Sondierungsgespräche

Es ist besser, keine Pressekonferenz zu geben, als so eine Pressekonferenz zu geben

Die Nachricht an Tag zwei der so genannten vertieften Sondierungen ist, dass es keine Nachricht gibt.

Das war jetzt kein Satz von mir, das ist ein Satz aus dem Film, der gestern als Aufmacher im ZDF-„heute journal“ lief. Claus Kleber hatte vorher bereits die Aufgabe, das folgende Nichts anzumoderieren. Er war hin- und hergerissen:

„Für unsere Berufsgruppe ist es ein bisschen ärgerlich, aber ein bisschen muss man es auch bewundern: Da kommt nicht mehr raus als das, was die Offiziellen hinterher und vollöffentlich als Zwischenstand verkünden.“

Tja.

Und weil es da kaum bis nichts zu sagen gibt über die Sondierungen, haben sie sich beim ZDF gedacht: Och, dann machen wir doch unseren ersten Film dazu, das Wichtigste von heute. Eine Nachricht, die keine ist. Und die auch in den „Tagesthemen“ im Ersten zum Aufmacher wurde, inklusive Schalte mit wässriger „Wasserstandsmeldung“ des Korrespondenten in Berlin.

SPD, Grüne und FDP hatten, wie schon am Montag, zusammengesessen und überlegt, ob sie miteinander können. Das nennt man Sondierung. Die Vorbereitungen zu einer möglichen Hochzeit nennt man dann Koalitionsverhandlung und die Trauzeugen Journalisten, aber da sind wir noch nicht.

„Handy-Alarm“

Aus den so genannten Jamaika-Sondierungen zwischen CDU, Grünen und FDP vor einer Woche drang noch etwas raus, durchgestochen, wie man so sagt, mutmaßlich von der Union, damit es Handy-Paul Ronzheimer von „Bild“ von seinem Telefon ablesen und verkünden konnte. Das nervte die FDP, auch die Grünen, und manche Kollegen ließ es weinen, weil sie nicht Paul Ronzheimers Handy haben. Journalisten können einfach nicht gut damit umgehen, wenn sie mal nichts gesteckt bekommen, um es sofort durchzukommentieren. Dann sehen sie gleich die Pressefreiheit bedroht.

Sagen, dass sie nichts sagen: Wissing, Klingbeil, Kellner (v.l.) Screenshot: ARD

Bei der Ampel-Sondierung sagen sie also nun gar nichts, bis sie fertig sind mit Reden, das haben die drei Parteien so vereinbart. Und um noch mal zu sagen, dass sie nichts sagen, haben sie eine Pressekonferenz anberaumt. Alle ganz gespannt. Da stehen sie endlich: die Generäle Wissing, Klingbeil, Kellner, dunkle Anzüge, graue Wand. So inszeniert sie sich: die Zukunft.

Es ist die Simulation einer Pressekonferenz. Erst die Statements: Kellner (Grüne) sagt, dass es „intensive Gespräche“ waren, „quer durch alle Themen“, und dass noch „Sachen zu lösen, zu klären“ blieben. Klingbeil (SPD) sagt, dass es „intensive Gespräche“ waren, bei denen „alle relevanten Themen angesprochen wurden“. Wissing (FDP) sagt (dreimal), dass man „in einem guten Ton“ gesprochen habe, „die Stunde der Wahrheit“ aber sei dann, das Gesagte „schriftlich auszuformulieren“ – was als Zurückhaltung interpretiert wurde. Wenn Journalisten so ausgehungert sind, stürzen sie sich auf jeden Krümel.

Hürden, Brücken, Lackmustest

Dann kurze Fragerunde. Antworten: Sie wollen „Brücken bauen“, „Hürden gemeinsam meistern“, „Lösungen finden für die Probleme dieses Landes“ und sich „nicht mit Lippenbekenntnissen begeistern“, sondern „mit Fakten überzeugen“, „ein Lackmustest“, „aber es ist eben noch ein Stück Weg zu gehen“, „Schritt für Schritt“, „vertiefte Sondierungsphase“, „gerade“ sei deshalb „noch nicht der Zeitpunkt“, mehr zu sagen – was ja alle vorher wussten.

Nachfrage der „Welt“:

„Mit der Bitte um ein schlichtes Ja oder Nein: Ist ein Ampelbündnis mit dem heutigen Tag wahrscheinlicher geworden?“

Schweigen. Rumgucken. Klingbeil:

„Ich hab’s gerade gesagt, ich find‘, wir sind auf einem guten Weg.“

Noch eine Nachfrage der „Welt“, noch mehr Hülsen. Weil: ES SAGT HALT KEINER WAS!

Pardon. Aber: Wieso gab es noch mal diese Pressekonferenz? Wieso kam Christian Lindner nicht vorbei und sprach: „Es ist besser, keine Pressekonferenz zu geben, als so eine Pressekonferenz zu geben“?

Oh, der Kretschmann ist da, klack, klack, klack… Screenshot: ZDF

Genau: Weil das nicht denkbar wäre. Weil Journalisten qua Jobbeschreibung den ganzen Tag vor diesem Berliner Messeklotz namens Hub27 lungern müssen, wo die Sondierung sich zuträgt, um klackernd Fotos zu schießen, wenn die Leute da reingehen, um ihnen Fragen zuzurufen, die sie nicht beantworten. (Oder nur halb wie Winfried Kretschmann.)

Und wenn Christian Lindner so christianlindnerhaft ruft, die Stimmung sei „schwer“, dann ist endlich mal was los. Hat er „schwer“ gesagt? Was heißt denn „schwer“? „SCHWER“??? Dafür räumen wir mal den Aufmacher frei.

Fridays-For-Future-Turnschuhe

Was bleibt, wenn es insgesamt so dröge ist? Fashion. „Bild“ hat nämlich entdeckt, dass Christian Lindner „dynamische“ Turnschuhe zur Sondierung trägt, wie man sie, laut „Bild“, „auf ‚Fridays For Future‘-Demos trägt, klar. Wer kennt sie nicht, diese typischen weißen Turnschuhe der grünen Jugend.

Oder Annalena Baerbock: Laut „Bild“ ist ihr Haar „weich und edel geföhnt“, ihr „eleganter schwarzer Blazermantel“ außerdem „seriös und souverän wie aus dem Lehrbuch für weibliches Powerdressing“. Das steht da wirklich alles so. Und wofür könnte bloß die dunkle Jeans von Olaf Scholz stehen? Na?

Natürlich: „Ein Entgegenkommen an die neuen Jusos!“

Politik wird bei „Bild“ halt mit der Hose gemacht. Oder mit weißen Turnschuhen getreten. Wie Sie mögen. In diesem Medien-Sondierungs-Theater, das am Freitag zur nächsten Vorstellung bittet, ist jede Deutung zulässig.

6 Kommentare

  1. Strengenommen handelt es sich nicht um eine Pressekonferenz, sondern um Pressestatements mit anschließender Fragemöglichkeit.
    Zu einer Pressekonferenz wird in der Regel zu einem Termin eingeladen und oft vorbereitetes Material an die Journalisten verteilt oder bereitgestellt. Das ist hier ja nicht der Fall.
    Aber ich gebe zu, ist etwas spitzfindig.

  2. Was sollen sie denn machen, die armen Journalisten? Eigentlich könnten sie das Thema zwar nach dem Sport durchschleusen: „Von den Sondierungen zwischen SPD, Grünen und FDP gibt es keine neuen Informationen. Das Wetter.“ – Aber das würde man ihnen ja sowas von um die Ohren hauen. Also geht der Nullnummer-Spaß weiter.

    Herrn Lindners Turnschuhe werte ich übrigens als vesteckten Hinweis darauf, dass seine Ex-Exzellenz Jockel Fischer der nächste Kanzler der Bundesrepublik Deutschland sein wird. Sneaker jacta est.

  3. Achso, das geht also doch, Springer keine Informationen zuzustecken? Ach, wenn man das konsequent macht, begibt man sich als Politiker auch nicht in eine Abhängigkeitsverhältnis mit einem Verlag? CXU wants to know more about this simple trick.

  4. Ich verstehe das auch nicht, kann man denn wenn es keine Neuigkeiten gibt denn nicht einfach mal nicht berichten? Was soll dieses permanente „es gibt nichts neues.“?

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