Wochenschau (88)

Trumps Lügen gehören ins Klapp-Butterbrot der Wahrheit

Ein Sandwich
Foto: „Mae Mu“/„Unsplash“

„Die Sandwichherstellung ist eine Kunst, die in ihrer ganzen Tiefe zu erlernen nur wenige Menschen die Zeit finden. Die Aufgabe an sich ist einfach, aber zahlreich und unergründlich sind die Möglichkeiten, wahrhaft befriedigende Ergebnisse zu erzielen.“
(Douglas Adams, „Einmal Rupert und zurück“)

Bei Subway nennt man die Personen, die einem ein Sandwich zusammenstellen, „Sandwich-Artists“. Das ist einerseits natürlich euphemistischer Quatsch, andererseits hat man aber verstanden, dass es tatsächlich eine gewisse Kunstfertigkeit erfordert, ein schmackhaftes Sandwich korrekt zusammenzusetzen. Wie man die einzelnen Elemente stapelt, bestimmt durchaus die Qualität des Produkts.

Das gilt auch für deutsche Medien. Die sollten sich deutlich mehr in der Kunst der Zubereitung von Wahrheits-Sandwiches üben – und weniger im schlichten Zubereiten von Trump-Burgern mit Freedom-Lies.

Wenn man beispielsweise darüber berichtet, was Trump wieder irgendwo gesagt hat, wäre es besser, statt die Lüge zitierenderweise zu wiederholen und damit die eigene Meldung zu überschreiben, sachlich rauszutickern: „Trump lügt schon wieder.“

So eine Einordnung wäre beispielsweise am Mittwoch angebracht gewesen, als der US-Präsident vor dem Ende der Stimmenauszählung vor die Kameras trat und von „Betrug“ sprach. Er log, als er behauptete, seine Wähler würden entrechtet. Und er log, als er kolportierte, dass er die Wahl gewonnen habe.

Wenn man solche Aussagen uneingeordnet als Zitat wiederholt, verbreiten man nicht einfach nur eine Lüge, sondern geht seinen Absichten auf den Leim und diskreditiert – gewollt oder nicht – die noch nicht ausgezählten Briefwahlstimmen.

Denn der Kreislauf der politischen Lüge sorgt selbst für ihr Überleben: Medien zitieren und verbreiten Trumps Bullshit aufgrund seiner vermeintlichen publizistischen Relevanz; soziale Netzwerke zitieren und verbreiten wiederum die Artikel mit dem Lügen-Zitat – und Trump wird wiederum sagen können: „Seht ihr, es steht überall: Ich habe recht, ich habe gewonnen und die Briefwahlstimmen sind der Versuch, Wahlbetrug zu machen.“

Der ewige Trump-Kreis

Hinzu kommt, dass sich Trump in einem sogenannten medialen „affective feedback loop“ bewegt. Bei diesem von den Medienwissenschaftlerinnen Elisabeth Boler und Megan Davis beschriebenen Kreislauf handelt es sich um eine Rückkopplungsschleife der Gefühle, die normalerweise online ausgelöst werden: Man reagiert mit einem Gefühl auf einen Inhalt, dieses Gefühl wird durch Umgang mit der Nachricht beantwortet, was zu Befriedigung oder Unzufriedenheit führt. Das erzeugt dann ein neues Verlangen nach einem Gefühl, entweder noch mehr Befriedigung oder aber Auflösung von Unzufriedenheit. Es erfolgen weitere Interaktionen mit einem Medieninhalt und daraus resultierend neue Gefühle. Es ist ein bisschen wie in einem Spiegelkabinett – nur halt mit Nachrichten.

Jede zweite Internetdiskussion funktioniert so.

Bei Trump sind es eigentlich sogar zwei Feedbackloops, weil es ja noch einen zweite Rückkopplung in seinem monothematischen Medienkonsum gibt: Wenn Trump ausschließlich die ihn bestätigenden Nachrichtenmedien konsumiert und er sich also folglich nur auf Grundlage einer vereinfachten (falschen) und durch sein Verhalten verfremdeten, beeinflussten Berichterstattung verhält und sich dann wiederum Journalistinnen und Journalisten zu diesem Verhalten verhalten, dann entsteht: der ewige Trump-Kreis.

Lügen für Trump, damit der sich besser fühlt

Bei Trump geht das Bewusstsein darüber, dass seine Medienrezeption auf diese Weise funktioniert, gar so weit, dass seine Ärzte nach eigener Aussage im Fernsehen hinsichtlich seines Krankheitszustands gelogen haben, um ihn in eine gute Stimmung zu versetzen. Im Grunde sind wir also alle Teil seiner telemedizinischen Behandlung.

Bernie Sanders hatte diesen Mechanismus hinsichtlich der Auszählung der Briefwahlstimmen bereits vor Kurzem bei Jimmy Kimmel vorhergesagt:

Wie übrigens auch der Kognitionswissenschaftler und Linguist George Lakoff, der lange untersucht hat, wie Propaganda funktioniert. Er glaubt, dass es für die realitätsbezogenen Nachrichtenmedien längst an der Zeit sei, ihr Verhalten speziell in Bezug auf Trump neu zu verhandeln.

Drei Lagen: Wahrheit – Lüge – Wahrheit

Denn der Lügen-Loop wird zum demokratietheoretischen Problem, wenn nicht sogar zur Gefahr, wenn die Aussagen die Demokratie destabilisieren und von innen aushöhlen. Nachrichtenmedien müssen sich gewahr werden, ob das, was sie multiplizieren, die Demokratie bestärkt, wie es mitunter ihre Aufgabe als unabhängige Medien ist. Oder ob es sie schwächt, weil sie sich in Abhängigkeit politischer Propaganda begeben, um ihre Abbildungspflicht auf Teufel komm raus nicht unerfüllt zu lassen.

Im Gegensatz zu denjenigen, die darauf bestehen, dass das, was der Präsident sagt, Nachrichten sind und deshalb berichtet werden müsse, empfiehlt Lakoff eine Verschiebung der nachrichtenwertlichen Wahrnehmung in Bezug auf die Äußerungen Trumps:

Anstatt jeden Tweet und jede Äußerung des Präsidenten – ob wahr oder falsch – als nachrichtenwürdig zu behandeln, drängt Lakoff auf die Verwendung eines, wie er es nennt, „Wahrheitssandwiches“:

Erst fängt man mit etwas Zutreffendem an, dann berichtet man, was Trump behauptet, um es dann im selben Stück oder Tweet sofort zu widerlegen, wenn es falsch ist. Daraus entsteht ein delikat geschichtetes WLW, mit doppelt Demokratie: Wahrheit – Lüge – Wahrheit.

Und was machten diverse Medien aus Trumps Wahlsieg-Lüge?

Der Medienforscher und Journalismus-Professor der New York University Jay Rosen, auch ein Fürsprecher des Truth-Sandwiches, würde das aktuelle Trump-Sandwich folgendermaßen bauen:

Und hier ein Beispiel wie die BBC Trumps Falschaussage, er habe die Wahl schon gewonnen, abdeckte:

Oder die „New York Times“:

Zum Vergleich, wie es deutschsprachige Medien handhabten:

„Der Spiegel“ und der Deutschlandfunk zum Beispiel:

Oder „FAZ“ und „Welt“:

„Der Spiegel“ korrigierte seine Überschrift bald darauf:

Die Kommunikationswissenschaftlerin und Linguistin Nadia Zaboura sammelt bei Twitter weitere Beispiele dieses „Stenographie-Journalismus”, der protokolliert anstatt einzuordnen.

20.000 Lügen – und die Amtszeit ist noch nicht vorbei

Einordnung tut Not: Trump startete seine Amtszeit mit fünf Lügen pro Tag und arbeitete sich auf das fast fünffache täglich hoch, so der letzte Stand der Lügenforschung. Seit seiner Wahl hat die „Washington Post“ 20.000 Lügen ermittelt. Zum Vergleich: für so viele Lügen bräuchte man ein Jahres-Abo der „Bild“.

Die Idee hinter dem Truth-Sandwich kennen wir aus guten Reden: Es ist die Macht strukturierter Emphase. Das Wichtigste immer zu Beginn und zum Ende, dem Mittelteil schenkt man nicht so viel emotionale Beachtung und vergisst es schneller wieder.

Deswegen sollten die Headlines eben nie mit einer Lüge anfangen oder aufhören, denn die Macht der Wiederholung macht sie in unserer Wahrnehmung irgendwann (zumindest teilweise) wahr.

Das ist allerdings auch gleichzeitig eine gedankliche Schwäche des Wahrheitsandwiches und der Metapher des Journalisten als „Sandwich-Artists“: Es soll etwas Kundentäuschendes geschmackvoll verpackt und als Inhalt verkauft werden, aber dessen täuschende Wirkung nicht verstärken. Der Journalist belegt damit eigentlich ein Lügensandwich. Man darf also das Versandwichen von Inhalten – um sich vor dem Vorwurf der Manipulation zu schützen – wirklich nur auf die Form anwenden.

So wie dieser Text, der mit Sandwiches anfängt, in der Mitte ein paar bittere Wahrheiten behandelt und mit einem weichbrotigen Sandwich endet:

Ein Sandwich
Foto: Mae Mu/Unsplash

10 Kommentare

  1. „…bereits vor Kurzem bei Jimmy Kimmel vorhergesagt:“
    Sollte das nicht richtigerweise Jimmy Fallon heissen?

  2. „Zum Vergleich: für so viele Lügen bräuchte man ein Jahres-Abo der „Bild“.“
    rekt F

    „(…) um ihre Abbildungspflicht auf Teufel komm raus nicht unerfüllt zu lassen.“
    Da fehlt. m. E. noch der Faktor Umsatz / Klickrate. Trump Headlines verkaufen sich nebenbei auch noch gut.

    @1: Neil Fallon wäre noch besser.

  3. Ich finde die Sandwichmetapher eigentlich ganz schön, aber wie schon im letzten Absatz des (interessanten) Artikels gezeigt, hat sie meiner Meinung nach eine Schwäche:
    Sie bezieht sich ja hauptsächlich auf die WLW-Form. Wichtiger aber noch als diese Form, ist auch der inhaltliche Bezug zur Lüge (sonst wäre es ja auch keine inhaltiche Einordnung der Medien). Das bedeutet letzendlich, dass das Sandwich, wenn es „gesund“ sein soll, begründet, warum es sich bei dem Käse in der Mitte um eine Lüge handelt – also ein Argument ist. Das macht dann, glaube ich, erst eine sinnvolle Einordnung aus, gepaart mit den im Text erwähnten Vorteilen der Sandwich-Struktur.

  4. Ich halte das für ein ziemlich schlechtes Beispiel für das Sandwich der Wahrheit – wenn Trump zu irgendwelchen juristischen Feinheiten Quatsch erzählt, die man eigentlich nur als Fachmann durchschaut, ist das eine Sache, aber als halbwegs interessierter Mensch WEISS ich an der Stelle, dass Trump nicht wissen _kann_, ob er gewonnen hat.
    Ich lese diese Meldung also nicht als „Trump hat gewonnen“, sondern als „Trump feiert voreilig“ oder „Trump lügt“ oder „Trump hat immer noch eine eher lose Beziehung zur Realität“. Dass man dergleichen mit „behauptet“ statt „sagt“ zitieren sollte, ok.

    Aber wenn größere Teile der Leserschaft das – und nicht etwa irgendwelche juristische Detailfragen – als „Trump hat gewonnen“ verbuchen, ist das schlimm. Wenn Menschen so leicht manipuliert werden können, dass sie so etwas glauben, nachdem man es ihnen nicht ausreichend eingepackt haben, dann braucht man doch gar keine Wahlen mehr zu manipulieren.

  5. Es ist naiv zu glauben, dass diese Art Überschriften zu gestalten auf Schlampigkeit oder Unkenntnis wie man es im journalistischen Sinne besser machen könnte, beruht.
    Es steckt schlichtweg Methode dahinter. Überschriften werden heutzutage selten von den Leuten gemacht, die den Artikel schreiben. Es gibt dafür extra Personal, das nichts anderes macht. Und die durchsuchen dann eben einen Bericht nach der Möglichkeit einer möglichst reißerischen Überschrift.
    Ab und zu korrigiert man dann halt mal die Überschrift, wenn sich zu viele beschweren, aber ansonsten – Hauptsache die Klickzahlen stimmen.

  6. Das Prinzip zieht viel weitere Kreise. Es kommt letztlich dazu, dass Dinge wie Meinungsfreiheit und Diskurs teilweise neu gedacht werden müssen.
    Bin ich an der Meinungsfreiheit dessen interessiert, dem Wahrheit überhaupt kein Anliegen ist?
    Möchte ich in Diskurse eintreten mit Menschen, die nur Propaganda verbreiten wollen?
    Es gab eine Zeit, in der zwar ebenso öffentlich gelogen wurde, wie heute, wo aber das Dabei-ertappt-werden noch eine Konsequenz für die Zeit danach hatte. Diese Petitesse ist durch schiere Masse an fakes weggespült worden.

    Jason Stanley verglich die Situation mit dem alten Scherz, wo einer mit bloßen Fäusten zum Duell erscheint, der andere aber mit einem Maschinengewehr.

    Nein, ich fordere nicht, dass jemandes Meinung, ( Holocaustleugnung etc. ist keine Meinung ! )unterdrückt werden sollte. Aber ich muss dieser Meinung kein Forum bieten, nicht in einen Diskurs eintreten oder sie multiplizieren. Auf gar keinen Fall.
    Es wäre töricht das zu tun.

  7. Derweil in den USA mehrere Fernsehsender sich genötigt sehen, eine Trump Pressekonferenz abzuschalten, weil der POTUS eine Lüge nach der anderen verbreitet und Menschen aufhetzt und in Pennsylvania die Polizei einen bewaffneten „Proudboys“ Mob aus Virginia daran hindert, das Convention Center in Philadelphia zu stürmen, um das Auszählen der Stimmen zu beenden.

    Was sind eigentlich die echten „shithole countries“ 2020?

  8. Hmm, die Trumper stellen sich ja schon wieder als Opfer dar – Diesmal als Opfer einer Stimmauszählung, die nicht frühzeitig beendet wird.
    Das Narrativ fünktioniert m. E. nur, weil alle Medien so Wörter wie „Rennen“ und „Aufholen“ und jetzt gerade in Georgia „überholen“ verwenden.
    Hier holt keiner auf und das ist auch kein Rennen. Das Ergebnis stand bereits fest, als alle Stimmen abgegeben wurden, es wird jetzt nur statistisch erfasst. Es gab also nie eine „Führung“ für eines der beiden Lager – Das was als „Führung“ bezeichnet wurde ist nicht mehr als eine Schätzung auf Basis einer unvollständigen Grundgesamtheit.
    Mit dem „Rennen“-Narrativ nach Abgabe aller Wahlzettel schießt sich die gesamte Presse mal wieder selbst ins Bein.

    Das Rennen war am 03.11. vorbei – Wir analysieren jetzt nur noch das Zielfoto, das noch nicht ganz geladen ist.

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