Presse steht Kopf

Lambrecht, ihr Sohn und der scheißlegale Hubschrauberflug

„Bild“-Schlagzeile vom 10.5.2022 Ausriss: Bild

Sie haben es wahrscheinlich mitbekommen: Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) hat ein bisschen Ärger am Hals. Weil ihr Sohn vor Ostern im Bundeswehrhubschrauber mitgeflogen ist. Nicht zum ersten Mal.

Als erstes skandalisiert das am Montag der „Business Insider“ (BI) aus dem Springer-Verlag: „Osterurlaub auf Sylt: Sohn von Verteidigungsministerin Lambrecht reiste in Regierungs-Hubschrauber“, titelt das Magazin. (Es ist ein Weiterdreh, denn der BI hat auch schon über den Sylturlaub der Ministerin berichtet.) Der BI zeigt den Sohn sitzend im Hubschrauber, er selbst hatte das Foto bei Instagram veröffentlicht. Er sei seiner Mutter auf die Nordseeinsel Sylt nachgereist, mit dem Regierungshubschrauber, heißt es in dem Text, nun „droht der Osterurlaub ein politisches Nachspiel zu haben“. Was einige Journalisten (und manche Politiker) vermutlich auch hoffen.

Da lacht das Journalistenherz: Urlaub, Foto, Lambrecht – das ist fast so gut wie Hitler und Haie. Doch, ach, die Enttäuschung ist nah: Lambrecht zahle den Mitflug des Sohnes privat, und rechtlich sei „alles sauber“, teilt das Bundesverteidigungsministerium mit. Diese Aussage lässt man freilich nicht einfach so stehen, das könnte ja jeder sagen. Allerdings sagt es dann auch jeder. Kommentatoren, aber auch ein Verwaltungsrechtsprofessor wie Markus Ogorek. Man müsse die Sache „mit gesundem Menschenverstand“ betrachten, findet der Jurist. Hm.

Journalisten wie Waschbären

An diesem Punkt hätte die Geschichte zu Ende sein können. Allerdings ist es immer eine große Enttäuschung für Journalisten, etwas totzurecherchieren: Es ist wie mit dem Waschbären, der Zuckerwatte im Fluss waschen will – die löst sich dann auf und das Tierchen ist bitter enttäuscht. Da kann man dann nur seufzen und vielleicht eine Mülltonne plündern, also als Waschbär.

Doch Journalisten sind eben keine Waschbären. Wohl keine andere Zeitung haut so gern auf der amtierenden Verteidigungsministerin rum wie „Bild“, also schreibt das Blatt am Dienstag auf dem Titel: „Lambrecht nahm Sohn im Regierungs-Heli mit“, Dachzeile: „Wirbel um Sylt-Urlaub der Ministerin“. Das Wort „Wirbel“ deutet meist eine gewisse Journalistenverzagtheit an. Für „Skandal“ oder „Aufschrei“ reicht das Ausgebuddelte nicht, und Kritiker muss man suchen wie Sir David Attenborough eine seltene Schneckenart.

„Brisant“ über den „brisanten“ Flug Screenshot: Das Erste

Nun machen natürlich alle mit: Selbst „Brisant“, das Boulevardmagazin im Ersten, greift die Flug-Geschichte der Ministerin am Dienstagabend auf. Man müsse einer „hohen Moralvorstellung gerecht werden“, fliegt die Moderatorin das Thema ein, und da ist die Tonlage richtig gesetzt: Es geht um Moral, nicht um Recht. Am Mittwoch dreht „Bild“ das Thema dann noch mal weiter, setzt den seit Montag kursierenden Witz über die „Helikopter-Mutter“ in die Überschrift und dazu einen Tweet von Paul Ziemiak, der diese Pointe auch beansprucht hat.

Dabei ziert sich selbst die Union: Wenn Lambrecht in ihren Dienstgeschäften bei allem so eifrig wäre „wie bei der Mitnahme ihres Sohnes, dann stünde es um die Verteidigung und um die Bundeswehr besser in diesem Land“, sagt CDU-Chef Friedrich Merz. Naja. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt nimmt „ein Gschmäckle“ wahr, Thorsten Frei, der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, sagt, es gebe „Dinge, die macht man einfach nicht“, das „Hubschraubergate“ sei eine „maximale Ungeschicklichkeit“.

„Ungeschicklichkeit“, herrje, so wird das nichts. Das klingt ja, als habe Lambrecht die Tischdecke mit einem Croissant vollgekrümelt. Egal, sagen sich die Journalisten, dann eben anders: Und so wird die Frage, ob der Sohn mit Lambrecht mit dem Bundeshubi in den Urlaub fliegen durfte (immer noch: ja) mit anderen Themen vermählt. Und da gibt es bei einer Verteidigungsministerin eh viele und bei Lambrecht noch einmal mehr.

Urlaub? Und dann auch noch die Lambrecht?

Thema Nummer eins: Darf die Ministerin eigentlich Urlaub machen? Wo doch Krieg ist? Bei Urlaub von Politikern versteht die Öffentlichkeit generell wenig Spaß: Rudolf Scharping planschte während eines Kosovo-Einsatzes der Bundeswehr für die „Bunte“ im Pool (Entlassung), Cem Özdemir verflog Bonusmeilen privat (Rücktritt), Dirk Niebel, einst Entwicklungshilfeminister, verwickelte sich in einem fliegenden Teppich (Spott und Häme), Ex-Bundesfamilienministerin Anne Spiegel gönnte sich eine üppige Auszeit nach der Flut im Ahrtal und dokumentierte ihre ganze Misskalkulation dann noch in einer katastrophalen Pressekonferenz (Rücktritt).

Thema Nummer zwei: Frau Lambrecht ist eben Frau Lambrecht. Diese Politikerin wird geradezu verachtet, nicht nur „in der Truppe“. Konservativ ausgerichtete Kommentatoren müssen ohnehin noch verdauen, dass nun ausgerechnet eine grüne Ministerin im Krieg die vielleicht beste Figur macht, und da muss dann wenigstens die Sozin im Verteidigungsressort prognosegerecht versagen. Sie sei über Geschlechterproporz ins Amt gekommen, moniert die „Welt“ – Gendergaga, da sieht man, wo das hinführt.

Und so kurbelt man alte, aber nie verziehene Fehltritte in die Hubschrauber-Story: falsche Schuhe beim Truppenbesuch, Lambrechts Probleme mit den Dienstgraden, eine falsche Bezeichnung für die Deutsche Marine auf Instagram („Bundesmarine“). Auch die 5000 (spät) gelieferten Helme für die Ukraine kommen wieder vor. Nur der Bezug zur Causa Hubschrauber bleibt auch hier etwas nebulös: Hätte der Sohn die Helmkisten nach Kiew schleppen sollen, statt es sich im Heli gemütlich zu machen?

Doch welche Versagensverbindung diese Themen verknüpfen, ist zu dem Zeitpunkt egal. Immerhin der „Spiegel“ flieht vor der Hatz ins Ironische und schaut auf die Hubschrauberaffäre durchs ödipale Prisma: „Wer fährt mit Anfang 20 noch so oft mit seiner Mutter in den Urlaub?“, fragt Redakteurin Melanie Amann. Ist das … Thema Nummer drei?

Niemand sollte davor zurückschrecken, nun weiter zu bohren, Themen vier bis zwölf finden sich sicher leicht: Lässt Lambrecht ihr Kind vielleicht nicht los? Was weiß eigentlich der Sohn? Wer hat das Foto gemacht, etwa die Mutter? Ist das strafbar? Oder, nochmal geiler, will der Sohn vielleicht seine eigene Mutter mit Hubschrauber-Selfies demontieren? Und was sagen eigentlich seine Freunde dazu?

Journalismus ist in dieser Phase vergleichbar mit dem Fressverhalten des Heiligen Pillendrehers. Der im englischen unprätentiöser „dung beetle“ genannte Käfer schneidet Miststücke aus Haufen heraus und rollt sie als Ball davon, möglichst weit weg vom Ursprungsort. Er steht dabei über Kopf und rollt den Dung mit den Hinterbeinchen. So ungefähr schreibt man derzeit über Frau Lambrecht und den scheißlegalen Hubschrauberflug.

An der rechtlichen Betrachtung des Flugs hat sich nichts geändert, die Opposition drückt sich noch vor Rücktrittsforderungen, einen Mistgabel-schwenkenden Mob am Bendlerblock müsste man wohl erst mieten. Es ist wie mit Anne Spiegels Fahrigkeit und Laschets Lachen: Der Vorfall ist milde interessant, trifft aber auf einen dröhnbereiten Resonanzraum in der öffentlichen Meinung. Die „SPD-Frau ist eben keine Annalena Baerbock“, analysiert der „Spiegel“ zielgenau. Die Medienlandschaft hebt ab von der Rechtslage: Sie macht den Hub, Hub, Hub und den Schrauber, Schrauber, Schrauber.

Dass Lambrecht desaströs kommuniziert, ist offenkundig. Ihr Haus habe der „Welt“ rechtliche Schritte angedroht, schreibt das Blatt und verpasst ihr dafür zurecht die Zeile „Ministerin im Panikmodus“. Auch soll sie, laut „Bild“, „noch keinen Cent“ bezahlt haben für den Mitflug ihres Sohnes, weil die Rechnungsstellung noch aussteht. Das ändert allerdings nichts an der Bewertung des Sylt-Fluges.

Man kann Urlaub für unpassend halten, wenn nebenan ein Krieg tobt. Dasselbe gilt aber für tagelange Versuche, einen Skandal zu suchen, wo beim „besten“ Willen keiner zu finden ist.

Korrektur, 17:27 Uhr. Wir hatten Dirk Niebel zum Verteidigungsminister gemacht, er war aber Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, im Volksmund: Entwicklungshilfeminister. Und wir hatten Anne Spiegel Ex-Gesundheitsministerin genannt, dabei war sie Familienministerin. Wir bitten um Entschuldigung!

2 Kommentare

  1. Der Fehler mit Dirk Niebel ist mir zunächst auch nicht aufgefallen. Schließlich hat man ihn, der das Entwicklungshilfe-Ministerium im Wahlkampf noch hatte abschaffen wollen, auch in der Soldatenkluft bildlich abgespeichert, die er demonstrativ in seiner Funktion als Minister zur Schau stellte. Ehrlich gesagt kann ich mich an besagten Skandal nicht erinnern, wenn es zu seiner Abdankung geführt hat, bin ich allerdings froh darüber.

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