Die Autorin
Silke Mertins ist Redakteurin der „taz“-Meinungsredaktion. Davor war sie fünf Jahre Nahostkorrespondentin und zehn Jahre Redakteurin und Reporterin für die Region.
Kurz nach dem Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein 2003 stieß ich in der Nähe seines Heimatdorfes auf Verwandte, die noch nicht geflohen waren. Sie wollten nicht mit der Presse reden. Doch als sie hörten, dass ich und der befreundete Kollege, mit dem ich unterwegs war, aus Deutschland waren, öffnete sich die Tür sperrangelweit. Bei Tee und Limonade schwärmten der Hausherr und seine Cousins von Adolf Hitler. Ein sehr guter Mann sei er gewesen, nur leider hätten die Deutschen das mit den Juden nicht richtig zu Ende gebracht. „Israel“, sagte er kummervoll.
Silke Mertins ist Redakteurin der „taz“-Meinungsredaktion. Davor war sie fünf Jahre Nahostkorrespondentin und zehn Jahre Redakteurin und Reporterin für die Region.
Die besondere Ironie der Gesprächssituation bestand darin, dass mein befreundeter Kollege Israeli war. Keiner von uns beiden widersprach den Männern. Es wäre in dieser Situation nicht nur gefährlich gewesen, sondern auch vollkommen sinnlos. Wir mussten uns dafür nicht einmal absprechen, denn Hitler-Fans und Israel-Vernichtungsfantasien sind in der Region so weit verbreitet, dass eher das Gegenteil bemerkenswert gewesen wäre.
In Redaktionen, Gewerkschaften, Hilfsorganisationen und Projekten aller Art ist eine feindselige, oft sogar offen antisemitische Haltung der Mainstream. Geändert hat sich daran bis heute nichts, allenfalls ist das Thema Israel angesichts des sunnitisch-schiitischen Konflikts in Syrien und anderswo weniger dominant als vor der Arabellion.
Vor diesem Hintergrund wirkt der Streit zwischen Felix Dachsel, Chefredakteur der deutschen Ausgabe des Lifestyle-Magazins „Vice“, und Stefan Buchen, Fernsehautor beim NDR, ein wenig skurril. „Vice“ hatte recherchiert, dass der deutsche Auslandssender Deutsche Welle (DW) im Libanon und Jordanien mit Sendern kooperiert, die – oh, Wunder – Israel jegliches Existenzrecht absprechen und Gewalt gegen den jüdischen Staat befürworten.
Buchen wiederum schreibt in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, dass Dachsel im Glashaus sitzt und mit Steinen wirft. Denn der arabische Ableger von „Vice“ hat Artikel veröffentlicht, die – oh, Wunder – in Haltung und Duktus genauso israelhassend sind wie bei den Partnern der Deutschen Welle.
Zu allem Überfluss schreibt die DW in einer Stellungnahme, alle Mitarbeitenden hätten sich an die DW-Werte und den Kodex der Chefredaktion im journalistischen Umgang mit Antisemitismus zu halten. Die Vorwürfe gegen die Kooperationspartner der Sender würden überprüft. All das klingt nach Abweichlern und nach Ausnahmen von der Regel. Kurzum: Ein paar Leute haben nicht richtig aufgepasst, aber grundsätzlich ist alles bei der DW völlig in Ordnung.
Diese Sichtweise ist jedoch realitätsfremd, denn tatsächlich arbeiten nahezu alle Organisationen und Institutionen, die im Nahen und Mittleren Osten aktiv sind, mit Projekten, Partner oder Menschen zusammen, die den jüdischen Staat nicht anerkennen, antisemitische Stereotype pflegen und von Terroristen als Märtyrer sprechen. Davon sind die politischen Stiftungen ebenso betroffen wie das Auswärtige Amt, Hilfsorganisationen oder eben Medien wie die Deutsche Welle. Und ich möchte außerdem mal das Medium sehen, das in einem islamischen Land noch nicht mit einem Übersetzer, Stringer, Kameramann oder Fahrer zusammengearbeitet hat, der den Staat Israel von der Landkarte fegen wollte.
Das allerdings ist keine Entschuldigung dafür, über diesen Missstand salopp hinwegzusehen und sich vor der eigentlichen Frage zu drücken: Wie soll man damit umgehen? Nun, ein Anfang wäre schon mal damit gemacht, das Antisemitismus-Problem nicht länger zu ignorieren, sondern den Partnern von Anfang an klarzumachen, dass eine Kooperation nur möglich ist, wenn Antisemitismus und Vernichtungsdrohungen gegenüber Israel tabu sind. Dies gilt in besonderer Weise für Medien wie die Deutsche Welle, an die höhere Maßstäbe angelegt werden müssen als an private Medienhäuser. Schließlich wird der Sender mit einem dreistelligen Millionenbetrag aus Steuermitteln finanziert.
Buchen aber, der übrigens auch selbst für ein Projekt der Deutschen Welle arbeitet, setzt in der FAZ die zweifelhaften Kooperationen der Deutschen Welle mit Artikeln von „Vice Arabia“ gleich. Das ist, mit Verlaub, unseriös, fast schon bösartig. Weder wird das Treiben eines staatlichen Auslandssenders akzeptabler, wenn auch das Jugend- und Lifestyle-Magazin eines privates Medienunternehmen gravierende Fehler macht. Noch diskreditiert es den Journalisten Dachsel, der maßgeblich zur Deutschen Welle recherchiert hat, wenn ein anderer Ableger des Unternehmens zweifelhafte Texte veröffentlicht. Dachsel ist dafür nicht persönlich verantwortlich.
Besonders bemerkenswert ist, dass die Deutsche Welle selbst an der versuchten Diskreditierung von „Vice“ beteiligt ist. Ihr Pressesprecher Christoph Jumpelt hat mehrere Journalisten mit entsprechendem Material munitioniert. Gegenüber der „Welt“ sagte er, nach den Vorwürfen von Vice gegenüber der Deutschen Welle unter anderem die Berichterstattung von „Vice“ „untersucht“ zu haben. Er habe diese internen Recherchen gegenüber Journalisten anderer Medien „in einzelnen Fällen zur Sprache gebracht“. Dazu gehörten unter anderem die „Welt“ und der Branchendienst „Meedia“ – sowie augenscheinlich Stefan Buchen. Es sei „erstaunlich“, sagte Jumpelt der „Welt“, „dass ausgerechnet ein Medium, das unsere Distributionspartner beschuldigt, solche Inhalte in seiner eigenen Berichterstattung hat“.
Die Deutsche Welle hat im Auftrag des Staates und im Interesse Deutschlands zu handeln. Sie soll gerade auch in Abgrenzung zum deutschen Unrechtsstaat und der historischen Schuld eine Kulturnation zeigen, die heute demokratisch rechtsstaatlich und der Völkerverständigung verschrieben ist. Das, was DW-Intendant Peter Limbourg zu verantworten hat, ist das genaue Gegenteil: rufschädigend für Deutschland.
Mit ein paar Prüfaufträgen und Korrekturen ist es deshalb nicht getan. Die Deutsche Welle muss überdenken, ob die derzeitigen Strukturen überhaupt dazu geeignet sind, den staatlichen Auftrag zu erfüllen. Limbourgs Rücktritt zu fordern, ist deshalb durchaus berechtigt. Dachsel hingegen hat als deutscher Chefredakteur keinerlei Verantwortung für „Vice Arabia“. Ihn – wie Buchen es getan hat – zu fragen, wann er denn seinen Posten aufgibt, ist eine billige und unkoschere Retourkutsche.
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