Wäre ein nach ihm benannter Platz nicht eine „schöne Erinnerung“ an einen Neonazi?
Am Freitag hat das Online-Magazin „Ruhr24“ einigen Rechtsextremisten eine Freude gemacht. Es lud zur Abstimmung, ob in Dortmund ein Platz nach Siegfried Borchardt benannt werden sollte, dem als „SS-Siggi“ überregional bekannten Neonazi, der im Oktober gestorben ist. „Ruhr24“ bot als Alternativen an, ein solcher Platz wäre:
- … ein einziger Witz.
- … eine schöne Erinnerung.
- … unangebracht.
- … dazu habe ich keine Meinung.
Die rechtsextreme Partei „Die Rechte“ nahm das Angebot an und forderte unter anderem auf ihren Telegram-Kanälen zur Teilnahme auf. Das Ergebnis war entsprechend:
„Die Rechte“ feierte das Resultat:
Eine Umfrage auf ruhr24.de, bei der Dortmunder Bürger dazu aufgerufen worden sind, darüber abzustimmen, ob es in Zukunft einen „Siegfried-Borchardt-Platz“ geben soll, hat bewiesen: Dortmund liebt Siggi, so wie Siggi Dortmund liebte. Mehr als 70% der Umfrageteilnehmer stimmten für den Platz.
„Kurioser Antrag“
Hinter „Ruhr24“ stecken der in der Region aktive Verlag Lensing Media („Ruhr Nachrichten“) und die Münchner Verlagsgruppe Ippen, die sich darauf spezialisiert hat, Online-Medien zu betreiben, die mit möglichst wenig Journalismus möglichst viele Klicks generieren. „Ruhr24“ ist ein solches sogenanntes „Reichweitenportal“.
Vor zwei Tagen verwurstete „Ruhr24“ einen Artikel der „Ruhr Nachrichten“. Die hatten darüber berichtet, wie „Die Rechte“ versuchte, die Umbenennung eines Platzes nach ihrem früheren Parteivertreter Borchardt auf die Tagesordnung des Dortmunder Stadtrates zu setzen. Weil sie keinen Fraktionsstatus hat, hat sie darauf keinen direkten Einfluss. Ihr Ratsmitglied Matthias Deyda stellte darum einen entsprechenden Antrag beim Ausschuss für Bürgerdienste, an den sich jeder mit Vorschlägen wenden kann. Der Ausschuss lehnte ihn jedoch einstimmig ab, so dass sich der Rat selbst gar nicht erst mit dem Thema befassen musste.
„Ruhr24“ berichtet über diesen Vorgang in einem treuherzigen Tonfall. Als einen „kuriosen Antrag“ bezeichnet das Portal das Manöver der Neonazis in der Überschrift.
Und referiert:
Wenn in einer Stadt bekannte Persönlichkeiten sterben, werden manchmal Plätze nach ihnen benannt, um auch über ihren Tod hinaus an sie zu erinnern. Ein solches Denkmal wünscht sich offenbar die Partei „Die Rechte“ für ihr verstorbenes Mitglied Siegfried Borchardt in Dortmund. Der Rat der Stadt sieht das jedoch anders.
Die Autorin zählt auf, dass Borchardt „unter anderem wegen Volksverhetzung, Landfriedensbruchs und gefährlicher Körperverletzung vorbestraft war“, und zitiert aus dem Antrag des rechtsextremen Antragstellers:
Borchardt sei mit „Leib und Seele“ Dortmunder gewesen, heißt es in dem Schreiben. Das habe er nicht nur durch die Unterstützung der Borussia zum Ausdruck gebracht, „sondern auch durch die Tatsache, dass er sich früh lokalpolitisch engagierte“. Weiter sei er bei vielen Dortmundern beliebt gewesen, was sich in seinem Heimatstadtteil Dorstfeld gezeigt haben soll.
„Ruhr24“ fügt hinzu:
Dazu ergänzend: „SS-Siggi“ hat 1982 den rechtsextremen BVB-Fanclub „Borussenfront“ sowie die später verbotene „Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei“ gegründet. Der westliche Stadtteil Dorstfeld gilt außerdem schon lange als Hochburg der Neonazi-Szene in Dortmund.
Um dann einen erstaunlichen Salto zu wagen:
Für die Partei „Die Rechte“ aber offenbar alles keine Hindernisse, die „gute Tradition, große Persönlichkeiten mit einer Platz- und/oder Straßenbenennung zu ehren“, zu brechen.
Das macht weder sprachlich noch inhaltlich Sinn – denn natürlich will „Die Rechte“ Borchardt nicht trotz, sondern wegen seiner Aktivitäten als Neonazi würdigen.
Bestimmt bestens geklickt
Bei so viel Treuherzigkeit ist es aber natürlich gar nicht abwegig, an dieser Stelle die Leserinnen und Leser zu fragen, ob sie einen nach einem Neonazi benannten Platz super oder nur so mittel finden. Die Abstimmung ist nach knapp einem Tag inzwischen aus dem Artikel entfernt worden, nachdem sich ein Leser auf Facebook beschwert hatte. Ein Community-Manager entschuldigte sich und kündigte an, den Vorgang intern zu klären.
Dabei war der Artikel nach den Kriterien eines Reichweitenportals sicher ein Erfolg. Auf Facebook wurde er von vielen Menschen kommentiert, geteilt und mutmaßlich auch geklickt; auch aus den rechtsextremen Telegram-Gruppen kamen Leute auf die Seite.
Die Besucher können jetzt zwar nicht mehr kundtun, dass es doch „eine schöne Erinnerung“ an den mehrfach vorbestraften Neonazi wäre, einen Platz nach ihm zu benennen, aber sie können sich ein prominent eingebundenes Video ansehen über „Dortmund – die Perle im Ruhrgebiet“, durch das der Artikel (wie viele andere auf der Seite) den falschen Eindruck erweckt, auch Filmmaterial zum Thema zu enthalten.
Und am Ende können sie die Anzeigen bewundern, mit denen „Ruhr24“ aus der Reichweite Geld macht: im Stil von Artikelteasern gehaltene Fake News und Clickbait mit Schlagzeilen wie „Lena Meyer-Landruts Tochter sieht genauso aus wie ihr berühmter Vater“, „Erinnern Sie sich an Günther Jauchs Tochter? So sieht sie jetzt aus“ und „Sehen Sie den Mann, mit dem Joshua Kimmich verheiratet ist, mit 26 Jahren“.
Es gibt doch in Berlin ein Promi-Lokal in dem auch viele Politiker verkehren, dass nach Borchardt benannt ist. Was kann man sich schöneres seligen Angedenkens wünschen?
#1: Ein schaler Scherz. Zumindest habe ich bei den Borchardts, die das entsprechende Unternehmen seinerzeit gegründet haben, keinen „Siegfried“ entdecken können.
#1: Komm, einer mit Bart geht noch. Vielleicht irgendwas mit Ex-AfD-Frauke und „Petri Heil“?