuch ihrer Heimat Eschweiler nachgegangen. Dort werden diverse unbelegte Hypothesen aufgestellt. Die in der Fiktion recherchierende Journalistin Vivian Kent ist angelehnt an die reale „New York Times“-Journalistin Jessica Pressler, die die Story um Anna Delvey 2018 erstmals veröffentlichte und auch „Inventing Anna“ mitproduzierte. Sie stellt in Eschweiler Fragen wie „Was, wenn Annas Vater ihr Zuhälter war?“ oder stellt die Theorie auf, er sei in Wahrheit ein reicher Russe, der nach dem Zerfall der Sowjetunion sein Geld in Deutschland versteckt habe. Vielleicht hatte Anna doch einen Trust Fund?
Auch kontemporärer Aktivismus wird eingewoben. Das Narrativ hier: Anna sei eigentlich ein „Girl Boss“, versuche sich gegen sexistische Strukturen durchzusetzen. In Folge 4 sagt der ihr nach empfundene Charakter:
Ich bin diejenige, die für Verbrechen eingesperrt ist, die ich nicht begangen habe, und der eine Kaution verweigert wird. Jeden Tag tun Männer weitaus schlimmere Dinge als alles, was ich angeblich getan habe. Und was geschieht mit ihnen? Nichts.
Durch das Einbinden solcher substanzentleerten politischen Messages bedient Serien-Autorin Shonda Rhimes lediglich die popkulturelle Nachfrage – und schenkt Anna Sorokin ein weiteres Stück Pathos.
Auch die Dokumentation „Shiny_Flakes“ spart nicht mir Lobpreisungen für ihren Protagonisten. Maximilian Schmidts ehemalige Chefin, eine Restaurantbesitzerin, und deren Mann schwärmen nahezu vom ehemaligen Mitarbeiter:
Alles, was man in der Masse machen muss, mit ruhigem Tempo, war für ihn langweilig. (…) Er wollte immer schnell vorwärts und es haben ihn die Kollegen gestört, die zu langsam waren. (…) Wir hätten ihn gern behalten. Max macht mal sein eigenes tolles Restaurant oder ne tolle schicke Bar. Er war fast schon geboren, um Chef zu sein.
Kritische Fragen oder Darstellungen Schmidts lässt der Dokumentarfilm oft vermissen. Dass es nicht darum ging, einen Straftäter von allen Seiten zu beleuchten, sondern vielmehr einen Kriminalfall aus den Schlagzeilen in eine Legende zu verwandeln, erklärt „Shiny_Flakes“-Macherin Eva Müller selbst im Interview der „KulturBühne“ des Bayerischen Rundfunks im August 2021.
Unser Ziel mit diesem Film war den Zuschauern zu zeigen, wie kommt man in diese Mühle, in dieses Verbrechen, in dieses kriminelle Handeln hinein als 16-, 17-, 18-, dann später 19-Jähriger, der dieses Verbrechen begangen hat.
Bei der Produktion des Filmes, der das Vorgehen von Schmidt – auch für mögliche Nachahmer:innen – detailreich schildert, wurde sogar sorgsam auf Schmidts Psyche Rücksicht genommen, so Müller:
Und das war uns auch ganz wichtig – dass wir da [im nachgebauten Kinderzimmer] immer wieder Pausen machen und uns (…) auch psychologisch begleiten lassen, denn wir wollten ihn natürlich auch nicht in eine Situation bringen, die für ihn unangenehm ist.
Dem sehr selbstbewusst auftretenden Straftäter bietet die Produktion Schutz und Fläche zur Selbstdarstellung gleichermaßen. Opferperspektiven hingegen kommen im gesamten Film nicht vor, genauso wenig Sachverständige für Suchtkrankheiten. Stattdessen wurde Rücksicht auf den Täter genommen, der keine Rücksicht nahm. Schmidt wird förmlich der rote Teppich ausgerollt, um seine Geschichte als Sensation nacherzählen zu dürfen.
Anspruch auf Rehabilitation – und Ruhm?
Außer Frage steht: Straftäter:innen haben das Recht auf Rehabilitation im und durch das System. An einer öffentlichen Selbstdarstellung und Vermarktung, bisweilen gar einer Täter:innen-Opfer-Umkehr, sollten sich journalistische wie finktionale Produktionen nicht beteiligen. Die Zahl der True-Crime-Formate, die genau das tun, scheint aber zuzunehmen. Und mit ihr die Chance für verurteilte Straftäter, kräftig abzukassieren.
5 Kommentare
Mich hätte interessiert, ob die „Son of Sam Laws“ funktionieren. Die sollen ja z.B. in New York (wo ja Anna Sorokin wirkte) und Kalifornien genau das verhindern: dass Verbrecher über die spätere Publicity von ihren Taten profitieren.
Ich meine, das hat auch viel mit „sympathischer Antiheld“ Narrativen in der Fiktion, gerade in Filmen zu tun. Ein guter Bösewicht ist halt auch einer, dessen Motive man nachvollziehen kann.
Da sind die mit Realitätsbezug, wie Blow, Catch Me If You Can, Lord of War, Die üblichen Verdächtigen oder Monster.
Und dann die voll-fiktiven, wie V wie Vendetta, Fight Club, oder auch Cesar in Planet der Affen, Walter White, Thanos, der Ledger-Joker (und alle danach) oder auch Two-Face aus dem gleichen Film.
Und dann gibt’s das Ganze auch noch als überbordendes Motiv, gerne in Sci-Fi: Roboter oder Klone, die ihre Existenz erkennen und für ihr Recht auf Individualität kämpfen (Blade Runner, AI, iRobot, Oblivion, u.v.m.).
Mal abwarten, wann „Theranos – Can these Eyes Lie?“ kommt.
@anderer Max #2:
Da brauchen Sie nicht zu warten. Die Geschichte von Elizabeth Holmes/Theranos ist längst da: In der Serie „The Dropout“ (Disney plus), gefilmt nach dem (überlangen) gleichnamigen Podcast von ABC.
Aber auch das ist vielleicht ein Zeichen einer Mode, die ihren Zenit möglicherweise schon erreicht hat: Dass man schon gar nicht mehr mitbekommt, wie viele Verbrechergeschichten schon auf allen Kanälen (mehrfach) und ausgiebig erzählt wurden, um Quote zu machen.
@ #3: Danke, die „Dropout“ Serie war mir nicht bekannt. Amanda Seyfried scheint mir ein perfektes Casting zu sein.
Verbrechergeschichten an sich sind ja eigentlich unproblematisch, solange das Verbrechen als etwas nicht Erstrebenswertes dargestellt wird. Das Problem ist die Symphatie für den Menschen, die den objektiven Blick auf die Tat an sich verschleiert.
Margin Call macht das z. B. perfekt: Der Hund ist ein Motiv für die einsetzende Erkenntnis der Geldhändler, dass viele viele Menschen durch das Platzen der „Blase“ leiden werden und dass eben die Protagonisten mitverantwortlich sind für das Entstehen dieser Blase. Entdeckung von Empathie. „Are we the baddies?“
Während man bei Blow z. B. eher mit dem Drogenhändler mitfiebert und irgendwie hofft, dass er nicht im Knast landet, obwohl man weiß, dass es so kommen wird.
Bösewichte im echten Leben sind halt noch interessanter, muss man sich ja nur die ganzen True Crime Formate angucken. Die Idee, darüber Serien zu produzieren ist also nicht fernab.
Die Johannes Trottel vs. Bernstein Gehört Geschichte treibt es dann ja auf die Spitze: Beide sind gleichzeitig Opfer und Täter!
1,2 Millionen Zuschauer alleine auf dem „Law & Crime Network“ Kanal auf YT am vergangenen Freitag.
Mir deucht, True Crime ist noch lange nicht an der Spitze der Glocke angekommen.
Vielen Dank für diesen wichtigen Artikel. Ich hatte schon nach Ankündigung der „Inventing Anna“-Serie ein Unbehagen dabei und dieser Text bringt auf den Punkt warum.
Ich kann mich erinneren, dass es damals Debatten auch über Wolfgang Betracchi gab und die Fragen, ob man sein gefälschtes Kunsthandwerk denn bewundern dürfe oder nicht. Bei Gert Postel war es ebenso.
Natürlich lassen sich daran viele spannende Debatten festmachen und Stories erzählen über die Regeln gesellschaftlicher Anerkennung, das „fake it till you make it“-Narrativ, Ehrgeiz VS Rücksichtslosigkeit usw usf.
Aber diese unkritische True-Crime-Erzählungen, die die Opferperspektive ausblenden und scheinbar selbst bei Mord stattfinden – das ist schon bedenklich. Dass Fakten und Fiktion hier wild vermischt werden umso mehr.
Wenn also der Entführer von Natascha Kampusch entsprechend medienaffin gewesen wäre, hätte man dann einen Film oder eine Serie über ihn gemacht?
Mich hätte interessiert, ob die „Son of Sam Laws“ funktionieren. Die sollen ja z.B. in New York (wo ja Anna Sorokin wirkte) und Kalifornien genau das verhindern: dass Verbrecher über die spätere Publicity von ihren Taten profitieren.
https://en.wikipedia.org/wiki/Son_of_Sam_law
Ich meine, das hat auch viel mit „sympathischer Antiheld“ Narrativen in der Fiktion, gerade in Filmen zu tun. Ein guter Bösewicht ist halt auch einer, dessen Motive man nachvollziehen kann.
Da sind die mit Realitätsbezug, wie Blow, Catch Me If You Can, Lord of War, Die üblichen Verdächtigen oder Monster.
Und dann die voll-fiktiven, wie V wie Vendetta, Fight Club, oder auch Cesar in Planet der Affen, Walter White, Thanos, der Ledger-Joker (und alle danach) oder auch Two-Face aus dem gleichen Film.
Und dann gibt’s das Ganze auch noch als überbordendes Motiv, gerne in Sci-Fi: Roboter oder Klone, die ihre Existenz erkennen und für ihr Recht auf Individualität kämpfen (Blade Runner, AI, iRobot, Oblivion, u.v.m.).
Mal abwarten, wann „Theranos – Can these Eyes Lie?“ kommt.
@anderer Max #2:
Da brauchen Sie nicht zu warten. Die Geschichte von Elizabeth Holmes/Theranos ist längst da: In der Serie „The Dropout“ (Disney plus), gefilmt nach dem (überlangen) gleichnamigen Podcast von ABC.
Aber auch das ist vielleicht ein Zeichen einer Mode, die ihren Zenit möglicherweise schon erreicht hat: Dass man schon gar nicht mehr mitbekommt, wie viele Verbrechergeschichten schon auf allen Kanälen (mehrfach) und ausgiebig erzählt wurden, um Quote zu machen.
@ #3: Danke, die „Dropout“ Serie war mir nicht bekannt. Amanda Seyfried scheint mir ein perfektes Casting zu sein.
Verbrechergeschichten an sich sind ja eigentlich unproblematisch, solange das Verbrechen als etwas nicht Erstrebenswertes dargestellt wird. Das Problem ist die Symphatie für den Menschen, die den objektiven Blick auf die Tat an sich verschleiert.
Margin Call macht das z. B. perfekt: Der Hund ist ein Motiv für die einsetzende Erkenntnis der Geldhändler, dass viele viele Menschen durch das Platzen der „Blase“ leiden werden und dass eben die Protagonisten mitverantwortlich sind für das Entstehen dieser Blase. Entdeckung von Empathie. „Are we the baddies?“
Während man bei Blow z. B. eher mit dem Drogenhändler mitfiebert und irgendwie hofft, dass er nicht im Knast landet, obwohl man weiß, dass es so kommen wird.
Bösewichte im echten Leben sind halt noch interessanter, muss man sich ja nur die ganzen True Crime Formate angucken. Die Idee, darüber Serien zu produzieren ist also nicht fernab.
Die Johannes Trottel vs. Bernstein Gehört Geschichte treibt es dann ja auf die Spitze: Beide sind gleichzeitig Opfer und Täter!
1,2 Millionen Zuschauer alleine auf dem „Law & Crime Network“ Kanal auf YT am vergangenen Freitag.
Mir deucht, True Crime ist noch lange nicht an der Spitze der Glocke angekommen.
Vielen Dank für diesen wichtigen Artikel. Ich hatte schon nach Ankündigung der „Inventing Anna“-Serie ein Unbehagen dabei und dieser Text bringt auf den Punkt warum.
Ich kann mich erinneren, dass es damals Debatten auch über Wolfgang Betracchi gab und die Fragen, ob man sein gefälschtes Kunsthandwerk denn bewundern dürfe oder nicht. Bei Gert Postel war es ebenso.
Natürlich lassen sich daran viele spannende Debatten festmachen und Stories erzählen über die Regeln gesellschaftlicher Anerkennung, das „fake it till you make it“-Narrativ, Ehrgeiz VS Rücksichtslosigkeit usw usf.
Aber diese unkritische True-Crime-Erzählungen, die die Opferperspektive ausblenden und scheinbar selbst bei Mord stattfinden – das ist schon bedenklich. Dass Fakten und Fiktion hier wild vermischt werden umso mehr.
Wenn also der Entführer von Natascha Kampusch entsprechend medienaffin gewesen wäre, hätte man dann einen Film oder eine Serie über ihn gemacht?