Podcast-Kritik (79)

„Studio Komplex“: Eine gewagte Collage aus Klamauk und Journalismus

Logo Podcast "Studio Komplex", etwas skeptisches Gesicht

Late Night + Feuilleton = Podcast? „Studio Komplex“ vom Hessischen Rundfunk ist ein ambitioniertes Experiment. Der neue Podcast versucht seit April, jede Woche gesellschaftspolitische Themen und Debatten mit genauso viel Tiefe wie Humor zu bearbeiten. Das gelingt zwar nicht immer. Aber das verspielte Format von „Studio Komplex“ ist eine wohltuend mutige Abwechslung vom deutschen Gesprächspodcast-Einerlei.

Jeden Werktag wartet eine ganze Armada verwechselbarer Nachrichtenpodcasts darauf, gehört zu werden. Morgens, mittags, abends. Spätestens ab Donnerstag gesellen sich die wöchentlichen Gesprächsformate dazu, in denen meist mindestens zwei Menschen das Politik- und Weltgeschehen der letzten Tage sortieren.

Diese Übersättigung scheint auch das Team hinter „Studio Komplex“ erkannt zu haben. Die Themen sind eher latent aktuell, bestenfalls mit aktuellem Aufhänger versehen: Soll „Rasse“ noch im Grundgesetz stehen? Sollen wir weniger Arbeit wagen? Was zur Hölle will eigentlich „Empowerment“ und ist das nur eine Coaching-Hülse? Wie (un-)menschlich ist die Arbeit in der Politik?

Beim öffentlich-rechtlichen Radiosender hr2 läuft der Podcast freitags auf dem Sendeplatz von „Der Tag“. Die Verwandtschaft (und redaktionelle Nähe) zur beliebten Radiosendung ist unüberhörbar. Fraglich ist, ob die anvisierte Zielgruppe von „Studio Komplex“ die hr-Sendung überhaupt auf dem Schirm hat – und nicht sonst eher „Fest und Flauschig“ hört.

Eine wuselige Audio-Party

Bei „Studio Komplex“ labert kein Podcast-Duo miteinander. Anne-Katrin Eutin und David Ahlf führen jeweils allein durch die Episoden, im wöchentlichen Wechsel. Ausnahmsweise möchte ich hier explizit von „Hosts“ statt von „Moderation“ schreiben. Denn die beiden sind wirklich Gastgeber und sympathischer Ankerpunkt der wuseligen Party in den Episoden. Sie bringen sich selbst meist mit einer steilen, streitlustigen These am Anfang ein, verbunden mit einer persönlichen Perspektive. Dabei hat „Studio Komplex“ so viel Spaß an der Zuspitzung wie an der Differenzierung – und zerlegt auch gerne mal die eigene These.

Die Ansprechhaltung ist weniger offiziös und radiogeschliffen, mündlicher als bei „Der Tag“. Tempo und Ästhetik wirken wie für eine jüngere Zielgruppe gemacht. So wird schnell hörbar: „Der Tag“ ist eine HR-Radiosendung, die es auch als Podcast gibt. „Studio Komplex“ ist ein Podcast, der auch im Radio läuft. Im Vergleich wirkt er wie eine Jumpcut-lastige YouTube-Show. Plötzlich klingt „Der Tag“ angestaubter und älter, als es ist. (An dieser Stelle könnte bei „Studio Komplex“ das Meme „The future is now, old man“ aus der TV-Serie „Malcolm in the Middle“ eingespielt werden.)

Der Podcast zieht sich aber nicht nur auf die distanzierte Kommentier- und Sketch-Ebene zurück. Die Hosts interviewen ernsthaft Gäste: In der Episode „Weniger Arbeit wagen“ spricht David Ahlf mit dem ehemaligen Lieferdienst-Mitarbeiter Orry Mittenmayer, der von den Arbeitsbedingungen erzählt, die Menschen verschleißen. Dann fragt Ahlf rhetorisch:

„Krasser Bruch, ne? Gerade jubelier’ ich noch, wie gut doch die Osterfeiertage getan haben. Ich, der jeden Tag an so einem fucking höhenverstellbaren Schreibtisch Kreativarbeit macht. Und dann kommt Orry, und haut mir die Realität um die Ohren. Die Realität, deren Teil ich natürlich bin. Weil ich 40 Stunden oder mehr arbeite und abends völlig zerballert auf der Couch Pizza esse. Geliefert von Orrys ehemaligen Kollegen.“

„Studio Komplex“ reflektiert, stellt sich selbst in Frage, nimmt sich selbst auf die Schippe. Ob man das anstrengend selbstreferentiell oder sympathisch findet, liegt vielleicht daran, ob man mit dem Radio oder mit Podcasts sozialisiert wurde.

Durchkomponiert statt gelabert

In der Episode „Die Causa Spiegel: Menschen raus aus der Politik“ ruft Anne-Katrin Eutin bei Christopher Lauer an, weil der sich bei Twitter über Anne Spiegel aufgeregt hat. (Was auch bei „Studio Komplex“ nicht fehlen darf, so will es das Erste Podcast-Produktionsgesetz: die Marotte, das inhaltslose Geplänkel, wenn noch die Leitung aufgebaut oder das Mikrofon gerade eingestellt wird, unbedingt in den Podcast zu schneiden.) Eutin fragt Ex-Piraten-Ex-SPD-und-nun-Grünen-Mitglied Lauer dann zuerst: „Erzähl vielleicht mal, was machst du gerade so?“ Der fragt amüsiert zurück: „Ich sitze gerade auf meiner Couch, wieso?“ Eutin: „Ich meinte eher so beruflich“. In solchen Momenten geht der freche, duzende Tonfall von „Studio Komplex“ ganz gut auf.

Die Episoden sind eine handwerklich anspruchsvolle Collage aus Host-Monolog, Einspielern und Mini-Beiträgen, Sketches, Interviewschnipseln und Musik. So durchkomponiert sind Podcasts selten. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal, das zum Erfolgsrezept taugen könnte. Falls die Laberpodcast-sozialisierte Zielgruppe mit der zwar audiophilen, aber wenig gesprächigen Umsetzung von „Studio Komplex“ warm wird.

Mit einigem Wohlwollen sind bei „Studio Komplex“ durchaus Anleihen zu erkennen, die an den Investigativ-Klamauk von „Last Week Tonight“ mit John Oliver erinnern oder an das „ZDF Magazin Royale“. Auch „Studio Komplex“ lässt in dichter Abfolge Information und Unterhaltung abwechseln. Hier kurz eine ernste Differenzierung aushalten. Sich über einen Missstand aufregen. Dann ein neuer Gag. Reflexion. Nächster Sketch. Erklär-Einspieler. Musikwitz. Nächstes Kapitel.

Virtuos, aber atemlos

Der Rhythmus von „Studio Komplex“ ist schnell, fast schon hastig. Der Podcast rast durch die verschiedenen Ebenen. Er will aktiv und aufmerksam gehört werden. Hier wird nicht durchgeatmet oder wie im Radio alle paar Minuten an das übergreifende Thema erinnert, für die, die gerade einschalten haben oder abgelenkt waren. Manchmal wirkt es, als ob der Podcast mit seiner Virtuosität angeben will und dabei vergisst, mir als Hörer eine Verschnaufpause zu schenken.

In meiner Besprechung von „WTFM 100,Null“ hatte ich mich schon mal als Flachwitz-Fan zu erkennen gegeben. Deshalb geht der Humor von „Studio Komplex“ für mich tendenziell auch in die richtige Richtung, wenn etwa in der Episode „Weniger Arbeit wagen“ der Sündenfall von Adam und Eva als Hörspiel-Sketch mit hessischem Dialekt inszeniert wird. Auch gut: „Studio Komplex“ ist sich nicht zu schade, (selbst-)ironisch zu sein oder die Grenzen zum Klamauk zu überschreiten.

Und jetzt das „Aber“ vom Flachwitz-Fan: Das lustige Gewusel und die Verspieltheit bei „Studio Komplex“ droht manchmal, die sachliche Diskussion in den Schatten zu stellen. Die ernsten Statements der Expert*innen sind gerne mal in kratziger Telelefonleitung zu hören, während der Klamauk ausnahmslos perfekt produziert klingt. So entsteht – wahrscheinlich unabsichtlich – ein Wertigkeitsgefälle zwischen Information und Unterhaltung.

Witz schlägt Erkenntnis

Ein Eindruck, der sich auch nach mehrfachen Hören der Episoden verdichtet: Ich fühle mich gut unterhalten, kann mich aber hinterher mehr an die Witze als an das inhaltlich Erarbeitete erinnern. So geht in der Arbeit-Episode der ernste Appell, sich für bessere Arbeitsbedingungen zu engagieren, in der zweiten Episodenhälfte nahezu unter. Weil er gegen die bunte, lustige erste Hälfte der Episode nur verlieren kann. Hier konkurrieren die Mittel mit dem Zweck.

Dass ernstgemeinte Erklärungen und Inhalte bei „Studio Komplex“ gerne von Sprecherstimmen in Einspielern vorgetragen werden, tut sein Übriges. Im sonst so mündlichen Format ergibt sich durch die förmliche Präsentation plötzlich eine Ironie-Ebene, die Einordnungen und Erklärungen mit einer hochgezogenen Augenbraue und einem Fragezeichen versieht. Unterhalterisch mag das Sinn ergeben, didaktisch nicht.

So unkonventionell das bunte Format erstmal wirkt, so konventionell sind viele Gags. Beispielsweise die Entdeckung einer „neuen Gattung“ von menschelnden Politiker*innen in der Politik-Episode (ab Minute 32:30), inklusive Urwald-Klangbett aus Tiergeräuschen und geflüsterter Kommentarstimme, die wie auf Safari dann Menschen aus der Politik wie Wildtiere beobachtet. Der ohnehin wackelige Witz kippt spätestens dann um, wenn in dieser Form der Schwarze US-Präsident Barack Obama vom Ironie-Kommentar auf Urwald-Kulisse mit Naturdoku-Vokabular beschrieben wird. Das ist – nicht nur für ein Format wie „Studio Komplex“, das Wert auf Reflexion und Sensibilität legt – eine fragwürdige Inszenierung eines rassistisch aufgeladenen Kontexts.

Weniger „heute show“, dafür mehr Memes wagen!

Die Grenze von Klamauk zum Trash überschreitet „Studio Komplex“ für mich meistens musikalisch. In einem Einspieler wird der Begriff Arbeit definiert, eine Sprecherin liest ernst vor:

„Arbeit. In der Philosophie eine schöpferische Tätigkeit. In der Sozialwissenschaft eine, mit der Menschen in ihrer Umwelt zu überleben versuchen. Und okönomisch gesehen bedeutet arbeiten: Wertschöpfung und damit Wachstum. Vor allem hier im Westen.“

Dann ist – na klar – „Money, money, money“ von Abba zu hören. Vorher läuft „Work, Work, Work“ von Rihanna, Deichkind stellt musikalisch fest „Arbeit nervt“ und Donna Summer singt „She works hard for her money“. Weniger „ZDF heute-show“, dafür mehr Memes wagen – das wäre mein Fazit nach bisher fünf Folgen. Ich glaube, die Zielgruppe verträgt das.

Wird „Studio Komplex“ nachhaltig den eigenen Anspruch und das selbstvorgegebene Tempo durchhalten? Wie wird sich die Balance zwischen schnellen Gags und journalistischer Einordnung einspielen? Will das Publikum diese anspruchsvollen Sprünge zwischen den Formen mitmachen? Eines steht schon jetzt fest: „Studio Komplex“ ist jedenfalls nicht der durchschnittliche Laberpodcast am Ende der Woche.


Podcast: „Studio Komplex“ vom Hessischen Rundfunk

Episodenlänge: circa 45 Minuten, immer freitags

Offizieller Claim: „‚Studio Komplex‘ ist Show gewordener Journalismus.“

Inoffizieller Claim: „Eine Portion Graubereiche, aber mit Klamauk, bitte!“

Wer diesen Podcast hört, mag auch … „Last Week Tonight“; „Kroymann“; „Die sogenannte Gegenwart“; „Freitagnacht Jews“

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