Lukrativ für Image und Anzeigenabteilung
Der „Stern“ ist unter die Klimaaktivisten gegangen. In der aktuellen Ausgabe, die am Donnerstag erschien, befasst sich das Magazin anlässlich des weltweiten Klimastreiktags fast ausschließlich mit dem Klimawandel, und es hat sich dafür Hilfe ins Haus geholt. Entstanden ist das Heft „gemeinsam mit der Bewegung Fridays for Future“, was auch oben auf dem Titel steht. Diese Ausgabe solle ein „Zeichen“ sein, ein „anderer ‚Stern‘“ als sonst:
„Zum ersten Mal in 72 Jahren konnten […] Menschen direkten Einfluss auf die Gestaltung des Magazins nehmen, die nicht zur Redaktion gehören.“
Das klingt natürlich erst mal bedenklich, wenn Leute von außen, hier zum Beispiel Aktivist*innen, „Einfluss“ auf Medien und deren Inhalte nehmen. Aktivist*innen haben eine Agenda, sie verfolgen (politische) Ziele. Was käme da gelegener als Medien mit Reichweite, die freundlich herein bitten.
Problematischer Anschein
Deshalb gab es Vorbehalte, sowohl von außen, aber auch in der Redaktion, wie der „Stern“ im Heft offenlegt. Eine Reporterin hält es für einen „Tabubruch“, Aktivist*innen in die Redaktion zu holen. Ein anderer Redakteur sagt, es gehe ums „ums Prinzip“: „Der ‚Stern‘ sollte mit überhaupt keiner Aktivistengruppe zusammenarbeiten, grundsätzlich nicht.“
Das ist eigentlich auch Usus und gilt nicht nur beim „Stern“. Es geht dabei um den problematischen Anschein, der entsteht, wenn Journalist*innen zu viel Nähe suchen: dass sich eine als unabhängig geltende Redaktion einseitig beeinflussen lässt und folglich nicht das ganze Bild malt, sondern nur Teile.
Aber wie groß war der Einfluss hier tatsächlich?
„Die letzte Entscheidung, welches Thema in welcher Form im Heft, online oder gar nicht veröffentlicht wird, lag jedoch stets bei der Redaktion.“
Vielleicht war das der Kompromiss, um nicht vollkommen vereinnahmt zu wirken. Auch wenn im Blatt fortwährend betont wird, man sei in der Klimakrise „nicht neutral“, ab jetzt und in alle Ewigkeit. Klare Positionen zu diversen Themen gebe es immer wieder beim „Stern“, aber diese Form ist neu.
Komplette Übernahme
Auch die „taz“ brachte am Freitag eine ganze Ausgabe zum Klimawandel. Dort schrieben die Aktivist*innen allerdings selbst. Die Redaktion sagt, sie stand nur beratend zur Seite und hat „sprachlich“ redigiert.
Bei der „taz“ haben solche Übernahmen Tradition – und sie sind radikaler: Immer wieder lässt sich die linksalternative Zeitung von anderen kapern, die dann tatsächlich einen Tag lang das Blatt machen. Es waren Feinde darunter (wie einst Ex-„Bild“-Chefchef Kai Diekmann), und oft sind es Gruppen, denen die „taz“ Reichweite leiht, um ihnen Gehör zu verschaffen, etwa Menschen mit Behinderungen. Dass diese Zeitung nun also auch diese Aktion (zumal zu diesem Thema) macht, passt zu ihrer eigenen bewegten Geschichte.
Beim „Stern“ durfte das „gute Dutzend junger Aktivisten“ lediglich mitlaufen, sich in Konferenzen äußern und als „Themenpaten“ bei der „Recherche und beim Verfassen der Artikel mit den Autorinnen aus der Redaktion diskutieren“. (Manchmal durften sie auch „staunen“, namentlich „wegen des immensen Rechercheaufwandes, den die Artikel erfordern, und der Sorgfalt, mit der vor der Veröffentlichung noch mal alles überprüft wird“.) Und Luisa Neubauer, die als eine der „Stern-Stimmen“ sowieso regelmäßig „Stern“-Kolumnen verfasst, hat für den Klima-„Stern“ nun ein Klima-Essay geschrieben.
Man kann darüber streiten, ob es klug ist, sich derart in die Nähe einer Bewegung zu begeben. Andererseits geschieht das ja ganz offen und wird auch so kommuniziert. Aber muss es überhaupt eine Kooperation sein?
Um dem Thema „größtmöglichen Raum“ zu geben, wie der „Stern“ seinen Anspruch formuliert, hätte er einfach alleine ein Heft machen können – was er ja auch so, mit „Themenpaten“, dann gemacht hat. Chefredakteur Florian Gless aber findet, es habe die Redaktion „enorm befruchtet“, dass „die FFFler uns schon im Entstehungsprozess des Blattes und nicht erst hinterher kritisieren konnten“. Ob das auch anderen Gruppen gestattet sein wird, ist unbekannt.
Es lohnt sich
Natürlich ist das alles auch Marketing. Beim „Stern“ wirkt es aber, viel mehr als bei der „taz“, wie eine PR-Aktion, mit der man sich ins Herz einer Generation schreiben möchte, die kaum noch Magazine liest, und um trendy zu wirken. Es ist lukrativ fürs Image und für die Anzeigenabteilung. Dass der „Stern“ auch von außen viel Kritik für die Aktion einstecken musste, war möglicherweise von vornherein eingepreist. Aufmerksamkeit für die Sache und für sich.
Die meiste Werbung im „Stern“ ist auf das Thema hin verkauft: grüner Haushaltsreiniger; eine Supermarkt-Kette, die sich grün gibt; ein IT-Dienstleister, der damit wirbt, mit einem Startup für Armbänder aus alten Fischernetzen zu arbeiten; der Chef eines grünen Stromhändlers, der sehr klimaernst aus der Seite blickt („Wir spielen nicht mit!“ beim „Strom-Monopoly“) – und dazwischen auch, naja, Werbung für ein SUV-Coupé mit ziemlich viel PS.
Mit am unangenehmsten sind die Anzeigen aus dem eigenen Haus: Die Zeitschrift „Geo“, die auch im Hamburger Verlag Gruner+Jahr erscheint, gibt der „Aktionen unserer Kollegen“, Achtung: „5 Sterne!“; und das Magazin „Eltern“ wirbt: „Wir finden, nur Kinder sollten zum Dahinschmelzen sein“. Drunter steht: „Future – unser Ding.“
Der „Stern“ verspricht außerdem, für jedes (auf Bäume gedruckte) Heft einen Baum zu pflanzen. Und je öfter stern.de am Klimastreiktag aufgerufen werde, ist zu lesen, desto mehr Bäume werde der „Stern“ pflanzen. Sozusagen Clickplanting, der gute Zweck ist an einen monetären geknüpft, garniert mit Phrasen der Chefredaktion: „Es kann uns nicht egal sein, was um uns herum passiert“, sagt Anna-Beeke Gretemeier. Und Florian Gless bekennt: „Wir bekennen uns zu einem Journalismus, der sich stärker einmischt.“ Mal sehen, ob sich der „Stern“, wie versprochen, auch weiterhin stark macht fürs Klima.
RWE-Reklame: „untragbar“
Bei der „taz“ wäre die Ausgabe übrigens beinahe an einer Werbeanzeige gescheitert. Als die Aktivist*innen erfuhren, dass auch der Energiekonzern RWE inseriere, protestierten sie: Das sei „untragbar“! Es soll eine längere und anstrengende Auseinandersetzung gewesen sein, aber die Aktivist*innen setzten sich durch. Statt der Anzeige erschien ein Kommentar von ihnen.
Die „taz“ hatte zunächst auf die Trennung von Verlag und Redaktion gepocht, die Aktivist*innen aber stellen sie infrage: die „Diskursmacht“, die Konzerne wie RWE sich so erkauften, um sich grün zu waschen. Medien sollten sich überlegen, „wem sie Raum geben und wem nicht“. Der britische „Guardian“ etwa lasse seit diesem Jahr keine Werbung fossiler Unternehmen mehr zu.
Ob Medien jede Anzeige mitnehmen sollten, ist keine neue Debatte. Auch unter „taz“-Leser*innen wurde schon heftig über Anzeigen gestritten, etwa von der Bundeswehr. Die Einwände der Aktivist*innen haben die „taz“-Redaktion nun offenbar beeindruckt: „Letztlich hatten die Aktivist*innen die besseren Argumente.“ Was man geglückte Einflussnahme nennen kann – oder einen Streit über unterschiedliche Auffassungen, der etwas in Bewegung bringt.
Offenlegung: Ich war vor mehr als zehn Jahren mal „taz“-Redakteur.
Hübsche Offenlegung am Ende. Das Problem der Zusammenarbeit mit Aktivisten stellt sich letztlich aber auch bei der Plattform Übermedien. Zum Beispiel, wenn sie Eric Wallis in einem Kästchen als Sprachwissenschftler vorstellt, aber seinen Hauptberuf und die daraus folgende Interessenkollision verschweigt. Bei El Oussil müsste eigentlich regelmäßig ihre Kandidatur für die PARTEI offengelegt werden, auch wenn man das als Satire-Aktion werten kann. Vielleicht ein Grenzfall. Auf Wikipedia wird sie als „Politikerin“ gelabelt. Aber man kann insgesamt kaum behaupten, dass auf Übermedien Journalismus und Aktivismus klar getrennt werden.
Korrektur: Wallis wurde als Campaigner vorgestellt. Trotzdem ist das nicht unproblematisch, seine Texte hier zu veröffentlichen.
Es war doch schon immer eine Mär, dass Medien irgendwie unabhängig, objektiv, neutral oder gar überparteilich wären.
Im Unterschied zur guten alten Zeit macht man sich jetzt nicht einmal mehr die Mühe, wenigstens den Anschein erwecken zu wollen, man sei dies alles.
Es ist gerade hip, salongrünen Millionärstöchtern nachzulaufen.
Man muss den Mist ja nicht kaufen.
Dafür gibt es dann bald staatliche Unterstützung.
@2 Andreas: „Es war doch schon immer eine Mär, dass Medien irgendwie unabhängig, objektiv, neutral oder gar überparteilich wären.“
Deswegen sind das ja auch journalistische Ideale. Weil Sie in der Realität aus einer Vielzahl an Gründen nicht erfüllt werden können. Das rechtfertigt aber weder die Aufgabe dieser Ideale, noch bedeutet es, dass jedes Medium, dass diesen Idealen nicht jederzeit gerecht wird, schlecht ist. Jedes dieser Ideale ist für sich genommen problembehaftet, dann stehen diese teilweise in Konkurrenz und zu guter letzt ist jede Auflistung von Idealen wahrscheinlich unvollständig und uneindeutig. Und trotzdem gibt es Unternehmungen, die sie besser und schlechter umsetzen.
„Es ist gerade hip, salongrünen Millionärstöchtern nachzulaufen.“
Oh, als Topping noch ein paar Beleidigungen, diesmal mit tiefem Griff in die Mottenkiste das gute alte „Salonkommunisten“ noch mal aufpoliert.
„Salonkommunisten“ war schon die harmlose Variante von „Salonbolschewisten“.
Oh, als Topping noch ein paar Beleidigungen, diesmal mit tiefem Griff in die Mottenkiste das gute alte „Salonkommunisten“ noch mal aufpoliert.
Da muss man erst mal die zentimeterdicke Staubschicht wegblasen, so was von old fashioned.
Sollte lieber mal ein paar moderne Beleidigungen bringen, was nie zuvor kam, was originelles.
Wie es wäre mit … Nazi?
Zumindest beim Stern kann man sagen, dass es eine Reklame-Aktion ist, um neue Leser/Abonennten zu erreichen und die komplette Auflage zu verkaufen.
Der Stern ist so fern von Klimaneutralität, dass sie diese Ausgabe über Zertifikate bzw Spenden an eine Baumplfanzaktion ausgleichen – nur diesmal.
Dass es der Sache gut tut, dass nämlich den Stammlesern (gibt es das noch beim Stern) ein Thema aufgedrückt wird, steht außer Frage. Vielleicht bewegt sich einer der alten Stern-Leser und zeigt sich offen für FFF.