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Don’t call it kein normales Frauenmagazin

Es ist umstritten, ob Leser jemals auf den kleinen Claim achten, den Zeitschriften gerne unter ihrem Logo haben. Sie haben ihn in der Regel aus einem von zwei Gründen: Entweder weil das Verlagsmanagement jede potenzielle Möglichkeit nutzen möchte, dem Käufer zu erklären, „was er da eigentlich kauft“. Und zweitens, weil die Redaktion, die das Heft entwickelt hat, eine Grundidee entwickelt hat und sie sich selber immer wieder einhämmern will. „Neon“ war so ein Beispiel: Der Claim auf den ersten Heften war „Eigentlich sollten wir erwachsen werden“, und er beschrieb eine großartige, neue und erfolgreiche Heftidee – und verschwand relativ schnell, weil die Leser ihn nicht brauchten. Ein gutes Heft lebt auch von seiner Gestaltdichte, das heißt, jedes Detail erklärt die Heftidee selbst, das Gesamtbild besteht aus vielen kleinen Bildern, die das gleiche aussagen.

Das noch relativ neue Frauenmagazin „Barbara“ hat einen mehrfach merkwürdigen Claim unter dem Logo: „Kein normales Frauenmagazin“. Merkwürdig zum Ersten, weil er negativ ist. Kaum ein Produkt kann sich sinnvoll darüber definieren, was es nicht ist. Dieses „Don’t call it Schnitzel“-Schnitzel zum Toasten war immer ein Schnitzel, selbst wenn alle anderen Schnitzel nicht mit ihm gesehen werden wollten.

Zweitens ist „Barbara“ benannt nach „Editor-at-Large“ Barbara Schöneberger und damit nach dem Magazin von Jürgen Fliege erst das zweite deutsche Publikumsmagazin, das mir einfällt, dessen Konzept von der Persönlichkeit einer berühmten und beliebten Person abgeleitet wird (das amerikanische Magazin „Oprah“ war der große Vorreiter dieser Art von Konzept), aber das wird nirgends erklärt. Man geht also – meiner Meinung nach zurecht – davon aus, dass die potenzielle Käuferin Barbara Schöneberger kennt, sie auf dem Titel erkennt (ihr Nachname wird auf dem Titel nirgends genannt) und aus der Kombination von Bild und Logo schließt, dass die Schöneberger nicht nur Titelmodell sondern auch Spiritus Rector der gesamten Unternehmung ist – glaubt aber explizit erklären zu müssen, was für ein Magazin dabei nicht herausgekommen ist. Ich finde das widersinnig. Ich komme später nochmal darauf zurück, und allein die Tatsache, wie lange ich auf dieser Sache rumreite, ist ein Kompliment, weil der Rest des Heftes mit so viel Liebe zum Detail produziert ist, dass man überhaupt nichts kritisieren möchte.

Ich nehme es vorweg: Die Ausgabe sechs, meine erste „Barbara“, ist meiner Meinung nach eine gelungene Umsetzung eines gelungenen Konzeptes, aber das gibt ja die Möglichkeit, einmal in den Details zu bohren, einfach weil es sich hier lohnt.

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„Barbara“ leistet sich die Besonderheit, Themenschwerpunkte zu setzen, die sich durch die meisten Teile des Heftes ziehen. Bei dieser Ausgabe ist es „Verbotene Liebe“, was dazu führt, dass neben dem Claim auch noch alle Titelzeilen negativ sind („Das geht doch nicht!“, „Total verarscht“, „Oh Gott!“, und auf dem Störer steht „Ohne Bescheidenheit, Anstand und Scham“). Ich glaube, das allein erklärt den redaktionellen Angang besser als jeder Claim, wenn er also als Motto für die Redaktion gedacht ist, dann hat sie ihn umgesetzt: Ein Frauenmagazin ohne Service, ohne Glücksversprechen und mit dem Covermodell in sanfter SM-Optik mit Gerte ist anders. Und ich finde: gut anders. Einzig der letzte Teil der Unterzeile, „Ab jetzt ist wirklich alles erlaubt“ wirkt im Verhältnis piefig, aber das ist Kleinkram.

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Die Redaktion versteht verbotene Liebe weit, das muss sie, damit es für ein Heftthema reicht. Wirklich verboten ist in dem Heft nur eine beschriebene Liebe; die zwischen einer Lehrerin und ihrem 13-Jährigen Schüler, die aber heute, sieben Jahre später, trotz Verurteilung immer noch ein Paar sind und inzwischen ein gemeinsames Kind haben.

Die anderen Lieben sind nicht verboten, sondern widersprechen nur gängigen gesellschaftlichen Standards: Altersunterschiede, eine Frau mit zwei Männern, eine Frau mit einem sehr viel jüngeren Toy Boy auf Sansibar; aber als verbotene Liebe gelten auch Genuss-„Sünden“ wie Nutella-Löffeln, überteure Schlampen-High-Heels, Menschen, die sich in täuschend echte Babypuppen oder sehr merkwürdige Objekte verlieben (ein Atomkraftwerk!). Eine Modestrecke erzählt die Geschichte einer Frau, die sich in einem Museum in ein Ölportrait verliebt (der Mann wird irgendwie lebendig und steigt heraus) und sich dabei sehr oft aufwendig umzieht. Eine Autorin übt sich in hemmungsloser Selbstliebe, was erstaunlich interessant ist. Ich muss mir nächste Woche unbedingt eine Zeitschrift kaufen, die sich besser verreißen lässt, weil ich diese Woche wirklich eher raten würde, „Barbara“ zu lesen als mich.

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Es sind auch Ausreißer dabei, klar: Eine Bildgeschichte über Nonnen, die sich im Kloster klösterlich benehmen, schön fotografiert, aber als Geschichte ein bisschen dünn und entsprechend nur in Bildunterschriften erzählt („Auch Lauren hat nicht immer Lust auf Chorprobe morgens um halb sechs. Natürlich geht sie trotzdem“), oder das wortreiche Bekenntnis einer Autorin, dass sie Trash-TV guckt, sogar den Bachelor und den Dschungel, also die ungefähr meist geguckten Sendungen des Landes, was meiner Meinung selbst bei unendlich vielen Paralleluniversen in keinem einzigen mehr als verbotene Liebe durchgeht, da fehlt das innere Drama, das hörte sich in der Redaktionskonferenz wahrscheinlich spannender an, als es sich liest. (Eine Konferenz übrigens, von der es ein Foto gibt, um zu beweisen, dass Barbara dabei war, als „Barbara“ gemacht wurde.)

Überhaupt: Sie führt ein Interview mit Katja Riemann, schreibt das Editorial und dann ein weiteres, das aber „Klartext“ heißt und schimmert an so vielen Stellen des Heftes durch, dass man beim Lesen ihre Stimme im Kopf hat, was überraschend toll ist (ich mag sowohl Barbara Schöneberger als auch ihre Stimme, aber ich nehme an, wer sie nicht mag, kauft auch „Barbara“ nicht, insofern ist das vernachlässigbar).

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All das ist gut. Noch besser ist die Liebe zum Detail, mit der die Geschichten ausgestattet sind, mit kleinen handschriftlich anmutenden Anmerkungen, deren Albernheit für mich nicht in jedem Fall zündet (und die Reisegeschichte über den Spreewald hat dann doch zu viele Gurkenwortspiele), aber ich begrüße immer und grundsätzlich und aus vollem Herzen die Anwesenheit von Albernheit, und es findet sich viel wirklich Lustiges (in einer Geschichte darüber, dass wir nachts besoffen und erbärmlich Verflossene googeln, findet sich die Top-3-Liste der Drinks, die uns* zu Online-Stalkern machen: „1. Alles 2. mit 3. Alkohol“). Und die Liebe setzt sich fort, mit vielen schönen selbst produzierten Bildern, mit einem aufwendigen, angenehmen und modernen Layout, mit vielen schönen kleinen Ideen. Insgesamt ist das Niveau so hoch, dass man anfängt, sich über Kleinigkeiten richtig aufzuregen**.

Alles in allem: Kein normales Frauenmagazin, wahrscheinlich deshalb, weil es für ziemlich normale Frauen gemacht wird.

*) Ich sag schon „uns“? Bemerkt?

**) Liebe Barbaras, wenn ihr eine Kochgeschichte über Chilis macht und sechs verschiedene Sorten für den Aufmacher fotografiert, dann macht euch auch die Mühe, die sechs Sorten zu benennen und zu schreiben, welche am besten zu welchem Gericht passt, die schmecken nämlich unterschiedlich!

Barbara
Verlag Gruner+Jahr
erscheint zehnmal jährlich
3,80 Euro

4 Kommentare

  1. So schön und lockend das Heft auch beschrieben ist, es reizt mich nun wirklich gar nicht. Aber – wie heißt es so richtig über Barbara Schöneberger: „ich nehme an, wer sie nicht mag, kauft auch „Barbara“ nicht“. Hätten wir das also auch.

  2. …weder ihre Stimme (Null!) noch sie (Zero!) mag ich, aber kurz war ich gewillt, bei der nächsten Gelegenheit wenigstens mal KURZ reinzuschauen. So haben wir hier also ein paradiöses Beispiel der gewieft-witzig-charmanten Art aus Brokkoli einen Schokoladenhubschrauber zu machen.

  3. Für mich ist „Barbara“ auch das am wenigsten verkrampfte Frauenmagazin. In der von mir im März erworbenen Ausgabe war sogar ein Kuchenrezept, das ich in der Tat nachgebacken habe. War das erste Mal bei einem Magazin. Und der Schoko-Erdnuss-Kuchen ist bombastisch lecker.

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