Fußnoten (29)

Robert Habeck ist Gold, aber gute Kommunikation ist noch keine gute Politik

Gif: Instagram.com/robert.habeck

Niemand verkauft Politik im Moment so gut wie Robert Habeck. Der Bundeswirtschaftsminister ist Deutschlands beliebtester Politiker, und das liegt ganz offensichtlich nicht an der wirtschaftlichen Lage1) Auf Platz zwei folgt übrigens Außenministerin Annalena Baerbock, was offensichtlich nicht daran liegen kann, dass die diplomatische Lage der Welt so gut ist., sondern an seinen Instagram-Videos – oder, wie wir es nennen, seinem „politischen Stil“. Habeck erklärt besonders nahbar, reflektiert und emotional, wie er etwa die Entscheidung zur Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine abwägt. Er wird dafür gefeiert, in den Sozialen Medien, aber auch in den klassischen. Für die „Welt“ zum Beispiel wäre er schon „der bessere Kanzler“.

Es ist eine absurde Situation: Es liegt in der Natur der Sache, dass erst die Zukunft zeigen kann, ob er gerade gute Politik macht. Aber ganz eindeutig macht er gute Kommunikation. Kurz formuliert: Journalisten feiern Robert Habeck gerade in Wahrheit dafür, dass er ihren Job besser macht als sie.

Es gibt ganze Artikel, die nichts sind als Zusammenfassungen seiner Instagram-Posts. Und völlig unabhängig davon, wie man zu den Inhalten steht, kann man festhalten: So einfach hatte es wahrscheinlich noch kein bundesdeutscher Politiker, seine Botschaften verbreitet zu bekommen.

Dafür kann Robert Habeck nichts, das ist keine Kritik an ihm.2)Es ist im Gegenteil eher so, dass Habecks eigene Videos mehr einordnen und erklären als die Berichterstattung über seine Videos: In der Begründung, warum er für die Lieferung schwerer Waffen stimmt, sagt er auf Instagram sehr deutlich, dass diese Waffen russische Soldaten töten werden, „die wahrscheinlich auch lieber mit ihrem ukrainischen Gegenüber Fußball spielen würden […] als für Putin zu sterben“ – ein Aspekt, der in der öffentlichen Diskussion in Deutschland erstaunlich wenig Raum einnimmt, gemessen daran, dass mit den Grünen eine Partei in der Regierung ist, die einmal einen starken pazifistischen Flügel hatte. In der Berichterstattung kommt dieser Teil praktisch nicht vor. Und in der ohnehin kritiklosen Berichterstattung die Zweifel zu tilgen, die der Politiker selbst im selben Statement äußert, ist dann schon katastrophal. Er macht gute Kommunikation, und das darf er. Das ist sogar sehr wohltuend. Aber die kritiklose3)Kritik hier im Ur-Sinn als prüfende Einordnung. Übernahme von Politiker-Statements ist offensichtlich nicht die Aufgabe von Journalisten.4)Nein, Wladimir, ist sie nicht!

Was würde Tina Hassel tun?

Von dem Journalisten Henning Sußebach gab es auf Twitter den interessanten Gedanken dazu: „Mir macht etwas zu schaffen, dass wir Journalisten hier Robert #Habeck|s wirklich gutes Erklären seiner Politik feiern – eine kommunikative Leistung, die nicht auf journalistischem Wege zustande gekommen ist.“ Gefolgt von den Fragen: „Hätte Tina Hassel ihn ausreden lassen? Wäre das richtig – oder nicht ihr Job? (Ich habe da echt Fragen, auch an mich, ob als Journalist oder als Mediennutzer.)“

Ich habe keine Möglichkeit, Tina Hassels Gedanken zu lesen, aber ich kann zumindest einen Teil der Fragen beantworten. Denn der Umgang von Journalisten mit Robert Habeck birgt ein echtes Problem.

Es ist zunächst mal ein schlichtes Problem. Man muss nur den Namen austauschen, dann erkennt man es sofort: Es würde niemand in auch nur halbwegs seriösen deutschen Medien kritiklos ein emotionales Erklär-Video von Björn „Bernd“ Höcke nacherzählen. Und ich ahne, wie jetzt der Widerspruchs-Impuls zuckt und Sätze anregt wie „man kann doch nicht Habeck mit Höcke vergleichen“ oder „Höcke erzählt aber Scheißdreck und ist ein Nazi, Habeck hingegen sagt kluge Dinge und ist Minister“. Aber natürlich gibt es überhaupt keine journalistische Rechtfertigung, einfach kritiklos abzuschreiben, was egal welcher Politiker sagt.5)Ganz abgesehen von der Tatsache, dass wer sagen würde „man kann Höcke nicht mit Habeck vergleichen“ damit Höcke mit Habeck vergliche. Hihi. Ich nehme an, das ist eigentlich unstrittig. Aber das ist das geringste Problem.

Der bessere Kanzler?

Viel problematischer ist der Grund, warum es passiert: Habeck ist Gold, auf vielen Ebenen. Er erklärt gut und emotional, auf Augenhöhe mit seinen Wählern. Er ist eine Wohltat, ein warmer Sommerregen auf die geschundenen Seelen all jener, die mit dem Paradox aufgewachsen sind, dass in unserer Welt Idioten die größten Karrieren machen, weil sie weniger Zweifel haben. In einer Welt voller selbstbewusster Großkotze ist er ein öffentlicher Zweifler mit einer großen Karriere, und damit Projektionsfläche für Millionen von denkenden und fühlenden Menschen, denen das Denken und Fühlen in ihrem Leben mehr Kummer als Freude bereitet hat. Er ist menschgewordenes Hamburg-Ottensen.6) Für Nichthamburger: Der Stadtteil Ottensen im Bezirk Altona wird bevölkert von Menschen, die immer irgendwie die Guten sind, weil sie Lastenrad fahren, obwohl sie sich ein Auto leisten könnten. Ich verstehe das sehr gut. Denn ich fühle das ja auch.

Aber es hat im Journalismus nichts zu suchen, weil es ein Missverständnis fördert: Kommunikation ist Teil des politischen Geschäfts, aber es ist nicht Politik. Es ist nicht derjenige der beste Politiker, der die beste Kommunikation macht. 7)s.a. Trump, Donald. Ein großer Kommunikator (Ich weiß: „Aber man kann doch nicht Habeck mit Trump“ und so weiter) Politik bedeutet, die möglichst besten Entscheidungen über die besten Ideen zu treffen, dafür wählen wir unsere Repräsentanten, und Journalismus ist dafür da, diese Ideen und Entscheidungen aus dem Dickicht der konkurrierenden politischen Kommunikation herauszuarbeiten. Wenn in der „Welt“ behauptet wird, Habeck wäre der bessere Kanzler, weil er besser erklärt, dann ist das eigentlich ein Armutszeugnis. Es fällt nur gerade nicht auf, weil offensichtlich viele Menschen – auch Journalisten – genau das fühlen.

Politik, die sich gut anfühlt

Und damit sind wir endlich beim eigentlichen Problem: Wie alles andere wird auch Politik gefühlt.8) s.a. vorhergehende Fußnote Das ist menschlich, und natürlich darf jeder Bürger seine politischen Entscheidungen treffen, wie er will, auch rein nach Gefühl. Aber deswegen ist die Politik, die sich am besten anfühlt, noch nicht automatisch die beste Politik, und es ist Aufgabe von Journalismus, diese Unterscheidung zu machen.

Bei Habeck – und auch seiner Parteikollegin, der Außenministerin Annalena Baerbock – machen wir gerade das Gegenteil. Von beiden herrscht das Gefühl vor, sie würden großartige Arbeit machen. Und ich will nicht sagen, dass sie es nicht tun. Aber ich finde, es gehört zum journalistischen Handwerk, anzumerken: Weder die Wirtschaftslage noch die diplomatische Lage9)Regierungen, die etwa die Hälfte der Weltbevölkerung repräsentieren, verhalten sich im Ukraine-Krieg neutral. Das ist jetzt kein außenpolitischer Erfolg. in der Welt sind gerade besonders gut für uns. Nun sind beide Minister so kurz im Amt und so überrollt worden von den Welt-Ereignissen, dass man ihnen das meiner Meinung nach nicht anlasten kann – aber dann muss man genau so festhalten, dass sie so kurz im Amt sind, dass wir noch lange nicht wissen können, als wie gut sich ihre Arbeit herausstellen wird. Wir wissen in Wahrheit nur: Wir fühlen uns mit beiden gut. 10)Für die Älteren werfe ich als Erinnerung nochmal einen Namen ein, also, etwa zwölf Namen: Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Buhl-Freiherr von und zu Guttenberg. Der fühlte sich für sehr viele auch gut an. Und war ein Eierloch.

Dem Wohle des deutschen Volkes

Was bedeutet das jetzt aber für den Umgang mit der Kommunikation von Robert Habeck? Es bedeutet, dass Journalisten ihn behandeln sollten, als wäre er ein Politiker, und noch dazu ein Minister, der einen Amtseid geschworen hat. Er soll seine „Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden“, und ich gehe davon aus, die fiktive Tina Hassel aus dem Tweet oben hätte ihn gefragt, wie er begründet, dass die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine das tut.

Ich bin in diesem Fall einer Meinung mit Robert Habeck und für diese Lieferungen11) Ich sage es einfach offen: Ich habe schon zu Beginn des Krieges Geld an die ukrainische Armee gespendet, damit sie Waffen damit kauft. , aber es gibt vernünftigen Widerspruch. Sollten diese Lieferungen zu einer Ausweitung des Krieges führen, würde das wahrscheinlich nicht den Nutzen für das deutsche Volk mehren – und während ich persönlich durchaus den Nutzen für das ukrainische Volk mehren darf, wie ich lustig bin, darf Habeck wegen seines Amtseides das nicht. Da kann man schonmal nachfragen. Wenn man Journalist ist, muss man das sogar.

Aber Habeck ist Gold, auch für Quoten und Klickzahlen, und er ist es wegen seiner Fähigkeit, Politik sich gut anfühlen zu lassen in dieser Scheißzeit. Und das ist ja auch nötig. Aber wir müssen trennscharf bleiben, was Politik ist und was politische Kommunikation. Niemand verkauft im Moment Politik so gut wie Robert Habeck, und das darf man anerkennen. Politik zu erklären und einzuordnen ist aber Aufgabe von Journalisten, und sie sollten das besser machen als er.

Fußnoten

Fußnoten
1 Auf Platz zwei folgt übrigens Außenministerin Annalena Baerbock, was offensichtlich nicht daran liegen kann, dass die diplomatische Lage der Welt so gut ist.
2 Es ist im Gegenteil eher so, dass Habecks eigene Videos mehr einordnen und erklären als die Berichterstattung über seine Videos: In der Begründung, warum er für die Lieferung schwerer Waffen stimmt, sagt er auf Instagram sehr deutlich, dass diese Waffen russische Soldaten töten werden, „die wahrscheinlich auch lieber mit ihrem ukrainischen Gegenüber Fußball spielen würden […] als für Putin zu sterben“ – ein Aspekt, der in der öffentlichen Diskussion in Deutschland erstaunlich wenig Raum einnimmt, gemessen daran, dass mit den Grünen eine Partei in der Regierung ist, die einmal einen starken pazifistischen Flügel hatte. In der Berichterstattung kommt dieser Teil praktisch nicht vor. Und in der ohnehin kritiklosen Berichterstattung die Zweifel zu tilgen, die der Politiker selbst im selben Statement äußert, ist dann schon katastrophal.
3 Kritik hier im Ur-Sinn als prüfende Einordnung.
4 Nein, Wladimir, ist sie nicht!
5 Ganz abgesehen von der Tatsache, dass wer sagen würde „man kann Höcke nicht mit Habeck vergleichen“ damit Höcke mit Habeck vergliche. Hihi.
6 Für Nichthamburger: Der Stadtteil Ottensen im Bezirk Altona wird bevölkert von Menschen, die immer irgendwie die Guten sind, weil sie Lastenrad fahren, obwohl sie sich ein Auto leisten könnten.
7 s.a. Trump, Donald. Ein großer Kommunikator (Ich weiß: „Aber man kann doch nicht Habeck mit Trump“ und so weiter)
8 s.a. vorhergehende Fußnote
9 Regierungen, die etwa die Hälfte der Weltbevölkerung repräsentieren, verhalten sich im Ukraine-Krieg neutral. Das ist jetzt kein außenpolitischer Erfolg.
10 Für die Älteren werfe ich als Erinnerung nochmal einen Namen ein, also, etwa zwölf Namen: Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Buhl-Freiherr von und zu Guttenberg. Der fühlte sich für sehr viele auch gut an. Und war ein Eierloch.
11 Ich sage es einfach offen: Ich habe schon zu Beginn des Krieges Geld an die ukrainische Armee gespendet, damit sie Waffen damit kauft.

8 Kommentare

  1. Ich teile groesstenteils die Ansicht in diesem Artikel, gute Beobachtungen.
    Aber die Rolle eines Politikers ist durchaus auch, Entscheidungen nachvollziehbar zu erklaeren – andernfalls droht schlechte Stimmung, Widerstand, Spaltung, und das waere schlecht fuer das Land.

  2. Spontan würde ich sagen, dass man Habeck für den „besseren“ Kanzler halten darf, weil er genau dieselbe (gute oder schlechte) Politik macht wie Scholz, diese aber besser erklärt.
    Nur: wäre Habeck Kanzler und Scholz Minister, würde vllt. Habeck sich bedeckt halten und Scholz die Kommunikation übernehmen.
    Und z.B. die Überlegung mit den russischen Soldaten, die sich vllt. auch lieber nicht erschießen lassen wollen, kam auch bei Scholz vor, als er von seiner letzten Russlandreise wiederkam.

    Andererseits verstehe ich das Dilemma der Journalisten – wie soll man einen Politiker kritisch einordnen, wenn der alle Argumente vorbringt, die man als Journalist selbst für relevant hält, UND die man auch ähnlich gewichtet?

  3. Es ist mir ein großes Rätsel, wie man als Politikbeobachter der Meinung sein kann, Reden sei keine Politik. „Ich bin ein Berliner“, „Mr. Gorbatschow, tear down this wall“ oder Weizsäckers Rede zum 8.Mai 1945 – alles keine Politik, nur Gerede. Scholz‘ Zeitenwende-Rede und überhaupt die ganzen Bundestagsdebatten, das ist alles nur „Teil des politischen Geschäfts, aber es ist nicht Politik.“ Scholz‘ letzter Besuch bei Putin, die Friedensverhandlungen in Antalya, Merz‘ Besuch bei Selenski – auch keine Politik. Ist Merz überhaupt Politiker? Die Opposition entscheidet doch nichts.

    Fast ebenso seltsam finde ich die Meinung, dass man Habeck und Baerbock zudem selbst an ihrem Handeln nicht messen könne, weil „sie so kurz im Amt sind, dass wir noch lange nicht wissen können, als wie gut sich ihre Arbeit herausstellen wird.“ Also kein Lob für Habecks Erfolge bei der Suche nach Ersatz für russisches Gas, Öl, Kohle, kein Lob für seinen Vorstoß, den Ausbau der Erneuerbaren zur Frage nationaler Sicherheit zu erklären. Erstmal 20 Jahre abwarten, schließlich hat man bei Schröders Energiepolitik auch erst jetzt gesehen, wie problematisch sie war.

  4. Ich liebe Fußnoten, besonders so wichtige wie #2. Die Mordmetapher „Krieg“ beinhaltet ja schon die allseitige Entmenschlichung, die Gewöhnung ans Totezählen. Am Sonntag fand der WDR 5 zehn Uhr „Gottesdienst“ sinnigerweise aus einer Garnisonskirche – in Deutschland- statt, hab aber nicht mitgehört, worum da gebetet wurde, vielleicht darum, dass viele, viele Soldaten auf beiden Seiten desertieren?

  5. Ich schließe mich Tanja Faust an: Kommunikation ist Teil von Politik, und wer das schlecht macht oder verweigert, ist in dem Punkt ein schlechter Politiker oder eine schlechte Politikerin. Selbst wer alle Entscheidungen von Merkel und Scholz toll findet, sollte einräumen, dass deren Unfähigkeit oder/und Unwilligkeit zur öffentlichen politischen Kommunikation nicht gut war bzw. ist. (Bei Scholz scheint sich zumindest an der Unwilligkeit ja grade was zu ändern – hoffentlich.)

    Ich schließe mich aber insofern auch Herrn Pantelouris an, als dass in den Medien die Kommunikation vieler politischer Akteure über- und deren politische Entscheidungen untergewichtet werden. Gleichzeitig fide ich es merkwürdig, sie an der wirtschaftlichen oder diplomatischen Allgemeinlage zu messen, auf die sie ja nur begrenzten Einfluss haben, anstatt an ihren politischen Handlungen (wozu ich eben Entscheidungen und auch Kommunikation zählen würde). Das ist wie die Irrationalität, dass Regierungen in ökonomisch schlechten Phasen ab- und in guten wiedergewählt werden, egal wie sehr ihre Handlungen daran Anteil hatten.

    @Döhmann-Rohwold: „… vielleicht darum, dass viele, viele Soldaten auf beiden Seiten desertieren?“

    Bitte was? Was ist denn das für eine absurde Gleichsetzung? In diesem Fall würde es völlig ausreichen bzw. ist es allein zielführend, wenn auf Seiten des Aggressors möglichst viele Soldaten desertieren. (Wie ich schon anderswo schrieb: Wenn Russland die Waffen niederlegt, gibt es Frieden. Wenn die Ukraine die Waffen niederlegt, gibt es keine Ukraine mehr.)

  6. Ich teile ja die (Kommunikations-)Euphorie nicht ganz und finde, dass sich Politik hier langsam von unten einem Niveau nähert, dass man von verantwortungsvoller, professioneller Politik einfach erwarten kann.
    Was die („schweren“) Waffen betrifft, finde ich die Sache sehr eindeutig, es gibt ein überwältigendes deutsches, westliches, freiheitliches Interesse, dass Putin hier scheitert und nicht weiter marschieren kann. Der Blick auf die internationale Diskussion, Presse, Fachmenschen, hilft hier ungemein.

  7. Lieber Herr Pantelouris,

    auch von meiner Seite vielen Dank für den lesenswerten Beitrag! Da ich selbst über die Verständlichkeit von Politikersprache promoviert habe, muss ich Ihnen aber schon allein deshalb widersprechen, weil ich mir meine Dissertation sonst hätte sparen können. ;-) Denn: Würde man Ihrer Argumentation folgen, würde das ja bedeuten, dass Politiker*innen sich eigentlich keine Gedanken über ihre Sprache (und z.B. eben deren Verständlichkeit) machen müssten, weil das nicht zu ihrem Job gehört, sondern hierfür ja die Medien da und zuständig sind. Das würde aber ja nur dann funktionieren, wenn die Bürger*innen ausschließlich über die Medien vermittelte politische Informationen aufnehmen und nie ein direkter Austausch zwischen Politiker*innen und Bürger*innen stattfinden würde. Wenn ich aber nun Herrn Habeck, Herrn Scholz oder Frau Baerbock in einer Talkshow oder einem Interview im Fernsehen sehe und zuhöre, dann können die Medien mir relativ wenig dabei helfen, deren Sprache zu „übersetzen“. Noch unmöglicher würde das, wenn ich tatsächlich direkt und ohne Vermittlung durch Medien mit Politiker*innen in Kontakt trete, z.B. bei einer Wahlkampfveranstaltung. Da hinkt Ihre Argumentation aus meiner Sicht also sehr bzw. ist einfach zu einseitig. Natürlich sollen Medien den Bürger*innen dabei helfen, politische Informationen besser verstehen und leichter einordnen zu können. Und natürlich ist es nicht NUR die Aufgabe von Politiker*innen, verständlich und nachvollziehbar zu kommunizieren. Aber genauso gilt: In zahlreichen Kommunikationssituationen zwischen Politiker*innen und Bürger*innen können Medien ihre Übersetzungs- und Einordnungsfunktion nicht oder nur stark eingeschränkt erfüllen. Und gerade in diesen Situationen ist es daher von entscheidender Bedeutung, wie Politiker*innen selbst ihre eigene Politik kommunizieren bzw. verständlich und nachvollziehbar machen (oder eben auch nicht). Es ist sicherlich auch kein Zufall, dass eine wissenschaftliche Untersuchung von Regierungserklärungen deutscher Bundeskanzler (vor Merkel) zu dem Ergebnis kam, dass die untersuchten Bundeskanzler in ihren Regierungserklärungen immer dann sehr verständlich sprachen, wenn es um ihre Erfolge ging, und dann besonders unverständlich, wenn es um (ungelöste) Probleme ging. Es gibt also natürlich auch so etwas wie strategische Unverständlichkeit von Politiker*innen, die nicht aus Unfähigkeit, sondern aus UnWILLEN entspringt. (Und bei Scholz mischen sich meiner Wahrnehmung nach beide dieser Arten von Unverständlichkeit.)

    Ich erlaube mir zum Schluss einen Absatz aus meiner bereits erwähnten Dissertation zu zitieren, weil er hier einfach sehr gut passt und zeigt, was für ein zentraler Bestandteil von Politik die Sprache ist und dass sich Politiker*innen und Wissenschaftler*innen, die sich mit politischer Kommunikation befassen, hierin auch sehr einig sind:

    „Die besondere Rolle der Sprache kann dabei v.a. durch ihre Funktion als Medium der politischen Überzeugungsarbeit erklärt werden. So formulierte beispielsweise Bundestagspräsident Karl Carstens in einer Rede im Jahr 1978: „Wir wären keine glaubwürdigen Parlamentarier, keine ernst zu nehmenden Anhänger der parlamentarischen Demokratie, wenn wir nicht an die Macht des Wortes, des Argumentes, der Überzeugung durch das gesprochene und geschriebene Wort glauben würden“ (zitiert nach Bergsdorf 1983: 13). Noch einen Schritt weiter geht Dieckmann mit seinem Schluss, dass „Handeln nur so lange politisches Handeln ist, als es sprachliches Handeln ist. Wo Politik sprachlos wird, hört Politik auf“ (1975: 29). Folgerichtig definiert Dieckmann Politik als „staatliches oder
    auf den Staat bezogenes Reden“ (ebd.).“

    Mit besten Grüßen
    Jan Kercher

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