Nachruf

Perscheids Lebenswerk: den Irrsinn als Irrsinn zeigen

Zwei Männer stehen in der Savanne, Khaki-Kleidung, Ferngläser in den Händen. Einer ist weiß, der andere schwarz. Beide sehen sie nicht nach hinten. Hinter ihnen aber liegen zwei Löwen, die die Männer interessiert taxieren. Sagt der eine Löwe zum anderen: „Die Farbe ist scheißegal, die schmecken alle wie Schimpanse!“

Martin Perscheid
Martin Perscheid Foto: Sabrina Didschuneit / Lappan Verlag

Das ist einer meiner Lieblingscartoons von Martin Perscheid, und er ruft weit mehr als einen kleinen Lacher hervor: Der kürzlich im Alter von 55 Jahren verstorbene Cartoonist war nicht nur ein toller Witzemacher, sondern vor allem auch ein ein kostbarer, kompromissloser Vorkämpfer der Aufklärung, welche ja in der Welt der Trumpisten, Aluhüte, Autokraten, Wochenend-Schamanen und Psychocoaches leider gerade eine schwierige Zeit durchmacht.

Im schummrigen Diskurstempel der Medien funkelte Perscheid als eine seltene Gemme: Wo sonst allenthalben das routiniert abgespulte Einerseits-Andererseits regiert, und wo es sich alle in einem Krähen-Konsens des gegenseitigen Gewährenlassens eingerichtet haben, konnte Perscheid es immer wieder so richtig krachen lassen. Schwarz? Weiß? Pfft. Letztlich alles dieselbe Affenart.

Da kleben die Identitätspolitiker ebenso unter der Decke wie die Rassisten, während Perscheids lakonische Löwen nebenbei die Wissenschaft in ihr Recht setzen: Was Genetiker und Paläontologen, nicht etwa aufgeregte Debattenteil-Kombattanten, in jahrzehntelanger Arbeit nachgewiesen haben – dass der Schimpanse unser nächster Verwandter und eine Unterteilung von Homo sapiens in weitere Untergruppen nicht sinnvoll ist –, die Raubkatzen bestätigen es mit ihren Geschmacksknospen.

Das Bekenntnis zum Universalismus

In einem seiner Cartoons steht der bebrillte Mann, in dem man oft ein Alter Ego Perscheids zu erkennen meint, auf einer Bühne und spricht zum Publikum: „Ihr seid alle Idioten!“ Unten, auf den Sitzen sagt einer begeistert zum Nebenmann: „Endlich mal einer, der sich traut, die Wahrheit zu sagen!“

Es steckt ein bisschen Perscheid in dieser Szene: Als Cartoonist war er der Hofnarr des hyperventilierenden, halbseidenen Mediengewerbes und seiner Kundschaft, als Cartoonist wurde ihm zugestanden, große, schlichte Wahrheiten auszusprechen, an denen gerne vorbei argumentiert wird – einfach, weil das ewige Rumdiskutieren sich für die Medien besser rechnet. Als Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung muss ihm dabei das Bekenntnis zum Universalismus eine Notwendigkeit gewesen sein, und so hatten bei ihm alle Menschen, ungeachtet von Herkunft und Geschlecht, das unbedingte Recht auf Verarsche.

Das trug ihm natürlich gern Vorwürfe humorferner Personen ein, etwa: Er sei sexistisch. Weil es ab und zu auch Frauen erwischte. Perscheid gab die Antwort auf seine Weise. In einem seiner Cartoons steht ein dünner Mann neben einer dicken Frau und sagt zum bebrillten Zeichner: „Zeichnen sie irgendwas, was Dicke beleidigt!“ Darunter dasselbe Bild, nur mit vertauschten Rollen. Eine dünne Frau neben einem dicken Mann sagt: „Zeichnen sie irgendwas, was Dicke beleidigt!“ Schließlich, unter den beiden Zeichnungen: „Warnung: Eine der beiden Zeichnungen ist sexistisch.“

Foto: © Martin Perscheid, Lappan Verlag

Die intellektuelle Zumutung „Religion“

Martin Perscheid hatte die Begabung, die ganz großen Dinge in ein, zwei Sätzen einzufangen; Sätzen, die so evident wie oft sturzlustig waren. Dass sie uns derart zum Lachen brachten, sagt auch viel über die diskursiven Wahrnehmungsverzerrungen, in denen wir uns befinden und die tagtäglich von den Medien aufs Neue angerührt werden. Mit am unnachgiebigsten reagierte Perscheid dabei auf die intellektuelle Zumutung „Religion“, also die qua Definition unbelegbare Behauptung, es gebe ein unsichtbares, allmächtiges Wesen, das die Welt geschaffen – und sehr bizarre Vorstellungen davon habe, wie wir uns auf dieser Welt zu verhalten hätten. Muss und soll man eine solche Idee wirklich ernst nehmen?

In Deutschland mit seiner jahrhundertealten Verfilzungstradition zwischen Staat und Kirche ist Religion immer noch eine heilige Kuh, die man mit äußerstem Respekt zu behandeln und über die man nicht zu lachen habe. Perscheid machte da nicht mit. So wie der Universalismus als Idee seit Langem in der Welt ist, so ist auch dem Konzept „Gott“ nichts mehr Neues abzugewinnen gewesen, seit Laplace vor 200 Jahren seine Theorien erklärte: „Gott? Diese Hypothese ist für mich nicht nötig gewesen.“ Einmal ausgesprochen, hat dieser Gedanke nie an Überzeugungskraft verloren, aber immer noch darf niemand sagen, dass der Kaiser nackt ist, wiewohl das Absurde an religiösen Vorstellungen ins Auge springt.

Es ist fast nur Perscheid, der diese Steilvorlage aufgenommen und sie immer wieder neu in Gelächter verwandelt hat. Ein anderer meiner Lieblingswitze von ihm: Das Männchen mit der Brille begegnet einem Passanten in einem kuriosen Kostüm mit Röckchen und Spitzhut. Der Kostümierte zieht ein kleines Wägelchen hinter sich her, auf dem Wägelchen steht eine mannshohe Aufhängung, oben am Haken hängt, kopfunter, eine nackte, gefesselte Frau.

Der Mann im Kostüm sagt zum Brillenmännchen: „Ich bin orthognomer kalottischer Drubel, aus religiösen Gründen dürfen wir unseren Frauen nicht ins Gesicht sehen.“

Den Irrsinn als Irrsinn zu zeigen, statt jeden denkbaren Standpunkt als interessant und diskutabel abzunicken; dieser derzeit täglich schräger werdenden Welt ein paar helle Lacher abzugewinnen: Das ist Perscheids Lebenswerk, und er hat damit mehr für uns getan als 100 Jahre „Maischberger“. Er wird es ja nicht mehr lesen können. Aber man dankt.

5 Kommentare

  1. Auch, wenn’s ein trauriger Anlass ist:
    „In Deutschland mit seiner jahrhundertealten Verfilzungstradition zwischen Staat und Kirche ist Religion immer noch eine heilige Kuh“ ist so hinterum ins Auge, dass ich lachen musste.

  2. „Das trug ihm natürlich gern Vorwürfe humorferner Personen ein, etwa: Er sei sexistisch“
    Wie leicht könnte denn aus der indirekten Rede eine Anklage im Indikativ werden? Sehr leicht natürlich: eine einzige falsche Stellungnahme reicht. Vor diesem Schicksal hat ihn vielleicht nur die Gnade des frühen Todes bewahrt oder die Fähigkeit, nicht wirklich anzuecken am guten Zeitgeist.
    „orthognomer kalottischer Drubel“
    Das war nahe am Bestfall für seine rohe, brutale Art, Dinge auf den Punkt zu bringen. Mit einem gewissen Kredit kann man sich das leisten, auch wenn diese Karikatur in „rechten Kreisen“ doch äußerst beliebt ist.
    Er war kein wirklicher Menschenfreund und entsprechend roh auch seine Religionskritik. Reisers Art der Religionskritik war mir lieber.

  3. Auch mich hat die Nachricht sehr getroffen, ist doch ein hervorragend scharfsinniger Witzbildmaler von uns gegangen. Ich werde Ihn vermissen…

  4. Ein überaus wohltuender Beitrag aus einer selten zu lesenden Flughöhe über Karikaturen und Satire.

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