Der Autor
Emran Feroz ist österreischischer Journalist und Autor mit afghanischen Wurzeln. Er arbeitet unter anderem für „Deutschlandfunk Kultur“, „Foreign Policy“, „taz“, Al Jazeera und die „New York Times“.
Seit mehreren Tagen dominiert die russische Invasion der Ukraine die Berichterstattung in aller Welt, und eine erstaunliche Zahl von Reportern, Analysten und anderweitigen Beobachtern des Krieges demonstriert offenkundigen Rassismus. Einer der ersten Journalisten, der damit auffiel, war Charlie D’Agata vom amerikanischen Sender CBS News. In einem Bericht aus Kiew meinte er, dass die Ukraine nicht mit dem Irak oder Afghanistan vergleichbar sei, weil es sich um ein „europäisches“ und „zivilisiertes“ Land handele.
Emran Feroz ist österreischischer Journalist und Autor mit afghanischen Wurzeln. Er arbeitet unter anderem für „Deutschlandfunk Kultur“, „Foreign Policy“, „taz“, Al Jazeera und die „New York Times“.
Mittlerweile hat sich D’Agata für seine Formulierung entschuldigt, doch sie war kein Einzelfall und nur ein Vorzeichen für das, was noch kommen würde. In einem Interview mit der britischen BBC sagte der ukrainische Generalstaatsanwalt David Sakvarelidze, dass er in diesen Tagen besonders emotional sei, weil er sehe, wie „europäische Menschen mit blauen Augen und blonden Haaren“ täglich getötet werden. Dieser Satz, der in den Sozialen Medien für Entsetzen sorgte, wurde vom Interviewer in keiner Weise hinterfragt.
Stattdessen wurde der rassistische Berichterstattungsfeldzug anderswo erbarmungslos fortgesetzt. Korrespondentin Lucy Watson vom britischen ITV behauptete sichtlich aufgebracht, dass es sich bei der Ukraine „nicht um ein Dritte-Welt-Land handeln würde, sondern um Europa“. Deshalb sei der Krieg dort so viel schlimmer. Auch im britischen „Daily Telegraph“ hieß es, der Krieg in der Ukraine sei besonders schlimm, weil die Opfer „aussehen wie wir“. Andere Medien, darunter etwa französische oder sogar die englischsprachige Ausgabe des katarischen „Al Jazeera“, taten es ihnen gleich.
Meist wurde dasselbe impliziert: Die Geflüchteten aus der Ukraine seien im positiven Sinne „anders“. Sie seien hellhäutig oder weiß, christlich, „wie wir“ und deshalb „zivilisierter“ als jene, die in den vergangenen Jahren gen Europa gezogen sind, sprich, Menschen aus Afghanistan, Syrien oder Somalia.
Der ZDF-Korrespondent Armin Coerper fiel damit auf, dass er meinte, im Niemandsland zwischen Polen und der Ukraine sehr viele „muslimisch aussehende Männer“ erkannt zu haben, die separiert worden seien – womöglich sogar als Teil einer neuen Flüchtlingsroute aus dem Nahen Osten.
hallo @ZDFheute, wollt ihr uns vielleicht erklären wie Menschen aussehen die „muslimisch“ sind? pic.twitter.com/Pkv2EnMxXC
— hasan (@hasanoezbay) March 1, 2022
Der Höhepunkt dieser rassistischen Scharade wurde ausgerechnet im deutschen Fernsehen zur Prime Time erreicht. Bei „Hart aber fair“ hatte sich am Montag eine eher homogene Runde zusammengefunden, und verbreitete fröhlich Stereotype über Geflüchtete aus bestimmten Regionen. Da saß etwa ein Gabor Steingart, der nach entsprechender Vorlage von Frank Plasberg die Ukrainer auch zu „unserem Kulturkreis“ zuordnete und sagte: „ja, es sind Christen“, und dass er sich deshalb vorstellen könnte, dass es „diesmal funktioniert“. (Das heißt, beim letzten Mal hat es nicht funktioniert?)
Der Mann zu seiner Rechten, der pensionierte deutsche Nato-General Hans-Lothar Domröse, holte noch weiter und brutaler aus. Nach seinen Worten handelt es sich bei den Geflüchteten von 2015 zu einem großen Teil um junge Männer, „wehrfähige, starke Männer, die eigentlich ihr Land verteidigen sollten“. Nun, so Domröse, sei ja zum Glück Gegenteiliges der Fall: Ukrainische Männer würden ihre Heimat gegen die russischen Truppen verteidigen, unter anderem mit Stinger-Raketen „aus dem Keller“ (sic!), während die „Frauen, Mütter und Kinder“ gehen.
Ganz normal pic.twitter.com/W5mJAfGkWq
— The Notorious FML (@OhNeverGrind) February 28, 2022
Bei so viel Rassismus und Ignoranz bleibt mir die Spucke weg. Widersprochen wurde weder Steingart noch Domröse. Stattdessen gewann man fast schon den Eindruck, dass sich einige der Gäste (und womöglich auch Frank Plasberg selbst) an der vermeintlichen Überlegenheit des weißen, christlichen Mannes, der nun seine Heimat verteidigt, regelrecht aufgeilen möchten. Der Tenor war etwa: So gehört sich das! Nicht wie bei den anderen, den muslimischen Feiglingen aus irgendeinem shithole country.
Man muss sich in Anbetracht der Vielzahl der Vorfälle fragen: Zeigt sich hier nur etwas, was schon lange da war? Rutscht der Rassismus vielleicht sogar raus, weil man sich betroffen fühlt? Und warum war dies in der Vergangenheit nicht der Fall?
Entgegen vieler Behauptungen handelt es sich bei dem Ukraine-Krieg nämlich nicht um den ersten bewaffneten Konflikt in Europa seit Ende des 2. Weltkrieges. Als während des Jugoslawienkrieges der 1990er-Jahre ein Genozid gegen die Bosniaken verübt wurde, konnten sich nur wenige Deutsche, Briten oder Franzosen mit ihnen solidarisieren – obwohl sie so aussahen wie sie. Ähnliches war auch der Fall, als Wladimir Putin die tschetschenische Hauptstadt Grosny dem Erdboden gleichmachte und zahlreiche Menschen flüchten mussten. Auch die damaligen Geflüchteten sahen „europäisch“ aus – wenn man das überhaupt so bezeichnen will – doch sie trugen „muslimische“ Namen wie Emir oder Ramzan, und die haben, so meinen anscheinend viele bis heute, nichts mit Europa und „unserem Kulturkreis“ zu tun.
Dass dieser Huntington’sche Begriff, der bereits zigfach dekonstruiert wurde, weiterhin so inflationär verwendet wird, ist ein Skandal für sich. Auch im Kontext des aktuellen Geschehens rund um die Ukraine blendet er viele Realitäten einfach aus. Als Putin etwa vor einigen Jahren die Krim annektierte, gehörten muslimische Krimtartaren, über die heute kaum noch gesprochen wird, zu den größten Opfern. Bereits 2014 kämpften viele von ihnen auf ukrainischer Seite. Der heldenhafte Präsident der Ukraine, Volodymyr Zelenskyy, ist kein Christ, sondern Jude.
Anstatt diese Komplexitäten und die Vielschichtigkeit des Konflikts zu thematisieren, wird ein einfaches und gefährliches Bild gezeichnet. Menschen werden gegeneinander aufgewogen, mitsamt ihrer Erfahrungen, Schicksale und Traumata.
Das betrifft übrigens auch den Umgang mit der Gegenseite. „Warum werde ich blöd angemacht? Was habe ich damit zu tun?“, fragte mich letztens mein Nachbar, ein blonder, blauäugiger Russlanddeutscher, der wohl den deutschesten Nachnamen überhaupt trägt: Schiller. Er beklagte sich über zunehmende Russenfeindlichkeit in Deutschland: Er selbst werde beschimpft. Im Geschäft eines Freundes wurde randaliert. Putin-Hitler-Vergleiche, die sich nun abermals häufen, tragen in diesem Kontext gewiss zu keiner Deeskalation bei.
Besonders hart treffen mich persönlich in diesen Tagen die Nachrichten anonymer Trolle. Normalerweise prallen diese Dinge an mir ab. Als Journalist bin ich sie gewohnt, doch nun haben sie eine andere Ebene erreicht, unter anderem auch dank der Aussagen, die bei „Hart aber fair“ fielen. Es sind Nachrichten, in denen die afghanische Armee mit der ukrainischen verglichen wird. Die Ukrainer seien mutig und heldenhaft, die Afghanen feige und erbärmlich. Sie konnten ihr Land nicht gegen die Taliban verteidigen und würden nun nach Europa kommen, um hier zu vergewaltigen oder andere Verbrechen zu begehen. Ähnlich Töne werden angeschlagen, sobald es um den Krieg in Syrien geht.
All diese Konflikte haben völlig andere Dimensionen und sind noch um einiges komplizierter als der Krieg in der Ukraine zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Dennoch sehe ich die Gesichter all jener Soldaten, die ich in den letzten Jahren in Afghanistan getroffen habe. Meist waren es junge Männer in meinem Alter – und sie starben zu Zehntausenden, weil sich niemand für sie interessiert hat. Sie hatten keinen Präsidenten, der gemeinsam mit ihnen kämpfte, sondern einen korrupten, vom Westen unterstützen Präsidenten, der flüchtete und sie zurückließ, als die Taliban (die im Gegensatz zu den Russen übrigens keine Ausländer sind, was den Konflikt wiederum komplexer macht) Kabul einnahmen.
Und in Syrien? Dort war die Armee ein Teil des Assad-Regimes, das Hunderttausende von Menschen foltern und töten ließ und nicht nur von Russland unterstützt, sondern auch in vielen westlichen Hauptstädten hofiert wurde, unter anderem auch, um ebenjene Geflüchteten, mit denen es – wie Gabor Steingart sagen würde – nicht funktioniert hat, in den sicheren Tod zurückzuschicken.
»Bei so viel Rassismus und Ignoranz bleibt mir die Spucke weg.«
Nicht nur das. Auch alles, was viel tiefer unter der Spucke liegt, kommt mir dabei hoch. Ich kriege allerdings schon lange das kalte Kotzen, wenn Couchkartoffeln, die ihren Hintern im Warmen, den Kühlschrank gefüllt und den Tank voll haben, im Fernsehen und den Springer-Kommentarspalten darüber referieren, wie nach deutschem Maßstab ordentlich geflüchtet und krieggeführt werden sollte.
Ich habe mir jetzt den Kommentar von Emran Feroz zu zweiten Mal durchgelesen. Ich bin verstört: Nicht ein einziges Wort des Mitgefühls für die Menschen in der Ukraine.
Ein ehrliches Dankeschön für diesen Blick von außen. Es ist tatsächlich so, dass im alltäglichen Austausch im persönlichen Umfeld genau diese Floskeln fallen.
Volle Zustimmung für meine Vorredner.
Darüber hinaus stößt mir bei Steingarts „Hat nicht funktioniert mit denen“-Aussage sauer auf, dass seiner Meinung nach offenbar die Geflüchteten allein für deren Integration verantwortlich seinen. Deutschland, also seine Ämter und BewohnerInnen, hat damit also rein gar nix zu tun, oder wie?
Um mich zu beruhigen, stelle ich mir vor, wie Herr Steingart sich in Afghanistan integriert, wenn er die Sprache nicht spricht, seine Ausbildung nicht anerkannt wird, er keine Ausbildungs- oder Arbeitsstelle annehmen darf und die Verpflegung sich auf die Essensausgabe im Flüchtlingsheim plus Taschengeld beschränkt. Von Kriegstraumata ganz zu schweigen.
Und bei Hans-Lothar Domröse frage ich mich, wie oft er feindlichen Panzern gegenüber stand und heldenhaft seine Familie mit dem Gewehr in der Hand verteidigt hat.
Ohne es zu wissen (und das zu recherchieren, ist es mir nicht wert, sorry), gehe ich schwer davon aus, dass Soldaten seines Alters und Rangs so häufig Feindberührung hatten wie ich. Aber anderen Feigheit vorwerfen. Nee, is klar.
Warum lädt man überhaupt Gabor Steingart in so eine Talkshow ein, der kürzlich noch im Focus bewundernd über Putin schrieb, „Was westliche Militärs dem Kremlherrscher doch in Wahrheit vorwerfen, ist die Tatsache, dass er schneller zur Tat schritt als sie. Sie haben höflich, aber nicht ohne Hintergedanken an der Tür der Ukraine angeklopft, da hatte er sie schon eingetreten.“ und dass Putin einen Plan habe, dem Westen den Spiegel vorhalte und Geschichte mache während der Westen am Ukrainekrieg irgendwie selbst Schuld sei, denn er habe Russland ja „planmäßig demütigen“ wollen?
Ich kann mich nur Florian Blechschmied anschließen, der als einziger einen moralisch klaren Blick behält. Was für ein arroganter Artikel, der im Gewand der gerechten Kritik resümiert: „All diese Konflikte [also alle im Nahen Osten oder sonst wo] haben völlig andere Dimensionen und sind noch um einiges komplizierter als der Krieg in der Ukraine zum gegenwärtigen Zeitpunkt.“
Über so einen Mangel an Urteilskraft kann man nur den Kopf schütteln. Ähnlich wie die Arroganz, die sich Janine Wissler vor ein paar Tagen herausgenommen hat, dass Polen so wie es jetzt Flüchtlinge aufnimmt, doch bitte auch die Flüchtlinge an der belarussischen Grenze aufnehmen hätte sollen. Meines Erachtens ist es selbstverständlich die Flüchtlinge des Nachbarn – wie es nun in Polen geschieht – eher aufzunehmen als bei einer fremdgesteuerten Aktion, in der sie mutwillig an die Grenze transportiert werden. Wer diese Unterschiede nicht machen kann, der wird nichts in der Welt bewirken außer schöne Artikel zu schreiben. Das ist apolitisch und steht einer christlichen Nächstenliebe in nichts nach.
Anstatt in intellektualistischer Geste Kulturkreise zu dekonstruieren und die Selbstbespiegelung – denn um uns persönlich kann es hier und jetzt nicht gehen – vorzunehmen („besonders hart treffen mich…“), gilt es doch zumindest für den Moment (!) zu schweigen und in welcher Art auch immer Beistand zu leisten und nicht irgendwelche gefährlichen Bilder, die gezeichnet werden, zu fürchten. Auch Antirassismus sollte seine Zeit kennen.
Grüße, Caner Dogan
Dass ein (Ex-)General dafür plädiert, Männer kein Land im Krieg verlassen zu lassen, ist doch nicht überraschend. Und der deutscheste Name ist Müller. Und das mal zur Abwechslung blonde, blauäugige Menschen ausgegrenzt werden, wird denen hoffentlich eine Lehre sein, wie sich Rassismus anfühlt.
Aber was wäre die Alternative? Statt Leute einzuladen, die ukrainische Flüchtlinge für „besser integrierbar“ halten, sich auf Leute zu konzentrieren, die ukrainische Flüchtlnge für nicht integrierbar halten? Gibt’s bestimmt.
Der Artikel wird gestützt durch den Bericht „DieHautfarbe macht den Unterschied“ in der FR vom 2.3.2022: Farbige Menschen wurden in Lwiw aus den Flüchtlingszügen geholt oder nicht in diese hineingelassen; an den Grenzübergängen werden sie auf ukrainischer Seite nicht abgefertigt (oder nicht so schnell ) und erleben körperliche Gewalt (Einsatz von Schlagstöcken). Auch ungarische und polnische Grenzbeamte sollen sich ähnlich verhalten.
In der Bundesrepublik sollen ukrainische Flüchtlinge gegenüber anderen Asyslsuchenden bevorzugt behandelt werden: keine Einschränkungen bei der Aufnahme eines Jobs; für sie werden Wohnungsbörsen eingerichtet ; demgegenüber bekommen (hier an meinem Wohnort) anerkannte Asylanten – außer von ehrenamtlichen Flüchtlingshelfern – keine Hilfen bei der Wohnungssuche und werden aus den Notunterkünften zwangsgeräumt.
Ich bin ganz bei dem Autor:
Menschliche Empathie hat offensichtlich Grenzen und die kann man wohl geographisch, am Glauben oder sonstwie abstecken.
Polen und Ungarn – bisher lauwarm für ihre Haltung gegenüber Flüchtlingen (und Rechtsstaatlichkeit) verwarnt, werden nun gefeiert, da sie ukrainische Flüchtlinge aufnehmen (und netterweise in der EU weiterverteilen – dem sie sich bisher vehemt entgegengestellt haben bei Flüchtlingen aus z.B Syrien und Afghanistan).
Das ist Rassismus pur und Europa muss sich fragen, was für eine „Werte“-Union sind wir da eigentlich?
JEDER Mensch der flüchtet wird das bestimmt nicht freiwillig machen und gute Gründe dafür haben.
Und jeder der denkt:“Das ist ein regionales oder temporäres Problem“ wird in den nächsten Jahren eines besseren belehrt.
Durch Menschen direkt verursachte Flüchtige (Bürgerkrieg/Krieg) werden zunehmen und durch Menschen indirekt verursachte (Klimawandel) Flüchtige werden extrem zunehmen.
Wenn man alle AfD Politiker, Rechten und deren Wähler in ein Ahrtal des nächsten Jahres in unserem Land umsiedeln könnte, wären wir vielleicht einen Schritt weiter. Denn dann wären sie die Flüchtlinge mit nichts als der Habe die sie tragen können.
Vielleicht nimmt Ungarn ja auch deutsche Empathie-Flüchtlinge auf.
Und um es auf die Spitze zu treiben: Die eben genannten will ich nicht in meiner Stadt – bettelnd um menschwürdiger Unterbringung und Lebensverhältnissen. Ja – da bin ich ein Gesinnungsrassist.
Und in dem Moment wo ich das Elend sehe, wäre ich vielleicht ein ungläubiger Atheist und würde trotzdem helfen. Aus – eben – Empathie.
Ich möchte dem Autor grundsätzlich beipflichten, gebe aber seinen Kritikern insoweit recht, als der Artikel darauf hätte verzichten sollen, die „Komplexität“ oder die „Dimensionen“ der verschiedenen Konflikte zu vergleichen und dabei Putins Angriffskrieg als weniger komplex zu charakterisieren. Komplexität ist ja nur ein Aspekt eines Konfliktes. Wenn meine Familie in einem unterkomplexen Konflikt ums Leben käme, sollte mir das ein Trost sein? Reicht es denn nicht, dass alle Kriege schlimm sind und dass wir ihre Opfer nicht gegeneinander ausspielen sollten? Gerade die Vergleiche aus Hart aber fair werden doch im Artikel aus diesem Grund kritisiert. Ich glaube daher wie gesagt nicht, dass Emran Feroz so etwas Schreckliches zum Ausdruck bringen wollte, und gerade deswegen wäre eine Überarbeitung des Artikels an diesen Stellen vielleicht eine gute Idee.
https://taz.de/Europas-Fluechtlingspolitik/!5835227/
Ich habe mich auch schon dabei erwischt, zynisch zu werden durch den Verglich der Solidaritätsbereitschaft im Vergleich zu 2016. Aber kann man / sollte man böse sein, nur weil jetzt mehr helfen als damals? Die Hilfsbereitschaft scheint bei gleicher Hautfarbe einfach höher zu sein. Am Kulturkreis kann es ja nicht liegen, hier gibt es kaum orthodoxe Christen und „wir“ sind halt auch keine „Slawen“.
Vielleicht sollte man mal wieder die Debatte führen, was Rassismus eigentlich ist und warum jeder Mensch erst einmal instinktiv rassistisch ist. Und dass man das mit Ratio recht einfach detektieren und abstellen kann. Man muss nicht Sklave der eigenen Hirnchemie sein. Zumindest nicht immer und zu 100%.
„Auch Antirassismus sollte seine Zeit kennen“ (Nr. 6). Stimmt. Die Zeit für Antirassismus ist immer und jederzeit.
Der Skandal ist ja, dass ein Rassismus inmitten des gebildeten und liberal-demokratischen Herzens hingenommen wird, der in seiner Konsequenz kaltblütig tötet. Einige Kommentare hier unterstreichen seine Aussagen. Ihm zu unterstellen, er zeigt kein Mitgefühl für die schrecklichen Ereignisse in der Ukraine, ist Whataboutism und wird durch seine erkennbaren Zelenskyy-Sympathien widerlegt. Der Kommentar von „Anderer Max“ ist zielführend: Besser Größe zeiten und mehr Demut wagen, indem Rassismus als überall verbreitete menschliche Eigenschaft anerkannt wird. Es hilft erstmal den anderen als „wir“ zuzuhören und zu verstehen, was den meisten (mir auch) mit all den komplexen persönlichen Hintergründen nicht leicht fällt.
@13: Letztenendes geht es um Abgrenzung und das Gegenteil Zugehörigkeit. Dadurch, dass man sich zugehörig (zu irgendwas) fühlt, grenzt man sich automatisch gegen anderes (dem man sich nicht zugehörig fühlt) ab. Ich vermute mal, die Signifikanzkette ist ungefähr: Speziezismus, Rassismus, Nationalismus, Lokalpatriotismus, etc.
Hinzu kommen nicht-geografische, soziokulturelle Faktoren, wie Religion (die, meine ich, gar nicht so relevant ist. Anekdotisch scheint sich ja „der Deutsche“ eher mit weißen, ukrainischen orthodoxen Christen zu identifizieren, als mit dunkleren Katholiken , z. B. aus Brasilien.)
Die Frage ist ja, warum wir bestimmten Attributen (Hautfarbe, Nationaliätet, etc.) bestimmte Reaktionen zuordnen. Und da kann man sich gut selbst beobachten und seine Hirnchemie hinterfragen.
Eigentlich paraphrasiere ich auch nur Hagen Rether, hier das Original:
„Rassismus ist ’ne ganz natürliche Geschichte, hat doch jeder von uns. Rassismus ist sozusagen Natur. Was da fehlt, ist (ein Mangel an) Kultur. Rassismus war evolutionär möglicherweise gar nicht so unwichtig. Um seinen eigenen Genpool nach vorne zu kriegen, muss man sich abgrenzen von anderen Gruppen, aber das ist halt Rückenmark-Rassismus. Das ist maximal Krokodil-Gehirn. Was dann dazugekommen ist, ist halt der Neo-Cortex. Und das ist ein Mangel an Kultur, dass man dem Rückenmark freien Lauf lässt.“
Eine Gegenposition: https://www.spiegel.de/panorama/fluechtlingspolitik-ukrainern-bevorzugt-zu-helfen-ist-kein-rassismus-a-4a82277d-33ac-49f5-b549-eb68c11be9a3
Überzeugt mich aber nicht. Ja, es gibt auch naheliegende Gründe für die Besserstellung ukrainischer Flüchtlinge, aber die rassistische Komponente dabei (und im deutschen und europäischen Diskurs dazu) ist nun wirklich unübersehbar.
Trotzdem gut, dass wenigstens die ukrainischen Flüchtlingen willkommen geheißen werden.
Was die Religion betrifft: anekdotisch weiß ich auch von „lieber eine schwarze Katholikin als Schwiegertochter“ als „eine aus dem Osten“. Die dann Atheistin oder Lutheranerin wäre. Aber anderswo in D. wäre das vllt. eher umgekehrt.
Aber Rassismus muss ja weder logisch sein noch konsequent.
Mein „Problem“ mit dem Artikel ist mehr, dass es einfacher ist, die eigene Solidarität mit einem Nachbarland runterzuschrauben, als die Solidarität mit einem Land auf dem Nachbarkontinent hochzuschrauben. Was sicher nicht die geplante Intention ist, ich weiß.
Und dann muss ich mir in dt. ÖR Medien von ex-Generalen Waffensysteme für den Export in die Ukraine erklären lassen und Lobeshymnen über die heldenhaft kämpfenden ukrainischen Männer dort anhören, die für Demokratie und Nation zu sterben bereit sind. Was für ein verqueres Männerbild! Auch ukrainische Männer wollen leben, wollten u.a. über die polnische Grenze flüchten, wurden zwangsrekrutiert, zurückgeschickt zum Töten und getötet Werden.
Meine Utopie: Russische und ukrainische Soldaten verweigern das Töten, es kommt zu massenhaftem Desertierten und Verbrüdern.
Vielen Dank an den Autor für den Kommentar.
Ich habe da auch so meine Probleme, wenn die Präsidentin der Europäischen Kommission der Ukraine die EU-Mitgliedschaft anträgt und die Staaten auf dem Westbalkan erstmal in die Röhre schauen.
Die EU behandelt Flüchtlinge aus der Ukraine auch anders als z.B. Flüchtlinge aus Syrien, obwohl wir hier es zum Teil mit demselben Aggressor zu tun haben.
Noch ein Wort zum Mitgefühl: Es kann da sein, auch wenn es nicht erwähnt wird. In einer Analyse muss nicht immer der Beweis erbracht werden, dass man auf der Seite der Guten steht.
Sei es drum: Krieg ist Scheisse. Rassismus ist Scheisse. Flüchtenmüssen ist Scheisse. Und wenn ich wollte, könnte ich jetzt jede Menge an militärischen Konflikten – da sterben Menschen , da flüchten Menschen, da wird die Zukunft von Menschen zerstört, da wird die menschliche Würde mit Füßen getreten- aufzählen. Die finde ich alle Scheisse.
Wo ist jetzt der Unterschied zum Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine? Russland eine Atommacht. Warum hatten wir das Gedöns nicht schon 2014? Ach so, das waren ja nur die „Türken“ auf der Krim.
Rassismus?
Danke! Wieder mal ein Skandal, über den sich außerhalb von Übermedien kaum jemand empören mag. Deshalb hat Übermedien für mich geradezu therapeutischen Wert.
Nur das Abstreiten von Kulturkreisen halte ich für überzogen. Ja, homogene Gesellschaften gibt es nicht, aber wer schon viel rumgereist ist, kennt die Wahrnehmung, sich in einem anderen Kulturkreis zu befinden. Das Problem ist nicht, die Existenz von kulturellen Unterschieden zu behaupten, sondern die eigene Empathie, Solidarität, Mitmenschlichkeit, meinetwegen auch Nächstenliebe, in unterschiedlichem Maß an die unterschiedliche kulturelle Nähe zu binden. Da beginnt der Rassismus.
@19: Lisa Kräher zeigt wunderschön im aktuellen Übermedien-Newsletter, wie fremd ihr als Mensch aus Bayern einige bavarischen Eigenheiten sind. Für mich als Hamburger gibt es ein hohes Fremdkulturempfinden, wenn ich in Bayern bin. Jungen freiheitliebenden und interessierten Menschen im Iran oder anderswo fühle ich mich kulturell näher. Vor allem das Überwinden einer Sprachbarriere hilft die Idee eines „fremden Kulturkreises“ in Frage zu stellen. Auslandsaufenthalte mit oberflächlichen Kontakten kann auch zu Rassismus und abgegrenztem Kulturkreis-Empfinden beitragen. Ein Ethnographie-Professor an der SOAS sagte mal, dass das Verstehen von anderen Kulturen aufzeige, wie ähnlich die Menschen sich doch sind, das isses wohl.