Bahnhofskiosk

Mit Opa ins Museum

Es gibt Leute, die „Merian“-Hefte sammeln. Ob sie auch die neue Ausgabe aufheben werden? Sie handelt von Deutschland. Genauer: von Deutschland als Hochburg von Kultur, als Heimat großer Kunst, Architektur, von Kirchen, Klöstern und Design. Und wer sich jetzt schon ein bisschen davor gruselt, wie dieser Artikel weitergeht, der doch hoffentlich nicht all diese hochwertigen kulturellen Schätze aufzählen wird, dem geht es wie mir mit dieser Ausgabe von Merian.

Ich will versuchen, wahnsinnig diplomatisch zu sein, denn „Merian“, das vor mehr als 70 Jahren gegründete Reise- und Kulturmagazin, kommt mir vor wie ein Großvater. Man liebt und respektiert ihn, aber er gehört einfach einer anderen Zeit an, deren kulturelle Errungenschaften man natürlich keineswegs schmälern möchte – was wäre man ohne sie? –, aber man würde sich manchmal doch wünschen, dass er sich auch dafür interessieren würde, wie die Welt weitergegangen ist und weitergeht. Und nicht alles von Vornherein für unzivilisiert hält, was modern ist oder anders, als er es seinerzeit kennengelernt hat.

Moment, ich wollte diplomatisch sein.

Vielleicht so: Die aktuelle „Merian“-Ausgabe macht selbst mittelalten Menschen das Geschenk, sich bei der Lektüre endlich mal wieder so richtig jung zu fühlen. Nein, wirklich, ich (48) kam mir beim Lesen wie ein Teenager vor, so häufig habe ich seither nämlich nicht mehr das Wort laaaaaangweilig gedacht, mit ganz langgezogenem a. „Merian“ hat mich daran erinnert: Langeweile ist der Feind der Jugend. Hier hatte ich ihn endlich wieder vor mir, und er mich. Und weil ich erwachsen bin, habe ich diesmal den Kampf gewonnen und die gesamte Ausgabe („Deutschland neu entdecken“) durchgelesen, von vorne bis hinten, inklusive einer Auflistung der 60 wichtigsten Museen.

Dabei ging es gut los. Mit dem Editorial nämlich, der mir vielleicht verhasstesten Rubrik in jedem Magazin, weil sie einen gleich zu Beginn so vermeintlich persönlich abholt wie Gastgeber, die einen bei der Ankunft bitten, die Schuhe auszuziehen und einem ein Paar nach Naturfaser stinkende One-Size-Fits-All-Wollsocken in die Hand drücken, in denen man sich den ganzen Abend lang nicht zuhause fühlen wird.

(Noch mehr hasse ich nur die unnützen persönlichen Zusatzinformationen, die Autoren oft zu ihren Texten liefern müssen, übrigens hier und da auch in „Merian“, wo dann so etwas steht wie, Symbolbeispiel: „Die Autorin konnte nie etwas mit Goethe anfangen, erinnert sich aber dunkel, auf der Abifeier in den Unterarm eines Mitschülers ein Schillergedicht tätowiert zu haben.“ Oder: „Der Autor kennt das Geschilderte nur zu gut. Auch er hat eine Dreijährige zuhause, die den ganzen Tag ,Pumuckl‘ hört.“)

Wirkt nicht, als röche der Verfasser aufdringlich nach Rasierwasser

Das Editorial von Chefredakteur Hansjörg Falz ist aber nicht unangenehm. Es lädt einen freundlich zur Lektüre ein und kommt, anders als die meisten Editorials sonst ohne Editorial-Gefloskel aus, da steht weder, dass man „gerade jetzt“ irgendwas tun soll, noch wirkt es, als röche der Verfasser aufdringlich nach Rasierwasser.

Streichen könnte man es, wie jedes Editorial, natürlich trotzdem. Ein einfaches übersichtliches Inhaltsverzeichnis würde völlig ausreichen. Immer.

Inhaltlich wird dieses „Merian“-Deutschland-Kultur-Heft von gut abgehangener Kunst dominiert. Vieles ist höfisch, heilig oder wenigstens imposant. Es ist ein Kulturbegriff, der antiquiert wirkt.

Sehr gut gefällt mir eine Sammelgeschichte über drei Künstlerinnen, Katharina Grosse, Alicja Kwade und Jorinde Voigt. Es ist die wohl „jüngste“ Geschichte im Heft, was den Kunstbegriff angeht oder das Vergnügen an Gegenwärtigkeit, und sie ist sehr gut geschrieben (Autorin: Sandra Danicke). Ohne es überproblematisieren zu wollen, sei dennoch die Frage erlaubt, ob es so geschickt ist, sich drei Künstlerinnen auszusuchen, die wie zufällig alle von derselben Berliner Galerie vertreten werden.

Ich mag auch den Text über einen Kunstrundgang in München (Autorin: Tinka Dippel), der bei aller Kürze sofort Lust macht, auf der Stelle nach München zu fahren und direkt vom Bahnhof ins Lenbachhaus zu gehen.

Liest sich wie eine Anzeige, nur halt mit Kunst statt Alkohol

Lange starrte ich auf eine ganzseitige Anzeige für einen schottischen Whisky, passenderweise die Lieblingswhiskymarke meiner Großmutter, und hielt den dazugehörigen Text für einen „Merian“-Artikel. Ich zitiere den Vorspann:

„Das raue Klima und die weitläufigen Torfmoore machen die Insel Islay zu einem ganz besonderen Ort für Liebhaber schottischer Whiskys. Die Einflüsse der einzigartigen Natur und die über 200 Jahre alte Handwerkskunst prägen einen außergewöhnlichen Single Malt mit einem unvergesslich torfigen Geschmack.“

Ziemlich genau so lesen sich, mit Verlaub, die sechzig Einträge zu den Museen, die man besuchen soll und auch sonst viele Texte im Heft. Nur halt mit Kunst statt Alkohol:

„Herrlich eingebettet in den Kasseler Bergpark liegt dieser ab 1786 unter Landgraf Wilhelm IX. errichtete Bau. Gleich drei Sammlungen sind hinter seiner klassizistischen Fassade zu Hause, das Zentrum des Ensembles aber ist die Gemäldegalerie Alte Meister.“

Oder:

„Das 1909 eröffnete Ausstellungshaus, gleichzeitig Sitz des Schleswig-Holsteinischen Kunstvereins und ein Institut der Christian-Albrecht-Universität, ist das größte Museum der Landeshauptstadt mit Skulpturen, Grafiken und mehr als 1200 Gemälden.“

Oder:

„Seit der Gründung 1897 bereichern regelmäßig Werke bedeutender Künstler ihrer Zeit die Sammlung, die bildende und angewandte Kunst umfasst.“

Sind Sie noch da?

Ich höre das übrigens innerlich alles mit derselben tiefen Männerstimme gelesen, die früher, viel, viel früher, als in der Fernsehwerbung noch synchronisierte Erwachsene Weinbrand trinken durften, folgenden Satz sprach:

„Der weiche Chantré. Man genießt den feinen Unterschied.“

Für das allerlaaaaaaangweiligste im ganzen Heft aber kann die Redaktion nichts. Immerhin, für mich ein Superlativ: Ich habe noch nie so ein langweiliges Interview gelesen wie jenes, das hier die Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresdens gibt, Marion Ackermann. Sie klingt wie eine Mischung aus Joachim Gauck und einer Kirchenglocke. Und das muss man ja auch erstmal hinkriegen.

4 Kommentare

  1. wieder eine schöne Kolumne von Johanna Adorján!

    Aber eine Bitte, liebe Redaktion: Gewöhnt Euch diese Unsitte, die Pointen des Textes schon vorher in den Zwischenüberschriften zu verraten, bitte gleich wieder ab. Das strukturiert nichts, es schmälert aber das Lesevergnügen.

  2. Ach, was sind wir alle jung und hipp. Wozu über Museen und Kunstschätze informieren – noch dazu in laaaangweiligen Texten? Warum nicht bloß 30-Zeiler, die einem sagen, wo man den besten Burger bekommt und in welchen Hotels kostenloses W-Lan verfügbar ist?

    Ich (vier Jahre jünger als die Autorin) schätze den Merian wegen seiner Reportagen und seiner Fotostrecken, seit ich vor 25 Jahren per Interrail durch Europa gereist bin. Bis heute besorge ich mir das passende Heft, bevor ich eine neue Stadt besuche.

    Ja, der Stil ist etwas altbacken. Aber das ist wie mit Arte-Dokus im Vergleich zu ihren Pendants bei N24 (oder wie das gerade heißt): Keine dramatische Musik, keine Showeffekte und keine hektischen Schnitte. Man braucht eine Aufmerksamkeitsspanne über 30 Sekunden, um zu folgen – aber danach fühlt man sich nicht verblödet, sondern informiert und im besten Fall sogar ein bisschen gebildet. Wenn es opahaft ist, das zu mögen, meinetwegen.

    Einschränkender Nachtrag: Merian veröffentlicht außer der Reihe auch Hefte – gerne über deutsche Mittelstädte – die sich lesen wie vom Stadtmarketing bezahlt (und es vermutlich auch sind). Bei denen trifft jeder im Text genannte Kritikpunkt zu.

  3. @3/Kritischer Kritiker:
    Nein, nicht „außer der Reihe“: Die meisten Merian-Hefte entstehen zusammen mit dem jeweiligen Stadtmarketing/Tourismusverband und werden von denen auch bezahlt (mitunter bis hin zu den Reisekosten für die Journalisten). Entsprechend liest sich das dann auch.

    Merian ist längst Reise-PR in redaktioneller Verkleidung.

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