Die Podcast-Kritik (41)

Ausgedacht, aber leider wahr: Kim Franks wichtiges Hörspiel zum Thema Asyl

Podcastkritik "Enthüllt" (Lachendes Gesicht)

Kim Frank kennen die Nicht-mehr-so-ganz-Jungen von uns noch als Sänger der Band „Echt“. An „Alles wird sich ändern“, „Wir haben’s getan“, „Junimond“ und natürlich „Weinst du“ wollen sich viele der Fans von damals heute nicht mehr erinnern (tun es heimlich aber natürlich oft doch ganz gern).

RTL betreibt seit einer halben Ewigkeit Radiosender in Deutschland, die gern mal das Wort „Hitradio“ tragen, und auf denen Kim Frank vermutlich hunderttausende Male lief. Doch anders als RTL hat Kim Frank sich früh genug einen Plan B überlegt und sich auf ein anderes Metier verlegt: Er wurde Musikvideo-Regisseur. Das war klug, denn dass man als Teenie-Star mit Schwerpunkt Herzschmerz keine ewige Karriere hat, hat die Geschichte mehr als einmal gezeigt.

Was RTL betrifft, ist die Sache mit dem Plan B nicht so ganz einfach. Die Zeiten, in denen man als Betreiber eines Privatradios vor Lachen nicht in den Schlaf kommt, sind längst vorbei. Und während man sich in den Zentralen der Senderketten von Werbevermarktern und Marketingagenturen irgendwas über das Digitalradio DAB+ erzählen lies, zogen links, rechts, oben und unten Spotify, Audible, Deezer und der vielzitierte Podcast-Boom vorbei.

Da standen sie nun, die deutschen Branchen-Dinosaurier, und fragten sich, ob dieses Internet, von dem sie so lange Zeit behaupteten, es könne dem Radio nicht gefährlich werden, vielleicht doch keine so ganz ungefährliche Sache ist. Die Antwort war offenkundig ein Ja, sonst hätte RTL wohl nicht im März 2019 die Plattform „Audio Now“ gestartet.

Auf dieser Plattform ist nun den Podcast „Enthüllt“ von Kim Frank erschienen. Ein Fiction-Podcast, der die Geschichte erzählt von Nora Mertens, einer Investigativ-Journalistin, vor allem aber die Geschichte des Racial Profilings an den deutschen Grenzen und der Abschottung an den europäischen Grenzen, die Geschichte von Flucht und Terror – die Geschichte von Adesuwa Tigbeh, die aus Nigeria flieht.

Das ist kein leichter Stoff, vor allem nicht für ein Portal, das bislang eher durch, sagen wir mal, Unterhaltung aufgefallen ist. Und dieser Mut, der hat sich gelohnt.

Himmelschreiende Ungerechtigkeiten

Im Mittelpunkt der neunteiligen Produktion steht die Investigativ-Journalistin Nora Mertens. Sie hat ihr eigenes Magazin gegründet, wird aber aufgrund ihrer Berichterstattung verklagt, und es sieht nicht gut aus. Auch privat nicht, aber das erfährt man nur am Rande. Doch sie ist gut, und sie hat einen Ruf, und weil sie angesichts des drohenden Prozesses und der Kosten ihr Magazin nicht halten kann, nimmt sie das Angebot einer großen Tageszeitung an, dort Recherchen zu veröffentlichen.

Während wir das in Folge eins hören, werden immer wieder Szenen aus Nigeria dazwischen geschnitten. Ohne Überleitung, ohne Einbettung. Harte Gegenschnitte, die zunächst gewöhnungsbedürftig sind, aber schon früh den Raum weit machen, was später noch wichtig werden wird. Dort, aus Nigeria, flieht Adesuwa Tigbeh. In der zweiten Folge ist sie in einem deutschen Gerichtssaal, in Handschellen – und dort ist auch die Journalistin Nora Mertens.

Als sie von Adesuwas Flucht hört und realisiert, dass sie im Gefängnis sitzt, ohne ein Verbrechen begangen zu haben, beginnt sie, sich mit der Thematik der Abschiebehaft zu beschäftigen. Sie beginnt zu recherchieren, wühlt sich in den Fall, stößt auf – wie sie findet – himmelschreiende Ungerechtigkeiten. Gleichzeitig macht der Vorstand der Zeitung Druck, und ihr eigener Prozess schwebt wie ein Damoklesschwert über allem.

Gemeinsam mit dem Anwalt von Adesuwa finden sie eine Gesetzeslücke, doch Recht haben und Recht bekommen sind zwei Sachen. Sie wollen die Sache bis vor den BGH bringen, immer noch drängelt die Zeitung. Es geht nicht alles gut aus.

Eine Wette, die aufgeht

Von Kim Frank kommen die Idee, das Buch, die Regie, der Schnitt, das Sounddesign – eine Wette, die schiefgehen kann, so sehr auf ein Pferd zu setzen. Aber hier geht es auf. Dass all das aus einer Hand kommt, tut der Produktion hörbar gut. 42 Sprechrollen sind in den neun Folgen zu hören, darunter bekannte Stimmen wie Pheline Roggan und Axel Prahl. Wegen Corona konnten die Sprecher nicht miteinander im Studio arbeiten, was man vielleicht hört, wenn man es weiß, eigentlich aber nicht, in jedem Fall stört es nicht, und das liegt auch an der Erzählweise von „Enthüllt“.

Denn während viele Storytelling-Formate sich dieser Tage überfrachten und überschlagen mit immer neuen Ebenen und Verrenkungen, wird hier durch den Erzähler (übrigens: auch Kim Frank) oft genau das getan: die Story erzählt. Erfreulich unaufgeregt und direkt. Fast wie in den „alten“ Hörbüchern, als noch nicht alles Podcast hieß, was Audio ist. Und so unaufdringlich und entspannt, dass zwischen „sie rennt zum Fahrstuhl“ … “ drückt auf den Fahrstuhlknopf“ … „es dauert zu lang“ und „sie nimmt die Treppen“ jeweils in Ruhe ein paar Sekunden verstreichen können. Warum das wichtig ist? Weil nur so sich das Kino im Kopf entfalten kann. Wenn die Erzählinstanz alles klarmacht, alles ausführt, alles viel zu schnell hintereinander weg liefert, dann arbeitet das Ohr, aber nicht die Phantasie. Und genau diesen Spagat schafft „Enthüllt“.

Gleiches gilt für das Sounddesign. Hier wollte jemand gar nicht erst so tun, als ob er die Welt neu erfindet. Dieses Fiction-Hörspiel klingt wie ein Fiction-Hörspiel, und das ist gut so. Es gibt kein Overacting, weder musikalisch noch bei den Schauspielern oder Sprechern. Dem Hörer wird geliefert, was er braucht, nicht mehr, nicht weniger. Den Rest macht der eigene Kopf. „Enthüllt“ ist eine Geschichte, die nicht an Spannung nachlässt – auch, weil hier jemand keine Experimente eingegangen ist.

Das eine oder andere mag etwas holzschnittartig sein, die eine oder andere Rolle vielleicht etwas stereotyp, der eine oder andere Dialog etwas plump, aber: Das ist schon okay, das sind pragmatische Entscheidungen. Es kann nicht immer alles bis in den letzten Pinselstrich detailfein auserzählt werden, und so, wie das hier gemacht wird, trägt es die Geschichte.

Mit der Zeit beginnt man, die etwas spröde, holzschnittartige, schnörkellose Erzählweise zu mögen. So sehr, dass zwar tolle, aber blumigere Sätze („Geld und Intelligenz haben die Schönheit ihrer Jugend bewahrt“) sich in der Rückschau fast wie kleine Störfrequenzen anfühlen.

Die Gleichzeitigkeit von Fiction und Nicht-Fiction

Keine Experimente gemacht zu haben, das allein wäre noch kein Grund, „Enthüllt“ zu loben. Warum dieser Podcast (der eigentlich ein Hörspiel ist) es verdient, aufmerksam gehört zu werden, ist die Gleichzeitigkeit von Fiction und Non-Fiction. Was hier erzählt wird, das ist inspiriert von realen Begebenheiten. Es ist ausgedacht, aber nicht erfunden. Was hier erzählt wird, das entspricht der Realität.

Der Umgang mit Asylsuchenden, die Diskrepanz zwischen den Werten, für die Deutschland und die EU stehen, und dem Umgangs mit denen, die wegen der Verletzung dieser Werte bei uns Schutz suchen; die bürokratisierte Alternativlosigkeit des Rechtsrahmens, in dem Asylrechtsentscheidungen getroffenen werden; der wirtschaftliche Druck, der auf Redaktionen lastet, die offenkundige Ungerechtigkeit des Dublin-Asylsystems – all das erzählt „Enthüllt“, und nichts davon ist übertrieben.

Gut, die Journalisten sind es vielleicht. Vielleicht haben wir nicht alle Probleme mit Drogen, Alkohol und Psyche. Vielleicht heben unsere Chefredakteure und Herausgeber nicht ständig zu hochtrabenden Monologen über die Demokratie und den Wert einer kritischen Öffentlichkeit an. Vielleicht (nein, ziemlich sicher sogar) wäre es unredlich, sich als Anwalt vorzustellen, wenn man eigentlich Journalist ist (und das ist noch einer der unproblematischeren Moves, die Nora Mertens und ihr Kollege hier hinlegen, denn sie verlieren im Laufe der Erzählung ihre Rolle als Beobachter und werden zu Akteuren). Aber auch diesen Berufsstand oder besser: die Zwänge und Probleme, unter denen er arbeitet, zeichnet der Podcast vielleicht etwas grob, aber nicht so ganz falsch.

Eine Frage der Perspektive

Die eigentlich Hauptfigur in „Enthüllt“ ist Adesuwa Tigbeh. Um sie dreht sich alles. Zu hören bekommen wir sie selten. Auch das ist in der echten Welt nicht anders. Wir reden viel über Geflüchtete, aber selten mit ihnen. „Enthüllt“ muss sich die gleiche Frage gefallen lassen wie die Literatur, das Theater, die Museen: Wer darf reden – und über wen wird geredet? Wer erzählt die Geschichten? Wer setzt Themen, wer wird zum Thema?

Kim Frank hat sich entschieden, die Geschichte aus der Perspektive der deutschen Journalistin zu erzählen. Man kann das anders machen, aber: Man muss nicht. „Ich finde, das steht mir auch nicht zu als weißem deutschen Mann“, begründet Kim Frank im Deutschlandfunk seine Entscheidung: „Das fände ich mega-spannend, wenn das jemand machen würde. Aber ich finde, das sollte jemand machen, der dieser Perspektive näher ist als ich.“

Das hat zur Folge, dass die Flucht selbst und das erlebte Elend in Nigeria nur schemenhaft bleiben. Doch nichts entbindet reiche Staaten davon, mit jenen, die sie um Schutz bitten, so umzugehen, wie sie es sich selbst in Verträge, Konventionen und Gesetze geschrieben haben – und wie es der Anstand gebietet. Das ist der Punkt, den „Enthüllt“ macht. Man kann nur hoffen, dass ihn viele hören und verstehen.

Podcast: „Enthüllt“
Episodenlänge: ca. 30 Minuten
Offizieller Claim: Ein Fiction-Podcast von Kim Frank
Inoffizieller Claim: Man würde sich wünschen, es wäre nur Fiktion…

Hörempfehlung: Alle neun Folgen sind bei Audio Now verfügbar, im Feed und damit über freie Podcast-Apps abrufbar sind bislang drei Folgen.

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