Anbaggern im Wahlkampf

WDR erfüllt AfD-Politiker Kindheitstraum

Nur noch wenige Wochen bis zur Bundestagswahl, da wollen die Redaktionen den Kandidat*innen gern mal etwas näher kommen. Die „Bunte“ hat mit ihren Homestories vorgemacht, wie man es menscheln lässt, der „Spiegel“ geht auch mit Rechtsradikalen gerne mal im Wald spazieren – und nun hat der WDR nachgelegt: Die Sendung „Lokalzeit Düsseldorf“ stellt ihre Interviewpartner*innen „Auf die Probe“. Die rheinischen Parlamentsanwärter*innen sollen persönliche Wünsche verraten, und die werden dann vor der Kamera erfüllt.

Mit von der Partie: AfD-Politiker Kay Gottschalk, Direktkandidat für den Kreis Viersen und nach eigenem Bekunden großer Bagger-Fan. Also darf er in der Sendung am vergangenen Montag einen Bagger fahren beim WDR. Und wie ist das schön: „Ich freue mich und bin aufgeregt, wie ein kleines Kind, mehr als vor der ersten Bundestagsrede“, sagt er. Zack, Schnitt auf Gottschalk im Bagger, dazu rockige Gitarrenmusik. Der AfD-Mann kann gleich noch ungestört hinterher schieben, dass er ja ein „Anpacker“ sei – an der Baggerkupplung ebenso wie im Bundestag. Wieder Gitarrenriff. Das könnte kein Wahlwerbespot besser.

Glück ist, wenn einem der öffentlich-rechtliche Rundfunk einen Kindheitstraum erfüllt: Kay Gottschalk im Bagger Screenshot: WDR

Wer nun gehofft hat, dass die Nähe genutzt würde, um einen Rechtsaußen-Politiker zu entzaubern, wird enttäuscht. Sicher, die Reporterin stellt auch einige – nun ja – kritische Fragen. Die AfD habe sich ja von einer europakritischen zu einer eher so rechtspopulistischen Partei entwickelt. Was empfindet er denn da? Ja, was soll einer empfinden, der die Partei mitbegründet hat und nun noch immer dabei ist, während sie das geworden ist, was man vielleicht auch noch anders als „rechtspopulistisch“ bezeichnen könnte. Populistisch findet er gar nicht schlimm, sagt Gottschalk. Und rechtspopulistisch werde man ja schnell genannt, wenn man sich im „konservativen Bereich“ bewegt. Schön rausgewurschtelt, war aber auch nicht schwer.

Und dann ist da ja noch Gottschalks Neujahrsansprache 2018 in Krefeld, die die Reporterin pflichtschuldig anspricht. Der AfD-Politiker rief damals zum Boykott von türkischen Geschäften auf, weil die Inhaber angeblich Präsident Erdogan unterstützten.

Vor der Baggerkulisse kann Gottschalk den Reumütigen mimen. Habe er ja schon damals gesagt: „Scheiße gebaut“. Ach so, na dann. Kein weiteres Wort dazu, was solche Aussagen anrichten und für Menschen bedeuten, die sie zu spüren bekommen. Das kann übrigens auch Journalist*innen treffen, wenn sie nicht gerade in der Baggergrube stehen. Anfeindungen und Angriffe von Rechten nehmen zu.

Kurzum: Man erfährt nichts Interessantes über Gottschalk. Wenn es kontrovers wird, redet er sich raus. AfD-Politiker reden vor Journalist*innen anders als vor Parteikolleg*innen und Anhänger*innen. Aber darum geht es im Bagger ja eh nur am Rande.

Baggerfahren, Treckerfahren, Bootfahren

WDR-Lokalzeit-Moderator Jens Krepela verweist nach Kritik am Beitrag auf Twitter darauf, dass bei dem Format „Auf die Probe gestellt“ Politiker*innen aller im Bundestag vertretenden Parteien zu Wort kämen. Das stimmt, Gülistan Yüksel von der SPD etwa darf Trecker fahren und hilft bei der Salaternte. FDP-Frau Marie-Agnes Strack-Zimmermann düst mit dem Motorboot über den Rhein.

Aber anstatt sich mit den Gedanken zu begnügen, dass man es mit allen Parteien mache und deshalb auch mit der AfD, kann man ja vielleicht auch auf eine andere Idee kommen: Wenn man so weit gekommen ist, Rechtsradikalen ihre Kita-Träume zu erfüllen, wird vielleicht deutlich, dass so ein seichtes Format ungeeignet ist, um über den Wahlkampf zu berichten. Krepela will die Kritik „mit in die Redaktion“ nehmen.

Herrn Gottschalk jedenfalls hat es gefallen. Er bedankt sich überschwänglich bei der Lokalreporterin. Das hat sie sich redlich verdient.

3 Kommentare

  1. Pointiert und treffend. Ihr Schreibstil sagt mir mehr und mehr zu und ich freue mich auf größere Projekte oder vielleicht eine laufende Reihe unter ihrer Feder.
    Politik und Journalismus bewegen sich in einer ambivalenten Beziehung von Distanz und Vertrauen (Zugang). Anstatt das zu reflektieren wurden hier halt ein paar seichte Beiträge zusammengezimmert. Diese Art der Berichterstattung erinnert mich leicht an Beiträge von Boulevardblättern mit Casting Show Teilnehmerinnen, B-Promis oder Reality Stars.
    Ich schätze den ÖRR für viele Formate, aber mein Fernsehgerät vermisse ich, wenn ich so etwas sehe, für keine Sekunde und greife lieber auf die Mediathek zurück.

  2. Vielleicht war das ja auch eine subversive Aktion des linksradikalen ÖRR, die nur dazu da war, einen AfD-Mann auf die eigene Seite zu ziehen. Das grenzt ja schon an Bestechung!
    /s

    Mich erinnert der Artikel an den 17. Song vom 9. Album der Band „Die Ärzte“.

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