Wenn ich mir aussuchen dürfte, wie der perfekte Literatur-Podcast aussieht, dann würde ich Christine Westermann, Anke Engelke und Elke Heidenreich zusammenwürfeln und bitten, über Bücher zu sprechen. Einfach so. Unvorbereitet. So lang oder kurz sie mögen, ohne Skript und ohne Vorgaben. Aber das wird ziemlich sicher nicht passieren (oder, WDR?).
Also muss ich mir Hörbares zum Thema Literatur woanders suchen. Gelandet bin ich bei „eat.READ.sleep“ vom NDR. Nicht intellektuell, aber intelligent, dazu unterhaltsam und manchmal auch schön böse.
Statt eines literarischen Quartetts gibt es beim NDR ein literarisches Trio, bestehend aus Katharina Mahrenholtz, Daniel Kaiser und Jan Ehlert. Alle 14 Tage reden zwei von ihnen eine gute Stunde lang über Bücher. Unterteilt ist die Stunde in sehr feste Rubriken, was mich manchmal nervt und manchmal freut. Es beginnt mit der „literarischen Vorspeise“: Da wird ein Essen aus einem Buch nachgekocht und dann dem Gegenüber serviert, der es fröhlich-mampfend und mikrofoniert-schmatzend probieren und loben muss. „Grünes Ei mit Speck“ (nach dem gleichnamigen Kinderbuch von Dr. Seuss) war noch ziemlich einfach, der „Pangalaktische Donnergurgler“ aus Douglas Adams‘ „Per Anhalter durch die Galaxis“ schon schwieriger.
Muss ich anderen Menschen dabei zuhören, wie sie essen? Nein. Ich tue es trotzdem immer wieder, in diesem Fall einfach weil es der locker-flockige Einstieg in einen guten Literaturpodcast ist – und mich ein wenig wie beim Yoga „auf der Matte ankommen“ lässt. Und weil es ein Grund ist, über ein Buch zu sprechen. Und wenn es zu sehr schmatzt, dann skippe ich eben eine Minute weiter.
Die Kolumne
Podcasts haben es verdient, so ernsthaft wie andere Medien besprochen, gelobt und kritisiert zu werden. Alle zwei Wochen machen das Larissa Vassilian und Sandro Schroeder hier abwechselnd: in der Podcast-Kritik.
Larissa Vassilian war 2005 unter dem Pseudonym Annik Rubens eine der ersten deutschen Podcasterinnen. Zehn Jahre lang war sie „Schlaflos in München“, seit 2007 widmet sie sich zudem mit „Slow German“ deutschlernenden Hörer:innen aus der ganzen Welt. Sie hat zwei Bücher zum Thema Podcasting geschrieben, zuletzt ein 420-Seiten-Werk im Rheinwerk Verlag. Ihre Brötchen verdient sie unter anderem beim Bayerischen Rundfunk, wo sie eine der „Podcast-Entdecker“ des gleichnamigen Newsletters ist.
Die weiteren Rubriken erklären sich von selbst und sind auch weniger kreativ oder einzigartig: Nach der literarischen Vorspeise gibt es sozusagen als Hauptgericht einen Gesprächsgast aus der Literaturbranche im Interview. Dazu als roter oder weißer Wein die „Bestseller-Challenge“, im Brotkörbchen liegt noch ein Buch-Klassiker und als Dessert gibt es ein kleines Quiz.
Wechselnde Moderatoren machen es spannend
Dass in jeder Folge ein anderes Duo am Mikrofon sitzt, macht den Podcast für mich interessant. Denn wie bei jedem Podcast lerne ich mit der Zeit die Gastgeber und Gastgeberinnen immer besser kennen. Da kommt dann wieder Katharina mit ihren Kinderbüchern, Daniel mit seiner Bibel und Jan mit etwas, das schon eher nach meinem Geschmack ist. Gerade dass die drei so unterschiedlich sind, macht die Literaturempfehlungen und -verrisse so gut. Denn mit der Zeit weiß ich eben, wessen Geschmack am besten zu mir und meinen Lesegewohnheiten passt.
Zwei Rubriken gefallen mir besonders. Da ist zum einen die „Bestseller-Challenge“: Es wird ausgelost, welches Buch der aktuellen Bestsellerlisten bis zur nächsten Folge gelesen werden muss – um in der nächsten Folge darüber zu sprechen. Da wir alle wissen, dass nicht nur die Qualität darüber entscheidet, was auf diesen Listen landet, ist es für die Bücherfreunde manchmal eine Qual, eines dieser Bücher lesen zu müssen. Und dann freuen wir uns natürlich alle diebisch über einen Verriss. Noch viel schöner aber ist es, wenn sich die zwei nicht einig sind. Wenn jede Seite versucht, den eigenen Standpunkt zu erklären und das dann dazu führt, dass ich mir mein eigenes Bild von diesem Buch machen möchte. Mein TBR-Stapel („to be read“, also deutsch vielleicht „noch zu lesen“) wächst also auch durch diesen Podcast gewaltig.
Schön ist auch, dass nicht nur aktuelle Bücher besprochen werden. Es gibt Bücher, die fliegen mir und allen anderen Leseratten regelrecht um die Ohren, weil das Marketing so schön aufdreht. Die sehe ich auf Anzeigen in Printmagazinen, in Instagram-Postings mit schöner Zimmerpflanze daneben, bei Facebook liest’s auch gerade jemand (so ein Zufall) und im Buchladen ist ein ganzer Tisch damit gefüllt. Das sind dann die Bücher, um die ich lieber einen großen Bogen mache. Daher freut es mich, dass hier im Podcast auch über Klassiker gesprochen wird, über „All-Time-Favorites“. Warum darf man auch nichts mehr von Thomas Mann empfehlen? Weil den etwa wirklich schon alle gelesen haben? Nein. Es gibt so viele gute Bücher da draußen, und einige sind extrem gut gealtert, die darf man gerne noch einmal in Erinnerung rufen.
Freude für den Podcast-Profi: gute Shownotes
Die Produktion an sich ist natürlich radioperfekt. Studioqualität, gut produziert, ohne Fehler. Schön ist, dass die drei Gastgeber selber nicht so glattgebügelt sind wie viele andere Radiostimmen, sondern sich ereifern, sich ins Wort fallen, auch lauter werden. Das rückt die Sache vom gescripteten und dadurch meist sterilen Kollegengespräch aus der Radiosendung eher in den lebendigeren Bereich des Podcasts.
Mich als Podcast-Vielhörerin freut besonders, dass sich der NDR die Mühe macht, wunderbare Shownotes zu den Episoden zu veröffentlichen. Im Text zur Episode sehe ich alle Bücher und Autoren, die in der Folge erwähnt wurden, und das sogar mit Zeitstempel. Ich könnte also von einem Thema zum nächsten springen, wenn ich das wollte. Dieses typische „Mist, ich bin gerade beim Wäsche aufhängen und jetzt kann ich mir nicht notieren, wie dieser Autor heißt“ kann also nicht passieren.
Ach ja, und ganz brav wird auch die Community gepflegt und miteinbezogen: Sie darf Mails schreiben, Feedback geben und Kritik äußern (zum Beispiel, dass Katharina mehr zu Wort kommen soll) und die eigenen Lieblingsbücher empfehlen. Oder auch mal einen Interviewgast vorstellen, wie zum Beispiel einen Deutschlehrer, der dann über „Pflichtlektüre“ spricht.
Also: Alle Hausaufgaben für einen guten Podcast gemacht. Jetzt nur noch ein bisschen lockerer werden – und nicht zu sehr an der eigenen Struktur kleben.
Die Frage: „Warum darf man eigentlich nichts mehr von ThomasMann empfehlen?“ Beantworte ich ganz subjektiv: Weil er oft ein furchtbarer Langweiler ist. :-) Lieber sollte man seinen Bruder Heinrich empfehlen.
Die Frage: „Warum darf man eigentlich nichts mehr von ThomasMann empfehlen?“ Beantworte ich ganz subjektiv: Weil er oft ein furchtbarer Langweiler ist. :-) Lieber sollte man seinen Bruder Heinrich empfehlen.