Fußnoten (3)

Vom guten Gefühl, für diesen Artikel zu zahlen

Es gibt auch gute Nachrichten: Die Thai Oase ist gerettet! Die beste Karaoke-Bar der Welt1)Große Freiheit 38, Hamburg St. Pauli hatte Probleme wegen der Corona-Schließungen, aber die Startnext-Crowdfundig-Aktion, die noch zwei Wochen läuft, hat schon seit Tagen das erweiterte Ziel von 50.000 Euro erreicht. Ich habe mitgespendet, aber ich bekomme dafür auch T-Shirts und Hoodies, man könnte also zynisch behaupten, ich hätte einfach geshoppt.

Der Autor, früher, vor der besten Karaoke-Bar der Welt Foto: Privat

Die Thai Oase ist tatsächlich ein wichtiger Ort für mich, ich hätte in jedem Fall dafür bezahlt, dass es sie weiterhin gibt, aber die T-Shirts haben es mir einfacher gemacht. Man kann sie anfassen, aber vor allem erzählen sie die Geschichte, dass ich dabei war bei der geradezu heldenhaften Corona-Rettungsaktion.

Zu den großen Mysterien des Mediengeschäfts zählt die Frage, wann eigentlich Menschen für etwas zu bezahlen bereit sind, das sie nicht anfassen können. Es gibt ja keine echte Vergleichbarkeit: Allein die Preisspanne von Magazinen im Zeitschriftenregal ist bizarr2)Eine Ausgabe von „Monocle“ kostet 12 Euro?, Menschen geben im Zweifel erstaunlich viel Geld für Datenvolumen aus, um kostenlose Nachrichten im Netz zu lesen und haben neben einem Netflix-Abonnement auch noch Amazon Prime, obwohl niemand auf der Welt genau erklären kann, was das eigentlich ist. Irgendwas mit Filmen und Versandkosten, die Versandkosten aber nicht bei allen Händlern, und überhaupt ist bei Amazon jede Bestellung über 25 Euro sowieso versandkostenfrei, und die meisten Filme doppeln sich mit denen auf Netflix, aber dafür bezahle ich für Amazon Prime im Monat auch nur … also, ich glaube, im Jahr … ich weiß es nicht genau.

Immerhin acht Menschen haben bisher übrigens bei der Startnext-Kampagne zur Rettung der Thai-Oase für 500 Euro pro Stück eins von zehn Armbändern erworben, mit dem ihr Liedwunsch „ohne Wenn und Aber“ als nächster drankommt, wenn sie es vorzeigen.3)Schnell hin, zwei solcher Armbänder sind noch zu haben, und mich juckt es gewaltig! Für so viel Geld könnte man auch zwei Jahre lang den „Spiegel“ kaufen,4)Oder ungefähr ein Mal in Zürich falsch parken. aber wenn man es jetzt abwägt, dann gewinnt irgendwie immer das Armband. Es ist so real.

Und das ist der Kern des Problems: Es ist nicht ganz klar, wofür genau Kunden denn bezahlen wollen, weil nicht klar ist, wofür sie denn eigentlich bezahlen sollen. Für die Inhalte, die sie in Wahrheit ja nicht kennen, bevor sie sie kaufen? Und für die sie jedesmal die gleiche Summe bezahlen, unabhängig von der „Qualität“ dessen, was da geboten wird? Eine Zeitung kostet mitten in einer Pandemie ja nicht mehr als mitten in der Zeit im Sommer, in der angeblich im Ruhrpott eine bissige Schildkröte in einem Baggersee herumschwimmt und sonst nichts los ist, nichtmal Fußballtransfergerüchte.

Das Versprechen eines Mediums ist dementsprechend nicht das eines bestimmten Inhalts, sondern einer bestimmten Art der Aufbereitung des jeweils Relevanten, in der Regel des relevanten Neuen.5)Ja, „GEO Epoche“, ich weiß, dass es euch gibt, deshalb habe ich gesagt „in der Regel“. Ihr seid die Ausnahme. Und „bestimmte Art“ heißt bei Menschen immer, immer, und ich möchte betonen: wirklich immer das Gleiche, nämlich dass sie eine Erwartung haben, wie sie sich während und nach der Lektüre fühlen.6)Nach der Lektüre schließt ein: Wenn sie das soziale Kapital, das sie beim Lesen gesammelt haben, ausgeben. „Ich habe einen Artikel gelesen, da hieß es …“ und so weiter. Genau, fühlen, es ist rein emotional. „Spiegel“-Leser wissen mehr? Viel besser: „Spiegel“-Leser haben nach jedem Lesen das Gefühl, sie wüssten mehr als andere.7)„Zeit“-Leser auch, aber sie sagen nicht „nach dem Lesen“ sondern „nach der Lektüre“. Das ist es, was die fünf Euro fünfzig die Woche kaufen können. Das ist das Angebot.

Und das wäre ein gutes Angebot, wenn es nicht inzwischen sehr viele konkurrierende Möglichkeiten gäbe, ein Besserwisser zu sein, oder alles das, was Medienmarken sonst an emotionaler Heimat und Sicherheit bieten können.8)Ich benutze zum Beispiel Twitter fast ausschließlich dazu, um Tweets von oder über Donald Trump zu lesen, gerade weil mich das wahnsinnig wütend macht. Emotionale Sicherheit heißt ja erstmal nur, dass man das Gefühl kennt, das ausgelöst wird, und Zugehörigkeit kann auch durch Abgrenzung hergestellt werden.

Und weil ich oben schon den Absatz damit angefangen habe, das sei der Kern des Problems, kommt jetzt hier nicht der Kern, sondern die Ableitung:9)Ich habe den dunklen Verdacht, man kann dauernd alle Absätze beginnen mit „und das ist der Kern des Problems“. Wenn meine These stimmt, dann müssten wir uns Gedanken machen, wie wir die Preise an den emotionalen Gewinn für den Leser anpassen. Für den ultimativen Benefit, zu den wenigen Auserwählten zu gehören, deren Liedwünsche in der besten Karaoke-Bar der Welt sofort gespielt werden10)Neben den zehn Armbandträgern sind das noch eine Handvoll Stammgäste, die meisten von ihnen Musical-Darsteller aus den umliegenden Theatern. sind 500 Euro offenbar angemessen, aber was ist die Weltläufigkeit wert, die „Monocle“ verbreitet? Was muss es kosten, das morbid-gute „Spiegel“-Gefühl zu haben, die Welt sei zwar böse, aber man habe sie wenigstens durchschaut? Wie kriegt man dieses Gefühl in der Umgebung hin, in der Leser und Zuschauer nun einmal leben?

Amazon Prime ist übrigens vor allem anderen das Gefühl, dass man nicht mehr rechnen muss, und das ist wahrscheinlich mehr wert als das, was man in Wahrheit sparen könnte. Deshalb weiß ich nicht einmal aus dem Kopf, was es kostet. Und ich glaube, da steckt eine Lektion drin: Herausfinden, was es ist, das man verkauft.

Aber warum ich es liebe, wenn Betrunkene auf der Reeperbahn schlecht singen, möchte ich lieber nicht wissen. Muss ich auch nicht. Ich hab schließlich bezahlt.

Fußnoten

Fußnoten
1 Große Freiheit 38, Hamburg St. Pauli
2 Eine Ausgabe von „Monocle“ kostet 12 Euro?
3 Schnell hin, zwei solcher Armbänder sind noch zu haben, und mich juckt es gewaltig!
4 Oder ungefähr ein Mal in Zürich falsch parken.
5 Ja, „GEO Epoche“, ich weiß, dass es euch gibt, deshalb habe ich gesagt „in der Regel“. Ihr seid die Ausnahme.
6 Nach der Lektüre schließt ein: Wenn sie das soziale Kapital, das sie beim Lesen gesammelt haben, ausgeben. „Ich habe einen Artikel gelesen, da hieß es …“ und so weiter.
7 „Zeit“-Leser auch, aber sie sagen nicht „nach dem Lesen“ sondern „nach der Lektüre“.
8 Ich benutze zum Beispiel Twitter fast ausschließlich dazu, um Tweets von oder über Donald Trump zu lesen, gerade weil mich das wahnsinnig wütend macht. Emotionale Sicherheit heißt ja erstmal nur, dass man das Gefühl kennt, das ausgelöst wird, und Zugehörigkeit kann auch durch Abgrenzung hergestellt werden.
9 Ich habe den dunklen Verdacht, man kann dauernd alle Absätze beginnen mit „und das ist der Kern des Problems“.
10 Neben den zehn Armbandträgern sind das noch eine Handvoll Stammgäste, die meisten von ihnen Musical-Darsteller aus den umliegenden Theatern.

12 Kommentare

  1. Dann möchte ich mal die Recherchelücken füllen:
    „Amazon Prime“ kostet im Jahresabonnement 69 Euro.
    Das monatlich kündbare Monatsabonnement kostet 7,99 Euro, was aufs jahr gerechnet knapp 27 Euro mehr sind als das Jahresabo.

    Enthalten sind unter anderem:
    -Gratis Premiumversand für Millionen von Artikeln
    – Prime Video, tausende Filme und Serienepisoden
    – Prime Music, über 2 Millionen Song
    – Prime Reading, eBooks, e-Magazine, Comics und Kindle Singles
    – Prime Wardrobe, Bekleidung bis zu 7 Tage zu Hause anprobieren
    – Ausgesuchte Spiele der Fußball-Bundesliga, morgen Frankfurt-Schalke
    Dies ist ein kostenloser Service und ich versichere, von Amazon keine Vergütung bekommen zu haben.

  2. @Frank Reichelt:

    Leider ist das nur bedingt richtig. „Richtiger“ ist, dass viele Filme (gerade Neuerscheinungen, aber nicht nur) bei Amazon Prime extra kosten (nicht im Abo enthalten sind); geliehen (0,99 – 4,99 Euro) oder extra gekauft werden müssen (bis 15,99 Euro). Und es ist Usus, dort einzelne Staffeln von Serien kostenfrei anzubieten, um dann für spätere Staffeln wiederum Extragebühren zu erheben. Die Beispiele sind zahllos. Von daher kaufe ich, sofern mein Fokus bei Amazon Prime auf dem Filme- und Serienschauen liegt, sehr wohl ein wenig die Katze im Sack. Mal ganz davon ab, dass ganze Serien zwischen kostenlos und kostenpflichtig nur so mäandern: etwa Criminal Minds wechselte binnen der letzten sechs Monate zweimal – von vollständig kostenpflichtig zu teilweise (Staffeln 1- 9 kostenfrei, folgende kostenpflichtig) zu wiederum vollständig kostenpflichtig .

  3. @1 „Dies ist ein kostenloser Service und ich versichere, von Amazon keine Vergütung bekommen zu haben.“

    Irgendwas sagt mir aber auch das Jeff Bezos davon kein besonderes Gefühl gehabt hätte. 😉

  4. „(…) die Versandkosten aber nicht bei allen Händlern (…)“
    Hierzu kann ich vielleicht noch was beitragen.
    Bei Amazon gibt es 2 Systeme für Händler, einmal das „FBA“ (Fulfillment by Amazon) Programm und einmal das „Vendor“ Programm.
    Grob: FBA kann jeder Händler auf Amazon in Anspruch nehmen. Man lässt seine Produkte in einem Amazon Warehouse gegen Gebühr (und noch mehr Gebühren, je nach Lagervolumen / -zeit) einlagern, Amazon verschickt das dann, wenn es gekauft wurde. Als Kunde erkennbar am Kennzeichen „Verkauf durch XXX, Versand durch Amazon“. Das Geschäft selbst findet aber nur über Plattform Amazon statt, direkt zwischen Händler und Kunde.
    Das Vendor-Programm kriegt man als Kunde gar nicht mit. Die Artikel werden von Amazon selbst verkauft, gelagert und verschickt. Im Background handelt Ama mit den Händlern Konditionen aus (die nachher nur einseitig und in eine Richtung geändert werden können).

    Alles bis hier erwähnte fällt in die Kategorie „Prime Versand möglich“.

    Artikel, die nicht aus einem Ama Warehouse versendet werden, können nicht mit Prime Versand bestellt werden. Erkennbar für den Kunden am Kennzeichen „Verkauf und Versand durch XXX“ unter dem „Jetzt Kaufen“ Button in der rechten Spalte.

  5. „Einmal falsch Parken in Zürich“

    Sehr schön. Heißt dort natürlich „parkieren“, aber ansonsten absolut richtig :-D

  6. Äh ja, wer noch Filme guckt, kann Amazon Prime vielleicht wirklich nicht verstehen. Sie schreiben toll, aber manchmal kommt da eine Überheblichkeit raus gegenüber Dingen, die Sie persönlich nicht verstanden haben (aus Desinteresse?). Die ist ein bisschen unschön.

  7. Ich würde sagen, die Überheblichkeit ist perfekt platziert und genau austariert.
    Aber das kommt natürlich auf den eigenen Standpunkt an.
    Ansonsten: @4: Jaaaaaa!

  8. Ich finde den Text inhaltlich belanglos. Er erinnert mich leider sehr, an das „Geschreibsel“ was ich schon bei jwd nicht gebraucht habe. Etwas mehr Tiefgang hätte dem Text gut getan. Dann wäre der Autor vielleicht auch dahinter gekommen, dass bei der Rettung für eine lieb gewonnene Location, Emotionen im Erinnerungen etc im Spiel sind. Die Stammlocation, früher nannte man das Stammkneipe, ist Teil der sozialen Infrastruktur. Häufig kennt man den / die Betreiber, leidet mit wenn der in soziale Not gerät, hilft deshalb gerne. Bei einzelnen Texten entscheidet meist der Kopf, die Entscheidung ihn zu kaufen ist rational. Auch den Autor kenne ich meist nicht oder wenn nur durch seine Texte, nie persönlich. Ein ganzes Abo schließe ich ab, wenn ich mir erhoffe, dort etwas zu bekommen, was ich anderswo nicht bekomme. Übermedien ist ein gutes Beispiel dafür. Mal abgesehen von diesem Text, schätze ich den Mehrwert der Texte, die fundierte Analyse und/oder Recherche. Die bekomme ich nirgendwo anders umsonst. Das alles zu überdenken ist mir jetzt nicht so schwer gefallen und Ihnen sicher auch nicht, wenn Sie sich die Mühe gemacht hätten. Für so launiges „Geschreibsel“ zahle ich ungern. Nie zahle ich übrigens dafür, dass mein Stammwirt in meiner Stammlocation mein Lieblingslied auflegt. Vielleicht sollten Sie den Ort Ihrer Freizeitgestaltung nochmal überdenken. Mit einem Abo/Einzelkauf einer journalistischen Ware hat das aber rein gar nichts zu tun. Was lerne ich aus Ihrem Text : Auch digital ist Papier geduldig. Liebe Übermrdienredaktion: Bitte strapaziert euer digitales Papier künftig nicht so oft. Zeitzeitgeschreibe nervt.

  9. Und ich zahle für das „Geschreibsel“ (und die Hoffnung auf künftig mehr davon) grad nochmal so gern das Abo. So kann’s gehen…

  10. @ Martin Busche:
    Ich sehe das ähnlich, wie Sie.
    Da sich übermedien gerade diversifiziert, ist das aber m. E. durchaus aushaltbar. So verlieren SN Texte über Bildzeitungs-Podcasts immerhin nicht ihre strahlkraft.

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