„Wollen wir hinschauen, oder wollen wir nicht hinschauen?“
„Ich finde, es sieht ein bisschen so aus, wie man es sich aus amerikanischen Crime-Serien so vorstellt“, sagt Reporter Nino Seidel und zeigt auf den Monitor vor sich. „Da sitzt er, und das ist die Überwachungskamera von oben. Da wird Ernst gerade von zwei Polizisten vernommen. Das ist hier die erste Vernehmung.“
Der Reporter kommentiert Aufnahmen aus den Vernehmungsvideos von Stephan Ernst, dem mutmaßlichen Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. „Strg_F“, die Online-Schwester des NDR-Politmagazins „Panorama“ im Jugendangebot Funk, hat sie „zugespielt bekommen“ und auf Youtube veröffentlicht. Zu sehen sind vor allem Ausschnitte des ersten Verhörs, in dem Ernst den Mord gesteht, aber auch aus einer späteren Vernehmung, in dem er nur noch von einem Unfall spricht.
Die Veröffentlichung hat für Aufsehen gesorgt – und Kritik hervorgerufen. Bertil Jakobson vom Deutschen Strafverteidiger-Verband (DSV) sagte gegenüber dpa: „Wenn das Video kursiert und Zeugen es gesehen haben, sind sie ein Stück weit beeinflusst. Sie haben einen Eindruck von der Person des Beschuldigten und könnten bewusst oder unbewusst ihre Aussage anpassen.“ Ein Sprecher der Familie des Opfers sagte: „Dass Videos von Vernehmungen ins Netz gestellt werden, ist ein prinzipiell sehr befremdlicher und auch schmerzhafter Vorgang, wenngleich die Videos bereits im Strafprozess vorgeführt wurden.“
Auch die Gerichtsreporterin des Hessischen Rundfunks, Heike Borufka, nannte die Veröffentlichung „bedenklich“, weil die meisten Zeugen noch nicht vernommen wurden und durch das Video beeinflusst werden könnten. Gerade das erste Video sei das wichtigste Beweisstück überhaupt in dem Prozess. Außerdem sei nur „ein Teil der mehrstündigen Aussagen online gestellt worden. Wir können uns ein Bild machen, aber es ist eben nur ein Ausschnitt.“
Wir haben mit Dietmar Schiffermüller, dem Redaktionsleiter von „Strg_F“, über die Veröffentlichung gesprochen.
Übermedien: Gab es das schon mal in Deutschland, dass das Video einer polizeilichen Vernehmung veröffentlicht wurde?
Dietmar Schiffermüller: Ich kenne keins.
Warum haben Sie sich dazu entschieden?
Wir haben das Video veröffentlicht, weil es erhellend ist. Weil es Befunde liefert, um die Tat einordnen zu können. Und darum geht es ja. Ein öffentliches Gerichtsverfahren ist nicht nur dazu da, juristisch die Schuld zu klären. Es ist auch für die Reflexion über Taten wichtig. Die Gesellschaft muss über diese Tat diskutieren. In diesem Fall ist das besonders relevant, weil es in der Bundesrepublik wahrscheinlich der erste rechtsextremistisch motivierte Mord an einem Politiker ist – das ist von überragendem Interesse. Diese Vernehmungsvideos bieten noch einen Baustein, noch eine Perspektive auf diesen Fall.
Sie wurden aber ja auch im Prozess gezeigt; Journalisten haben ausführlich darüber berichtet. Das heißt, die Informationen im „Strg_F“-Video sind alle nicht neu. Es hat in dem Sinne keinen Nachrichtenwert.
Nachrichtlich wurde alles berichtet, sozusagen paraphrasiert, was der mutmaßliche Täter geäußert hat. Es gibt aber sozusagen noch eine andere Tonspur, wenn man so ein Video sieht: die Gesten, die Einlassung, die Art der Antworten. Auch, wie sie sich in den beiden Geständnissen unterscheiden. Es ist auch aufschlussreich, den mutmaßlichen Täter zu sehen, wie er emotional reagiert, wenn er weint, zum Beispiel. Und warum er weint, nämlich vor allem darüber, wie er radikalisiert wurde und wie er offenbar manisch terroristische Videos angeschaut hat. Das ist die Welt des mutmaßlichen Täters, das ist erhellend, das kann man textlich nicht abbilden.
Wie sehr haben Sie intern gerungen, ob Sie das Video veröffentlichen wollen oder dürfen?
Wir ringen vor jedem Beitrag. Wir müssen immer über die journalistischen Mittel diskutieren, und bei diesem Beitrag war das besonders relevant. Wir haben wochenlang gerungen: Wollen wir das publizieren? Wir haben das natürlich auch im Haus abgestimmt. Aber aus unserer Sicht gibt es ein großes öffentliches Interesse an diesen Dokumenten. Entscheidend ist auch, wie man dieses Dokument einordnet. Wir zeigen diese Ausschnitte ja nicht einfach, sondern ordnen sie in den Kontext ein. Das machen zwei unserer besten Experten in diesem Bereich, Nino Seidel und Julian Feldmann. Erst dadurch wird es erhellend. Wir geben das Video auch nicht an andere Sendungen heraus, weil wir davon überzeugt sind, dass es nur in einem langen Film mit Einordnungen angemessen ist, das zu publizieren.
Liegen Ihnen die Videos schon länger vor?
Dazu will ich nichts sagen.
Ist Ihnen bekannt, wer sie Ihnen zugespielt hat?
Ich spreche grundsätzlich nicht über Quellen.
Haben Sie das Video bewusst erst veröffentlicht, nachdem es im Prozess gezeigt wurde?
Das ist alternativlos. Sonst wäre es möglicherweise strafbar nach Paragraph 353d StGB. Das ist aber eine juristische Sichtweise. Für uns war klar, dass wir es nur veröffentlichen können, wenn es schon öffentlich ist. Es ist öffentlich durch das Einbringen ins Verfahren.
Die Begründung, das Video sei ja in der Verhandlung gezeigt worden, reicht aber juristisch noch nicht, um es auch publizieren zu dürfen. Saalöffentlichkeit ist nicht gleich Medienöffentlichkeit.
Unser Justiziar hat das natürlich eng betreut, und sein Befund war eindeutig, dass wir das veröffentlichen dürfen. Auch das Gericht selbst hat zu unserer Veröffentlichung im Nachhinein keinen Einwand geäußert.
Jenseits der juristischen Frage gibt es noch die ethische. Wegen der Gefahr von Nachahmungstätern warnen Psychologen davor, in der Berichterstattung eine emotionale Identifizierung mit dem Täter zu ermöglichen. Haben Sie nicht genau das gemacht?
Das bewerte ich anders. Weil wir es nicht einfach nur offen stehen lassen, sondern einordnen. Wenn es von Dritten einen Entschluss zu einer Tat gibt, liegt es meiner Einschätzung nach nicht daran, dass sie einen mutmaßlichen Täter in einer Vernehmungssituation wahrgenommen haben.
Was Sie „Einordnung“ nennen, ist aber oft auch nur die Wiedergabe seiner behaupteten Motive. Einmal sagt einer der Autoren, es schienen „vor allem die Schlüsselerlebnisse zu sein, die ihn rühren“.
Die Autoren haben die kompletten Vernehmungs-Aufzeichnungen. Aus dieser Begutachtung haben wir den Befund, nicht nur von einer Stelle, wo wir übernehmen, was er vorgibt zu fühlen.
Aber ist das nicht eine merkwürdige „Einordnung“? Wir sehen jemand, der später wohl zum Mörder wird, und bekommen erzählt, dass er besonders „gerührt“ gewesen sei von islamistischen Anschlägen?
Entscheidender ist doch der Befund, dass er sich offenbar manisch diese terroristischen Videos angeschaut und sich in einer völlig verzerrten Realität befunden hat.
Auf mich hat das, im Gegenteil, sehr anschlussfähig gewirkt. Da ist jemand, der sich – und das ist ja nachvollziehbar – diese Anschläge und die Opfer ansieht und davon extrem bewegt ist.
Für mich gilt: „Sagen, was ist“. Wollen wir hinschauen oder wollen wir nicht hinschauen? Ja, es ist verstörend, das zu sehen, und trotzdem glaube ich, dass es wichtig ist, sich anzuschauen, wie so eine Radikalisierung erfolgt. Und wie ein manischer Tunnel entsteht, der sich abhebt von der Wirklichkeit.
Für mich hat das Video die Radikalisierung im Gegenteil sehr banal und nachvollziehbar wirken lassen, aus der Mitte der Gesellschaft.
Nein, es entsteht nicht in der Mitte der Gesellschaft, es entsteht im rechtspopulistischen Lager. Und das ist ja auch so interessant an dem Fall, dass es aus dem rechtspopulistischen Lager eine Radikalisierung geben kann, wenn es einen manischen Tunnel gibt, der die Dinge verzerrt.
Ein Kollege, der über den Prozess berichtet, hat mir gesagt: Sein Problem mit dem Video sei, dass man damit Gefahr laufe, dem mutmaßlichen Täter auf den Leim zu gehen. Der sei ja nicht naiv, sondern Gerichts- und Therapie-erfahren. Das Video ist zwar, anders als etwa im Fall des Attentäters von Halle, keines, das er selbst gedreht hat. Aber er kann sich trotzdem schon sehr genau überlegt haben, welche Botschaft er vor den Kameras vermitteln will. Kann es nicht sein, dass man auf seine Inszenierung reinfällt, wenn man zeigt, wie er weint und scheinbar überwältigt ist angesichts der Opfer islamistischer Anschläge?
Ich halte den Vorwurf für konstruiert. Ich kann auch nicht erkennen, dass der mutmaßliche Täter bei diesem ersten Verhör noch eine versteckte Botschaft und ein Sendungsbewusstsein hatte. Er wusste ja auch nicht, dass die Aufnahmen an die Öffentlichkeit kommen würden. Ich glaube, von einer solchen Antizipationsfähigkeit kann man nicht ausgehen. Es kann sein, dass er gegenüber den Ermittlern einen Punkt machen wollte, aber nicht gegenüber der Öffentlichkeit.
Ich meine gar keine versteckte Botschaft, sondern die offene: zum Beispiel seine Tränen. Das Ganze wird ja nicht in Frage gestellt von den Reportern, und ihm und seiner von ihm behaupteten Motivation wird sehr viel Raum gegeben.
Der Journalismus auf Youtube und für junge Menschen – wir machen das für Unter-30-jährige –, funktioniert über eine andere Art der Vermittlung von Inhalten als die, die wir zum Beispiel aus klassischen Dokumentation oder politischen Magazinen kennen. Weil wir die Zuschauerinnen und Zuschauer nicht so stark argumentativ führen wie früher. Wir legen Befunde vor, die aus einer Recherche und einer gründlichen Befassung mit dem Thema kommen. Wir erleben, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer schlau genug sind, sich ein eigenes Bild zu machen und das auch einordnen können. Das erleben wir sehr stark in den Kommentaren. Auf Youtube hört ja das Publizieren mit dem Veröffentlichen eines Beitrags nicht auf, die Arbeit geht in den Kommentaren weiter. Dort ist der Diskurs. Deshalb machen wir das ja alles, um den Diskurs zu bereichern. Dort gibt es natürlich auch Pöbler, aber wir erleben vor allem, dass die jungen Menschen uns sagen: Legt uns die Sachen hin, ordnet sie uns ein, zeigt uns eure Hintergründe, aber lasst uns unseren Freiraum, selbst ein Urteil zu bilden.
Das verstehe ich. Aber die Frage bleibt doch: Geben Sie nicht einem mutmaßlichen Terroristen sehr viel Raum, seine Motive nachvollziehbar auszubreiten?
Das ist der wohl erste rechtsextremistische Mord an einem Politiker in der Bundesrepublik. Wenn man das vergleicht mit früheren linksextremistischen Morden und sieht, welche starke Befassung es mit den Täterinnen und Tätern damals gab, dann finde ich überhaupt nicht, dass wir diesem mutmaßlichen Täter zu viel Platz einräumen. Das ist ein Baustein in einer umfangreichen Berichterstattung über das Thema. Ich finde es einen wichtigen Baustein.
Haben Sie sich auch gefragt, wie vor allem die Szenen, wenn er sich hinstellt und nachahmt, wie er die Pistole hält – auf Angehörige des Opfers wirken müssen? Sollte das ein Kriterium sein?
Wir haben darüber nachgedacht und stark damit gerungen. Ich glaube, am Ende ist die gesamte Situation, das gesamte Verfahren unendlich belastend.
In den ersten gut 20 Sekunden sind Ausschnitte aus dem Polizeivideo auch noch animiert und rasant zur Musik geschnitten , darunter auch die Szene, als er den Moment des Mordes nachstellt. Ist das angemessen?
Grundsätzlich ist das Video sehr ruhig. Wir haben fast keine Musik verwendet. Auf Youtube gilt aber die goldene Fünf-Sekunden-Regel, dass man schon am Anfang stark vermittelt, worum es geht und die Leute interessiert für das Thema. Ich möchte mit dem Video Öffentlichkeit herstellen. Und auf Youtube ist die Rezeptionsgewohnheit so, dass die ersten Sekunden viel mehr als im Fernsehen entscheiden, ob jemand dranbleibt.
Mir ist auch die Inszenierung des einen Satzes aufgefallen: „Ich möchte, dass der Terror zu ihnen kommt“. Das wird auch später nochmal als Schrift hervorgehoben. Macht man da nicht sehr plakativ aus einer Aussage des mutmaßlichen Täters eine Tafel, die man auf Social Media teilen könnte?
Das tun wir aber nicht! Ich finde, dieser Satz ist relevant, weil er zeigt, dass es um mehr ging als einen Racheakt an einem Politiker. Es gibt ein klassisches terroristisches Motiv: Die Gesellschaft soll getroffen werden. Deswegen finde ich diesen Satz wichtig.
Welche Reaktionen haben Sie bekommen?
In der Community sind die Leute überwiegend dankbar, dass wir das veröffentlicht haben. Viele fragen danach, ob wir das gesamte Material kommentarlos veröffentlichen. Das ist eine Generation, die es gewohnt ist, dass sie Primärquellen rezipiert. In diesem Fall halten wir Einordnung und Kontext allerdings für wichtig.
Ich finde hier wurde nicht bohrend genug nachgefragt. An zu vielen Stellen wurden die – sehr guten – Fragen einfach übergangen oder ausweichend beantwortet.
(Ich verkürze, um zu verdeutlichen):
„Für mich hat das Video die Radikalisierung im Gegenteil sehr banal und nachvollziehbar wirken lassen, aus der Mitte der Gesellschaft.“
– Nein, es entsteht nicht aus der Mitte der Gesellschaft.
Ja aber warum kann dann der Eindruck genau dessen entstehen, fehlt es hier nicht an Klarstellung?
„Was Sie „Einordnung“ nennen, ist aber oft auch nur die Wiedergabe seiner behaupteten Motive. Einmal sagt einer der Autoren, es schienen „vor allem die Schlüsselerlebnisse zu sein, die ihn rühren“. “
– Wir haben aus mehreren Stellen einige zitiert.
Kein Wort an dieser Stelle zur eigentlichen Frage, nämlich warum keine Einordnung erfolgt.
„Haben Sie sich auch gefragt, wie vor allem die Szenen, wenn er sich hinstellt und nachahmt, wie er die Pistole hält – auf Angehörige des Opfers wirken müssen? Sollte das ein Kriterium sein?“
– Ja, haben wir. Ist ja aber alles irgendwie belastend.
Das ist doch aber keine Erklärung dafür, warum man dann diese spezifische Szene auch zeigt.
„In den ersten gut 20 Sekunden sind Ausschnitte aus dem Polizeivideo auch noch animiert und rasant zur Musik geschnitten , darunter auch die Szene, als er den Moment des Mordes nachstellt. Ist das angemessen?“
– Naja, das machen ja schließlich alle auf Youtube so, und da haben wir gedacht: wenn es den Klickzahlen hilft …
Keineswegs machen das alle auf Youtube so, es hätte viele andere Möglichkeiten gegeben. Und auch die breite Öffentlichkeit, die erreicht werden soll, wirkt irgendwie nur vorgeschoben, wenn früher im Interview behauptet wird, die Zuschauerschaft bedarf kaum/keiner Einordnung, das können die schon selber (was ja aber voraussetzt, dass man schon genau weiß, wer die Zuschauerschaft ist.)
Ich kann die Interview-Situation nicht nachvollziehen, aber wirklich befriedigend sind die Antworten nicht. An manchen Stellen kann man dann auch sagen „Keine Antwort ist auch eine Antwort“, aber das hätte man im Interview klarer machen können.
@1: Ich vermute mal, dass es ein schriftliches Interview war und gezieltes Nachbohren eher nicht möglich war. Nur Vermutung.
Den Eindruck eines „Keine Antwort ist auch eine Antwort“ hatte ich auch. Passt aber zur „Primärquellen“-These.
@ Artikel:
„Wenn man das vergleicht mit früheren linksextremistischen Morden und sieht, welche starke Befassung es mit den Täterinnen und Tätern damals gab, dann finde ich überhaupt nicht, dass wir diesem mutmaßlichen Täter zu viel Platz einräumen.“
Puh … immer wieder die RAF rauskramen. Einerseits auf das „junge Publikum“ bei YT verweisen, andererseits die Situation mit 1977 vergleichen … Ich weiß nicht. Aber irgendwie hat er ja auch recht.
Der Mann ist ein Mörder. Seine Opfer und deren Hinterbliebene tun mir unendlich leid. Der Mann ist ein hasserfüllter Antisemit. Jeder anständige Mensch kann nur froh sein, dass er auch noch ein Versager ist, der sein eigentliches Ziel nicht erreicht hat.
Aber Herr Schiffermüller glaubt, es sei eine gute Idee, den Äußerungen dieses Menschen eine Plattform zu bieten? Ehrlich?
@Rolf Strohmann: Kann es sein, dass Sie den Mörder von Fulda mit dem Attentäter von Halle verwechseln?
@Anderer Max: Es war ein telefonisches Interview.
Bei allem Verständnis dafür, die Narrative von Verbrechern nicht einfach weitergeben zu wollen, und dafür, dass man bei solchen Dingen die eigene Inszenierung genauso sehr oder mehr hinterfragen sollte als die der Angeklagten(m/w/d), allmählich frage ich mich, ob „die“ Medien sich nicht mehr Verantwortung ans Bein binden als nötig.
Dass jemand radikalisiert wird, weil bestimmte Dinge passieren, ist schon die erste Sache, die _kein_ Automatismus ist.
Dass jemand radikalisiert wird, _nur_, weil er jemand anderen bei yt sieht, der radikalisiert wurde, halte ich für extrem unwahrscheinlich. Wären Menschen so leicht zu beeinflussen, sollte man Demokratie direkt durch einen Supercomputer ersetzen.
Oh ja, Entschuldigung.
Rest bleibt aber.
„Weil wir die Zuschauerinnen und Zuschauer nicht so stark argumentativ führen wie früher. Wir legen Befunde vor, die aus einer Recherche und einer gründlichen Befassung mit dem Thema kommen. Wir erleben, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer schlau genug sind, sich ein eigenes Bild zu machen und das auch einordnen können.“
Vielen Dank für diese Sätze, Herr Schiffermüller.
Diese sind eine schallende Ohrfeige für Generationen von Journalisten, und Medienschaffende, die ihre Zuschauer/Hörer/Leser für nicht intelligent genug hielten, sich selbst ein Urteil zu bilden und hoffentlich das endgültige Ende des Nanny-Journalismus.
Schön dass Übermedien hier ein relevantes Thema aufgreift. Schade aber, dass der Interviewer sich an der politischen Ausschlachtung der geleakten Verhöre beteiligt. Eine Einordnung muss juristisch erfolgen, nicht journalistisch. Schließlich wird das Gericht am Ende des Verfahrens zu einer juristischen Bewertung kommen. Und es wäre Aufgabe des Journalismus, die juristisch relevanten Fragen zu vermitteln. Man muss ja am Ende verstehen, eie es zum Urteil kommt. Das funktioniert nicht, wenn man sich wie Strg_F oder Übermedien auf die Ebene des juristischen Laien begibt.
Es geht hier um ein Strafverfahren, und da ist AUSSCHLIESSLICH die Täterperspektive relevant. Wenn es tatsächlich rechtens sein sollte, solche Beweismittel außerhalb des Gerichtssaals zu veröffentlichen, was ich stark bezweifle, dann macht es wenig Sinn, daran weiter herumzumanipulieren, weil einem die Aussage des Beschuldigten nicht passt.
Wenn man das Strafverfahren verstehen will, kommt man nicht darum herum, den Beschuldigten zu verstehen. Woraus nicht folgt, dass man ihm alles glaubt. Aber es ist ein falscher Eifer, wenn man durch journalistische Mittel anwendet, um dieses Verständnis zu verhindern.
Und was manipulative Techniken im Verlauf eines Verhörs angeht: die nutzen nicht nur Beschuldigte, sondern auch Ermittler.
Übermedien ist leider darauf fokussiert, dass man das Handeln des mutmaßlichen Täters nicht nachvollziehbar machen dürfe. Dann bitte Finger weg von Prozessberichterstattung.
Aus den Fragen von Übermedien lässt sich das Unverständnis darüber ablesen, dass Strafverfolgungsbehörden verpflichtet sind, auch Entlastendes zu ermitteln:
• Auf mich hat das, im Gegenteil, sehr anschlussfähig gewirkt. Da ist jemand, der sich – und das ist ja nachvollziehbar – diese Anschläge und die Opfer ansieht und davon extrem bewegt ist.
• Für mich hat das Video die Radikalisierung im Gegenteil sehr banal und nachvollziehbar wirken lassen, aus der Mitte der Gesellschaft.
• Geben Sie nicht einem mutmaßlichen Terroristen sehr viel Raum, seine Motive nachvollziehbar auszubreiten?
Dass der Beschuldigte seine Sicht darstellt, liegt in der Natur der Sache, und eine Gesellschaft, die auf die Öffentlichkeit von Strafprozessen Wert legt, muss das aushalten. Man hätte aber durchaus die Frage stellen können, ob Strg_F einen eigenen Bias hineingebracht hat. Dies geschieht aber nur bei der Frage nach der Texteinblendung („Ich möchte, dass der Terror zu ihnen kommt“). Das ist schon etwas mau.
Mich stört durchaus die Herangehensweise von Strg_F. Sie benutzen Schimpfwörter (Nazi, statt neutral: Rechtsextremist), reden unreflektiert von Terrorismus (ohne eine Abgrenzung vom politischen Mord vorzunehmen), beurteilen alles „aus dem Bauch heraus“ ohne jegliche juristische Einordnung. Das wirkt alles enorm wurstig. Abgesehen davon mischen sich in ein offenes Verfahren ein.
Zwei der Übermedien-Fragen wirken wie ein Bälle-Zuspiel:
• Wie sehr haben Sie intern gerungen, ob Sie das Video veröffentlichen wollen oder dürfen?
• Haben Sie das Video bewusst erst veröffentlicht, nachdem es im Prozess gezeigt wurde?
Wenn man so fragt, kann man sich die Antwort gleich selbst geben.
@8: Darin ist nur eine Ohrfeige zu erkennen, wenn man sie auch herauslesen möchte. Das Internet und der nahezu unbegrenzte Zugang zu Informationen hat diese Welt tiefgreifend verändert. Das an sich ist eine Binsenweisheit. Aber dass Journalisten heute anders arbeiten, ergibt sich fast zwangsläufig. Aus meiner Sicht kein Grund, an frühere Generationen Ohrfeigen verteilen zu müssen.
Stephan Fleischhauer schrieb:
„Eine Einordnung muss juristisch erfolgen, nicht journalistisch.“
Das ist doch aber eine falsche Dichotomie. Warum soll eine juristische Bewertung eine gesellschaftliche/medienöffentliche Auseinandersetzung ersetzen/obsolet machen?
„Und es wäre Aufgabe des Journalismus, die juristisch relevanten Fragen zu vermitteln. “ auch hier: Woher kommt diese Behauptung?
Darauf aufbauend macht dann natürlich der Rest ihres Beitrages genausowenig Sinn.
„wenn [man die Verhöre veröffentlicht], dann macht es wenig Sinn, daran weiter herumzumanipulieren, weil einem die Aussage des Beschuldigten nicht passt.“ Darum geht es doch garnicht, sondern dass man die Aussagen eines ideologisch motivierten (mutmaßlichen) Täters nicht ohne darüber nachzudenken, diese journalistisch zu bearbeiten, veröffentlichen sollte. Und wenn man diese journalistisch bearbeitet, wie und warum? Das war das Thema des Interviews.
„Wenn man das Strafverfahren verstehen will, kommt man nicht darum herum, den Beschuldigten zu verstehen. Woraus nicht folgt, dass man ihm alles glaubt. Aber es ist ein falscher Eifer, wenn man durch journalistische Mittel anwendet, um dieses Verständnis zu verhindern.“
Auch hier: das ist doch keine Dichotomie. Es gibt genügend Mittel, sinnvollen Kontext dazuzustellen oder Einordnung zu bieten, ohne die Quelle zu zensieren.
„Übermedien ist leider darauf fokussiert, dass man das Handeln des mutmaßlichen Täters nicht nachvollziehbar machen dürfe.“
Da habe ich einen anderen Eindruck. Das außergewöhnliche ist ja nicht, dass die Motivation des Täters besprochen wird (Paraphrase!), sondern dass hier der Täter direkt zu Wort kommt.
„Dann bitte Finger weg von Prozessberichterstattung.“
Ich kann nicht erkennen, dass hier irgendwer auch nur den Versuch einer Gerichtsprozessberichterstattung unternommen hat, weder „Übermedien“ noch „Strg_F“. Das ist vielleicht auch der Grund, warum keine Gerichtsszenen thematisiert werden. Ich glaube Sie sind hier auf dem Holzweg.
„Sie benutzen Schimpfwörter (Nazi, statt neutral: Rechtsextremist)“
Hier musste ich tatsächlich laut lachen. Vielleicht kommen Sie auch drauf, warum.
„reden unreflektiert von Terrorismus (ohne eine Abgrenzung vom politischen Mord vorzunehmen)“
Anders als Sie das hier darstellen wollen, ist Terror (und damit Terrorismus) sogar ein weiterer/breiterer Begriff als politischer Mord, der neben dem politischen Mord auch schon Mordrohungen und andere Einschüchterungsformen beinhaltet (u.a.). Der politische Mord ist also eigentlich der schwerere Vorwurf, klingt aber weniger emotional.
Dietmar Schiffermüller: „Für mich gilt: „Sagen, was ist“. “
Dann hätte er konsequenterweise hier sagen sollen, was ihn bewogen hat: Er war geil darauf, das Video zu veröffentlichen. Punkt. Seine Erklärungen dazu sind pures Gelaber.
„Wir haben das Video veröffentlicht, weil es erhellend ist. […] Die Gesellschaft muss über diese Tat diskutieren.“ – Das hätte ebenso Julian Reichelt sagen können. IMHO ein Tiefpunkt der öffentlich-rechtlichen Journalismus. Unter gestandenen Redaktionsleitern wie etwa Kuno Haberbusch wäre so etwas nicht einmal ansatzweise denkbar gewesen. Quo vadis, NDR?
@Gastbeitrag
Warum soll eine juristische Bewertung eine gesellschaftliche/medienöffentliche Auseinandersetzung ersetzen/obsolet machen?
Es handelt sich hier um einen einzelnen Fall und zudem um ein nicht für die Öffentlichkeit bestimmtes Beweismittel.
Mir ist schon klar, dass jetzt viele Journalisten danach gieren, eine bedenkliche gesellschaftliche Entwicklung, rechtsextreme Netzwerke, ein Mitverschulden der AfD usw. herbeizuschreiben. (Diese Absicht merkt man Strg_F durchaus an, abgesehen von der reinen Sensationsgier.) Für eine gesellschaftlich-politische Diskussion eignet sich so ein Einzelfall aber nicht. Dazu müsste man sich mit statistischen Häufungen beschäftigen. Ein Verhör bei den Ermittlungsbehörden ist erst recht ungeeignet für eine journalistische Aufarbeitung. Was bleibt, ist eben Prozessberichterstattung, und zwar gern von Leuten, die was davon verstehen. (Ich vermute, dass sich Thomas Fischer morgen dazu äußern wird.)
Wenn Übermedien entsprechende „Berichterstatter“ interviewt, gehört das im weiteren Sinne dazu, deshalb „Finger weg“.
Erinnert sich hier noch jemand an den Kachelmann-Prozess, in dem ständig Ermittlungsakten durchgestochen und – zwecks Auflagensteigerung – „Zeugen“ von Medien befragt wurden? Wollen wir da wieder hin?
Darf man erfahren, wie alt dieser Redaktionsleiter ist? Ich bekomme das nicht geschätzt, wegen dieser geradezu erschütternden Naivität in der Argumentation und der eklatant kurzsichtigen Einschätzung der öffentlichen Wirkungen und Nebenwirkungen einer solchen Veröffentlichung, dennoch gepaart mit der althergebrachten Reflexreaktion der unreflektierten Kritikzurückweisung.
(Das macht man ja so in Deutschland mit Kritik. Man weisst sie zurück, am besten per Pressemitteilung. Undenkbar das andere Leute als man selbst richtig liegen könnten.)
Jahrgang ’71. Und 2001 gab’s den Axel-Springer-Preis:
https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/panorama_die_reporter/wir_ueber_uns/Panorama-stellt-sich-vor,schiffermueller100.html
Da musste ich schmunzeln, da er hier schon mit Julian Reichelt verglichen wurde.
„… Es ist auch für die Reflexion über Taten wichtig. Die Gesellschaft muss über diese Tat diskutieren. …“, sagt der Redakteur/Journalist.
Offen gesagt verstehe ich diese Begründung für die journalistische Ausschlachtung nicht. Was gibt es bei einem schweren Verbrechen (außerhalb/oberhalb juridischer Merkmale, die Fachleute zu beurteilen haben) zu „reflektieren“? Warum *muss* die „Gesellschaft“ über die Tat „diskutieren“? Was genau wäre denn diskutabel?
Persönlich bin ich der Ansicht, dass diese (wie viele andere Veröffentlichungen) rein voyeuristische Impulse bedient und letztlich nur aus Clickbait-Gründen veröffentlicht wurde. Alles, was der Journalist hier heranzieht zur Begründung ist nicht nur fadenscheinig, sondern erkennbar vorgeschoben.
Es gibt ein großes und gutes Argument gegen die Veröffentlichung der Verhöre – und auch das einzig valide und für jeden nachvollziehbare Argument:
Die Zeugen in diesem Prozess sind noch nicht alle gehört. Und die Verteidigung vom Angeklagten wird natürlich fragen: „Haben Sie die Verhöre des Angeklagten auf Youtube gesehen?“ (Zeugen dürfen vor ihrer Aussage den Prozess normalerweise nicht sehen, da sie sonst in Gefahr sind, manipuliert zu werden).
Wenn die Zeugen diese Frage mit „ja“ beantworten, kann die Verteidigung die Glaubwürdigkeit der Zeugen in Frage stellen.
Und da im Zweifel für den Angeklagten geurteilt werden muss, hat die Verteidigung jetzt eine starke Waffe in der Hand.
Zeugen lügen nicht, sie können sich irren oder machen sich so viele Gedanken, dass ihre Aussage später nicht mehr zum Geschehen passt. Und jetzt erst recht nicht: „Ja, der Angeklagte hatte dies und das gesagt.“
Verteidiger: „Waren Sie dabei als er das gesagt haben soll oder haben sie nur davon gehört oder einen geschnittenen Ausschnitt bei Strg_F gesehen?“
[gelöscht]
@16 AJKI
Weshalb die Gesellschaft das diskutieren soll?
Ganz einfach: Wir müssen verstehen, weshalb einige Leute so werden wie Anis Amri oder Stephan Ernst – wobei Amri nicht hier aufgewachsen ist?
Was hat diese MEnschen dazu gebracht, andere Menschen zu töten?
Dazu gehört wohl, dass sie sich neben dem Einfluss von Mitmenschen auch über „Soziale Medien“ selbstradikalisiert haben. SIe haben sich ein Video angeschaut, der Algorithmus der Plattform hat ihnen dazu passend ein anderes Video angeboten und sie sind – neben äußeren Einflüssen – in einen Strudel geraten, der dazu beigetragen hat, so zu handeln, wie sie handelten (wobei Stephan Ernst noch unschuldig ist – juristisch).
Das ist etwas, was bei Strg_F öfters thematisiert wird: „Wie konnte es soweit kommen?“ Dann schickt Strg_F ein Team los, das vor Ort recherchiert, ggfs durch die Welt reis und dann einen Beitrag zu Ende schneidet und auf Youtube veröffentlicht.
Als Paradebeispiel sehe ich hier den Beitrag zu einem psychotischen Lichtesoteriker: https://www.youtube.com/watch?v=AStJAePPhUI
@Stephan Fleischhauer
Alles was #11 @Gastbeitrag sagt, unterstütze ich.
„Einzelfall“
Das wollte ich nur noch mal herausheben das Wort, kein weiterer Kommentar notwendig.
„Kachelmann“
Der Vergleich hinkt so sehr, der quietscht schon, weil er im defekten Rollstuhl sitzt.
@Nona
Wirklich? Der Jahrgang hat was mit analytischen Fähigkeiten zu tun? Im Zusammenhang mit dem Wort „Naivität“ spiegeln Sie damit eine große Jugendverächtlichkeit zu Tage. (bzw. offenbar auch gegenüber Erwachsenen, die einfach nur jünger sind als sie, denn 25-35jährige sind ja nun auch keine Jugendlichen mehr) Selber übrigens Jahrgang ’82, damit Sie im Bilde sind über meine intellektuellen Fähigkeiten.
@AJKI
Es war nun mal keine private Tat, sondern ein politisch motivierter Mord. Ansonsten siehe @Civichief
@Civichief
Wenn dem so sei, verstehe ich nicht, warum es dann nicht verboten ist.
@Rüdiger Berndt
Zuerst: Ist „linke Schwachmaten“ für Sie eine Tautologie („weißer Schimmel“)? Würden „rechte Schwachmaten“ sowas nicht abfeiern, oder gibt es solche gar nicht? Ach nee, das sind dann “ ‚rechte‘ Gruppen“. Na gut. „Alles nichts Neues“.
Und nun möchte Ihnen mal was Neues stecken: Weite Teile (metaphorisch reden wir dann mal von „tausenden Artikeln“) der „linken / grünen Medienwelt heulen auf“ ob der Veröffentlichung dieses Videos. Da Sie diese Seite lesen, gebe ich Ihnen das Beispiel von Frau El Ouassil in ihrer Spon-Kolumne, die die Veröffentlichung scharf verurteilt.
„Fast ist man geneigt, darauf zu hoffen, dass der Prozess wegen solcher Dinge platzt.“ Ja, wirklich? Wissen Sie was, glaube ich Ihnen. Aber schreiben Sie ruhig lieber „bin ich“ das nächste Mal. „Man“ würde es nämlich höchstens befürchten, so wie @Civichief.
@Civichief
„Wenn dem so sei, verstehe ich nicht, warum es dann nicht verboten ist.“
Das bezieht sich auf Kommentar 17. Ihre Argumentation ist ja plausibel, aber ich frage mich wirklich, warum es dann nicht verboten ist. Ich hoffe im Sinne der Sache, dass Sie sich irren.
@18:
Das öffentliche Interesse resultiert ja daraus, das er den Mord an Walter Lübcke erst gestanden hat, dann das Geständnis widerrufen hat und jetzt von einem „Unfall“ spricht.
Dass Vielen die Veröffentlichung nicht schmeckt, geht ja aus Interview und Kommentaren durchaus hervor.
Falls Sie ein ähnlich geartetes Beispiel mit Ihren genannten (rassistischen) Vorzeichen haben, nur raus damit. Das wäre m. E. eine echte Sensation!
Ex-BGH-Richter Thomas Fischer dazu:
„Die rechtfertigende Behauptung, es handle sich um ein „Dokument der Zeitgeschichte“, das „Auskunft gibt über den Zustand unserer Gesellschaft“, ist an den Haaren herbeigezogen. Mit derselben Begründung könnte man Videos vom Zähneputzen der Redakteure veröffentlichen.
Was lernen wir? Für das Verständnis, gar für die Aufklärung der Tat durch die Millionenschar der Sensationslüsternen ist das Video ohne Wert. Es bedient eine abstoßende Geilheit auf fremde Intimität und die Lust an der vorgeblichen Authentizität fremden Leidens, die heute als Billigstform von „Empathie“ durchgeht. Tausende von Kommentierungen im Internet zeigen, dass beides befriedigt wird und eine Vielzahl von Menschen sich freudig erregt in die öffentliche „Beweiswürdigung“ stürzt. Im Übrigen finden wir bestätigt, was von den Ethikschwüren und dem Sensibilitätsgeflöte des Newsmarkts zu halten ist: Manche schämen sich für gar nichts.“
https://www.spiegel.de/panorama/justiz/mordfall-walter-luebcke-angriff-auf-die-beste-verteidigung-kolumne-a-04ad9bdc-4479-4fb7-8ba6-bff8f3080c40
Was sagt denn eigentlich Anja Reschke dazu?
Die eine Frage die mir fehlte: Falls es denn ein Dokument der Zeitgeschichte ist, hätte es nicht ausgereicht, das ganze nach dem Prozess zu veröffentlichen?
In #19 und einem anderen Kommentar wird Bezug genommen auf meine Frage, warum die „Gesellschaft“ das schwere Verbrechen bzw. irgendwelche Beweisaufnahmen dazu „diskutieren“ „müsse“ (das „muss“ stammt vom Journalisten und dient ihm als Rechtfertigung für die Veröffentlichung). Geantwortet wird etwa so:
„Wir müssen verstehen, weshalb einige Leute so werden wie XXX oder XXX … Was hat diese MEnschen dazu gebracht, andere Menschen zu töten?“
Oder auch, dass die begangene Tat eine „politische“ Tathandlung (gewesen) sei.
In den Antworten drückt sich meines Erachtens nach eine Art „Hoffnung“ aus, man könne auf irgendeine Weise im Nachhinein durch die „Beobachtung“ eines Täters irgendwelche „strukturellen“ Problembereiche im allgemeinen „gesellschaftlichen Umfeld“ identifizieren und genau diese dann in der Zukunft „gesellschaftlich“ „bearbeiten“, um solche Taten künftig zu verhindern. In diese Richtung geht auch die Klassifikation der Tat als „politisch“ motiviert – eine „politische“ Motivation eines (späteren) Täters könnte (so hier die geäußerte Überzeugung) durch geeignete Maßnahmen in der „politischen“ Arena irgendwie bekämpft werden (keine Ahnung… vielleicht indem das Opfer den Tätern vom „Wording“ her irgendwie „entgegenkommt“ und somit ihren *strikt subjektiv-EMOTIONALEN* Befindlichkeiten den Wind aus den Segeln nimmt und somit kein Verbrechensziel mehr bildet, oder sowas…).
Ich möchte hier wirklich mal gerne wissen, wozu eigentlich die ganzen Heere von Pädagogen, Psychologen, Psychiatern, Juristen, Soziologen, Biologen und zigdutzende weitere Heerscharen von forschenden und aktiv im Feld tätigen Fachleuten hinsichtlich der vielen Möglichkeiten an soziopathischem Verhalten und Befinden von Einzelnen oder Gruppen oder Schichten oder einer Gesamtgesellschaft gut sind? Solche „Argumente“ (die ich persönlich noch nicht einmal als „naiv“ beurteile) würden dazu führen „müssen“, dass alles hunderttausendfach beschriebene, veröffentlichte, dokumentierte, rezipierte und replizierte Wissen über alle möglichen Dinge in dieser Welt (inklusive eben auch der „schlechten“ Dinge) völlig wertlos sind und sich jedes einzelne Mitglied einer (beliebigen) Gesellschaft beständig selbst mit ALLEM beschäftigen müsste, um auch nur in einer einzigen Detailfrage zu einem für diese Einzelperson gültigen Urteil zu kommen. Das ist wie angedeutet nicht nur einfach „naiv“ oder schlicht „falsch“/entspricht nicht dem, wie reale „Gesellschaft“ operiert – es ist noch nicht einmal MACHBAR! (Und schon gar nicht trägt das individuelle Beglotzen irgendeines Teilverhörs zu irgendeinem Erkenntnisgewinn einer Einzelperson bei – das könnte jeder Beliebige schon dadurch für sich selbst „testen“, indem er zusammen mit anderen – aber getrennt voneinander – irgendwelche Videos schaut und danach darüber mit diesen Anderen redet: die Rezeptionserlebnisse weichen IMMER und zum Teil DEUTLICH voneinander ab)
Ein (schweres) Verbrechen ist eine vollzogene Tat. Gesellschaften haben zu allen Zeiten und in allen Kulturkreisen zu solchen Taten Haltungen entwickelt (genau dazu sind gesellschaftliche Formationen da). Täterverständnis ist sehr wohl in solche Haltungen inkludiert (Opferverständnis meist deutlich weniger) – man speichert an geeigneten Funktionsstellen innerhalb von Teilgesellschaften gewonnene Erfahrungen aus einer Tathandlung ab (z.B. in der Kriminalistik oder im Personenschutz oder bei Sozialarbeitern…..).
Lieschen Müller (auch Dr. Lieschen Müller) gewinnt außer Triebbefriedigung durch youtube-Videos …. gar nichts.
@sakrileg: Ja, stimmt.
@#25: Das sind sehr gute und auch nachvollziehbare Punkte, zu denen ich aber auch noch eine Anmerkung hätte, nämlich dass hier doppelt eine „GateKeeper“-Funktion eingebaut ist, nämlich dass schon nur bestimmte Informationen weitergereicht werden, und dann auch nur an bestimmte Personen (die angesprochenen „ganzen Heere von Pädagogen, Psychologen, usw.“). Als advocatus diaboli würde ich jetzt einwenden, dass damit zum Beispiel Künstlern, die das Thema bearbeiten wollen (und damit ja auch berechtigte gesellschaftliche Funktionen übernehmen), ausschließlich Sekundärquellen zur Verfügung stehen. Eine Theaterregieseurin müsste dann z.B. den Habitus des (mutmaßlichen) Täters erfinden.
Dass „wir“ über politische Mord diskutieren müssen, ist ja schon ein großer Anspruch.
Erstmal, „ich“ muss gar nix.
Zweitens, politische Morde sind ja nichts neues.
Drittens, offenbar ist Ziel des politischen Mordes, eine bestimmte Politik zu erzwingen, indem Befürworter einer anderen Politik getötet bzw. eingeschüchtert werden.
Habe ich etwas Wesentliches vergessen?
Ok, wenn „wir“ also über politische Morde diskutieren sollen, wer ist denn auf der pro-Seite? Sonst ist so eine Debatte nämlich ofort vorbei.
Schiffermüller zum ersten:
„Entscheidend ist auch, wie man dieses Dokument einordnet. Wir zeigen diese Ausschnitte ja nicht einfach, sondern ordnen sie in den Kontext ein.“
Schiffermüller zum zweiten:
„Weil wir die Zuschauerinnen und Zuschauer nicht so stark argumentativ führen wie früher. Wir legen Befunde vor, die aus einer Recherche und einer gründlichen Befassung mit dem Thema kommen. Wir erleben, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer schlau genug sind, sich ein eigenes Bild zu machen und das auch einordnen können.“
Wie passt das zusammen?
@27
Wenn Sie wirklich allen Künstlern, die das Thema bearbeiten wollen, auf diese Weise einen Zugang zu Primärquellen freihalten wollen, müssten Sie ebenso – da bin ich Advocatus Diabioli – die erkennungsdienstlichen Fotos vom Tatort / Opfer öffentlich präsentieren.
Ansonsten könnten sich natürlich auch Theaterregisseurinnen um einen individuellen, nichtöffentlichen Zugang zu solchen Quellen bemühen, wenn es denn nicht zu viel verlangt ist.
(Aber erstaunlich, dass dieses Argument nicht auch Dietmar Schiffermüller eingefallen ist.)
@AJKI
Um zu präzisieren: Ich bin dafür, als Gesellschaft die allgemeine Gefahr rechter, politischer Morde und ihrer Wechselwirkung auf die Gesellschaft zu diskutieren. Dabei sind NSU, Halle und Lübcke prominente Fallbeispiele. Natürlich muss das niemand tun. Aber viele Journalisten und politisch interessierte Menschen haben ein berechtigtes Interesse über die Jurisdiktion hinaus.
Was ich (und mE auch jeder andere) in der Tat nicht brauche dazu und da bin ich wieder ganz bei Ihnen, ist, mir dazu das Video anzuschauen, was ich bisher aucht nicht tat und nicht tun werde. (schaute mir auch das Video von George Floyd nicht an, auch wenn der Vergleich sehr hinkt und das off-topic ist) Und da genügend plausible Gründe dagegen sprechen, dass es veröffentlicht wurde, wäre es wohl besser nicht passiert.
Eben bin ich auf Youtube auf ein Interview gestoßen „Gefangene aus der RAF im Gespräch“, aus den frühen 90ern, Roger Willemsen ist einer der Interviewer.
Übermedien sorgt sich nun, dass die Selbstdarstellung Ernsts „anschlussfähig“ sein könnte. Aber gibt es da nicht eine längere Tradition, solchen „problematischen“ Figuren eine Plattform zu bieten? Ich kannte das früher nur von Erzkonservativen, dass man solchen Leuten kein Mikrophon hinhalten dürfe.
Ich hatte schon gesagt, dass es sich in diesem Fall um einen Eingriff in die Rechte des Angeklagten handelt, wenn man, wie es Übermedien fordert, alles weglässt, was dessen Handeln nachvollziehbar erscheinen lässt.
Aber davon abgesehen: Wie wäre es zu bewerten, wenn man mit z.B. mit Rechtsterroristen (ob Ernst nun einer ist oder nicht) genauso umginge, wie man es im oben erwähnten Interview mit Linksterroristen macht?
Ich habe mir das Machwerk angetan.
Es ist der letzte Dreck! Mit Journalistik hat nichts zu tun.
Die sagen „Wir haben uns entschlossen das Video zu zeigen.“
Aber sie tun es nicht.
Die bringen ein paar Versatzstücke, die ihnen in den Kram passen. Garniert mit den üblichen Kommentaren.
Kann man machen, ist dann aber keine Journalistik.
Ebenso das „Argument“ vom Dokument der Zeitgeschichte.
Zum einen erklärt das nicht, warum es schon vor dem Ende des Prozesses veröffentlicht wurde.
Und zum anderen ist ein beschnittenes Dokument kein Dokument mehr.
Ein Dokument ist die vollständige Version, egal ob Verhörmitschnitt, Vertrag, Buch, Rede, Bild, Artikel oder sonstwas. Die bearbeitete Version ist kein Dokument, das ist AgitProp.
„… Es ist auch für die Reflexion über Taten wichtig. Die Gesellschaft muss über diese Tat diskutieren. …“,
So, so. Anhand der von den Fuzzis ausgewählten Verhörmitschnitte soll eine Diskussion stattfinden. Das ist nicht ernst gemeint, oder?
Mal abgesehen davon, dass „Diskussion“ beim NDR gleichbedeutend ist mit den öffentlichen Selbstgesprächen der Meinungsmacher. Kann man sich sparen.
Spannend bleibt die Frage, ob die Polizeibeamten, die das Video durchgestochen haben, für diese Straftat bestraft werden.
„Einzelfall“
Das wollte ich nur noch mal herausheben das Wort, kein weiterer Kommentar notwendig.
Mir geht gerade auf, dass meine Formulierung missverständlich gewesen sein könnte. Wobei ich es meines Erachtens klar genug formuliert habe. Aber trotzdem nochmal:
So ein Einzelfall eignet sich nicht für eine politische Diskussion. Im Zusammenhang mit anderen Taten könnte der Fall durchaus ein Thema sein, das will ich nicht abstreiten. Aber dieser Zusammenhang besteht hier ja nicht. Es geht – so wie es Strg_F präsentiert hat – ausschließlich um diesen einen Fall. Hier besteht ja sogar die Besonderheit, dass Ernst sich anscheinend von der rechtsextremen Szene getrennt hat. Es ist völlig abwegig, aus einem Einzelfall gesellschaftlich relevante Verallgemeinerungen abzuleiten. Leider versucht Strg_F leider versucht.
Das gleiche Problem haben wir doch auch bei Gewaltdelikten von Migranten.
Abgesehen davon eignet sich ein polizeiliches Verhör nicht für eine politische Diskussion. Hier kann man nur noch juristisch einordnen. Das Gericht soll schließlich auch kein „politisches Urteil“ fällen. Und solcherlei Erwartungen sollten auch nicht beim Zuschauer geweckt werden.
@FleischhauerJan
Welchen Unterschied zwischen einer wahrscheinlich illegalen Verbreitung eines Polizeiverhörs *während* eines Prozesses und einem journalistischem Interview Jahre nach einem Prozess muss man dir noch mal erklären?
@Stephan Fleischhauer
Den Quervergleich des Interviewens von RAF-Terroristen finde ich sehr konstruktiv und interessant. Da habe ich gerne drüber nachgedacht und bin noch dabei. Danke dafür. (@Schnellinger Wir Linken kritisieren ja in der Tat nicht die Störung des Prozesses, sondern eher die Bühne für den mutmaßlichen Täter.)
Dann aber:
„So ein Einzelfall eignet sich nicht für eine politische Diskussion. Im Zusammenhang mit anderen Taten könnte der Fall durchaus ein Thema sein, das will ich nicht abstreiten. Aber dieser Zusammenhang besteht hier ja nicht. “
„Einzelfall“ ist ja erst eine Bewertung Ihrerseits nach Diskussion und Analyse von Tat und Täter. „Aber dieser Zusammenhang besteht hier ja nicht.“ kann ja erst nach der Diskussion stehen. Und die Beschäftigung mit Tat und Täter ist nun einmal notwendig, wenn politische Amtsträger ermordet werden. (so wie bei der RAF ja auch geschehen) Und offenbar haben Sie selbst es ja auch als sinnvoll erachtet, sich damit zu beschäftigen, woher wüssten Sie sonst, dass der mutmaßtliche Täter sich von der rechten Szene entfremdet hätte. (Dann wiederum: Das Video braucht es dazu nicht, klar. )
Dass der Zusammenhang zu allgemeineren Phänonemen hier nicht besteht, sehe ich allerdings anders. Radikalisierung und Realitätsverlust durch die Filterblase ist ein reales und ernstes gesellschaftliches Problem mE. (Dass wir uns in dieser Bewertung indes uneins sind, ist offensichtlich, und das müssen wir wohl nicht ausdiskutieren.)
Kleine Präzisierung:
Natürlich kritisieren auch viele Linke die Störung des Prozesses, aber mir scheint, die Bühne für den mutmaßlichen Täter scheint mir das schlimmere Übel für die meisten zu sein. Vielleicht liege ich da auch falsch, dass die Bühne als Übel wahrgenommen wird, ist aber sicher so.
BTW Das RAF-Interview ist nur ein klitzekleines Element aus einer Unmenge von Versuchen, RAF-Täter auf persönlicher Ebene zu begegnen. Das ist teilweise Popkultur. Es gibt Bildbände, z.B. mit sehr menschelnden Privatfotos der ersten Generation in Paris usw. Habe ich auch kein Problem mit.
Radikalisierung und Realitätsverlust durch die Filterblase ist ein reales und ernstes gesellschaftliches Problem
Richtig, warum sollten wir uns da uneins sein?
Aber es ist sinnlos, darüber zu diskutieren, was man hätte machen müssen, um die Tat Stephan Ernsts zu verhindern. Wenn man zu einer ernsthaften Diskussion kommen will, was in unserer Gesellschaft falsch läuft und was man verbessern könnte, muss man von der Person Ernst wegkommen. Wenn man über Gesellschaft diskutieren möchte, muss man eben uber Gesellschaft diskutieren, was soll es bringen, eine Einzelperson auseinanderzunehmen?
(Im Strafverfahren ist das dagegen notwendig.)
Bei etwa 10:20 im Strg_F-Video wird gesagt: „[…] Auch weil es schon jetzt ein zeitgeschichtliches Dokument ist. Denn man kann an der Tat etwas über unsere Zeit und unsere Gesellschaft ablesen“, später „Er wird aufgepeitscht im Alltag“.
Man kann an der Tat etwas über unsere Zeit und unsere Gesellschaft ablesen? Soll das heißen, Unsere Zeit, unsere Gesellschaft, unserer Alltag führt zu genau dieser Tat? Die Tat steht für das, was in unserer Gesellschaft gerade passiert?
Das ist nicht nur unseriös, es lässt auch eine gewisse politische Agenda von Strg_F durchscheinen. So in der Art: Wir müssen gewisse Alltagsvorstellungen (oder wie Sie es vielleicht nennen würden: eine gewisse Filterbubble) bekämpfen, damit das nicht wieder passiert.
Ich hätte es gut gefunden, wenn Übermedien hier nachgefragt hätte, was Strg_F aus der Tat über unsere Gesellschaft abzulesen glaubt.
„Man kann an der Tat etwas über unsere Zeit und unsere Gesellschaft ablesen? Soll das heißen, Unsere Zeit, unsere Gesellschaft, unserer Alltag führt zu genau dieser Tat? Die Tat steht für das, was in unserer Gesellschaft gerade passiert?“
Sie scheinen die Fragen rhetorisch mit „Nein“ zu beantworten. Das sehe ich nicht so klar. Politische Taten wie diese geschehen ja in der Regel nur, wenn Täter einen breiten (wenn auch natürlich nicht mehrheitlichen) Rückhalt von Unterstützung in der Gesellschaft spüren.
Gilt das auch für das Niederschlagen eines AfD-Politikers in einer Unterführung?
Und welche gesellschaftlichen Entwicklungen waren der Auslöser? Könnten die Täter sich durch Lesen von Übermedien-Kommentaren radikalisiert haben?
Wer will das alles beantworten?
Sie liegen falsch, wenn Sie glauben, dass ich irgendwelche Fragen „rhetorisch beantworten“ möchte, was auch immer das ist. Ich kritisiere aber die leichtfertigen Antworten, denen Sie zugeneigt sind. Stephan Ernst ist keine Blaupause. Jeder Mensch reagiert anders auf Einflüsse. Offenbar schwer zu verstehen.
Das ist ja auch wieder das alte Problem der Filterblasen: Es ist ja kein „Rückhalt der Gesellschaft“, sondern der Rückhalt der Echokammer. Insofern finde ich das anliegen, eben diese Kammer zu bekämpfen (an sich) kein schlechtes Anliegen. Das Mittel dieses Videos halte ich jedoch für ungeeignet, da es wieder Vorurteile schürt (Manipulation, Verkürzung, Prozesseinmischung, Lüschenbrässä). So kriegt man die Leute wohl nicht zurück auf demokratischen Boden.
Keine Ahnung, warum meine Antwort nicht freigeschaltet wurde.
Ich schreib es mal so: Angenommen, Ernst hätte sich in linken Kreisen radikalisiert. Dann wäre er vielleicht nicht weniger gefährlich geworden.
Abgesehen davon muss man mit solchen Kausalbeziehungen vorsichtig sein, Menschen reagieren nun einmal nicht nach Schema F, sonst könnte man ja alles voraussagen.
Es gibt Leute, die meinen, der Islam ist sei gefährlich, begünstige Messerstechereien. Das ist die gleiche Denke.
Übrigens: Man kann nicht nur die Echtheit seiner Tränen Ernsts in Zweifel ziehen, sondern auch seine Angaben, wer oder was ihn radikalisiert hat. (Übermedien störte sich genau an dieser Aussage: Dass Anschläge wie in Nizza ihn zu Tränen gerührt habe.)
@Stephan Fleischhauer
„rhetorisch beantworten“
Sie wissen doch sicher, was eine „rhetorische Frage“ ist, nämlich eine, zu der man die Antwort mitgibt durch den Kontext. Und das schien(!) mir nunmal der Fall zu sein. (und so formulierte ich es auch)
„Stephan Ernst ist keine Blaupause. Jeder Mensch reagiert anders auf Einflüsse. Offenbar schwer zu verstehen.“
Den letzten Satz ignoriere ich jetzt mal. Jedenfalls geht es ja nicht darum, Blaupausen aufzumachen. Das ist doch ein Strohmannargument. Werden wir mal konkret, worum es mir geht:
Es ist zum Beispiel erwähnenswert in diesem Fall, dass die eine besagte Versammlung, wo Lübcke in etwa sagte „Wem das nicht passt, kann wegziehen“, Lübcke doch sehr stark angegangen wurde und der mutmatßliche Täter dort war und offenbar auch ausgesagt hat, dass das einen starken Eindruck auf ihn gemacht hat. (Von der Veranstaltung existieren ja auch Videoaufnahmen) Das ist für mich in zweierlei Hinsicht interessant, die in dieser Veranstaltung kulminieren: Von der Gesellschaft sind (Kommunal)Politiker zum Teil einem hohen Druck, aber auch Verachtung und Agressivität ausgesetzt. Das wir gerade die kommunalen Politiker damit nicht allein lassen sollte und es undankbar gegenüber ihnen ist, sollte selbstverständlich sein. Dass sich durch solches Verhalten offenbar mögliche Gewalttäter Motivation und gefühlten Rückhalt holen, ist desweiteren eine Hypothese, die man anhand des Beispiels aufstellen kann.
Und nein, natürlich heißt das offensichtlich nicht, dass jeder, der auf dieser Veranstaltung war, den Entschluss gefasst hat, Walter Lübcke zu töten. Aber vielleicht wünschten sich manche mittlerweile, Sie wären an dem Tag sachlicher geblieben. (Was nicht heißen soll, Sie hätten eine explizite Mitschuld am Tod.)
@42, S. Fleischhauer
„Ich schreib es mal so: Angenommen, Ernst hätte sich in linken Kreisen radikalisiert. Dann wäre er vielleicht nicht weniger gefährlich geworden.“
Vielleicht, vielleicht auch nicht.
Ich persönlich denke aber, dass er bei einer linken Filterblase wahrscheinlich weniger gefährlich geworden wäre.
Sicher, auch in linken Kreisen wird Gewalt nicht immer abgelehnt, manchmal auch gefordert, propagiert und bejubelt.
Aber ich möchte behaupten, dass das die extremen Kreise sind, die dann auch Wissen, auf der extremen Seite zu stehen.
In rechten Kreisen ist es aber gerade ja Alltag, dass da viele meinen, sie seien gar nicht Rechts, sie kämen aus der Mitte, sie hätten nur die Schnauze voll von der „Lügenpresse“ etc.
Und die gleichen Leute schreiben dann auf sozialen Plattformen, dass der oder diejenige an den Galgen gehört, es werden Vergewaltigungswünsche ausgesprochen, Gewaltandrohungen sind an der Tagesordnung, Gewaltanwendungen werden beklatscht.
Hinzu kommt, dass in diesen Kreisen selbst diejenigen, die sich zurückhalten, in den Communities sich auch mit Kritik an den Gewaltfantasien zurück halten.
Ich möchte behaupten, dass es in linken Blasen selbst bei Zustimmung zu Gewaltfantasien auch immer eine Mehrheit oder zumindest eine wahrnehmbare Anzahl von Stimmen gibt, die diese Gewaltfantasien verurteilen.
In so fern, wäre Ernst in linken Kreisen radikalisiert worden, dann gehe ich sehr fest davon aus, dass niemand durch seine Hand gestorben wäre (so er tatsächlich der Täter ist).
Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, was Sie jetzt eigentlich sagen wollen. Soll das ein Gegenstandpunkt sein, eine Einwand gegen einen meiner Kommentare? Wenn ja, dann sehe ich es nicht.
Sie schreiben:
Aber vielleicht wünschten sich manche mittlerweile, Sie [sie?] wären an dem Tag sachlicher geblieben. (Was nicht heißen soll, Sie [sie?] hätten eine explizite Mitschuld am Tod.)
Sie schreiben, was sich „manche“ „vielleicht“ wünschen – das ist schon sehr unklar und für unsere Diskussion auch nicht wirklich relevant. Was andere glauben, kann ja hier kein Argument sein.
Was mich stört, ist ihr etwas einseitiger Blick. Sie suchen die Ursache für den Mord bei denjenigen, die empört, verärgert, wütend, aggressiv oder wie auch immer auf Lübckes provokanten Satz reagiert haben.
Das ist aber nur die halbe Miete. Z.B. könnte ihn auch das Verhalten der Menschen auf der politisch gegenüberliegenden Seite angetrieben haben. Dass auch Linke eine Verantwortung tragen, scheint Ihnen nicht in den Sinn zu kommen. Wenn man nach Ernsts Aussagen geht, waren islamistische Gewalttaten ein entscheidender Antrieb. Interessanterweise machten ihn sogar die aus seiner Sicht unpolitischen Leute auf der Kirmes wütend. Angenommen, Lübcke hätte für seine Äußerung ausschließlich Zustimmung erhalten, hätte das Ernst nicht erst recht zum Mord bewegen können?
Wir wissen es einfach nicht.
Mein Kommentar richtete sich an Peter Sievert.
@Micha
Meines Erachtens kann man das nicht pauschal beurteilen, auf welcher Seite des politischen Spektrums mehr Hass und Gewaltphantasien im Umlauf sind. Ist aber auch nicht relevant, denn es kann ja nur darum gehen, wie das Umfeld von Stephan Ernst ausgesehen hat. Denn nur das, was er gelesen und gehört hat, kann einen Einfluss gehabt haben. Es bringt nichts, irgendwelche beliebigen Bubbles und Netzwerke ins Spiel zu bringen. Abgesehen gilt hier auch wieder, dass sich zwei Seiten gegenseitig hochschaukeln.
@Stephan Fleischhauer
„[sie?] “ Ja, korrekt, kleines „s“ natürlich, tut mir leid, vertippt. Wollte sicher nicht andeuten, Sie persönlich wären dagewesen ;-)
Naja, es geht mir nur darum, dass man diesen Mord zurecht besondere mediale Beachtung schenkt, während Sie ja explizit schrieben, man solle reine Prozessbeobachtung machen und fertig. Und ich finde halt nicht, dass dies einem Mord an einem Politiker gerecht wird.
Übrigens mißinterpretieren Sie meinen Analyseansatz: Es geht nicht darum zu verstehen, was genau diese eine Tat verhindern hätte können. Aber es kann ein guter Anlass und Ansatz sein, Dinge zu entdecken und zu diskutieren, die wir als Gesellschaft so nicht länger akzeptieren mögen und die solche Taten generell begünstigen.
Dass Sie mir ein von mir so bezeichnetes „Beispiel“, dass ich „interessant“ und „erwähnenswert“ bezeichne so auslegen und dann als „einseitig“ abkanzeln, als würde ich monokausal darin einen expliziten alleinigen Grund sehen für die Tat (zuerst die Filterblase, dann die Versammlung) obwohl ich das sicher nicht so geschrieben oder argumentiert habe, irritiert mich.
Es geht nicht darum zu verstehen, was genau diese eine Tat verhindern hätte können. Aber es kann ein guter Anlass und Ansatz sein, Dinge zu entdecken und zu diskutieren, die wir als Gesellschaft so nicht länger akzeptieren mögen und die solche Taten generell begünstigen.
„Dinge zu entdecken und zu diskutieren, die wir als Gesellschaft so nicht länger akzeptieren mögen“ – sehr gute Idee, und wenn man den Mord beiseite lässt, ist die Diskussion wesentlich leichter.
„solche Taten“ ist Plural. Wenn man tatsächlich statistische Muster ausmachen kann, hätte man immerhin eine gewisse Grundlage. Ist aber auch nicht gerade leicht, Kausalitäten zu belegen, siehe die gehäuften Messerattentate der letzten Jahre. Gibt es da Muster? Durch was wird sowas begünstigt? Sind das nicht die bösen Rechten, die da unbedingt drüber reden wollen?
Man sagt – mit vollem Recht! – dass diese Fälle eher ein Randphänomen sind und die Integrationsdebatte nicht dominieren sollten (so spektakulär sie auch erscheinen). Da gibt es weiß Gott wichtigere Probleme.
Warum die ungleichen Maßstäbe?
Ich finde diese Veröffentlichung furchtbar. Grundsätzlich kann ich die Motivation verstehen, Radikalisierung näher beleuchten zu wollen. Dazu hätte aber eine Veröffentlichung nach dem Urteil nicht nur ausgereicht, sondern hätte auch besser eingeordnet werden können durch das was im Gerichtsprozess eben weiterhin zu Tage gefördert wird und wie das Gericht die Dinge juristisch bewertet. Es vorher zu veröffentlichen kann meiner Meinung nach also nur dem Erhaschen von möglichst vielen Klicks dienen.
Auch es überhaupt zu veröffentlichen halte ich eher für fragwürdig. Vielleicht ist es in diesem Fall sogar angemessen und nachvollziehbar (wiegesagt nach dem Prozessende), aber es öffnet Tür und Tor für andere Medien das auch zu tun, wenn möglicherweise weniger triftige Gründe vorliegen.
Wie bereits richtig im Artikel erwähnt ist Saalöffentlichkeit bei weitem nicht die Öffentlichkeit und ewige Speicherung des Internets. Hier kann ich die Einschätzung seitens STRG_F bei weitem nicht nachvollziehen.
Es wird argumentiert, dass man bei Youtube ein Publikum hat, dass sich seine Meinung weitgehend selbst bildet und man dort eben anders arbeitet. Das halte ich auch vielen Ebenen für komplett falsch. Zum einen richtet sich funk (also das Netzwerk hinter STRG_F) explizit an Zuschauer von 14-30 Jahre. Gerade von Jugendlichen kann man also solch eine selbstständige Einordnung nicht unbedingt erwarten. Zusätzlich widerspricht man sich dann, dass man diesen Beitrag eben doch einordnen müsse und nur Ausschnitte zeige. Also was nun „schlaues“ Publikum oder nicht? Ich kann auch als regelmäßiger Zuschauer von STRG_F die Aussage „wir führen argumentativ weniger als klassische Sendungen (z.B. Dokumentationen)“ absolut nicht nachvollziehen. Ja sicherlich werden immer Fakten vorgelegt, gleichzeitig gibt es aber den Reporter der diese Thematik in sehr subjektiver weise bewertet, es gibt also keine Trennung zwischen Information und Kommentar. Ein Kritikpunkt den ich schon lange an fast allen journalistischen funk-Inhalten beobachte.
Der Hinweis zum Thema „rechtspopulistisch und nicht bürgerlich“, deutet zumindest darauf hin, dass die Redaktion hier aus sehr subjektiven Gründen, nämlich der Ablehnung von rechten/konservativen Ansichten, handelt um diese zu illegitimieren. Das ist aber gar keine sinnvolle Argumentation, weil sich jemand daraus radikalisieren kann ist es schlecht? Das beträfe dann z.B. auch Fußball, Biermarken oder vermutlich jede politische Richtung.
Der letzte Absatz ist natürlich etwas spekulativ, es gibt aber wie oben dargelegt genug stichhaltige Belege dafür, dass dieser Veröffentlichung keine legitimen journalistischen Gründe zu Grunde liegen.
Die ganze Sache hat ja erkennbar zwei sehr wichtige Aspekte:
1. Soll ich derartige Dokumente veröffentlichen, auch wenn die Gefahr besteht, dass sich dadurch vielleicht für Radikalisierung empfängliche, da schwache, Menschen radikalisieren. Ich würde mit „Ja“ antworten. Sonst veröffentlichen wir demnächst nämlich gar nichts mehr. Ich als Naturliebhaber könnte z.B. auch beim Anblick von Folgen fortwährender Umweltzerstörung durch den Anblick von Videos in den Süden abhebender Flugzeuge getriffert werden, im Flughafen mal ein paar Flugreisende abzustechen. Tu ich nicht, werd ich nicht tun, aber es soll zeigen: Alles kann irgendwen triggern. Nichts mehr zu zeigen kann kein Weg des Journalismus sein.
2. Soll ich derartige Dokumente ZU DIESEM ZEITPUNKT veröffentlich. Hier schreie ich laut „Nein“. Man hat der Verteidigung dieses Arschlochs nun eine Verteidigungsstrategie quasi auf dem Silbertablett serviert und selbst ich fürchte, dass ein fairer Prozess nun schwierig(er) wird. Man stelle sich vor, es gelänge der Verteidigung, auf dieser Schiene einen Erfolg zu feiern. Das wäre so bitter, zum einem, weil ein Arschloch profitieren würde, zum anderen, weil er von etwas profitieren würde, das ich zähneknirschend für noch wichtiger als eine „gerechte“ Strafe ansehe, nämlich dem Recht auf einen fairen Prozess.
Das Interview ist ein Gefälligkeitsinterview, die Fragen geben die Antworten fast schon vor, das alles wirkt in etwa so investigativ, wie irgendein Eskapismus-Stück aus der „LandLust“.
Medienethische Betrachtung (selbstverständlich bei bildblog gefunden):
https://www.sueddeutsche.de/medien/verhoervideo-stephan-ernst-strg-f-interview-1.4992355
@Blogbetreiber:
Ich meine, übermedien könnte noch davon profitieren, Links zum Thema, die erst nach Veröffentlichung des jew. Artikels entstehen noch im Nachhinein irgendwie als Ergänzung hinzuzufügen.
Mir persönlich würde auch eine Linkliste der im Text eingebetteten Links unter dem Artikel gefallen, mit kurzer Beschreibung. Macht die Ressourcensuche einfacher.