Presseschau (5)

Die YouTube-WG der Jungen Union: Wo der Wahlkampf zum Sterben hingeht

WG-Bewohner Fabian Beine in der "Home Sweet Home"-Kulisse
Bewohner Fabian Beine seiner „Home Sweet Home“-„Wohngemeinschaft“ Screenshot: youtube/cdutv

Das ist eine etwas seltsame Wohngemeinschaft. In ihr wird Wahlkampf gemacht und sonst nichts, das aber nur für eine Partei, nämlich die CDU. Es ist eine Wohngemeinschaft mit einem einzigen Raum, ohne Küche und Klo. Diese „WG zur Bundestagswahl“ ist die Kulisse oder das Konzept des YouTube-Formats der Jungen Union, um die CDU im Wahlkampf digital zu unterstützen.

In der WG wohnt nur eine Person, nämlich Fabian. Wenn er den Raum betritt, bleibt er stehen, bildet mit beiden Händen die Merkel-Raute und erzählt etwas aus der vergangenen Woche. Das Setting ist all jenen vertraut, die in den neunziger Jahren die schöne Welt der Late Night Shows mochten, also die „Harald Schmidt Show“ auf Sat.1 beispielsweise.

Der Host hat einen Schreibtisch, auf dem ein altes rotes Telefon steht, die Kulisse sieht aus wie die Ziegelwände eines Lofts, und es beginnt mit einem humorvollen Monolog. Hinter ihm hängt ein Plakat mit den Vornamen der Bundeskanzler und der Bundeskanzlerin aus den Reihen der CDU. Dieses Plakat hat schon für Aufmerksamkeit gesorgt, denn der Vorname von Bundeskanzler Kiesinger fehlt darauf.

Sonst hat an dem Format aber nichts für Aufmerksamkeit gesorgt, es wird kaum geschaut. Dabei ist „Home Sweet Germany“ ist eine lehrreiche Sendung.

In Folge vier ist der Musikproduzent Joe Chialo zu Gast, ein Mitglied des Zukunftsteams von Armin Laschet aus der Kreativwirtschaft. Wie alle Mitglieder der WG bekommt er statt eines Zimmers ein Fach in einem Metallspind zugewiesen, das passt eher zu einer Umkleide, aber egal. Dann muss er auf einem Tablet das „Freundebuch“ ausfüllen, eine steife Angelegenheit und ein Missverständnis, denn es soll wohl eine Art Aufnahmeritual in die WG sein, die es aber nicht gibt, denn da ist ja nur der Fabian. Es ist ein digitales Gästebuch, aber man bekommt es gar nicht zu sehen, warum also es ausfüllen? Sehr seltsam.

Herr Chialo macht einen sympathischen Eindruck. Er besteht darauf, dass er in Spandau bei Berlin kandidiert, wo man ja spezifische Probleme habe. Fabian möchte wissen welche, dann nennt Chialo die Wohnungsnot. Es seien zu wenige Wohnungen gebaut worden.

Das ist nun ein zentraler Punkt, den sich der SPD-Kandidat Olaf Scholz auf die Fahnen geschrieben hat: Als Erster Bürgermeister in Hamburg hat er viele neue Wohnungen bauen lassen. Wer sich etwas informiert und Wohnungen möchte, der landet bei Scholz.

Ein weiterer Punkt, den die Spandauer irritierend finden, referiert Chialo weiter, ist der Stau, wenn man mal nach Berlin möchte. Aber ob eine Verkehrspolitik, die weniger Autos, sondern eine bessere Anbindung Spandaus bewirken möchte, nicht eher zu den Grünen passt ? Chialo weist weiter auf die Defizite hin, die sich in den letzten Jahren so aufgetan hätten und erhofft sich nach der Wahl frischen Wind durch eine Jamaika-Koalition, wozu Fabian zustimmend nickt. Ob man dann aber nicht eher die Grünen oder die FDP wählen soll?

USB-Stick fürs WG-Fach

In Folge zwei ist Philip Amthor zu Besuch. Im Monolog beklagt Fabian, man habe nicht durchsetzen können, dass Pamela Reif – eine blonde Fitnesstrainerin – Mitglied des Zukunftsteams werde. Als Amthor gebeten wird, etwas in „sein WG-Fach“ zu legen, holt er einen USB-Stick hervor und sagt, darauf wäre „das Rezo-Video“ und das würde er hier deponieren, wo es sich niemand ansehen werde.

Es klingt wie ein Scherz und auch wieder nicht. Man muss rätseln. Natürlich ist es nicht das CDU-Zerstörungs-Video von Rezo, denn das haben sich ja recht viele Menschen angesehen. Es sollte sich also um das Entgegnungsvideo von Amthor handeln, das dann aber doch nicht veröffentlicht wurde. Nachfragen gibt es nicht, man schaut auch nicht hinein, ein dramaturgisches Rätsel. Warum hat Amthor es überhaupt erwähnt? Andererseits ist der angekündigte, dann weggelegte USB-Stick auch ein ganz gutes Symbol für die Verkrampftheit des Formats.

Es geht hier dauernd sehr viel um das, was man nicht sieht, was nicht sein soll, was man nicht möchte. Amthor macht dann, was auch CSU-Staatssekretarin Doro Baer in Folge drei macht: vor den anderen warnen. Hinter Olaf Scholz warteten Kevin Kühnert und Saskia Esken, und Amthor mahnt, wer von Christian Lindner träume, werde mit Anton Hofreiter aufwachen.

Es wird in keiner der vier Sendungen ein politischer Vorschlag der Union herausgestellt. Die jungen Kandidatinnen und Kandidaten, die sich um einen Sitz im Bundestag bewerben und in kurzen Einspielern vorgestellt werden, betonen, das ist ihre Gemeinsamkeit und der vordringliche Programmpunkt, ihre Heimatverbundenheit. Sie reden nicht viel von der Vergangenheit und auch nicht von der Zukunft und wenn, dann in dem Sinne, dass die möglichst so aussehen soll wie die Gegenwart. Und damit das gewährleistet ist, soll eben die CDU regieren. Weil sie schon so lange regiert.

Wer bislang dachte, dass das Problem des Union-Wahlkampfs allein ihr Kandidat Armin Laschet ist, wird eines Besseren belehrt: Die gesamte Partei hat Wahlkampf verlernt. Nicht nur das Wie, sondern schlimmer noch, das Wozu.

Am kommenden Samstag, dem Tag vor der Bundestagswahl, lädt Fabian noch mal zu „Home Sweet Germany“.

6 Kommentare

  1. Ich bin ein alter Sack.
    Ich fühle mich so, und mein Geburtsdatum bestätigt dieses Gefühl auch noch schamlos.
    Dennoch schafft es die „Jugend“ der Union jedes Mal, dass dieses Gefühl sich schlagartig in ein „vergleichsweise jung“ wandelt.

    Ich möchte mich an dieser Stelle einfach mal dafür bedanken!

  2. #1
    Das ist eine sehr gute Beschreibung. Ich fühle mich mit meinen 60 auch jedes Mal wie 16, wenn ich Amthor sehe. Aber er hat die Haare schön. Sagt meine Mutter (90).

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