Hier geht es jetzt um Dinge, die niemanden etwas angehen, und um Journalist:innen, denen das egal ist, weil sie die Privatsphäre anderer Menschen zu ihrem Recherchegebiet gemacht haben. Sie nennen das ihren Beruf.
Wir haben es zu unserem Beruf gemacht, unter anderem auch über solche Grenzverletzungen zu berichten. Was natürlich, wenn es um Privatsachen geht, schwierig ist. Weil man zwangsläufig wieder private Angelegenheiten von Prominenten öffentlich verhandelt, wenn man über Leute schreibt, die das Privatleben anderer öffentlich verhandeln. Aber versuchen wir es trotzdem – auch wenn sich der folgende Text entsprechend unkonkret liest an einigen Stellen.
„Kernbereich der Privatsphäre“
Tanja May, die Unterhaltungschefin von „Bild“, hat kürzlich in einem (ihrer vielen) Artikel über die Schlagersängerin Helene Fischer erwähnt, wer so aus Fischers Umfeld bereits verstorben sei. Drei Personen zählte May auf: den „Promi-Designer“ Sascha Gaugel, der im Februar gestorben ist, und zwei Familienangehörige, beide in keiner Weise prominent.
Fischers Medienanwalt verlangte daraufhin vom Axel-Springer-Verlag, diese Berichte zu unterlassen, sie würden die Öffentlichkeit nichts angehen: „Dies betrifft den Kernbereich der Privatsphäre unserer Mandantin“, schrieb der Anwalt, und Springer antwortete, dass man das aber anders sehe.
Die Sache möge Helene Fischers Privatsphäre tangieren, räumte der Verlag ein, eine Verletzung des „Kernbereichs der Privatsphäre“ erkenne man jedoch nicht. Man habe aber auch kein Interesse, „in diesem Einzelfall langwierig zu streiten“, also gab Springer („im Erledigungsinteresse“) die Unterlassungserklärung ab und löschte den Text, online und im ePaper.
„Nachweislich wahr“
Der Briefwechsel hatte noch eine überraschende Pointe. Fischers Anwalt hatte den Verlag auch darauf hingewiesen, dass eine der beiden Verwandten gar nicht gestorben sei. Die Springer-Justiziarin beeindruckte das aber nicht, sie widersprach: Was „Bild“ da geschrieben habe, sei „nachweislich wahr“.
Bei Axel Springer und „Bild“ wissen sie also besser als Helene Fischer, wer in Helene Fischers engstem Umfeld über oder unter der Erde ist. Und noch eine Pointe: Das andere Familienmitglied, das laut „Bild“ gestorben sein soll, ist nach unseren Informationen schon deshalb nicht gestorben, weil es diese Person, wie sie in „Bild“ beschrieben wurde, nie gegeben hat.
Auf welche Informationen bzw. Nachweise „Bild“ die Behauptung stützt, will der Verlag auf Nachfrage von Übermedien nicht verraten. „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir uns grundsätzlich nicht im Detail zu unseren Recherchequellen äußern“, schreibt ein Sprecher. Der so genannte Quellenschutz ist eben nicht nur für Quellen ganz nützlich.
Unprominente im Rampenlicht
Tanja May hat in ihrem Text nicht nur die Privatsphäre von Helene Fischer tangiert, sondern auch die Privatsphäre völlig umprominenter Dritter aus ihrem Umkreis. Deren Leben und Sterben gehört noch weniger ins Rampenlicht als das der Prominenten selbst.
Ex-„Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt behauptete neulich im Interview mit der „Zeit“, er habe „schon vor Jahren“ jenen Journalismus bei „Bild“ beendet, „bei dem in die Privatsphäre von Menschen eingedrungen wird“.
Das ist ein ganz guter Witz von dem Mann, der einst unter anderem dafür verantwortlich war, aus den Chatnachrichten eines Kindes zu zitieren, dessen Geschwister gerade getötet worden waren; und unter dem Tanja May zur stellvertretenden Chefredakteurin berufen wurde, eine Frau, deren Profession es ist, in die Privatsphäre Prominenter einzudringen.
Bei „Bild“ läuft es jetzt wie bei „Bunte“, wo May zuvor 20 Jahre lang schmutzige Wäsche in die Auslagen räumte: Erst mal wird veröffentlicht, und wenn sich dann jemand beschwert, tja, wird halt gelöscht oder geschwärzt. Klicks und Auflage hat es bis dahin in der Regel schon gebracht.
In einem anderen Fall hatte Springer vor kurzem ganz ähnlich argumentiert. Auch da ging es um private Angelegenheiten einer Person aus Fischers Umfeld, die nicht prominent ist; auch da ließ „Bild“ wissen, dass private Dinge aus deren Leben „durchaus einen Informationswert für die Öffentlichkeit“ hätten; und auch da löschte „Bild“ („ohne Präjudiz für die Sach- und Rechtslage“) den Text, nachdem Fischers Anwalt das gefordert hatte.
Eine Gratwanderung
Die (Falsch-)Nachricht ist zu so einem Zeitpunkt aber ja schon viele Stunden in der Welt und steht auch in anderen Medien, die sie abgeschrieben haben, ohne noch mal nachzufragen. Das zu kritisieren, wie wir es als unsere Aufgabe verstehen, ist nur schwer möglich, ohne das zu wiederholen, was wir eigentlich kritisieren. Es ist, auch in anderen Fällen, eine Gratwanderung.
Für die betroffenen Prominenten ist es ungleich unangenehmer: Eine (falsche) Behauptung wieder einzufangen, ist schon problematisch, sie öffentlich richtigzustellen, noch mehr. Weil Prominente dann zwangsläufig öffentlich über das reden müssen, worüber sie – zumindest viele von ihnen – gar nicht reden möchten: über Dinge, die niemanden etwas angehen.
Der Autor
Boris Rosenkranz ist Gründer von Übermedien. Er hat an der Ruhr-Universität Bochum studiert, war „taz“-Redakteur und Volontär beim Norddeutschen Rundfunk. Anschließend arbeitete er dort für verschiedene Redaktionen, insbesondere für das Medienmagazin „Zapp“. Seit einigen Jahren ist er freier Autor des NDR-Satiremagazins „Extra 3“.
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