Bahnhofskiosk

KANN denn „ELLE“ noch HOFFNUNG sein?

Um es gleich zu sagen: Seit vielen Jahren meide ich Frauenmagazine, wo ich nur kann, weil sie das Gegenteil von beglückend sind. Ich möchte wetten, dass keine einzige Frau jemals ein Modemagazin gelesen hat, nehmen wir mal ausdrücklich deutsche, und danach dachte: Das Leben ist schön! Geschweige denn: Ich bin schön. Oder überhaupt irgendetwas ist schön.

Modemagazine sprechen den Selbsthass in ihren Leserinnnen an. Und je nachdrücklicher sie dies tun, desto gelungener haben sie ihren Zweck erfüllt. Nur lodernder Selbsthass kann eine Frau dazu verführen, 200 Euro für eine Augencreme auszugeben. Oder für eine gegen Falten am Hals. Und eine andere, nur fürs Dekolleté. Seltsamerweise sogar junge Frauen. Vielleicht sogar vor allem junge Frauen.

Was war ich immer deprimiert mit Anfang 20 nach Lektüre der „Miss Vogue“, meiner absoluten Lieblingszeitschrift. Jeden Monat fieberte ich auf ihr Erscheinen hin, trug sie mit zitternden Händen nach Hause, las sie von hinten bis vorne wie im Rausch. Ich fand alles darin bemerkenswert und kostbar. Und so wie die Frauen in „Miss Vogue“, so wollte ich sein. Wobei klar war, dass ich das niemals erreichen würde. Denn ich war ja nun mal kein 1 Meter 79 großes spanisches Model, das morgens am Frühstückstisch im XXL-Männerhemd ihres Freundes in eine bauchige Teetasse pustend Kant las, oder was auch immer nochmal die Fantasie-Frauenvorstellung der „Miss Vogue“-Redaktion war, und ich konnte mir natürlich auch die gezeigte Mode nicht leisten.

Aber im Wissen um die eigene Unzulänglichkeit, die ich mir freiwillig von „Miss Vogue“ Monat für Monat vor Augen führen ließ, lag eben genau der Erfolg dieses Produktes. Oder wie Diana Vreeland, die legendäre Chefredakteurin von „Harper’s Bazaar“ und der amerikanischen „Vogue“, einst sagte: „Was sich verkauft, ist Hoffnung.“

In der deutschen „ELLE“ gibt es keine Hoffnung. Stattdessen eine Mischung aus Stress und Verzweiflung. Die August-Ausgabe wirkt von vorne bis hinten wie die To-Do-List einer Frau, die krampfhaft professionell rüberkommen will. Man will mit einem „neuen, angepassten Dresscode“ den „neuen Boss im obersten Stockwerk“ überzeugen, mit einer guten Haltung „den einen oder anderen in den Bann ziehen…“ und sich ständig auf eine deprimierend neoliberale Art selbst optimieren.

„(…) neben einem gesteigerten Selbstwert und höherer Produktivität geht es auch um das Kreieren einer guten Work-Life-Balance“.

Hier funkelt nichts.

Da fährt eine Redakteurin auf ein Zuckerfrei-Retreat auf Mallorca, um von Zucker loszukommen (anstatt Zucker einfach wegzulassen, was übrigens in der dreiseitigen Geschichte als Tipp gar nicht vorkommt), nascht sich aber zuvor noch mit einer „halben Tonne Gummibärchen ins Nirvana“.

Da muss jeder Cocktail aus „smarten Zutaten“ bestehen. Man isst und trinkt entweder aus Sucht (Zucker), oder um sich zu optimieren („Die Mangostanfrucht gilt als stärkster Radikalfänger“).

Mit „Wellness-Quickies“ soll man „schnell und effektiv“ entspannen.

Das ist alles so unsexy wie die Anzeigen im Heft, die vorne, wo in besseren Zeiten teure Modehäuser inserierten, für Billig-Wollpulli-Marken und Computer werben – auf Seite 23 stehen sogar Johannes B. Kerner und Wolfgang Joop für eine neue Sendung auf einem neuen Sender vor einem Haus mit Sonnenanlage auf dem Dach und man glaubt sich in „Stern“ oder „TV Spielfilm“.

Sieben Euro für Butterbrotpapier

Das ganze Heft zieht einen runter, weil auf jeder Doppelseite klar zutage tritt, dass die Zukunft früher besser war. In mir erwachte beinahe so etwas wie Rührung. Die sieben Euro, die sie kostet – und das, obwohl sie inzwischen auf der Sorte Papier gedruckt wird, in das man Butterbrote einpackt – kamen mir immer mehr wie eine gute Tat vor.

Da gibt es zum Beispiel seitenweise Horoskope im Heft. Eines für die zweite Jahreshälfte, ein anderes speziell für August. Ein Autor oder eine Autorin ist nicht genannt, es ist nicht davon auszugehen, dass es jemand ist, der beruflich mit Astrologie zu tun hat. Aber unweigerlich stellt man sich sofort die Redaktion vor, wie sie unter ihrem jeweiligen Sternzeichen wenigstens nach Spuren von Hoffnung sucht. (Für alle Sternzeichen gilt: die erste Jahreshälfte war bitter, jetzt könnte es eventuell, muss man sehen, aufwärts gehen.)

Große WÖRTER ohne SINN

Giorgio Armani gibt ein legendär langweiliges Mail-Interview.

Das Model Natalia Vodianova darf mal wieder von ihrer eigenen Charity erzählen (eingekauftes Interview, aus dem Spanischen übersetzt).

Texte fangen gerne so an: „Kleider können sprechen.“ Oder: „Mode kann auch lachen.“

Hässliche Office-Anglizismen werden großgeschrieben. Aber nicht nur DIE, sondern immer wieder STEHT irgendwo ein WORT groß, ohne DASS es einen Sinn ergibt, einfach ein optisches Element, in das die Art Direktion total verliebt SCHEINT.

Typischer Satz: „Im Homeoffice ist schließlich jeder Tag ein Casual Friday.“

Das einzige, was gut funktioniert, sind die Seiten, auf denen Fotos von den Laufstegen gezeigt werden, wobei auch hier die grafischen Ideen verwirren.

Den Tiefpunkt allerdings bildet eine mit Rosen bebilderte Geschichte mit dem Titel „In Female Wonderland“. Es geht um „eine bis dato unentdeckte Marktlücke: die Verjüngung, Pflege und Optimierung der Vulva.“ Fazit: „Der Sexual-Wellness-Trend führt zu einem stärkeren Körper-(Selbst-)Bewusstsein“.

Spätestens da war es mit meinem ganzen schönen Mitleid mit der deutschen ELLE dann auch wieder vorbei.

9 Kommentare

  1. Schade, dass der Artikel nicht weiter auf das Framing des Titelthemas eingeht. „was uns jetzt unwiderstehlich macht“ hat für mich einen seltsamen Beigeschmack. Einerseits soll Männer Frauen nicht zum Sexobjekt degradieren und ihre sexuelle Lust im Griff haben, andererseits suggeriert Elle hier, Frauen sollen dies unterwandern. Seid bitte unwiderstehlich, so dass kein Mann (oder keine Frau) an sich halten kann. Ist das nicht kontraproduktiv? Objektifizieren sich Frauen damit nicht selbst? Ist das nicht subtil diskriminierend? Oder sehe ich das jetzt zu eng?

  2. @Gepard

    Ganz allgemein ist es natürlich ein Unterschied, ob sich jemand (ob Frau, Mann oder divers) selbst „unwiderstehlich“ macht und somit, wie Sie richtig erkennen, zum Objekt von Lust – oder ob das jemand anderes tut.

    Nichtsdestotrotz habe ich beim Lesen derartiger Formulierung die gleichen Gedanken und Gefühle wie sie. Mir missfällt so etwas auch.

  3. Ja, du siehst das zu eng. Das, was du ansprichst, sind letztlich politische Erwägungen (die man schlüssig oder auch weniger schlüssig finden kann).

    Diese ändern aber nichts daran, dass sehr viele Frauen natürlich für Männer sexuell möglichst attraktiv sein möchten (als Superlativ „unwiderstehlich“). Dieser Wunsch wird durch das Titelthema adressiert.

  4. Naja, wenn sich ein Mensch für jemanden unwiderstehlich machen will, dann ist das meistens eine ganz bestimmte Person oder meinetwegen ein bestimmter Typ von Mensch.
    Eigentlich muss man immer unterschiedlich sein, je nach Zielgruppe. Es macht überhaupt keinen Sinn „unwiderstehlich“ im Allgemeinen zu sein.

  5. GRUNDGÜTIGER!

    (Ich muss mir das doch mal aufs Kleid drucken und auf die Kurzwahl legen)

  6. Hm. Ich habe früher auch ab und an die Vogue gelesen und eher wie so eine Art Architekturmagazin empfunden. Da deprimiert mich ja auch nicht, dass ich kein Bauhausschloss mein Eigen nennen kann. ELLE scheint aber eindeutig weniger auf die reine Ästhetik von Mode zu geben…

  7. „Ein Autor oder eine Autorin [der Horoskope] ist nicht genannt, es ist nicht davon auszugehen, dass es jemand ist, der beruflich mit Astrologie zu tun hat.“

    Tsk! Hätten die mal besser nen Profi gefragt, dann wären die Horoskope nämlich richtig fundiert gewesen!!1!

  8. Also der Schluss erinnert mich jetzt an die ständigen Freundschaftsanfragen von Frauen, die auf ihrer Seite die Form ihrer Vagina anpreisen und das obwohl ich höchst selten Pornoseiten besuche und häufig verfolgende Cookies lösche. Aber das Magazin ist ja auch für Frauen. Wahrscheinlich für Frauen die sehr viel Wert auf die Meinung ihrer Umwelt über sie haben, oder um sich den einen oder anderen zu angeln. Hier kommen wir zum Kern des Problems, das traditionelle Rollenmodell hat auch bei emanzipierten Frauen offenbar auf dem Gebiert der Pertnerwerbung noch nicht ausgedient! Sie spielt immer noch die verführerisch duftende Blume, die darauf wartet bestäubt zu werden anstatt selbst die Initiative zu ergreifen. Ich schätze wir werden auf Mens Lib warten müssen bis dass mal in Frage gestellt wird. Glücklicherweise gibt es immer ein paar Ausnahmen, aber die lesen solche komischen Magazine wahrscheinlich nicht.

Einen Kommentar schreiben

Mit dem Absenden stimmen Sie zu, dass Ihre Angaben gemäß unseren Datenschutzhinweisen gespeichert werden. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.