Unbesprochen (4)

„MDR um 4“ – wenn eine Ziffer Programm genug ist

René Kindermann bei der Arbeit Screenshot: MDR

Es ist keine Heldentat, zwei Nachmittage mit René Kindermann zu verbringen. Ein Vergnügen ist es allerdings auch nicht. Kindermann, ein Mittvierziger mit breiter Brust und zu enger Hose, ist einer von drei Leuten, die das werktägliche Spätnachmittagsmagazin „MDR um 4“ moderieren, das auf das werktägliche Frühnachmittagsmagazin „MDR um 2“ folgt. Die Formate hießen mal „Hier ab vier“ und „Dabei ab zwei“ – der Reim ist weg, geblieben ist die Zahl im Sendungstitel, früher ausgeschrieben, heute als Ziffer, die offenbar für Mitteldeutschland Programm genug ist.

Es ist schon ein ziemlich genialer Kniff: Mit nur zwei Sendungen überbrückt der Mitteldeutsche Rundfunk für seine Zuschauer*innen die zähen Stunden zwischen Mittagsschläfchen und Abendbrot. Und weil das Publikum nicht das Gefühl haben soll, irgendwas vom Leben jenseits der Häkelgardinen zu verpassen, während es sich dem MDR anvertraut, packt die Redaktion in diese knapp vier Stunden alles rein, wirklich alles, was sie im Sendegebiet finden kann.

So findet sich etwa am Montag in der Rubrik „Regional kompakt“ die Impfaffäre um den Hallenser Oberbürgermeister neben dem Ermittlungsstand nach einem „verheerenden Feuer“ in Naumburg und den Vorbereitungen auf die Landesgartenschau 2022 in Torgau.

„Leipzig gilt als Hochburg der Gullydeckelanschläge“ beginnt ein Beitrag am vergangenen Freitag, der ohne die berühmt-berüchtigte „Spur der Verwüstung“ nicht auskommt. Die Redaktion von „MDR um 4“ lässt nicht den Hauch eines Zweifels daran aufkommen, dass es wirklich netter und vor allem sicherer ist, sich dem MDR anzuvertrauen als am Leben teilzunehmen, denn jenseits der Häkelgardinen warten außerdem noch, um nur einige weitere Zumutungen zu nennen, „Deepfakes“, Verkehrsunfälle, Meeresverschmutzung, Corona-Viren und „Gruselbahnhöfe“ wie der von Neustadt an der Orla im Osten Thüringens.

Zum Abschluss einer fünfteiligen Serie darf sich am Freitag der Bürgermeister noch mal ordentlich über die Deutsche Bahn ärgern, die sich offenbar nicht für seinen Bahnhof interessiert. Reporter Richard Schönjahn fasst das Elend folgendermaßen zusammen: „Früher war das mal ein schöner Bahnhof. Hier fuhren die Menschen gerne mit dem Zug ab.“ Und heute? Heute gammelt der Bahnhof von Neustadt an der Orla vor sich hin. „MDR um 4“ hat ein Herz für Wendeverlierer – auch für jene aus Stein und Stahl.

Hauptsache, es ist irgendjemand da

Ganz nah an den Menschen sind sie bei „MDR um 4“, und für dieses Primat der Nahbarkeit stehen Außenreporter*innen wie Schönjahn, die in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen unterwegs sind und den Menschen, die nicht gerade zu Hause sitzen und MDR gucken, ihre blauen Mikros unter die Nase halten. Es muss nicht zwingend was los sein, Hauptsache, es ist irgendjemand da. Uniform ist ein Plus. Wenn auch nur ein bisschen was los ist – umso besser.

Der Shutdown wird gelockert und schon steht jemand von „MDR um 4“ im Kosmetikstudio, Buchladen oder Bau- und Gartencenter rum und berichtet über Menschen, Unternehmer wie Kunden, die sich über die Lockerungen freuen, aber auch ein bisschen verunsichert sind, wie das mit Corona weitergeht. Gemischte Gefühle in Dauerschleife.

Die Botschaft ist klar: Wir sind da, wir hören zu, wir sind euer MDR. Von Erkenntnisgewinn war nie die Rede.

Womit wir dann auch wieder bei René Kindermann wären. Sein Markenzeichen könnte man Soufflé-Moderationen nennen. Wenn er ein „hochspannendes Thema“ ankündigt beziehungsweise eines, „das gerade quasi die ganze Welt interessiert“, dann kann man davon ausgehen, dass die so wacker erzeugte Spannung spätestens im nächsten Satz in sich zusammenfällt. In besagtem Fall geht es um Luftreiniger, deren Funktionsweise der „MDR um 4“-Technik-Experte in der Sendung vom Montag daraufhin länglich demonstriert. Um zu zeigen, dass Experten aber auch nur Menschen sind, durfte der „MDR um 4“-Technik-Experte seinen privaten Luftreiniger nicht saubermachen, bevor er ihr ihn mit ins Leipziger Studio gebracht hat.

Woher man das weiß? Na, weil es thematisiert wird. Solange es nicht zu komplex wird oder interessant, darf bei „MDR um 4“ über alles geredet werden. Die Sendung wird beherrscht von einem unerbittlichen Plauderton, den nichts so sehr interessiert, wie dass die Zeit rumgeht.

René Kindermann ist für dieses Format der ideale Moderator. Er führt Interviews mit der Zielstrebigkeit und Präzision einer Konfettikanone. Seine Fragen führen zu nichts, er ist schließlich da, wo er ist, ganz zufrieden. Er ist ja im Fernsehen. Hauptsache, es menschelt, gerne auch geheuchelt.

Kleine Kostprobe aus dem Gespräch mit der Meeresbiologin Heike Vesper vom WWF. Kindermann nennt die Lage der Weltmeere „extrem besorgniserregend“, aber:

Kindermann: „Wenn man Ihr Buch liest, kommt man logischerweise, wenn man da von vorne anfängt, auf diese erste wundervolle Seite: ‚Für Franka und für Cora.‘ Wer ist das denn?“

Vesper: „Das sind meine beiden Töchter.“

Kindermann: „Aaah, wie alt sind die denn?“

Vesper: „Die sind 13 und fast 17.“

Kindermann: „Oooh.“

Vesper: „Nächste Woche!“

Kindermann: „Nächste Woche 17?“

Vesper: „Nächste Woche der 17. Geburtstag, in Quarantäne, gucken wir mal.“

Kindermann: „Gut, der 18. ist wichtig. Sind die auch infiziert in Sachen Meer oder sind das Landeier?“

„Multitasking, Multikulti, Multimutti“

Ja, diese Heike Vesper kann einem durchaus leid tun. Sicher hätte sie lieber ein bisschen länger über ihre Themen als über ihre Töchter gesprochen. Da läuft das Gespräch mit Barbara Becker am Montag deutlich runder, decken sich doch da die Interessen: Beide wollen über Barbara Becker sprechen. Und über ihre Söhne Elias und Noah, denn die Unternehmerin, Designerin und Fitnessexpertin (Kindermann: „Multitasking, Multikulti und dann auch noch Multimutti“) hat gemeinsam mit einer befreundeten Boulevardjournalistin ein Buch geschrieben, in dem es darum geht, wie es ihr geht, nachdem ihre Söhne gegangen sind. „Mama allein zu Haus“ – das kennt jeder, das überfordert keinen, bestes „MDR um 4“-Plaudermaterial.

Im Gegensatz zu Heike Vesper bleibt es Barbara Becker auch erspart, dass sich die Redaktion extra ein Spiel für sie ausdenkt. Das Ergebnis ist eine verstörend sinnfreie, taktlose Kreativleistung. Denn Vesper, eingeführt als „Anwältin der Ozeane“, wird von Kindermann allen Ernstes vor die folgende Aufgabe gestellt: „Welche Tierarten würden Sie vielleicht eher retten als andere?“ Vesper macht gute Miene zum bösen Spiel und entscheidet sich zum Beispiel für den Nagelrochen und gegen den Schweinswal.

„Wir bringen Sie gerade an Ihre Grenzen“, sagt René Kindermann und wirkt nicht unzufrieden mit seinem Werk.

9 Kommentare

  1. Sehr amüsant. Ist aber Nachmittags-TV nicht auf praktisch allen Sendern das pure Elend? Das beschriebene könnte ich gefühlt zum Beispiel 1zu1 aufs Mittagsmagazin übertragen.

  2. Na, was fällt diesem MDR denn ein! Berichtet doch tatsächlich über Corona und die Verseuchung der Meere und kritisiert verfallende Bahnhöfe. Diese Jammerossis! Diese Häkelgardinen! Diese zu enge Hose des Moderators! Da kann man sich als top-modischer Ringelhemd-Hipster vom Hauptstadt-Funk natürlich nur ausschütten vor Lachen.

    @Peter Sievert hat recht: Halbseidene Typen, die gelangweilten Gästen belanglose Fragen stellen – das haben auch ARD und ZDF en masse im Programm. Leute vor wiedereröffneten Geschäften auf wiedereröffnete Geschäfte anzusprechen, macht derzeit so ziemlich jeder regionale Radio- und Fernsehsender.

    Und verfallende Bahnhöfe ohne Geschäfte, Warteräume und Kartenverkauf sind in der Provinz ein großes Problem (ja, Herr Denk, auch dort leben Menschen und wollen Zugfahren, selbst wenn Sie sich das kaum vorstellen können).

    Nichts gegen Kritik an solchen Sendeformaten. Aber die Herablassung gegenüber der Zielgruppe und den Ossis im Allgemeinen – die hätten Sie sich sparen können.

  3. Drei von vier Besprechungen dieser recht unregelmäßig erscheinenden Kolumne beschäftigen sich hämisch mit Regionalmagazinen der Sender in den neuen Bundesländern. Frau Merkel reagiert nicht, kann das Zufall sein?

  4. ich schließe mich den Vorrednern an, die Kolumne liest sich doch arg „von oben herab“. Eine offene Perspektive wie früher beim Bahnhofskiosk finde ich deutlich interessanter zu lesen als nur das Lustigmachen über Häkelgardinen.

  5. Jenseits der Häkelgardinen. Probleme gar, die diese überhaupt nicht woken Ossis interessieren im Plauderton. Das muss es nicht geben, findet der Autor. Schon dass es Ossis, Häkelgardinen und an der Scholle ihres realen Lebens klebende Somewheres überhaupt gibt, wird ihm eine stete Zumutung sein. Nicht täglich die Welt retten wollen. Kein Gretabild an der Wand. Und so zeigt sich, dass seine Filterblase noch mehr gegen die Zumutungen des Lebens der Anderen abgedichtet ist, als er es ihnen unterstellt. Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche? Ne, sie sind elchiger als diese und haben eine viel wichtigtuerische Art ihr intellektuelles Geweih vorzuzeigen. Shame upon you, Übermedien.

  6. Ich steige da nicht durch, Marcel. Hatten Häkelgardinen-Kritiker wie der Autor nun früher selbst Häkelgardinen oder haben sie diese erst jetzt? Sind Häkelgardinen nun spießig oder nicht? Oder nur bei nicht-woken Ossis ok, aber bei woken Autoren nicht ok? Und was läuft in Ihrer Filterblase schief, dass Sie nach der Lektüre dieser Kolumne über Gretabilder an der Wand fantasieren?

  7. @David Denk: Ich mag Ihren Schreibstil, muss den meisten meiner Vor-Schreiber aber recht geben. Ich verstehe nicht so recht, worin die Medienkritik besteht. Die Themenauswahl der MDR-Redaktion für das Nachmittagsformat? Die breite Brust oder die zu enge Hose des Moderators? Oder die inhaltliche Aufbereitung seiner Interviews? Helfen Sie mir, ich weiß es wirklich nicht. Wenn die Meeresbiologin ihr Buch ihren Kindern widmet, kann man doch danach fragen, oder? Das „Spiel“ mit der Meeresbiologin hört sich für mich allerdings ziemlich fragwürdig an – ist das vielleicht der Kritikpunkt? Schade, wenn ich als Leser mit einem Fragezeichen aus einem Text rausgehe …

  8. Ohne das Format gesehen zu haben, sollte man dem MDR nicht eher ein Lob für diese Arbeit aussprechen? Vor Ort, nah an den Menschen und breit in der Themenauswahl. Für das tendenziell eher ältere Publikum bedeutet das, Informationen aus ihrem Umfeld und ein Blick auf die Themen der Zeit. Am Menscheln ist doch gerade in einem Format, das sich Zeit für seine Gesprächspartner*innen nimmt, nichts auszusetzen; wenn das Inhaltliche nicht zu kurz kommt. Das ist mir auf jeden Fall lieber als die Ferndiagnosen aus den Elfenbeintürmen in Berlin, Hamburg, Köln oder München. Die Kritik an der Art des Moderators scheint mir berechtigt, der Rest nicht. Insbesondere der von den Vorrednern angesprochene arrogante und herablassende Tonfall.

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