Neues Wiki dokumentiert Verfahren

„Klagen der Hohenzollern“: Hilft das Projekt dabei, über den Prinzen zu berichten?

Der frühere Kaiser Wilhelm II. mit seinem Sohn Kronprinz Wilhelm (links) und seinem Enkel Wilhelm Prinz von Preußen im Exil. Screenshot: klagen-der-hohenzollern.de

Ob ein Werkzeug funktioniert, lässt sich am besten herausfinden, indem man es testet. Also: Darf man schreiben, die Hohenzollern verhinderten die wissenschaftliche Erforschung ihrer Familiengeschichte? Oder ist die Formulierung so verkürzt, falsch oder missverständlich, dass Georg Friedrich Prinz von Preußen die Stelle als falsche Tatsachenbehauptung wertet und über seinen Anwalt eine Unterlassungsforderung schicken lässt?

Ein neues Wiki könnte helfen, derlei Fragen vor Veröffentlichung zu klären: Die Seite „Klagen der Hohenzollern“ ist eine Sammlung juristischer Fälle von 2012 bis heute. Sie dokumentiert, wie die politischen Verhandlungen um eine etwaige Restitution von Hohenzollern-Objekten seit einigen Jahren in den öffentlichen Raum gerutscht sind – indem der Prinz von Preußen juristisch gegen einige Wissenschaftler:innen und Journalist:innen vorging, Unterlassungsforderungen schickte, klagte, oft gewann.

„Weder Angriff noch Verteidigung“

Das Wiki ist ein Projekt des Verbandes der Historiker und Historikerinnen Deutschlands, einer 126 Jahre alten Institution. Die Wissenschaftsgemeinschaft startet damit eine Plattform, wie sie sonst eher andere engagierte Enthüllungsakteure lancieren, sei es „Frag den Staat“ oder Jan Böhmermann, der 2019 mehrere Gutachten über die Rolle der Hohenzollern während des Nationalsozialismus veröffentlichte.

„Als deutlich wurde, wie scharf und absurd viele Unterlassungsforderungen formuliert sind, war uns klar, dass wir etwas machen müssen“, sagt Eva Schlotheuber, Vorsitzende des Historikerverbands. Sie finde, „die Art und Weise, wie die Hohenzollern Unterlassungsforderungen einsetzen, bedroht Medien wie Wissenschaft und damit auch die öffentliche Debatte. Vor diesem Hintergrund ist das Thema des Wikis auch Ausdruck unserer Zeit.“

Aber: „Das Wiki ist weder Angriff noch Verteidigung: Es ist eine Dokumentensammlung“, sagt Schlotheuber. „Wir wollen für Transparenz sorgen.“ Und damit „Wissenschaftler:innen und Journalist:innen wieder Handlungsspielraum geben, sich sorgenfreier zum Thema zu äußern“.

Berichten? Oder soll man es lassen?

Die Juristin Sophie Schönberger, die als Professorin für Öffentliches Recht, Kunst- und Kulturrecht an der HHU in Düsseldorf lehrt und das Wiki mitbetreut hat, sagt: „Wir wollen damit eine Debatte für Medien und für Rechtswissenschaften anstoßen: Was ist im öffentlichen Diskurs gerade noch zulässig, welche Rolle haben Gerichte bei der Wahrheitskontrolle?“

Der Prinz von Preußen findet, dass man „in Einzelfällen gegen eine vorsätzliche Verbreitung von Falschinformationen rechtlich vorgegangen“ sei, ändere nichts daran, dass die Hohenzollern „eine kritische und ergebnisoffene Befassung mit der Geschichte ihrer Familie ausdrücklich begrüßen“. So steht es in den „Erläuterungen zu den aktuellen Diskussionen“ auf preussen.de.

In der Wissenschaft wie im Journalismus weiß man längst um diese Fälle, weiß, dass diese rechtlichen Auseinandersetzungen langwierig sind, Kosten für Rechtsberatung, Prozess, Entscheidung anfallen. Die Folge: Manche überlegen sich inzwischen, ob sie über die Hohenzollern und die Restitutionsdebatte berichten sollen. Oder dazu forschen und veröffentlichen. (Mehr zu den Hintergründen der Debatte und den Verfahren hier).

Taugt das Wiki als Hilfestellung?

Findet man nun also mit Hilfe des Wikis heraus, ob eine Formulierung als „falsche Tatsachenbehauptung“ oder „Verletzung des Persönlichkeitsrechts“ gewertet werden könnte? Die Seite ist umfangreich, ja. Es sind zahllose Dokumente, Gesetze und Gerichtsbescheide hinterlegt. Und ja, es gibt ausführliche Beiträge zu historischen wie rechtlichen Kontexten, die im Zusammenhang mit der Restitutionsdebatte relevant sind.

Besonders wichtig, um die rechtliche Lage eigener Berichterstattung einzuschätzen: der Menüpunkt „Fallgruppen Abmahnungen“. Doch hier werden auch die Grenzen des Angebots sichtbar.

Der Abschnitt ist unterteilt in fünf Themenkomplexe, etwa inhaltliche Schwerpunkte („Hohenzollern-Museum“, „Archivzugang“) oder „Äußerungen über äußerungsrechtliche Streitigkeiten“. Darunter folgen jeweils die einschlägigen Fälle, mal elf, mal 27, zitierte inkriminierte Passagen, oft begleitet von der Gegenargumentation aus den Unterlassungsforderungen. Dazu Informationen zum Stand der Dinge: ob die Unterlassungserklärung unterzeichnet wurde oder nicht, ob der Prinz von Preußen die Angelegenheit weiterverfolgt hat oder nicht, die Entscheidung des Gerichts. Die Verfahrensbeispiele sind zusätzlich als PDFs hinterlegt, sortiert nach Gericht, Jahr, Ergebnis.

Die schwierige Suche nach Antworten

Kurz: Es ist viel. Und schwer zu erschließen. Überschriften der einzelnen Einträge verweisen mal auf inkriminierte Passagen, mal auf eine beliebige Formulierung aus einem Absatz, die aus anderen Gründen angegriffen wurde, mal heißt es nur „Interview Winfried Süß“.

Nicht immer ist ersichtlich, wieso das Gericht entschieden hat, eine Stelle sei eine „unwahre Tatsachenbehauptung“: Um welches Wort, welchen Halbsatz, Passage, Aussage geht es beispielsweise hier genau?

Für jene, die sich mit dem Komplex bislang nicht befasst haben, könnte sich der Eindruck aufdrängen: Ohne das komplette Wiki durchgelesen zu haben, sei es kaum möglich, über die Hohenzollern zu berichten. Und dort erst jedem Wort bis in die Gerichtsentscheide nachzugehen, um zu verstehen, was genau das Problem war und ist, und dazu die Bedeutung juristischer Fachausdrücke recherchieren, und, ähm… wann soll man das machen? Es sei denn, eine Redaktion hat ein Justitiariat, das das übernimmt.

Zurück zum Fall vom Anfang, zum Beispiel: Darf man schreiben, die Hohenzollern verhinderten die wissenschaftliche Erforschung ihrer Familiengeschichte? In einem Artikel hat die Journalistengewerkschaft DJU das formuliert – der Prinz von Preußen habe sich als „besonders klagefreudig erwiesen“, was die wissenschaftliche Aufarbeitung seiner Familiengeschichte angehe (Seite 9 des Urteils). Der Fall landete vor Gericht, es entschied für den Prinzen. Der hatte argumentiert, er habe sich „weder jemals gegen die wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschichte seiner Familie gewandt“, noch sei dies – wegen „klagefreudig“ – „mehrmals“ erfolgt. Die DJU legte Berufung ein, im August wird weiterverhandelt.

Also: Darf man das so formulieren? In diesem Fall nicht.

„Semantische Nuancen“

Gegencheck: Gibt es im Wiki diese Aussage in anderen Varianten? Lassen sich so Alternativen finden oder ebenfalls ausschließen? Über die Suchfunktion kommt man nicht weiter: Die Inhalte sind nicht verschlagwortet, und weil das Wiki als Unterseite der Website der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf aufgesetzt ist, spuckt eine Suche auch jede Menge fremder Treffer aus – etwa aus der „FS Physik und med. Physik“.

Im Komplex „Äußerungen über äußerungsrechtliche Streitigkeiten“ dann irgendwann ein Fund, der inhaltlich passt. In einer Pressemitteilung der Brandenburger Linken hieß es: „Das Haus Hohenzollern und sein Sachwalter Georg Friedrich Prinz von Preußen“ versuchten, „die wissenschaftliche Erforschung und die öffentliche Diskussion über die Rolle des Hauses Hohenzollern […] mit juristischen Mitteln zu ersticken“. Auch dieser Fall landete vor Gericht – und es entschied für die Linke.

Also: Darf man sich über die Hohenzollern und ihre Haltung gegenüber der Erforschung ihrer Familiengeschichte äußern? So offenbar schon.

„Die dokumentierten Fälle zeigen, dass es mitunter schwer ist, zu erkennen, um welche semantischen Nuancen es geht“, findet DJU-Hauptgeschäftsführerin Monique Hofmann. Eine Möglichkeit für Journalist:innen, die über die Hohenzollern berichten wollen, wäre in ihren Augen: „Eins zu eins die Wortwahl aus jenen Fällen kopieren, die der Prinz von Preußen nicht weiter juristisch verfolgt hat.“

Journalist:innen kaum beteiligt

Dass das Wiki aus journalistischer Perspektive nicht als leicht zugängliche Handreichung taugt, liegt letztlich in der Natur der Sache: Die Belange von Journalist:innen standen bei der Genese des Projekts nicht im Zentrum – es ist ein Projekt des Historikerverbands. Das Team dahinter besteht aus Historiker:innen und einer Juristin. Für sie dient die Dokumentation vor allem als Zeitzeugnis und Quellensammlung für Geschichts- wie Rechtswissenschaften.

Laut Schönberger dokumentiert das Wiki 70 Fälle, teils mit mehreren inkriminierten Stellen in einem Beitrag. Und bei immerhin Dreiviertel davon handele es sich um journalistische Beiträge. Medien könnten das Wiki für ihre Zwecke nutzen, so Schönberger, aber: „Wir verstehen uns nicht als Serviceagentur für Journalisten.“

Sie hätten im Austausch mit Redaktionen und Journalist:innen gestanden, um Dokumente zu bekommen, erklärt Eva Schlotheuber. Manche hätten sich nicht beteiligt, aus Vorsicht. Sie hätten auch versucht, Kontakt zum DJV-Vorsitzenden Frank Überall aufzunehmen. Der DJV erklärt, davon wisse er nichts. Und von der Existenz der Journalistengewerkschaft DJU wussten sie beim Historikerverband wiederum nichts, obwohl die Gewerkschaft seit Start im Sommer 2020 den von „Frag den Staat“ initiierten „Prinzenfonds“ als Anlaufstelle für von rechtlichen Schritten der Hohenzollern Betroffene unterstützt.

Auch der Prinz findet’s gut

„Ich finde es super, dass es das Wiki gibt – wenn es auch nur einen Ausschnitt der Verfahren repräsentiert”, sagt Monique Hofmann von der DJU. „Wären wir gefragt worden, hätten wir sofort mitgemacht. Dass das nicht geschehen ist, bedauern wir.“ Hofmann hofft, dass sich weitere Medienhäuser am Wiki beteiligen. Die Unterlagen zu den DJU-Fällen will sie jedenfalls einreichen.

All diese Gruppen und Verbände hätten natürlich auch selbst auf die Idee kommen können, eine solche Dokumentensammlung zu veröffentlichen. Aber: „Ich glaube, dass ein solches Projekt noch eindrücklicher ist, wenn es von einem Verband kommt, der in Bezug auf politischen Aktivismus gänzlich unverdächtig ist“, sagt Arne Semsrott von „Frag den Staat“. „Gerade in Bezug auf Abmahnungen und Klagen sehen wir in unserer Arbeit, wie wichtig allgemeine Transparenz ist, um hinter vermeintlichen Einzelfällen ein System erkennen zu können.“

Vielleicht verändert das Projekt nun die Gemengelage. Denn in einem sind sich alle Akteur:innen einig: Sie finden das Wiki gut. Auch Georg Friedrich Prinz von Preußen schreibt in einer Pressemitteilung: „Mit der Freischaltung einer Internetseite zu den uns betreffenden Verfahren leistet der Verband einen wichtigen Beitrag zur Transparenz. Daher begrüße ich die Initiative.“

10 Kommentare

  1. „*Der* Prinz von Preußen“ – gibt es in Deutschland tatsächlich noch Adelstitel? Ich dachte, ehemalige Adelsbezeichnungen seien seit langem lediglich Bestandteil des Namens.

  2. Ist es, das Haus Boateng z. B. gab es nie. Auch die fünfköpfige a capella Band ist m. W. nicht von blauem Blut.

  3. @Frank Reichelt: Beim „Wendler“ weiß man, dass das eine Veralberung oder aber in einigen Gebieten Deutschlands eine gängige Ausdrucksweise ist (z.B. „die Daniela“ oder „der Björn“). „Prinz“ war allerdings vor langer Zeit ein (Adels-)Titel, ist es aber heute nicht mehr. Insofern fände ich es angebracht, den Herrn Prinz von Preußen nicht unnötig im Stile von „Wir wollen unsern Kaiser Wilhelm wiederhaben!“ aufzuwerten.

  4. Ich finde es ja bezeichnend, dass es das Wiki gibt. Das es (noch) nicht vollständig ist, dass es für weitere Nutzer andere Optimierung bedarf – geschenkt. Dass der Wendler, äh, der Prinz die Initiative begrüßt ist albern. Das können selbst Scholz und Altmaier besser.

  5. #5
    Verbindlichsten Dank für den Ohrwurm. Und jetzt alle: »Wir wollen unseren alten Kaiser Wilhelm wiederhaben! Wir wollen unseren alten Kaiser Wilhelm wiederhaben! Aber den mit dem Bart, mit dem langen Bart!«

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