ZDFinfo räumt „Fehler“ ein

Weitere problematische China-Dokumentation zurückgezogen

CHINA VS USA

China wird Unrecht getan, das Land steigt auf – die USA ist als alte Hegemonialmacht dem Untergang geweiht: Grob ist dies die Erzählung der vierteiligen Reihe „China vs. USA – Clash der Supermächte“, die ZDFinfo in einer Pressemitteilung zum zehnjährigen Jubiläum des Senders als besonderes Programmhighlight ankündigte. Die Dokumentationen beschrieben „die Ursprünge des Konflikts und was ihn heute befeuert“, erklärte das ZDF – ausgestrahlt Mitte Oktober, vorab schon in der ZDF-Mediathek.

Und jetzt schon wieder verschwunden.

Der Sender hat die Filme vorzeitig und vorläufig aus der Mediathek gelöscht. Auch eine Wiederholung im Fernsehen, die für vergangenen Samstag geplant war, wurde abgesagt. Es seien nötige Backgroundchecks nicht gemacht worden, räumt ZDFinfo-Leiter Robert Bachem gegenüber Übermedien ein – „das war ein Fehler“.

Menschenrechte Nebensache

Die Dokumentation betrachtet den Konflikt der beiden Länder insbesondere als eine wirtschaftliche Konkurrenz – Gesellschaftsmodelle oder Menschenrechte spielen praktisch keine Rolle. Stattdessen wird der Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation 2001 besprochen wie auch seine Folgen, die Verlagerung industrieller Produktion aus den USA sowie die dortige Deindustrialisierung und Arbeitsplatzverluste.

An vielen Stellen bleibt der Blick auf das komplexe Geschehen einseitig. Etwa wenn es um die Solarindustrie geht: Dass die Herstellung von Solarzellen weitgehend nach China abgewandert ist, kommt zwar zur Sprache, nicht jedoch Verletzung von Arbeits- und Umweltstandards oder dass die Verlagerung von Peking massiv subventioniert wurde. Stattdessen beschwert sich ein US-Importeur von Solarzellen über Sanktionen der Trump-Administration – wie auch beispielsweise ein Soja-Exporteur.

Die Hongkonger Demokratiebewegung, die 2019 und 2020 – am Ende erfolglos – für einen Erhalt von Freiheitsrechten gekämpft hat und von Sicherheitskräften teils brutal unterdrückt wurde, wird in der Serie als von den USA ferngesteuert diffamiert – Polizeigewalt kommt nicht vor. US-Politiker hätten Vertreter der Bewegung getroffen, kritisiert ein Peking-treuer Gewerkschaftsfunktionär aus Hongkong, das sei eine „unverfrorene Einmischung“. Viele der Studierenden seien „einfach unreif und haben sich aufstacheln lassen“, sagt er. „Jetzt haben sie sich ihre Zukunft verdorben, das bricht mir das Herz.“ Die USA wollten „Hongkong als Brückenkopf benutzen und dann ihren Einfluss auf das Festland ausdehnen“ und China infiltrieren, behauptet er.

Derartige Positionen nehmen in der Dokuserie großen Raum ein – auch aus den USA gibt es viele Stimmen, die zum Narrativ der Kommunistischen Partei (KP) Chinas passen. Teilweise widersprechen Experten, kommen aber nur kurz zu Wort.

Hinzu kommt, dass die Filme Aussagen chinesischer Propagandamedien teils als Fakt darstellen – so etwa, dass mehr als 1,6 Millionen der rund 7,5 Millionen Einwohner Hongkongs eine Petition unterzeichnet hätten, die sich gegen die Einmischung der USA in „innere Angelegenheiten Chinas“ richte. Dies hatte eine KP-gesteuerte Zeitung behauptet.

US-Städtchen mit Xi-Jinping-Verbindung

Ausführlich wird in der Serie der 23.000-Seelen-Ort Muscatine in Iowa vorgestellt. Der Grund: KP-Chef Xi Jinping hat dort 1985 als junger Parteibeamter etwas Zeit verbracht – hierum dreht sich in der Kleinstadt nun einiges; seine menschenverachtende Politik wird nicht erwähnt. „Wir sollten uns auf die persönlichen Beziehungen konzentrieren, die sich über die Jahre entwickelt haben – sie können entscheidend dazu beitragen, die Wunden zu heilen, die heute in unserer Welt existieren“, sagt die Bürgermeisterin. „Ich weiß nichts über den Diebstahl von geistigem Eigentum“, sagt die ältere Dame, die Xi damals beherbergt hat. „Es bringt nichts, China zu kritisieren – man muss selbst gut sein, nur dann ist man wettbewerbsfähig.“

Viel Platz räumt die Reihe dem chinesischen Vize-Außenminister Le Yucheng ein – mit Aufnahmen, die offenbar aus einer anderen Produktion übernommen wurden. Er spricht einerseits über eine „Hexenjagd“ und „Anti-Kommunistische Verrücktheit“, andererseits inszeniert er sich als Versöhner: Es gebe schon zu viele Probleme, „wir sollten sie nicht vergrößern, sondern Wege suchen, die Probleme zu verringern“, sagt er. „Es gibt Kontroversen zwischen den USA und China – aber man sollte rational und pragmatisch mit ihnen umgehen.“

Die Serie ordnet zweifelhafte Aussagen selten ein und lässt Behauptungen gleichwertig nebeneinander stehen, egal wie begründet sie sind. Dass in der Region Xinjiang Menschen der muslimischen Minderheit der Uiguren mittels künstlicher Intelligenz unterdrückt werden, wird nur als Vorwurf aus den USA hingestellt.

In der letzten Folge der Serie geht es auch um andere südostasiatische Länder und deren Beziehungen zu China und den USA. „Wirtschaftsförderung ist neutral und hat nichts mit Nationalismus zu tun“, erklärt ein philippinischer Ex-Admiral. „Wer Geld für den Aufbau des Geländes mitbringt, wird von uns mit offenen Armen empfangen.“ Dass China seine Initiative einer „neuen Seidenstraße“ nutze, um Abhängigkeiten zu schaffen und diese später ausnutzen zu können, wird an anderer Stelle als von der Trump-Administration aufgeblasene Behauptung dargestellt, die andere Länder auf die Seite der USA bringen solle.

„Sendezeit ausbalancieren“

Länger geht eine Folge auch auf die Lage chinesischer Studierender in den USA ein, die teils mit Vorurteilen zu kämpfen haben: Einige Chinesen berichten über eine ausländerfeindliche Stimmung. Dann heißt es, von März bis September 2020 seien für chinesische Studierende und Forscher 99 Prozent weniger Visa ausgestellt worden als im Vorjahr – es wird der Eindruck vermittelt, dies liege daran, dass sie als potenzielle Spione angesehen würden. Der Grund hierfür war jedoch offensichtlich vielmehr die Pandemie.

Auf Nachfrage von Übermedien erklärt die Regisseurin Pearl Forss, der Zuschauer könne sich ja denken, dass die Pandemie auch eine Rolle gespielt hat – und verweist auf einen Zeitungsbericht, laut dem jedoch nur wenige Visa wegen Sicherheitsbedenken zurückgewiesen wurden. Auch eine vierstündige Fernseh-Dokumentarserie könne nicht alle Aspekte der komplexen Beziehungen zwischen China und den USA beleuchten, erklärt sie. „Ich habe mein Bestes getan, um so viele Stimmen wie möglich aufzunehmen“, sagt Forss – die auch auf verschiedene Preise verweist, die die Serie erhalten habe. „Es war für mich für die Sendungen von größter Wichtigkeit, die Sendezeit für die US- und China-Perspektiven auszubalancieren.“

Sie habe andere Beiträge über Menschenrechtsverletzungen gemacht – so auch über Xinjiang. Doch dessen Geschichte sei regelmäßig von der Presse abgedeckt, sie könne hierzu keine neue Perspektive beisteuern.

Schwieriger Produzent

Dass die Sendungen vorzeitig aus der ZDF-Mediathek verschwunden ist, hatte zuerst die „teleschau“ berichtet. Ein Problem, das das ZDF einräumt, ist, dass die Serie von Mediacorp produziert wurde, dem staatlichen Medienunternehmen aus Singapur. Das Land liegt auf Platz 160 von 180 des Pressefreiheit-Index, „die Medien werden autoritär gelenkt, viele Journalisten üben Selbstzensur“, schreibt Reporter ohne Grenzen. Mediacorp als Absender sei „grundsätzlich schwierig“, sagt ZDFinfo-Chef Bachem. „Hier sind ein paar der uns eigentlich wichtigen Dinge nicht erfolgt – nämlich den Hintergrund der Produktion zu prüfen und sich fachlich beraten zu lassen.“

In einem Statement verteidigte das ZDF die Ausstrahlung gleichzeitig. „Für den Lizenzerwerb der Doku-Reihe sprach, dass sie einen klaren wirtschaftlichen Fokus hat und die Beziehungen der zwei größten Volkswirtschaften der Welt umfassend und hintergründig analysiert“, heißt es. Die Filme hätten nach Einschätzung der Redaktion die „kritischen politischen Dokumentationen“ ergänzt, die in derselben Programmstrecke liefen – wie Dokus über Xi, Chinas anfängliche Vertuschung der Corona-Pandemie oder Menschenrechtsverletzungen durch Chinas Staatskapitalismus.

In der Dokureihe sei „die chinesische Sichtweise nicht unwidersprochen“ geblieben, erklärt ein ZDF-Sprecher – durch das dramaturgische Konzept, den Antagonismus zwischen beiden Weltmächten zu beschreiben, sei sie „eingeordnet und relativiert“ worden. „Die klare wirtschaftspolitische Ausrichtung der Doku-Reihe hat zur Folge, dass die Menschenrechts-Situation in China in dieser vierteiligen Reihe nur am Rande thematisiert wird.“ Diese Aufgabe hätten die anderen Dokus des Themenabends geleistet.

Derzeit prüft der Sender die Serie „noch einmal intensiv“ auf „Schwachstellen“. Währenddessen wird sie nicht zu sehen sein.

„ZDFinfo hat die Dokumentation von einem britischen Lizenzgeber erworben, mit dem der Sender vertrauensvoll zusammenarbeitet“, sagt der Sprecher. „Bei einer Lizenz-Doku lässt sich deren Produktionsprozess nicht begleiten – das bedeutet für die redaktionelle Prüfung: Umfassend klären, ob die geschilderten Zusammenhänge für die Zuschauerinnen und Zuschauer nachvollziehbar sind, ob die Fakten stimmen.“

Und was lernt der Sender hieraus? „Die Redaktion ZDFinfo wird ihre Vorgaben hinsichtlich des Backgroundchecks noch einmal überprüfen und klären, warum bestimmte Abläufe nicht richtig funktioniert haben.“ Auch wolle sich die Redaktion mit den Kollegen von ABC Australia austauschen, die die Dokumentationen ebenfalls erworben und gesendet hätten.

Chinesische Propaganda-Produzenten

Der Vorgang ist kein Einzelfall: In den vergangenen Monaten haben öffentlich-rechtliche Sender mehrfach einseitige Sendungen über China ausgestrahlt, die sie später zurückzogen. Es waren jeweils chinesische Propagandaorganisationen bei der Produktion beteiligt. So hat der NDR eine Naturdoku über Tibet vorzeitig offline genommen, in der auch Mönche oder andere Tibeter gezeigt wurden, die Unterdrückung der Tibeter aber nicht zur Sprache kamen. Angeblich lag die Depublikation jedoch nur am daran, dass es ein „geringes Publikumsinteresse“ gab und der NDR Geld sparen wollte, erklärte eine Sprecherin.

Phoenix strahlte im Mai anlässlich des UN-Welttags der kulturellen Vielfalt Sendungen über Minderheiten in China aus, die brutale Unterdrückung kam dabei jedoch nicht zur Sprache: Die Region Xinjiang wurde als „moderne Oase“ vorgestellt, während Experten von einem Genozid sprechen. Phoenix verteidigte die Dokus – sie seien nur aus der Mediathek genommen worden, weil dort anders als im linearen Programm das „thematische Gesamtangebot“ nicht so gut wahrgenommen werden könne.

Und 2020 hatte der SWR eine Doku über den Corona-Ausbruch in Wuhan erst unmittelbar vor Ausstrahlung gestoppt – sie basierte praktisch vollständig auf Propagandamaterial aus China.

Es scheint, als ob die öffentlich-rechtlichen Sender noch einiges dazulernen müssen, um in Sachen China ihrem Bildungsauftrag umfassend gerecht zu werden.

3 Kommentare

  1. „Der Grund: KP-Chef Xi Jinping hat dort in den 1985 als junger Parteibeamter etwas Zeit verbracht […]“

    „[…] dem staatliche Medienunternehmen aus Singapur […]“

    „Auch wolle sich die Redaktion mit den Kollegen von ABC Australia austauscht […]“

    Meine Art, Danke zu sagen, dass ihr diese Spielart der Soft Power im Blick behaltet. ;) Abgesehen von meiner Kleinkariertheit: Ist die Entschuldigung von ZDFinfo Leiter Bachem nicht sehr fadenscheinig? Gerade bei Aussagen wie den behaupteten 1,6 Millionen Hongkonger:innen gegen Einmischung der USA in innere Angelegenheiten sollte doch selbst ein eher sorgloser Backgroundcheck alarmieren? Ein halbwegs bewusstes Verfolgen der Nachrichtenlandschaft sollte genügen, um die propagandistische Färbung solcher „Fakten“ zu erkennen.

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