Die Autorin
Anne Haeming ist freie Kultur- und Medienjournalistin in Berlin. Einer ihrer Schwerpunkte ist die Sichtbarkeit von Ost/West-Perspektiven in der Berichterstattung.
Viele Journalist:innen und Wissenschaftler:innen haben in den vergangenen zwölf Monaten Anwaltspost vom Haus Hohenzollern bekommen: Abmahnungen mit Unterlassungsansprüchen, Gegendarstellungsforderungen.
Wenige möchten öffentlich darüber reden.
Die meisten bitten darum, es möge bloß nicht rauskommen, dass es Kontakt gab oder dass Unterlagen für die Recherche geschickt wurden. Auch wenn einige prinzipiell nichts dagegen hätten, erkennbar zu sein: ungern kombiniert mit der Formulierung „Einstweilige Verfügung“ und „rechtskräftig“. Das wirke nach außen eben doch wie „hat nicht sauber recherchiert“. Und die, die sich zitieren lassen, klären Namensnennung und Zitate rechtlich ab. Sicherheitshalber.
Das Thema, über das sie berichtet haben: die Restitutions- und Entschädigungsforderungen der Hohenzollern an Bund und Länder, die im Sommer 2019 öffentlich wurden.
Es geht um geschätzte 1,2 Millionen Euro für enteignete Immobilien, dazu Kunstwerke im wohl mehrstelligen Millionenbereich. Auch dass sie ein Wohnrecht auf Schloss Cecilienhof in Potsdam oder anderen Anwesen forderten, tauchte wiederholt auf, aber: „Das ist falsch“, sagt ein Sprecher des Hauses Preußen, vielmehr habe es ein derartiges Angebot unter anderem vom Land Brandenburg gegeben. „Liegenschaften als solche sind nicht Gegenstand der Gespräche“, sagt auch die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage.
Die Stellen in der Berichterstattung, gegen die die Hohenzollern rechtlich vorgehen, drehen sich häufig darum, ob das Hausarchiv der Hohenzollern für Recherchen zugänglich sei, ob das Haus Preußen das Geschichtsbild der Familie zurechtrücken wolle, inwieweit es Mitspracherechte bei ihren Leihgaben in Museen haben möchte – und ob man gegen „kritische Berichterstattung“ vorgehe. Daneben Ungenauigkeiten wie eine falsche Jahreszahl; Verwechslungen; Satzbau, der mehrere Lesarten zulässt; semantische Details. Kleinkram, könnte man meinen. Aber mit weitreichendem Effekt.
Während Historiker:innen die juristischen Auseinandersetzungen öffentlich machen, halten sich Journalist:innen zurück, belassen es höchstens bei der Formulierung, „auch diese Zeitung“ habe, wie andere, bereits Anwaltspost von den Hohenzollern bekommen.
Die Zurückhaltung erklärt sich aus einer Gemengelage, die wirkt: Weil sich mittlerweile herumgesprochen hat unter denjenigen, die sich mit den Hohenzollern befassen, dass diese häufig rechtliche Schritte einleiten. Weil sie aus den inkriminierten Passagen ablesen, wie nuanciert die Vorwürfe sind. Und weil sie um die Folgen einer Unterlassungserklärung wissen, denn allein die entsprechende Stelle zu zitieren – und somit zu verbreiten – ist damit untersagt.
Der Effekt: Die Fälle sind nicht sichtbar. Die Berichterstattung über diese Fälle ist schwierig.
Die Gefahr: Dass Redaktionen ihrer Informations- und Aufklärungspflicht nicht mehr nachkommen – prophylaktisch.
„Absurd“, „unverhältnismäßig“, diese Begriffe fallen sehr häufig, wenn die Kontaktierten das presserechtliche Vorgehen der Hohenzollern und ihres Anwalts Markus Hennig kommentieren. „Gegen kritische Berichterstattung gehen die Hohenzollern teils strafrechtlich vor“, schrieb die Informationsfreiheits-Plattform „FragdenStaat“ – und bekam Post mit einer vorformulierten Unterlassungsverpflichtungserklärung: Vier Äußerungen greift der Anwalt der Hohenzollern in dem Schreiben an, unter anderem den schon zitierten Satz, dass die Hohenzollern gegen kritische Berichterstattung teils strafrechtlich vorgingen, denn „eine ‚kritische Berichterstattung‘ wird dabei nicht unterbunden, geschweige denn ‚strafrechtlich‘ verfolgt – lediglich und zivilrechtlich belegbare Falschaussagen“, heißt es in dem Anwaltsschreiben.
Von den 16 Journalist:innen und drei Wissenschaftler:innen, mit denen Übermedien in Kontakt trat, blieben sechs verschont von Anwaltspost; manche sagen, dass sie sich schon darüber wunderten. Von den anderen haben manche eine Unterlassungserklärung unterschrieben, andere nicht, einige Fälle landeten vor Gericht, dann in Berufung. Manche reagieren auch auf wiederholte Anfrage nicht. Aber es wird sichtbar: Viele haben untereinander Kontakt, die einen wissen von den juristischen Kämpfen der anderen, holen sich Rat.
Wie viele tatsächlich betroffen sind, ist unklar. „Allein 120 Fälle gibt der Prinz selbst zu“, heißt es in der „Welt“ im Februar 2020, ohne Georg Friedrich von Preußen, den Ururenkel des letzten Deutschen Kaisers und heutiges Oberhaupt der Hohenzollern, direkt zu zitieren.
Aber was sind das für „Fälle“ – Abmahnungen, Gegendarstellungsforderungen, Prozesse? Und gegen wen richten sich die rechtlichen Schritte – Medienhäuser, einzelne Journalist:innen, Wissenschaflter:innen, Politiker:innen? Die Plattform „Fragdenstaat“ spricht von „mehr als 40 Entscheidungen“ am Landgericht Berlin.
Wieviele einschlägige Fälle es noch gibt, wie viele davon Journalist:innen betreffen, ist offen: Das Landgericht selbst will sich nur zu konkreten Prozessen äußern, nicht allgemeiner zu den laufenden Klagen der Hohenzollern. Und der Sprecher von Georg Friedrich Prinz von Preußen erklärt auf Nachfrage, zur Zahl der Verfahren wolle man keine Angaben machen. Und: „Bisher haben alle zuständigen Gerichte die jeweils vorgetragene Sicht des Hauses gestützt.“
Auf preussen.de, der Website der Hohenzollern, heißt es, man habe „bei allen in Frage gestellten Falschbehauptungen von den zuständigen Gerichten Recht bekommen“. Aussagen von Betroffenen liegen vor, die dem widersprechen.
Viele Fälle landen vor der für Pressesachen zuständigen Kammer 27 des Berliner Landgerichts, die – so Anwalt Michael Philippi, der den Journalisten Thomas Schuler vertritt – als „verletztenfreundlich“ bekannt sei (übrigens die gleiche Kammer, in der das erste Urteil über die Hassbeleidigungen gegen Renate Künast fiel). Schulers Verhandlung im März war wegen Corona erst einmal abgesagt worden. Mitte Juni wurde sie nachgeholt.
Anne Haeming ist freie Kultur- und Medienjournalistin in Berlin. Einer ihrer Schwerpunkte ist die Sichtbarkeit von Ost/West-Perspektiven in der Berichterstattung.
Im Dezember hatte der freie Journalist Schuler und der Verlag des „Hauptstadtbriefs“ eine Unterlassungsforderung des Hauses Hohenzollern bekommen. Es ging um zwei Stellen: eine Jahreszahl, ein fehlendes Wort. Sie wurden korrigiert. Im Januar erhielten Autor und Verlag dennoch eine Einstweilige Verfügung – und legten Widerspruch ein. Corona-bedingt dauerte es mit der Verhandlung bis jetzt.
Darin ließ ein Halbsatz des Richters erkennen, dass der Anwalt von Georg Friedrich von Preußen nicht das erste Mal in ähnlicher Sache vor ihm sitzt: Denn dass die Hohenzollern sich ein Mitspracherecht über die museale Darstellung ihrer Leihgaben ausbedingen, „darüber hat die Kammer schon oft entschieden“, kommentierte der Richter.
In Schulers Originaltext hatten die „Leihgaben“ gefehlt: Man konnte es bei ihm so lesen, als gehe es den Hohenzollern um Mitsprache der musealen Darstellung ihrer Familie allgemein. Doch das sei von der Kammer schon mehrfach als falsch beurteilt worden, teilte der Sprecher der Hohenzollern mit: „Damit erübrigte sich eine Vertiefung dieser Thematik in der Verhandlung.“
Nun markiert ein Sternchen in Schulers Text, dass hier etwas geändert wurde. In Beiträgen von Kolleg:innen markieren Auslassungen wie „[…]“, dass es rechtliche Probleme gab.
Im Gegensatz dazu geht „FragdenStaat“ maximal transparent mit dem Fall um: Sie haben die Korrespondenz mit dem Hohenzollern-Anwalt kurzerhand als PDF online gestellt. „Ich bin verblüfft, dass jemand so offensiv gegen so viele Texte vorgeht“, sagt Arne Semsrott von „FragdenStaat“:
„Es geht nicht nur um die Sache, sondern es droht eine systematische Beeinflussung der öffentlichen Meinung.“
Eine Einschätzung, die andere Gesprächspartner:innen teilen. Thomas Schulers Anwalt Michael Philippi sagt:
„Die sehr weitgehenden und überzogenen Unterlassungsforderungen können eine einschnürende Wirkung auf den öffentlichen Meinungsbildungsprozess haben.“
Der Historiker Martin Sabrow, Direktor des Leibniz-Zentrums für Zeithistorische Forschung ZZF in Potsdam, schrieb im Dezember in einem Offenen Brief von einer „Unkultur der Einschüchterung“.
Sogar die Brandenburger Kultusministerin Manja Schüle hatte Ende 2019 den Impuls, die Atmosphäre so zu kommentieren:
„Es ist für mich selbstverständlich, dass sich Wissenschaftler und Journalisten an dieser Debatte beteiligen können müssen, ohne Angst vor Anwälten oder Klagen zu haben.“
Mit Bezug auf die so entstehende Atmosphäre antwortet der Preußen-Sprecher:
„Gerade die Sicherheit, in einem Land zu leben, in dem man sich vor Falschbehauptungen, die unter Umständen fatale Auswirkungen haben, schützen kann, sollte einem Klima der Angst entgegenwirken.“
Denn aus Sicht der Hohenzollern geht es genau darum: um „falsche Tatsachenbehauptungen“ und „Desinformation“, wie sie auf preussen.de erklären. Schon auf der Startseite sind elf FAQs aufgelistet, unter 10. („Warum geht die Familie rechtlich gegen Berichterstattung vor?“) heißt es, „mit dem Vorgehen gegen Falschmeldungen“ habe man „einen Beitrag für die Öffentlichkeit geleistet“.
„Ich gehe davon aus, dass es um etwas anderes geht“, sagt dagegen Anwalt Philippi. Oder wie es andere wiederholt formulieren: Es geht um nichts weniger als die Bewertung deutscher Geschichte.
Das liegt am Sujet. Die Familie der Hohenzollern hat Restitutionsansprüche für Mobilien, also Kunstwerke, Mobiliar und ähnliches, geltend gemacht – auf der Basis des 1994 verabschiedeten Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes EALG: Es gilt explizit für die Zeit der Sowjetischen Besatzungszone 1945 bis 1949, als im Zuge der Bodenreform Schlösser und Güter entschädigungslos enteignet wurden, was in der sogenannten „Schlossbergung“ auch das gesamte Innenleben betraf: Kunst, Bibliotheken, Möbel, alles.
Seit 2014 nun verhandeln die Bundesregierung, die Länder Berlin und Brandenburg und die betroffenen Museen und Stiftungen der Länder mit dem Haus Hohenzollern. Der Fall sei „ein Nachzügler“, erklärte Gilbert Lupfer, heute hauptamtlicher Vorstand des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste, im Dezember 2019. „In den meisten Bundesländern ist man durch“ mit den Verhandlungen mit Adelshäusern.
Der entscheidende Punkt: Ansprüche können nur geltend gemacht werden, wenn die Betroffenen der Herrschaft der Nationalsozialisten nicht „erheblichen Vorschub“ geleistet haben, so will es das Gesetz. Nur: Was ist „erheblich“? Das versuchen die Historiker:innen in ihren Gutachten zu klären, erst Anfang des Jahres gab es eine zweieinhalbstündige Anhörung dazu im Bundestag. Die vorliegenden historischen Gutachten beantworten die Frage, ob die Hohenzollern „erheblichen Vorschub“ geleistet haben, mal so, mal so.
Nachdem im Sommer 2019 der Forderungskatalog der Hohenzollern öffentlich wurde, legte Jan Böhmermann in seiner Sendung „Neo Magazin Royale“ im November nach – und veröffentlichte alle vier vorliegenden Historikergutachten und ihre Einschätzung über die Verwicklung der Hohenzollern mit dem NS-Regime. Böhmermann, die ZDF-Redaktion vom „Neo Magazin Royale“ und die Produktionsfirma Bildundtonfabrik haben bislang, so die Auskunft, keine Abmahnungen vom Hohenzollern-Anwalt bekommen.
Dass die Gespräche über Rückübertragungen erst so spät begannen, ist übrigens keine Schikane: Teil des 1994 verabschiedeten EALG ist, dass „bewegliche Sachen“ – also Gemälde, Mobiliar undsoweiter – für die folgenden 20 Jahre Öffentlichkeit und Forschung zur Verfügung stehen, sprich: Die Museen haben so lange ein sogenanntes Nießbrauchrecht. Erst nach dieser Frist wurden Restitutionen und Entschädigungen möglich.
Die Hohenzollern möchten nun beweisen, dass ihre Vorfahren der Herrschaft der Nationalsozialisten keinen „erheblichen Vorschub“ geleistet haben. Auch deswegen ist Eva Schlotheuber, Vorsitzende des Historikerverbandes, über die Dimension der Auseinandersetzungen nicht überrascht. „Das war abzusehen“, sagt sie:
„Diese historische Frage hat materielle Auswirkungen.“
Anwalt Philippi sagt:
„Es entsteht der Eindruck, dass es darum geht, ein unliebsames Geschichtsbild aus der Welt zu schaffen und damit zugleich die pekuniären Interessen des Hauses Hohenzollern an einer Enteignungsentschädigung zu fördern.“
Und sagt damit einen Satz, der auf der Basis bisheriger Fälle wie eine Einladung zur Klage klingt.
„Dieser Eindruck ist falsch“, erwidert dann auch ein Sprecher des Hauses Hohenzollern auf den Vorwurf, man wolle ein Geschichtsbild korrigieren, finanzielle Interessen fördern.
„Er wäre – so wiedergegeben – auch als sogenannte ‚unzulässige Eindruckserweckung‘ zu kennzeichnen und für sich gesehen schon unwahr. Georg Friedrich Prinz von Preußen hat zu keinem Zeitpunkt den Versuch unternommen, ‚ein unliebsames Geschichtsbild aus der Welt zu schaffen‘.“
Mit ihren rechtlichen Schritten folgen die Hohenzollern einem längst gängigen Muster. Vor ein paar Jahren war es Usus, in solchen Fällen eine Richtigstellung oder Gegendarstellung zu erwirken, fertig. Heute setzen Anwälte nur noch in vier Prozent der Fälle auf dieses Mittel. Mit 81 Prozent auf Platz eins der juristischen Schritte: der Unterlassungsanspruch. So die Ergebnisse einer Studie der Otto-Brenner-Stiftung und der Gesellschaft für Freiheitsrechte von 2019 über „präventive Anwaltsstrategien gegenüber Medien“.
Wenn die Unterlassungserklärung nicht unterschrieben wird, landet der Fall vor Gericht. Angesichts der Hohenzollern-Strategie spitzt es Hans Monath, ein betroffener Kollege vom „Tagesspiegel“, so zu: „Das ist nicht verhältnismäßig. Anständige Menschen würden einen Leserbrief schreiben.“
Der Unterschied zu anderen Unterlassungserklärungen: die gesellschaftliche Bedeutung der Hohenzollern und ihres Anliegens. „Die Verhandlungen, die die Hohenzollern mit Bund und Ländern führen, sind von hohem öffentlichen Interesse – wie auch die Hohenzollern selbst“, sagt die Hauptgeschäftsführerin der Journalistengewerkschaft DJU in Ver.di Cornelia Berger.
Und Eva Schlotheuber vom Historikerverband ergänzt:
„Es ist die Aufgabe von Historikern, dazu Stellung zu nehmen. Es berührt die Genese unserer modernen Gesellschaft.“
Also eben keine Privatsache. Dabei wollte Georg Friedrich von Preußen schon 2015 mit dieser Argumentation mithilfe einer einstweiligen Anordnung verhindern, dass das Land Brandenburg über die Rückgabeverhandlungen öffentlich informiert, also etwa anfragende Journalist:innen. In der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts von 2016 heißt es dazu unter anderem: „Der Antragsteller“ könne die Angelegenheit „nicht ernstlich als reine Privatangelegenheit betrachten.“
„Man setzt auf einen Ermüdungseffekt“, kommentiert Medienanwalt Michael Philippi:
„Die Medien stehen unter großem finanziellem Druck, das kommt den Hohenzollern entgegen. Sogar Qualitätsmedien streichen die Segel.“
Auch Wolfgang Hübner, Chefredakteur des „Neuen Deutschland“ erklärt, man sei in einem „Zwiespalt“: Gegen Abmahnungen vorzugehen koste nun einmal Geld, erst recht ohne Hausjustitiariat.
„Damit entsteht ein Klima, in dem Leute sich überlegen, überhaupt über das Thema zu schreiben“, sagt Hans Monath vom „Tagesspiegel“, auch wenn er selbst zur Fraktion „Jetzt erst recht“ gehöre. Auch eine betroffene Kollegin vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk sagt:
„Ich sehe es nicht ein, nicht weiter über die Hohenzollern zu berichten. Ich lasse mir den Mund nicht verbieten.“
Die von manchen wahrgenommene Häufigkeit rechtlicher Schritte gegenüber Journalist:innen, führt ein Sprecher des Hauses Hohenzollern darauf zurück, dass einige sich „trotz mehrfacher Hinweise, Aufforderungen und zwischenzeitlich besseren Wissens weigerten, ihre Falschbehauptungen richtig zu stellen“.
»Abmahnungsdrohungen beflügeln den Ehrgeiz.«
Hendrik Zörner, DJV
Die Haltung der DJU-Hauptgeschäftsführerin Berger ist unmissverständlich: „Wir fordern die Medienhäuser und Sender auf, niemals nachzugeben.“ Unterlassungserklärungen zu unterschreiben, weil es der einfachere Weg sei, sei keine Lösung. „So entsteht eine Schere im Kopf, das ist brandgefährlich“, sagt sie, „das ist eine reale Einschränkung der Pressefreiheit.“ Dennoch habe sich erst in diesem Jahr ein Mitglied wegen Unterstützung gemeldet, so Berger.
Die Art des rechtlichen Vorgehens wundert Hendrik Zörner, den Sprecher des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), nicht. Manche Anwaltskanzleien hätten „ihr Wirtschaftsmodell darauf ausgerichtet“, sagt er. Freie seien in der Bredouille, klar, als Gewerkschaftsmitglied bekämen sie jedoch Unterstützung, Betroffene sollten sich nicht einschüchtern lassen. Aber klar sei auch: „Die Recherche muss hieb- und stichfest sein“, der positive Effekt für ihn: „Abmahnungsdrohungen beflügeln den Ehrgeiz.“
„Das ist skandalös“, kommentiert eine betroffene Journalistin, festangestellt, Hausjustitiariat im Rücken. Rechtlich ist ihr untersagt, jenen Satz wiederzugeben, wegen dem die Hohenzollern gegen sie vor Gericht gingen – aber ihr ist wichtig, dass es eben nicht immer um klare Fehler oder schwache Recherche geht, sondern um semantische Auslegungssache. Fasse man Komplexes journalistisch zusammen, ließen sich Ungenauigkeiten nicht vermeiden:
„Wenn man jede Wendung, jeden Halbsatz abklopfen muss auf minimale Unschärfen, ist das eine Einschränkung der journalistischen Arbeit.“
Während Journalist:innen ihre Redaktionen oder ihre Gewerkschaften im Rücken haben, stehen die Wissenschaftler:innen in der Regel alleine da: als Privatpersonen. Zwar erklärt DJU-Frau Berger, nichts hindere Wissenschaftler:innen, einer Journalismusgewerkschaft beizutreten. Doch die Unsicherheit, auch für Freie, sie bleibt.
Auch deswegen hat „FragdenStaat“ – in Kooperation mit dem Historikerverband und der DJU*) – nun einen Rechtshilfefonds explizit für Hohenzollern-Fälle gestartet: den Prinzenfonds. 10.000 Euro sollen über ein Crowdfunding zusammenkommen, „um Angriffe auf die Freiheit von Wissenschaft und Forschung und die damit verbundene Meinungsfreiheit effektiv zu verteidigen“. DJU-Geschäftsführerin Berger erklärt, man unterstütze den Fonds politisch und werde ihn bewerben; eine finanzielle Beteiligung sehe sie derzeit nicht: „Wir können unsere Mitgliederbeiträge nicht für Nichtmitglieder ausgeben.“
Auch Schlotheuber vom Historikerverband erklärt, ein Rechtshilfefonds „liegt außerhalb unseres Möglichkeitsraums“, sie würden ihn jedoch ideell unterstützen, etwa mit wissenschaftlicher Expertise. Auf Hilfe könnten die Historiker:innen auch so bauen: „Wenn die Kollegen um Unterstützung bitten, tun wir alles, was in unserer Macht steht.“ Man würde sich am „Diskurs“ beteiligen, denn:
„Greift man die wissenschaftlich-kritische Methode eines Historikers an, dann greift man die ganze Zunft an.“
Von Seiten der Hohenzollern wird hingegen betont, es spiele für ihre rechtlichen Schritte grundsätzlich „keine Rolle“, „ob es um kritische Berichterstattung ging“. Behauptungen, Gerichte ließen sich instrumentalisieren, um kritische Berichterstattung zu verhindern, seien „letztlich ein Angriff auf den Rechtstaat“. Und weiter:
„Dass nun einige mit dieser Grundhaltung sogar um Spenden werben, ist aus Sicht von Prinz Georg ebenso gefährlich wie unverantwortlich.“
Bei der Verhandlung von Thomas Schuler zog der Anwalt der Hohenzollern, Markus Hennig, am Ende einen Teil der Unterlassungsforderung gegen Schuler und den Verlag des „Hauptstadtbriefs“ zurück: weil die beiden monierten Stellen online, so Schulers Anwalt, fristgerecht korrigiert worden seien. Das schriftliche Urteil liegt allerdings noch nicht vor.
Dass Schuler, ein freier Journalist, sich juristisch wehrte, liegt auch daran, dass er seinen Verlag im Rücken hatte. Der Rechtshilfefonds von „FragdenStaat“ könnte nun auch anderen die Chance bieten, freier zu entscheiden, ob sie Unterlassungsforderungen nachgeben, die ihnen vom Hohenzollern-Anwalt zugehen.
*) Nachtrag, 6.7.: In einer früheren Version des Textes hieß es, dass der Prinzenfonds auch in Kooperation mit Netzwerk Recherche aufgelegt würde. Das ist nicht richtig. Wir haben die Stelle korrigiert.
Sehr ausführlich und interessant – vielen Dank für den Aufwand!
Sehr interessant und ich hoffe ihr werdet dafür nicht verklagt.
Der wahre Skandal an der Geschichte ist aber das EALG. Wer weiß wieviel schwarzgelb dafür bekommen hat, Adelsschmarotzern auch noch ein Recht auf ihr feudal erbeutetes Eigentum zu gewähren.
Ich bezweifle, dass sich die systematische Beeinflussung der öffentlichen Meinung so auswirkt, wie der Adel es sich wünscht.
Bei Böhmermann scheint man das schon erkannt zu haben.
Toller, langer Artikel, keine Polemik, danke!
Keine Polemik im Artikel? Na dann muss man die doch dringend ergänzen:
Das ist halt das Resultat von unvollständigen Revolutionen und reaktionären Einigungsverträgen. Immerhin, wie man sich öffentlich unbeliebt macht und als geschichtsvergessen und geldgierig präsentiert, davon verstehen deutsche Adelshäuser etwas. Naja, irgendwas müssen sie ja tun, nachdem sie ihre einstigen Kernkompetenzen (Untertanen auspressen und Kriege anzetteln) nicht mehr ausüben können.
Die hier geschilderten Probleme könnte man allerdings auch recht unrevolutionär aus der Welt schaffen, indem man Abmahnanwälten endlich die Geschäftsgrundlage entzieht. Die bisherigen Bemühungen in diese Richtung waren ja leider zu kurz gegriffen.
Naja, die Geschäftsgrundlage der Anwälte dürfte sich nicht wesentlich von derjenigen unterscheiden, mit deren Hilfe andere Prominente oder auch Nicht-Prominente etwa gegen die Klatschpresse vorgehen. Das wiederum dürfte mehrheitlich als durchaus erwünscht angesehen werden…
Als „Abmahnanwälte“ bezeichnet man doch eher Anwälte, die mit massenhaften Abmahnungen massenhaft Geld verdienen wollen, oder? Dieser Aspekt steht hier nach dem Beitrag eindeutig nicht im Vordergrund.
@Vannay:
„Als „Abmahnanwälte“ bezeichnet man doch eher Anwälte, die mit massenhaften Abmahnungen massenhaft Geld verdienen wollen, oder? Dieser Aspekt steht hier nach dem Beitrag eindeutig nicht im Vordergrund.“
Aus dem Artikel: „Die Art des rechtlichen Vorgehens wundert Hendrik Zörner, den Sprecher des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), nicht. Manche Anwaltskanzleien hätten „ihr Wirtschaftsmodell darauf ausgerichtet“, sagt er.“
Ob die hier tätigen Anwälte dazu zählen, weiß ich natürlich nicht, liegt aber nahe. Aber ich gebe zu, dass man diese Angelegenheit durchaus noch etwas differenzierter betrachten sollte.
Den Terminus Abmahnanwälte haben Sie gebraucht und sich auf bisherige Bemühungen bezogen. Ich denke (nach wie vor), dass Sie damit eine andere Kategorie meinen als die Anwälte im Beitrag.
Die zitierte Bemerkung im Beitrag ist zwar abwertend gemeint, aber wenig gehaltvoll. In gleicher Weise könnte ich Fachanwälten für Strafrecht vorhalten, dass sie es zu ihrem Wirtschaftsmodell gemacht haben, die A…Löcher der Nation zu vertreten. Oder den Onkologen, dass sie mit Krebsleiden Kasse machen.
Sehr guter Text. Meine Spende an den Prinzenfonds geht heute raus. Die Zivilgesellschaft muss den ,blaublütigen‘ die Stirn bieten.
Der Link zur Böhmermann-Seite („alle vier vorliegenden Historikergutachten“) geht nicht.
https://hohenzollern.lol/
bitte korrigieren zu
http://hohenzollern.lol/
(Danke für den Hinweis! Ist korrigiert.)
FragdenStaat hat unlängst gemeldet, dass der Prinzenfonds bereits 50.000 Euro eingesammelt hat.
Manche Kommentatoren springen zu kurz, wenn sie den vorliegenden Artikel als Vorlage für Anti-Adel-Polemiken nutzen. Die Frage, ob Preussens einen Restitutionsanspruch haben oder nicht, ist ja nicht Thema des Übermedien-Beitrags.
Und man sollte nicht überlesen, dass den Hohenzollern ihre Prominenz medienrechtlich zum Nachteil gereicht, weil sie eben keine Privatleute sind.
Schade ist, dass Übermedien nicht dokumentieren kann, welche Tatsachenbehauptungen der „Prinz“ untersagen lässt (würde ich verklagt, käme als meine Vertretung nur RA Matthias Prinz in Frage).
Und manchem Kollegen täte und tut es gut, sich mal wieder auf den Unterschied zwischen Tatsachenbehauptung („Es entsteht der Eindruck“) und Meinungsäußerung („bei mir entsteht der Eindruck“) zu besinnen.
Meinungsäußerungen sind eben weitgehend vom Grundgesetz gedeckt, wie Hans Monath vom „Tagesspiegel“ demonstriert: „Das ist nicht verhältnismäßig. Anständige Menschen würden einen Leserbrief schreiben.“
Grinsen musste ich über diesen Textanschluss der Autorin: „… Sogar Qualitätsmedien streichen die Segel. Auch Wolfgang Hübner, Chefredakteur des „Neuen Deutschland“ erklärt …
Dass das ND das noch erleben durfte :-)
„[…] sind von hohem öffentlichen Interesse – wie auch die Hohenzollern selbst“
Na, das finde ich aber debattierbar. Ja, der Rechtsstreit ist absolut von öffentlichem Interesse, aber ich sehe ehrlich gesagt nicht, was mich an den Hohenzollern mehr interessieren sollte als an anderen reichen Idioten die Mist in die Welt setzen (lassen) und versuchen Medienberichterstattung „in ihrem Sinne zu ‚korrigieren'“.
Der Georg hat das, Recht „Prinz“ im Namen zu tragen, und das wärs dann auch mit den Besonderheiten.
#12 Ach, ihr geschichtsvergessenen Kinder.
Andererseits: Als ich das letzte Mal in Hechingen war, hätte ich die Burg am Rande der Zollernalb auch fast übersehen. SansSouci sowieso. Und das neue Berliner Stadtschloß habe ich noch gar nicht gesehen.
Schade, dass der BILD sowas nicht passiert.
Bzw., feige von der BILD, dass die ihren Mist nicht über Leute auskippt, die keine kleinkarierten Prozesshanseln mit großen Budget für Anwaltskosten sind…
@ Mycroft
Dabei wäre die Bild-Leserschaft doch gewiss an neuen Bereicherungsplänen der Blaublütigen interessiert
Ich erinnere an den Prügel-/Pinkel-Prinz.
Aber vielleicht käme es ja auch zur Solidarisierung: „Sozis gönnen Preußen-Prinz die Möbel nicht – muss er jetzt bei IKEA kaufen?“
Ja, vllt. kann BILD sich nur nicht entscheiden, welches FeindBILD sie bedienen soll.
Aber gönnen würde ich ihr solche kleinkarierten Unterlassungsklagen trotzdem…
Dass die Vorfahren der Hohenzollern der Herrschaft der Nationalsozialisten „erheblichen Vorschub“ geleistet haben sollen, ist m. E. eine stark untertriebene Formulierung. Es gibt mittlerweile genügend Arbeiten kompetenter Historiker, die die Mitschuld des Hauses belegen.