Fake-Annoncen von Pflegekräften

Suche Aufmerksamkeit, biete Stellenanzeige

Im Anzeigenblatt „Oberlausitzer Kurier“ ist am Samstag eine Seite mit mehr als 100 Jobgesuchen erschienen. Alle von angeblichen Fachkräften aus Gesundheits- und Pflegeberufen, die nicht gegen das Corona-Virus geimpft seien – und somit ab dem 16. März arbeitslos wären. Dann nämlich gilt die sogenannte einrichtungsbezogene Impfpflicht.

Dem RBB-Journalisten Andreas Rausch kam das seltsam vor. Er telefonierte einige der Anzeigen ab. Doch die Telefonnummern waren entweder nicht vergeben oder unvollständig. Nach 18 Versuchen gab Rausch auf.

Mittlerweile ist klar: Ähnliche Anzeigen sind auch in vielen anderen Blättern erschienen. Etwa im „Traunsteiner Tagblatt“ in Oberbayern, in der „Freien Presse Chemnitz“, im „Ingolstädter Donaukurier“ oder auch im „Fränkischen Tag“.

Unklar ist, wie viele dieser Anzeigen Fakes sind und welche Annoncen ernst gemeint. Zweifel sind aber angebracht. Impfgegner*innen hatten in Telegram-Gruppen dazu aufgerufen, solche Anzeigen in Auftrag zu geben.

Instagram-Nachrichten, in denen sich Leute verabreden, Annoncen zu schalten
Screenshots: Telegram

Hat sich keiner gewundert?

Der „Oberlausitzer Kurier“ erscheint im sächsischen Bautzen. Mit dem „Niederschlesischen Kurier“ zusammen erreicht das Anzeigenblatt eine Auflage von rund 230.000 Stück, sagt der Verlag Lokalnachrichten Verlagsgesellschaft mbH. Eine große Reichweite. Mit großer Wirkung für alle, die das Blatt am Samstag aufgeschlagen haben: eine ganze Seite voller Gesuche von in Zukunft vermeintlich arbeitslosen Pflegekräften. Mit gleich oder ähnlich lautenden Texten und seltsamen, teilweise auch identischen Nummern. Hätte das der Anzeigenabteilung nicht komisch vorkommen müssen? Und welche Kontrollmechanismen gibt es da überhaupt bei Anzeigen?

Enrico Berger, einer der beiden Geschäftsführer des Verlages, antwortet auf unsere Fragen mit einer am Montag veröffentlichten Pressemittelung. Darin wird erklärt, dass alle Stellenanzeigen von Personen aus dem Verbreitungsgebiet aufgegeben worden seien, der Großteil davon online.

„Die angegebenen Bankverbindungen sind plausibel und den Auftraggebern zuzurechnen. Wiederum andere Anzeigen wurden telefonisch oder persönlich in der Geschäftsstelle des Verlages aufgegeben und bar bezahlt. Bei der Durchsicht der Anzeigentexte und Prüfung der Auftraggeber wurden keine Verstöße gegen die Geschäftsbedingungen des Verlages, insbesondere auch nicht gegen Gesetze oder behördliche Bestimmungen festgestellt. Deshalb wurden die Anzeigen für die Veröffentlichung freigegeben.“

Nur einige wenige Anzeigen hätten „direkte politische Botschaften“ enthalten. Diese habe man abgelehnt. Auf die Frage, wie genau Anzeigen geprüft würden und wozu Verlage verpflichtet seien, geht der Lausitzer Verlag nicht näher ein.

Keine Prüfpflicht bei Kleinanzeigen

Michael Beyer ist Leiter der Werbevermarktung beim Verlag Nürnberger Presse. Eine Anzeigenflut wie in Bautzen oder einen Telegram-Aufruf dazu habe es in seinem Bereich noch nicht gegeben. Bisher, so Beyer, war da „vielleicht eine Anzeige, die in Verdacht kommen könnte, eine Fake-Anzeige gewesen zu sein.“ Aber man sei nach der Sache in Bautzen „alarmiert“:

„Unsere Kolleginnen und Kollegen in der Anzeigenannahme achten da drauf. Wir haben aber, wie alle anderen, keine Prüfpflicht. Das heißt: Wir müssen als Anzeigenabteilung nicht sicherstellen, ob eine Anzeige Fake ist oder ob die Telefonnummer stimmt.“

Das ist bei vielen Kleinanzeigen auch gar nicht möglich. Wer kann schon nachprüfen, ob der Rentner, der via Annonce nach einer neuen Liebe sucht, tatsächlich junggeblieben und sportlich ist? Oder ob die Leder-Ausstattung im Oldtimer-Cabrio wirklich original ist?

Das Geschäft läuft so: Der Verlag stellt die Fläche zur Verfügung; der Kunde, der die Anzeige schaltet, ist für den Inhalt verantwortlich. Der Verlag hat aber schon die Pflicht darauf zu achten, dass Anzeigen keine Rechtsverstöße wie Beleidigungen, Verleumdungen, rassistische oder rechtextreme Aussagen beinhalten. Die Grundlage dafür ist das allgemeine Vertragsrecht, wie der Bundesverband Deutscher Anzeigenblätter bestätigt. Anders ist das zum Beispiel bei größeren Stellen- oder Werbeanzeigen, die ein Verlag im Auftrag des Kunden gestaltet. Dann sind die Verlage auch inhaltlich verantwortlich. In einer juristischen Einschätzung des Verbands heißt es:

„Wenn also jemand meint, gefakte Stellenanzeigen schalten zu müssen, ist dies allein seine Entscheidung. Diese Sicht ist jedoch nur dann vollständig, wenn man hinzunimmt, dass der Werbeträger – hier der Anzeigenblattverlag – das Recht hat, für ihn unzumutbare (z.B. gefakte) Anzeigen entweder gar nicht erst anzunehmen oder von bereits geschlossenen Anzeigenverträgen zurückzutreten, falls erst nach deren Abschluss des Anzeigenvertrages die Unzumutbarkeit bekannt wird. Wird für den Verlag offenkundig, dass der „Kunde“ Fake-Inserate schalten will, so kann er dies ablehnen. Erst recht dann, wenn die Inserate zunächst veröffentlicht wurden, der Kunde aber mit neuen gleichgelagerten Anzeigenaufträgen kommt.“

Ein Verlag kann also grundsätzlich selbst entscheiden, welchen Auftrag er annimmt und welchen nicht. Kein Monopol – kein sogenannter Kontrahierungszwang. „Weil ja jeder Kunde auch auf ein anderes Medium ausweichen und seine Anzeige woanders schalten kann“, erklärt Michael Beyer aus Nürnberg.

Auch wenn es keine Prüfpflicht für die Echtheit von Annoncen gibt, sieht Beyer eine Verantwortung gegenüber den Leserinnen und Lesern: „Sie sollen sich darauf verlassen können, dass die Anzeigen ernst gemeint sind.“ Mehr als Telefonnummern zurückverfolgen und prüfen, ob diese überhaupt existieren, sei aber nicht drin. „Außerdem wollen wir niemanden ausschließen, der ein ernst gemeintes Inserat hat.“

Der Bautzener Verlag erklärte in seiner Mitteilung, dass sich zahlreiche Auftraggeber der Anzeigen am Montag beim Verlag gemeldet und versichert hätten, „echte medizinische Mitarbeiter“ zu sein, die „aus Angst vor ihrem Arbeitgeber und der Öffentlichkeit“ die Daten zur Kontaktaufnahme „verfälscht“ hätten. Die Auftraggeber würden das nun sehr bedauern, „im Lichte der unerwartet großen Resonanz“.

Worin ja gleich zwei Widersprüche liegen. Denn wenn die Personen, die die Annoncen geschaltet haben, tatsächlich in der Pflege arbeiteten und ernsthaft auf Jobsuche wären: Wie sinnlos wäre es, eine falsche Nummer anzugeben? Und dass die „große Resonanz“, die Aufmerksamkeit, „unerwartet“ kam: Wozu war denn dann die offensichtliche Absprache der Annoncierenden gedacht, die sich, wenn nicht durch die vielen Dubletten, spätestens durch das Timing der vielen Annoncen entlarvt?

Die Bauzener Ausgabe des „Oberlausitzer Kuriers“ hatte übrigens auch einen zu den massenhaften Anzeigen auffällig passenden Artikel im redaktionellen Teil: Darin hieß es, die Proteste der Maßnahmengegner verströmten eine „Stimmung wie 1989″.

Redaktionelle Einordnung

Dass man ein wenig sorgsamer mit einer solchen Aktion umgehen kann, zeigt der „Fränkische Tag“ (FT). Die in Bamberg erscheinende Tageszeitung veröffentlichte am Samstag ebenfalls rund 50 solcher Anzeigen, brachte dazu am selben Tag aber auch einen Artikel über die „Kampagne“ der ungeimpften Pflegekräfte.

Die Redaktion sei auf einen Aufruf in einer Telegram-Gruppe aufmerksam gemacht worden, erklärt Maresa Schlemmer im Gespräch mit Übermedien. Schlemmer ist Leiterin des Redaktions-Managements bei der Mediengruppe Oberfranken, zu der der FT gehört. Das Thema auch redaktionell aufzugreifen, sollte den Leserinnen und Lesern bei der Einordnung helfen, sagt sie. Das ist nachvollziehbar. Denn wer weiß, dass es sich um eine konzertierte Aktion handelt, schaut sich die Seite mit anderen Augen an.

Zu Beginn des einordnenden Textes wird Hebamme Carmen S. vorgestellt, die eine der Annoncen aufgegeben hat. Sie wolle ein Zeichen setzen, „Gesicht zeigen“, wird sie zitiert. Ihren Namen will sie trotzdem lieber nicht in der Zeitung lesen. Mit dem Aufruf in einer Telegram-Gruppe habe ihre Annonce nichts zu tun, versichert sie dem Redakteur.

Schlemmer sagt, die Redaktion habe über die Anzeigenabteilung mit der Frau Kontakt aufgenommen. Man habe verifiziert, dass die Frau, die zu Wort kommt, Hebamme ist, versichert sie. Im Text wird auch kritisch beleuchtet, dass Carmen S. zwar behaupte, keinem Telegram-Aufruf gefolgt zu sein, aber sich die Formulierung mit der Suche nach einem „neuen Wirkungskreis“ mit vielen anderen Inseraten decke. So steht es in Aufrufen in Telegram-Gruppen.

Auch ein Mitarbeiter der Bamberger Anzeigenabteilung wird im Text zitiert:

„Diese Häufung von sich ähnelnden Inseraten ist ungewöhnlich. Das wirkte auf den ersten Blick fast wie abgesprochen.“

Aber nur, weil es sich um eine konzertierte Aktion handelt, ist das für das Bamberger Medienhaus kein Anlass, die Anzeigen nicht zu veröffentlichen. Man könnte nicht in allen Fällen nachprüfen, ob die Leute, die inserieren, tatsächlich medizinisches Personal seien oder nicht, sagt Maresa Schlemmer. „Was die am Telefon sagen, müssen oder wollen wir denen natürlich glauben. Es gab keine Veranlassung, einen Anzeigenkunden deswegen abzuweisen.“

Ob die Impfpflicht in medizinischen Einrichtung ab Mitte März, so wie die Anzeigen den Anschein erwecken sollen, tatsächlich eine Massenabwanderung in der Pflege lostritt – und den Fachkräftemangel noch verschlimmert? Diese Frage lässt der FT im Text vom Samstag aus. Eine Woche zuvor hatte die Redaktion das bei Einrichtungen in der Region erfragt. Handfeste Zahlen als Antworten zu bekommen, ist allerdings schwer.

Nächste Aktion in Heilbronn?

Bei der „Heilbronner Stimme“ stellt man sich für das kommende Wochenende auf eine Welle an Anzeigen ein. In der Telegram-Gruppe „Pflege- und Krankenhauspersonal steht auf“ gibt es unter anderem diesen Aufruf.

An Alle: am Samstag den 29.01.2022 wird jeder von uns ein Stellengesuch in der Heilbronner Stimme aufgeben. Wichtig hervorzuheben ist ungeimpft und möglichst langjährige Erfahrung. Ich hoffe ihr macht alle mit. Information wie das geht bekommen wir noch. Ich hoffe ihr macht alle mit!
Screenshot: Telegram

In einem Artikel wird Chefredakteur Uwe Ralf Heer zitiert: alle Annoncen werden „soweit möglich“ überprüft. Heißt: Die Mitarbeiter*innen der Anzeigenabteilung checken, ob die Telefonnummern echt sind.

Im Falle der Jobannoncen, die als Kleinanzeigen im Bautzen verkauft wurden, liegen die Einnahmen zwischen 11 und 20 Euro pro Anzeige, wie der Verlag in seiner Pressemittelung angibt. Beim „Fränkischen Tag“ und anderen Verlagen liegen die Preise im ähnlichen Bereich.

Für die Verlage ist es eine Gratwanderung zwischen Glaubwürdigkeit und Anzeigengeschäft. Und dann ist da noch der tatsächlich existente Personalmangel in Pflegeberufen. Einerseits verschärft die Impfpflicht dieses Problem. Andererseits wird das Problem auch für die Debatte um die Impfpflicht instrumentalisiert.

5 Kommentare

  1. Ein kleiner Typo ist noch drin. ;-)
    „Ob die Impflicht in medizinischen Einrichtung ab Mitte März,“ ->
    „Ob die Impfpflicht in medizinischen Einrichtung ab Mitte März,“

  2. Was für eine hirnrissige Aktion … Und so kontraproduktiv.
    Die Schlussfolgerung muss ja sein: Eigentlich existiert kein Problem, wenn man sich Menschen ausdenken muss, die davon betroffen sind.
    Wenn man jetzt nicht ernst genommen wird, sind bestimmt auch wieder die Systemlinge und Impfjünger Schuld … Es geht immer um Schuld, nie um Problemlösung. Wenn man ’nen Schuldigen hat muss man sich nicht um eine Lösung bemühen (Grüße an meinen Chef). Und je übermächtiger der Schuldige erscheint, desto geringer meine Verantwortung, zur Lösung etwas beitragen zu müssen. Übrigens das Gegenteil von Montagsdemos ….

    Der „Spirit of ’89“ Gedanke macht mich generell völlig kirre, vor Allem die inhärente Geschichtsrevision. Wenn die DDR nicht pleite gewesen wäre, hätte es auch keine Montagsdemos (in der Form) gegeben.
    Aber das Hasselhoff-Narrativ ist halt fluffiger. Die Bevölkerung hat den Staat gekippt. Jetzt bitte alle Neckermann Stereoanlagen kaufen.
    Der Kapitalismus eignet sich alles an, wenn man mit dem Narrativ Geld verdienen kann.

    Und dass die immer noch nicht raffen, dass ihre Telegram Gruppen leaken … Oder werden sie gar von der BRD-Stasi überwacht?

    Wenn das alles nicht so hanebüchen dumm wäre … Und dann kommen die Schiffmanns und Hildmanns und machen sich noch die Taschen mit den Sorgen der Leute voll. Und werden von ihnen als Messias gefeiert.
    Sag den Leuten was sie hören wollen und sie scheißen dich mit Geld zu, das sie eigentlich nicht haben.

    Sorry für den ungeplanten Rant und ein schönes Wochenende.

  3. Das Problem dabei: Meine Mutter ist drauf reingefallen. Und zwar nich übers direkte Lesen sondern über das gequatschte in ihrer Peer. Hatte gestern ein knapp 40minütiges Telefonat an der Backe wo ich ihr das alles erklärt habe. War alles in allem super schwierig, da es halt auf ganzer Breite ihre Ängste bedient. So dumm und stümperhaft das Ganze gemacht sein mag, es wirkt dennoch.

  4. Ich denke auch, dass die Aktion große Wirkung entfaltet. Ähnlich übrigens wie diese halbgare Studie zu den massiv gestiegenen Suizidversuchen von Kindern und Jugendlichen (siehe Übermedien von heute).

    Da werden bei nicht wenigen in unserer Gesellschaft bestehenden Vorurteile unabhängig von den Fakten bestätigt. Ich hakte das für eine beunruhigende Entwicklung.

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