All Cops are regierungstreu

„Bild“ stürmt auf Polizisten los, die angeblich Koch-Abend gestürmt haben sollen

Die Zeiten, in denen „Bild“ bedingungslos hinter der Polizei stand und Respekt für die tapferen Beamten forderte, sind offenbar vorbei. Stattdessen fährt das Blatt seit Monaten einen bedingungslosen Kurs gegen die Regierung und ihre Corona-Maßnahmen – und sucht dabei auch nach Vorfällen, die angeblich illustrieren, wie maßlos der Staat durchgreift.

„Normales Verhalten wird in der Pandemie kriminalisiert“, empört sich das Boulevardblatt in der heutigen Ausgabe. „Jetzt macht die Polizei sogar vor privatem Wohnraum nicht halt!“ Um das zu belegen, werden zwei vermeintlich gute Beispiele vom Wochenende präsentiert.

„Gestürmt“ und „durchwühlt“?

Der erste Fall spielt in Essen, Nordrhein-Westfalen. Ein 41-Jähriger hatte vorigen Freitag einen Freund zu Besuch, angeblich zum Kochen. „Wir quatschten, hörten auch etwas lauter Musik“, behauptet der Mann gegenüber „Bild“.

Koch-Insel „gestürmt“? Ausriss: Bild

Dann habe das Ordnungsamt vor der Tür gestanden, wegen Ruhestörung. Die Beamten wollten die Personalien feststellen, aber die Männer weigerten sich. Daraufhin sei die Polizei gekommen: „Zehn bis zwölf Beamte stürmten in die Küche, durchwühlten unsere Portemonnaies.“ So steht es auch in der Überschrift: „Polizisten stürmen Koch-Abend von zwei Freunden“ – während die Beamten am Sonntag in Hamburg „nur zugesehen“ hätten, als „100 unmaskierte“ (linke) Pauli-Fans Pyro abbrannten.

Ein harmloser Koch-Abend also! Gestürmt! Durchwühlt! Ungeheuerlich!

Die Sache ist nur: So harmlos und hilfsbereit waren die Männer offenbar gar nicht. Laut Polizei hätten sie den Leuten vom Ordnungsamt gesagt, „dass sie noch eine zweistellige Anzahl von Personen erwarteten“. Außerdem habe der Gastgeber die Polizisten beleidigt. „Das weist er zurück“, schreibt „Bild“.

Laut Pressemitteilung der Polizei haben an dem Abend Beamte des Ordnungsdienstes den anliegenden Friedhof „bestreift“, als sie in der Nachbarschaft „laute Musik“ hörten. Sie wollten deshalb „kontrollieren, ob dort gegen die Coronaschutzverordnung verstoßen wird“. Aber die Männer waren nicht kooperativ, sondern offenbar eher patzig, „bevor sie die Haustüre zuschlugen“. Tja, was macht man da als Ordnungsdienst, wenn zwei unfreundliche Typen behaupten, dass die Party gleich so richtig in Gang kommt?

Auch die zur Hilfe gerufenen Polizisten hätten mehrfach geklingelt und geklopft, schreibt die Polizei, aber auch ihnen sei erst „nach geraumer Zeit“ geöffnet worden. Im Haus stellten sie dann nur die „beiden augenscheinlich leicht alkoholisierten Männer“ fest und fragten abermals nach deren Personalien, woraufhin die Männer sich abermals weigerten, sie zu nennen.

Tja, was macht man da als Polizei?

„Als mildeste Maßnahme entschieden sich die Beamten, in den Geldbörsen der Männer nach den Ausweispapieren zu suchen.“

Oder wie der Gastgeber „Bild“ diktiert: Sie haben die Portemonnaies „durchwühlt“, nachdem sie die Küche „gestürmt“ hatten.

Szene vom Koch-Abend. Screenshot: Bild

Der Gastgeber hat deshalb ein bisschen gefilmt und kündigte schon gegenüber der Polizei an, „das Bildmaterial in den sozialen Medien teilen zu wollen“. Zu sehen ist es nun, klar: bei „Bild“. Beamte, die ruhig um eine Kochinsel herum stehen. Einer von ihnen sagt: „Von der lauten Musik hört man gerade nichts, und von der Situation, die uns das Ordnungsamt gerade geschildert hat, sieht man jetzt natürlich auch nichts.“ Er endet mit einem genervten: „Herzlichen Glückwunsch schon mal dazu.“

„Bild“ macht aus den Sätzen nun ein Eingeständnis: „Verlegen gibt ein Beamter im Video zu…“ – aber von Verlegenheit ist dort keine Spur. Er gibt auch nichts zu. Er weist nur spitz darauf hin, dass der Mann erst filmt, als seine kleine Koch-Disco schon abgeschaltet wurde. Was den anscheinend so sauer machte, dass er die Beamten „unter anderem als rechtsextreme Polizisten“ bezeichnet haben soll. Es wurde Strafantrag wegen Beleidigung gestellt.

(„Bild“ hat den Text online übrigens inzwischen verändert, natürlich ohne Hinweis. Der Gastgeber spricht nun nicht mehr von „zehn bis zwölf Beamten“, sondern sagt: „Die Polizisten stürmten in die Küche, durchwühlten unsere Portemonnaies.“ In der Überschrift ist jetzt von „8 Polizisten“ die Rede.)

„Hier ist alles in Ordnung“

Der zweite Fall spielt in Hamburg, und er ist ähnlich, nur dass sich hier in der Nacht zu Sonntag vier Menschen aus drei Haushalten trafen, statt aus den derzeit erlaubten zwei Haushalten wie beim Koch-Abend.

„Bild“ schreibt:

„Lehrerin Viktoria T. (32) ist mit ihrer Schwester bei ihrem Freund zu Besuch, auch sein Mitbewohner ist dabei. Ein Verstoß gegen die Corona-Regeln!“

„Plötzlich fing es an, an der Tür zu bohren“, sagt die Lehrerin zu „Bild“. „Dann gab es eine Durchsage ‚In 30 Sekunden wird zugegriffen.‘“ Anschließend hätten sechs Beamte in der Wohnung gestanden, nachts um 3:18 Uhr.

Die Polizei spreche „von ‚massiver Ruhestörung‘, die Anwohner gemeldet hätten“, schreibt „Bild“. „Die Tür sei nicht von innen geöffnet worden.“

Hören wir dazu kurz die Hamburger Polizei, die auf unsere Anfrage ihre Sicht so schildert: Nach Beschwerden von Nachbarn hätten Beamte gegen 2:30 Uhr „lautstarke Musik und den Betrieb einer Disco-Leuchtkugel aus einer Wohnung“ festgestellt. Sie klingelten, sie klopften, doch niemand machte auf. „Die Beamten nahmen aber zwischen einzelnen Musikstücken deutlich mehrere Stimmen wahr.“ Also forderten sie „durch die geschlossene Wohnungstür“ auf, diese zu öffnen, andernfalls werde es die Feuerwehr tun.

Die Beamten klingelten und klopften weiter, bis die Tür „kurz geöffnet“ und „mit dem Hinweis ‚Hier ist alles in Ordnung‘ sofort wieder geschlossen und im Anschluss deutlich wahrnehmbar von innen verriegelt“ wurde. Die Polizisten bestanden weiter darauf, dass geöffnet wird. Derweil riefen „mutmaßlich die Wohnungsnutzer“ bei der Polizei an, um der Polizei zu sagen, dass draußen die Polizei und die Feuerwehr vor der Tür stünden und diese von außen öffnen wollten. „Trotz Intervention der Funkeinsatzzentrale, die Tür dann von innen zu öffnen, taten die Wohnungsnutzer dies nicht.“

Tja, was macht man da als Polizei, wenn mutmaßlich mehrere Leute in einer Party-Wohnung leider keinen Bock auf Polizei haben?

„Um 03:18 Uhr war die Wohnung geöffnet. Sechs Beamte der Polizei betraten die Wohnung, in der vier Personen angetroffen wurden, die mindestens zum Teil deutlich alkoholisiert waren. In der Wohnung standen zahlreiche Getränkeflaschen zum Teil geöffnet und teilweise leer herum.“

Auch hier wurde wieder gefilmt, woraufhin die Beamten das Smartphone beschlagnahmten. Außerdem sei eine „männliche Person in der Wohnung“ erschienen, die sich als Journalist ausgab und ankündigte, über den Einsatz berichten zu wollen. Abschließend ließ es sich der Mann nicht nehmen, „das Vorgehen der eingesetzten Beamten mit der Polizei im NS-Staat“ zu vergleichen. Es wurde Anzeige wegen des Verdachts der Beleidigung gestellt.

„Denunziert in Corona-Zeiten“

Natürlich ist nicht gesagt, dass alles exakt so war, wie es die Polizei schildert. Auch bei deren Angaben sollte man immer vorsichtig sein. Aber: Wenn die Polizei tatsächlich wegen Ruhestörung gerufen wird und die Ruhestörer das ignorieren, wenn sie provozieren statt zu kooperieren, sich widersetzen statt sich eben auszuweisen, und teilweise gegen Corona-Regeln verstoßen – ist das das „normale Verhalten“, das in der Pandemie „kriminalisiert“ wird?

Natürlich kann man einzelne Maßnahmen hinterfragen, zum Beispiel, ob es in Ordnung war, das Smartphone zu beschlagnahmen wegen „Verletzung der Vertraulichkeit des gesprochenen Wortes“. Die Hamburger Polizei schreibt dazu selbst: „Eine strafrechtliche Einordnung kann abschließend nur durch die Staatsanwaltschaft erfolgen.“ Ein Gericht müsse außerdem die Beschlagnahme des Mobiltelefons bestätigen – oder eben nicht.

Man kann auch fragen, ob es angebracht war, die Tür aufzubrechen. Oder in Essen zum Essen mit acht Leuten aufzulaufen. Aber „Bild“ stürzt sich hier förmlich auf die Beamtinnen und Beamten. Auf dem Anti-Regierungskurs, den das Blatt unter Chefredakteur Julian Reichelt fährt, müssen nun offensichtlich auch die dran glauben, die aus „Bild“-Sicht den Regierenden allzu treu zu Diensten sind.

Schlimm ist laut „Bild“ aber nicht nur das Verhalten der Polizei: „Denunziert in Corona-Zeiten“ steht in der Dachzeile des Artikels. Das klingt schön nach DDR und beschuldigt anscheinend die Hamburger Nachbarn, Denunzianten zu sein – weil sie ihre Ruhe wollten. Das fragwürdige Verhalten der Gastgeber wird hingegen eher beiläufig erwähnt. Alles brave, unbescholtene Bürger.

Dabei hätten die wissen können, was ihnen blüht – würden sie bloß aufmerksam „Bild“ lesen: „Darf die Polizei einfach meine Wohnung kontrollieren?“, fragte das Blatt im Oktober vorigen Jahres. Die Antwort: Ja, sie darf! Zum Beispiel bei „typischen nächtlichen Ruhestörungen durch zu laute Partys“ oder „zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben“ – worunter „grundsätzlich auch Corona-Kontrollen“ fielen.

Nachtrag, 3.3.2021. „Bild“ hat dieselbe Geschichte heute quasi noch mal erzählt, groß auf Seite 4. Wie gestern gab es am Ende des Textes auch wieder ein mahnendes Zitat von FDP-Chef Christian Lindner.

Gleiche Geschichte noch mal Ausriss: Bild

6 Kommentare

  1. So ruhig hier… Mich beschleicht das dumpfe Gefühl, hier will niemand als Polizeifreund erkannt werden, aber auch nicht als Bild-Freund.
    Ich denke, man kann in der Tat das Verhalten der Polizei unangemessen finden und trotzdem anerkennen, wie tendenziös die Bild berichtet hat. Ohne mich in der ersten Causa festlegen zu wollen, erscheint mir die Verfehlung der Bild unstrittig.

    Wenn man dann etwas heraus zoomt, bemerkt man daran wie traurig es ist, dass von einem derart reichweitenstarken und deutschlandweitem Medium über solche diskutierenswerten Vorfälle eben keine neutrale und abwiegende, sondern derart verzerrte Darstellung gebracht wird. Statt Nachdenklichkeit wird Empörung erzeugt. Schade.

  2. Ich frage mich ob, a) die Bild auch so deutlich aufseiten der „Opfer“ gestanden hätte, wenn es sich um einen Kochabend von, sagen wir, syrischen Flüchtlingen gehandelt hätte. Und b) ob Herr Rosenkranz in diesem Falle so viel Verständnis für die Polizei hätte aufbringen wollen.

  3. Na mal gute Nachrichten. Jetzt ist endlich möglich was gegen diese unerträglichen Ruhestörer zu tun. Und das in Hamburg. Früher hat einen die Polizei ausgelacht, wenn man wegen Lärm anrief, heute Großeinsatz.
    Und die 100 St. Pauli Fans kriegen wir auch noch klein, dieses Feuerwerk war bis zu meiner Wohnung zu hören. Unfassbar, feut sich jemand analog, wäre doch auch vor dem Bildschirm gegangen.
    Und ja Herr Rosenkranz, wenn jemand Opfer von einem übertriebenen Polizeieinsatz wird, dann ist das seine Schuld, hätte sich ja unterwü … Äh vernünftig verhalten können.
    Oh schöne neue Welt, wo diese Sachen jetzt endlich geklärt sind.

  4. Es erstaunt, wie reflexhaft übergriffig-fragwürdiges Verhalten von polizeilichen Einsatzkräften verteidigt wird, nur weil ausgerechnet in BILD daran Kritik geübt wurde. Demgegenüber sei nur festgehalten, dass zB (1) es schlicht offensichtlich unzutreffend ist, dass „grundsätzlich auch Corona-Kontrollen“ unter den Tatbestand der Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben“ fallen würden, (2) die Handy-Beschlagnahme ebenfalls offensichtlich (und wohl vorsätzlich) rechtswidrig erfolgte und dass es (3) keinerlei Verpflichtung gibt, sich zuhause auszuweisen, wenn die Polizei die Wohnung stürmt. Ebensowenig gibt es eine Verpflichtung, mit der Polizei zu kooperieren. Es befremdet, wie schnell die Unterwerfung unter den Obrigkeitsstaat gefordert wird, wenn BILD dies ausnahmsweise nicht tut.

  5. Dass die beiden Männer in der Wohnung sich gegenüber den Beamten unsäglich verhalten haben, scheint außer Frage zu stehen. Dass die Bild tendenziös berichtet? Geschenkt. Aber ganz offensichtlich verstoßen die beiden Männer in der Wohnung zum Zeitpunkt der Kontrolle gegen kein Gesetz und keine Corona-Verordnung. Daher ist es definitiv unverhältnismäßig, dass die Polizei Zwang anwendet, um die Personalien der beiden festzustellen. Sich idiotisch zu benehmen ist gottseidank in Deutschland nicht strafbar.

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